Wahlabschlussveranstaltung der SGP: eine sozialistische Perspektive gegen Sozialabbau, Militarismus und Durchseuchung

Am 19. September fand die Wahlabschlussveranstaltung der Sozialistischen Gleichheitspartei zur Bundestagswahl statt. Kandidaten der SGP und internationale Gäste – Joseph Kishore, nationaler Sekretär der Socialist Equality Party in den USA, und Chris Marsden, nationaler Sekretär der SEP in Großbritannien – sprachen über die Verschärfung des Klassenkampfs und eine sozialistische Perspektive gegen Sozialabbau, Militarismus und Durchseuchung.

Wahlabschlussveranstaltung der SGP | Sendung zur Bundestagswahl 2021

Moderiert wurde die Online-Veranstaltung von Johannes Stern, dem stellvertretenden Chefredakteur der deutschsprachigen World Socialist Web Site. „Unser Wahlabschluss findet unter außerordentlichen Bedingungen statt. Die Corona-Pandemie hat der ganzen Welt den Bankrott des Kapitalismus vor Augen geführt,“ erklärte Stern. Wie der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 sei die Pandemie ein Trigger Event, ein „auslösendes Ereignis“, das die bereits weit fortgeschrittene wirtschaftliche, soziale und politische Krise des kapitalistischen Weltsystems enorm beschleunigt habe.

Die entscheidende Frage in dieser Situation sei „die einer klaren politischen Perspektive und Führung“, erklärte Stern und zitierte aus dem Wahlaufruf der Sozialistischen Gleichheitspartei:

„Kein gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne die Banken und Konzerne zu enteignen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen. Ihre Gewinne und Vermögen müssen beschlagnahmt und die Billionen, die ihnen im letzten Jahr zur Verfügung gestellt wurden, zurückgeholt werden. Die Weltwirtschaft muss auf der Grundlage eines wissenschaftlichen und rationalen Plans neu organisiert werden. Um dieses Programm zu verwirklichen, braucht die Arbeiterklasse eine eigene Partei.“

Christoph Vandreier, der stellvertretende SGP-Vorsitzende und Spitzenkandidat sprach ausführlich zur Bedeutung des Wahlkampfs der SGP. Er stellte fest, dass alle wichtigen Themen weitgehend aus dem offiziellen Wahlkampf ausgeblendet werden. „Inmitten der tiefsten Krise des Kapitalismus und einer historischen Pandemie wirken die Debatten zwischen den Kanzlerkandidaten und den anderen Bundestagsparteien wie aus einer anderen Welt.“

Im letzten Triell seien die mindestens 93.000 Todesopfer der Pandemie in Deutschland nicht einmal erwähnt worden. Die drei Kanzlerkandidaten, Olaf Scholz (SPD), Armin Laschet (CDU/CSU) und Annalena Baerbock (Grüne), hätten „schon zuvor einen Lockdown ausgeschlossen, der notwendig wäre, um hunderttausende Menschenleben zu retten. Stattdessen verfolgen sie eine Politik, die die Profite der Banken und Konzerne über das Leben der Menschen stellt.“

Das gelte auch für die Linkspartei, die alles daransetze, Mitglied der nächsten Bundesregierung zu werden. Wie in Berlin, Bremen und Thüringen, wo Die Linke schon in der Regierung sitzt, würde im Bund eine Regierung mit ihrer Beteiligung die Durchseuchungspolitik, die Sozialangriffe und die Aufrüstung vorantreiben. Im Wahlkampf vergehe „kaum ein Tag, an dem Vertreter der Linkspartei nicht betonen, dass sie der Nato, der Bundeswehr und Auslandseinsätzen zustimmen würden, wenn sie an der Regierung beteiligt würden.“

Die SGP trete dieser rechten Verschwörung aller Bundestagsparteien entgegen und kämpfe dafür, die Arbeiterklasse mit einem internationalen sozialistischen Programm zu bewaffnen. Ein solches sei „keine schöne Vorstellung und keine Utopie“. Es basiere „auf den realen Kämpfen der Arbeiter, die auf der ganzen Welt ausbrechen“.

Vandreier beendete seinen Beitrag mit einem starken Appell, die SGP und die Vierte Internationale auch über den Wahltag hinaus zu unterstützen und aufzubauen. „Kein Arbeiter sollte seine Stimme verschenken und eine der Parteien wählen, die für die Misere verantwortlich sind und Sozialangriffe in ganz neuen Dimensionen vorbereiten. Nur eine Stimme für die SGP ist eine Stimme gegen Krieg, Faschismus und Durchseuchungspolitik. Nur wenn Arbeiter auf der ganzen Welt unabhängig ins politische Geschehen eingreifen, kann eine erneute Katastrophe verhindert werden.“

Marianne Arens, Vorstandsmitglied der SGP und Kandidatin in Hessen, sprach zur Corona-Pandemie. Sie verurteilte die „Profite vor Leben“-Politik aller Bundestagsparteien, die allein in Deutschland offiziell 93.000 Menschenleben gekostet hat. Dann erklärte sie, welche wissenschaftliche Strategie und politische Perspektive notwendig sei, um das Massensterben zu stoppen.

„Die Beendigung der Pandemie und die Rettung von Menschenleben erfordert die Umsetzung konsequenter Lockdowns, verbunden mit Impfungen, Kontaktverfolgung und der Isolierung von Infizierten, bis Covid-19 ausgerottet ist“, erklärte Arens. Die SGP fordere: „Voller Lohnersatz für alle betroffenen Arbeiter sowie echte Hilfen für Selbständige und umfassende Unterstützung für arme Haushalte! Ein global koordiniertes Impfprogramm statt Impfstoffnationalismus und Geschäftemacherei!“

Dietmar Gaisenkersting, der in Nordrhein-Westfalen für die SGP kandidiert, verdeutlichte in seiner Rede, dass die Bedingungen für die Umsetzung eines sozialistischen Programms heranreifen. Er habe „noch nie einen Bundestagswahlkampf erlebt, in dessen Verlauf so viele Streiks und Proteste stattgefunden haben“. Die Kämpfe seien „Teil einer wachsenden internationalen Mobilisierung der Arbeiterklasse“.

Gaisenkersting gab einen beeindruckenden Überblick über das Eingreifen der SGP in den Klassenkampf. „Wir waren bei den Streiks und Demonstrationen der Pflegerinnen von Vivantes und der Charité sowie den Gorillas Riders in Berlin, wir waren bei den Dana-Arbeitern in Essen und bei vielen Streikaktionen der Lokführer und Zugbegleiter.“

In Diskussionen mit Arbeitern hätten Mitglieder und Unterstützer vor allem einen Punkt betont: „Arbeiterinnen und Arbeiter können ihre Löhne und Arbeitsplätze nur verteidigen und ihre berechtigten Forderungen nur durchsetzen, wenn sie sich in Aktionskomitees unabhängig von den Gewerkschaften und den etablierten Parteien organisieren.“

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale habe daher am 1. Mai zur Gründung der internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees aufgerufen. „Mit dem Aufbau eines internationalen Netzwerks von Arbeiterkomitees wollen wir eine globale Gegenoffensive der Arbeiterklasse einleiten und entwickeln – eine Offensive gegen die mörderische Politik der herrschenden Kapitalistenklasse und ihrer Regierungen in der Frage der Corona-Pandemie, genauso wie gegen die Angriffe der Konzerne im Zuge der Pandemie.“

Besonders bedeutend waren vor diesem Hintergrund die Redebeiträge der internationalen Genossen.

Joseph Kishore, nationaler Sekretär der Socialist Equality Party in den USA, berichtete, dass „Arbeiter und Jugendliche in den USA, dem Zentrum des Weltkapitalismus, vor denselben grundlegenden Fragen stehen wie in Deutschland“. Man befinde sich gegenwärtig „in einem massiven Anstieg der Pandemie“ mit mehr als 150.000 Neuinfektionen und etwa 2000 Corona-Toten am Tag. Im ganzen Land seien die Krankenhäuser wieder überbelegt.

„Die Auswirkungen der Pandemie seien gleichzeitig Ergebnis und treibender Faktor einer tiefen Krise der gesamten gesellschaftlichen und politischen Ordnung der Vereinigten Staaten“. Es sei erst acht Monate her, „da versuchte der US-Präsident, einen faschistischen Aufstand zu organisieren, um die Übergabe der Regierungsgewalt zu stoppen und eine auf seine Person zugeschnittene Diktatur einzurichten“. Nun verschleierten die Demokraten „die Tragweite der Bedrohung und ließen die Entscheidung über den Ausgang des Konflikts uneingeschränkt in den Händen des Militärs und der Geheimdienste“.

Tatsächlich setze Biden in allen zentralen Fragen die Politik Trumps fort. „Unter Bidens Augen gerät die Pandemie erneut außer Kontrolle, während überall im Kern die gleiche Politik durchgesetzt wird.“ Die Demokraten stünden „an der Spitze der Schulöffnungen“, setzten heftige soziale Angriffe wie die Streichung des Arbeitslosengeldes durch und verschärften nach dem Debakel des US-Imperialismus in Afghanistan die Kriegsoffensive gegen China.

„Biden hat mit Großbritannien und Australien einen Pakt unterzeichnet, um die Kriegsvorbereitungen gegen China voranzutreiben. Atom-U-Boote werden nach Australien geliefert, und Atomwaffen werden ihnen zweifellos folgen. Auf die Katastrophe des ‚Kriegs gegen den Terror‘ soll nun die noch größere Katastrophe der ‚Großmachtkonflikte‘ folgen. Während Trump China in den letzten Tagen seiner Amtszeit mit Krieg drohte, bereitet Biden sich seit Tag Eins seiner Amtszeit auf diesen Krieg vor.“

Ihrem größten Feind stehe „die amerikanische herrschende Klasse jedoch im Inneren gegenüber“, betonte Kishore. „Die Rechnung für die jahrzehntelang gewachsene soziale Ungleichheit, die von den korporatistischen Gewerkschaften ermöglicht wurde, wird fällig. Lehrkräfte, Eltern, Pflegekräfte, Dienstleistungs- und Logistikarbeiter, Industriearbeiter – die gesamte Arbeiterklasse – sucht einen Weg, die Pandemie zu bekämpfen und mit ihr ein gesellschaftliches System, das sich als derart unfähig erwiesen hat, zu beseitigen.“

Dafür müsse eine politische Führung entwickelt und die Vierten Internationale auf der ganzen Welt aufgebaut werden. Das sei „die wesentliche Lehre aus dieser ganzen Erfahrung. Keine der großen Fragen, denen die Menschheit gegenübersteht, sei es die Pandemie, die Kriegsgefahr, der Aufstieg von Faschismus und Diktatur, die soziale Ungleichheit, der Klimawandel – nichts davon kann ohne die Entwicklung einer sozialistischen Massenbewegung in der Arbeiterklasse angepackt werden.“

Chris Marsden, der nationale Sekretär der SEP in Großbritannien, erklärte in seiner Rede, dass auch die Entwicklungen in Großbritannien „die Grundfragen des Klassenkampfs veranschaulichen und die Notwendigkeit unterstreichen, eine neue sozialistische Führung in der Arbeiterklasse aufzubauen“. Die britische herrschende Elite habe sich wie kaum eine andere „der Politik verschrieben, die Bevölkerung der Durchseuchung auszusetzen, egal wieviel Leid und Menschenleben es kostet“.

Marsden berichtete, dass die Johnson-Regierung „hinter verschlossenen Türen eine ‚Kosten-Nutzen-Analyse‘ erstellt habe, die besagt, dass 50.000 Tote pro Jahr besser seien als ein neuer Lockdown“. Die Wahrheit sei, „dass auch bei 100.000 oder mehr Toten diese Bande von Kriminellen und Mördern nicht handeln würde“.

Die Labour Party und die britischen Gewerkschaften unterstützten diesen mörderischen Kurs. Die Arbeiterklasse sei überall „mit immer rechteren und autoritären Regierungen konfrontiert, die brutale Sparmaßnahmen durchsetzen wollen“. Gleichzeitig stehe „sie Gewerkschaften und Politikern gegenüber, die als fünfte Kolonne der großen Banken und Konzerne agieren“.

Am Ende seines Beitrags betonte Marsden die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfs der europäischen Arbeiterklasse unter dem Banner der Vierten Internationale. „Die SEP, die SGP und die Genossen in Frankreich und der Türkei wollen die Arbeiterklasse auf dem ganzen Kontinent vereinen, gegen Sparpolitik, autoritäre Herrschaft, den Aufstieg der extremen Rechten, Militarismus und Krieg und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Das ist die einzige Perspektive und wir sind die einzige Führung, die der Arbeiterklasse eine Zukunft bieten, für die es sich zu kämpfen lohnt.“

Der abschließende Beitrag war von besonderer Bedeutung. Der SGP-Vorsitzende Ulrich Rippert sprach zur Gründung des BSA vor 50 Jahren. Wir haben die Rede bereits vollständig auf der WSWS veröffentlicht, weshalb wir sie an dieser Stelle nicht ausführlicher zusammenfassen und zitieren.

Ripperts Rede machte vor allem eines deutlich – die politische Stärke der Wahlabschlussveranstaltung sowie des gesamten Wahlkampfs der SGP beruht auf der historischen Tradition und den Prinzipien der Vierten Internationale, die das marxistische Programm des sozialistischen Internationalismus sowohl gegen den Stalinismus wie gegen die Sozialdemokratie verteidigt hat.

Mit der Gründung des BSA als deutscher Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale am 18. und 19. September 1971 Jahren wurde die Kontinuität des Marxismus und Trotzkismus in Deutschland wieder aufgenommen. 50 Jahre später bekommt sie entscheidende Bedeutung für die zukünftige politische Entwicklung in Deutschland, in ganz Europa und weltweit.

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