Bundestagswahl 2021: Ergebnis zeigt Bankrott aller etablierten Parteien

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 26. September widerspiegelt die tiefe Entfremdung zwischen allen Bundestagsparteien und der Bevölkerung und leitet eine Periode politischer Instabilität und scharfer Klassenauseinandersetzungen ein.

Berliner Runde der Spitzenkandidaten am Abend nach der Wahl (Screenshot)

Die Kanzlerpartei CDU und ihr Kandidat Armin Laschet erlebten ein historisches Debakel. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel erhielt die Union mit 24,1 Prozent weniger als ein Viertel aller abgegebenen Stimmen. Gegenüber ihrem bislang schlechtesten Abschneiden bei den letzten Wahlen 2017 (32,9 Prozent) verlor sie noch einmal mehr als acht Prozentpunkte. 2013 hatte sie noch 41,5 Prozent auf sich vereinen können.

Auch die SPD, die zweite sogenannte „Volkspartei“, erhielt mit 25,7 Prozent nur etwa ein Viertel aller abgegebenen Stimmen. Die Sozialdemokraten und ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz konnten ihren Stimmenanteil im Vergleich zu ihrem historisch schlechtesten Ergebnis vor vier Jahren (20,5 Prozent) zwar verbessern, aber kaum neue Wählerschichten gewinnen, geschweige denn begeistern. Der weitaus größte Zuwachs kam mit 1,36 Millionen Stimmen von der CDU.

Ihr „Wahlsieg“ hat nichts daran geändert, dass die SPD unter Arbeitern und Jugendlichen verhasst ist. Mit den Hartz-Gesetzen, den Steuergeschenken für Superreiche und der Rente mit 67 trägt sie die Hauptverantwortung für die enorme soziale Ungleichheit im Land. Scholz ist als amtierender Finanzminister der Architekt der Milliardengeschenke an die Großkonzerne und Banken und der massiven Aufrüstung der letzten Jahre.

Noch bankrotter ist nur die Linkspartei. Sie erzielte ihr historisch schlechtestes Ergebnis und verlor im Vergleich zu 2017 fast die Hälfte ihrer Stimmen (-4,3 Prozent). Mit 4,9 Prozent verfehlte sie am Ende sogar die 5-Prozenthürde. Sie wird im nächsten Bundestag nur deshalb noch in Fraktionsstärke vertreten sein, weil sie insgesamt drei Direktmandate gewann.

Der Grund für das Debakel ist klar. Unter Bedingungen der Pandemie, schreiender sozialer Ungleichheit und wachsender Kriegsgefahr waren die gewendeten Stalinisten, abgehalfterten Sozialdemokraten und Pseudolinken weder Willens noch fähig, an die enorme soziale und politische Opposition in der Bevölkerung zu appellieren.

Überall wo Die Linke bereits auf Landesebene mit den Kriegs- und Hartz-IV-Parteien regiert, kürzt sie Sozialausgaben, schiebt brutal ab und verfolgt in der Pandemie die mörderische Durchseuchungspolitik. Im Bundestagswahlkampf warben ihren Spitzenkandidaten bei jeder Gelegenheit für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis und signalisierten der herrschenden Klasse ihre Unterstützung für die Nato und den deutschen Imperialismus.

Wie verhasst die rechte Politik der gesamten herrschenden Klasse ist, unterstreicht auch das Wahlergebnis der AfD (10,3 Prozent). Obwohl die Rechtsextremen in den Medien ständig hofiert werden und die etablierten Parteien sie systematisch ins politische System integrieren und ihre Agenda übernehmen, hat die AfD Stimmen verloren. Im Bund über zwei Prozent und bei den parallel stattfindenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sogar vier bzw. sechs Prozent.

Die rechte Gefahr ist damit allerdings nicht gebannt. Im Gegenteil. Die herrschende Klasse reagiert auf die tiefe Krise des Kapitalismus, die eskalierenden Spannungen zwischen den Großmächten und das weltweite Anwachsen des Klassenkampfs, indem sie immer offener das Programm der extremen Rechten übernimmt.

Besonders deutlich zeigt sich das aktuell in der Pandemie. Bezeichnenderweise verlor auch am Wahlabend kein einziger Spitzenpolitiker ein Wort über die Corona-Pandemie, die allein in Deutschland fast 100.000 Menschenleben gekostet hat. Alle Parteien von CDU/CSU bis Linkspartei unterstützen die mörderische Öffnungspolitik, die Profite vor Leben stellt, und im Kern die Handschrift der AfD trägt.

Dieser politische Kurs, gepaart mit heftigen sozialen Angriffen und massiver Aufrüstung nach außen und innen, soll nun fortgesetzt und intensiviert werden. Noch am Wahlabend formulierten Scholz und Laschet den Anspruch, die nächste Bundesregierung zu führen und zügig Sondierungs- und Koalitionsgespräche mit FDP und Grünen einzuleiten. Dazu stehen beide Parteien bereit.

Die Grünen, die fast 6 Prozent zulegten und mit 14,6 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei Bundestagswahlen erzielten, stellten klar, dass sie zu einer Koalition bereit sind. „Wir wollen regieren,“ erklärte der Co-Vorsitzende der Grünen Robert Habeck. Es gebe „die SPD-Nähe“, aber ein Bündnis mit der FDP sei auch unter Führung der Union möglich.

Christian Lindner, der Spitzenkandidat und Vorsitzende der FDP, die 11,5 Prozent (+0,8 Prozent) erzielte, sagte gegenüber dem ZDF, er sähe die größten inhaltlichen Übereinstimmungen bei einer sogenannten Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen. Aber auch Lindner schloss Gespräche mit der SPD nicht aus. Bereits zuvor hatte er in der „Berliner Runde“ angekündigt, dass „Grüne und FDP zuerst miteinander reden“.

Alle Parteien stimmen in den grundlegenden politischen Fragen überein und unterscheiden sich lediglich in Nuancen. Trotzdem könnte sich die Regierungsbildung ähnlich wie vor vier Jahren monatelang hinziehen. Rechnerisch wäre auch eine Fortsetzung der Großen Koalition möglich, aber vieles deutet darauf hin, dass Deutschland zum ersten Mal seit den 1950er Jahren von einem Dreierbündnis regiert wird.

Mit Blick auf die Regierungsbildung mahnte Scholz in der „Berliner Runde“, nun müsse alles dafür getan werden, „dass wir vor Weihnachten fertig sind“. Ein „bisschen vorher wäre auch noch gut“.

Laschet verwies darauf, dass Deutschland 2022 die G7-Präsidentschaft innehaben werde. Auch deshalb müsse „die neue Regierung sehr zeitnah ins Amt kommen“ und es einen Abschluss der Koalitionsverhandlungen „auf jeden Fall vor Weihnachten geben“.

Die herrschende Klasse treiben vor allem zwei Entwicklungen. Zum einen fürchtet sie, dass eine längere Phase der politischen Instabilität den Widerstand in der Arbeiterklasse eskalieren könnte. Bereits der Wahlkampf war von Streiks und Protesten für höhere Löhne und sichere und gute Arbeitsbedingungen geprägt. Die Streiks der Lokführer, Lieferbeschäftigten und Pflegerinnen und Pfleger sind Bestandteil eines internationalen Aufschwungs des Klassenkampfs.

Zum anderen duldet der Kampf für geostrategische und wirtschaftliche Interessen keine Pause. In seiner Rede bei der Generaldebatte der Vereinten Nationen in New York am Freitag machte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) deutlich, was eine der zentralen Aufgaben der nächsten Bundesregierung sein wird. Ganz gleich welcher Couleur wird sie die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik beschleunigen und eskalieren.

Steinmeier verschütte einige Krokodilstränen über das imperialistische Debakel in Afghanistan. Nur um dann zu erklären, dass die Politik der militärischen Interventionen, die ganze Länder zerstört und Millionen getötet und zu Flüchtlingen gemacht hat, weitergehen müsse. Er sei „überzeugt: Resignation wäre die falsche Lehre. Sondern in meinen Augen bedeutet dieser Moment der geopolitischen Ernüchterung dreierlei für unsere Außenpolitik: Wir müssen ehrlicher, klüger, aber auch stärker werden!“

Damit meint Steinmeier vor allem die außenpolitische und militärische Stärkung Europas. „Deutsche und europäische Außenpolitik“ dürfe „sich nicht aufs Rechthaben und Verurteilen beschränken. Sondern wir müssen unseren Instrumentenkasten erweitern – diplomatisch, militärisch, zivil, humanitär“, erklärte er. „Wir müssen stärker werden in unseren Möglichkeiten.“ Deshalb investiere auch Deutschland „in diesen instabilen Zeiten mehr in seine Verteidigungsfähigkeit.“

Die Arbeiterklasse darf den Intrigen und Manövern, die jetzt hinter den Kulissen laufen, um die nächste Regierung des deutschen Imperialismus und Finanzkapitals zu installieren, nicht tatenlos zusehen. Sie muss unabhängig ins politische Geschehen eingreifen und den reaktionären Plänen der herrschenden Klasse ihr eigenes Programm entgegensetzen.

Darin besteht die Bedeutung des Wahlkampfs der SGP. Wir haben an den Wahlen teilgenommen, um der Opposition gegen Rechtsruck, Durchseuchung und Ungleichheit eine Stimme und eine sozialistische Perspektive zu geben. Dafür haben wir für unsere Landeslisten in NRW und Berlin 1535 Zweitstimmen erhalten und damit etwa 250 mehr als bei der letzten Bundestagswahl.

Diese Offensive gilt es nun fortzusetzen. In unserer Erklärung am Vorabend der Wahl schrieben wir: „Der Kampf für diese sozialistische Perspektive endet nicht am 26. September. Wir kämpfen um jede Stimme, weil ein starkes Ergebnis für die SGP ein wichtiges Zeichen gegen Durchseuchung, Ungleichheit und Krieg ist. Aber die entscheidende Aufgabe besteht darin, die Arbeiter auf die bevorstehenden Klassenkämpfe vorzubereiten und die SGP und die Vierte Internationale als neue sozialistische Führung in der Arbeiterklasse aufzubauen.“

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