Volkswagen: 30.000 Arbeitsplätze auf der Kippe

Auf einer Aufsichtsratssitzung des Volkswagen-Konzerns Ende September stimmte der Vorstandsvorsitzende Herbert Diess die zwanzig versammelten Kapital- und Gewerkschaftsvertreter auf eine massive Arbeitsplatzvernichtung ein. Das berichtete das Handelsblatt am Mittwoch. Bis zu 30.000 Stellen würden bei der Kernmarke VW überflüssig, habe Diess erklärt. Das ist jeder vierte Arbeitsplatz.

VW-Chef Herbert Diess (Bild: Alexander Migl/CC BY-SA 4.0)

Das Stammwerk in Wolfsburg, mit etwa 60.000 Beschäftigten die größte Fabrik der Welt, müsse umgehend auf Elektroautos umgestellt werden. Derzeit werden dort vor allem die früher erfolgreichen Verbrennermodelle des Golf und des VW Tiguan gebaut.

Schon einmal habe er den Absturz eines Standorts erlebt, drohte Diess, und zwar als BMW-Manager in Birmingham, Großbritannien. Weil das Management nicht gehandelt und die Gewerkschaften Neuerungen blockiert hätten, sei der Standort am Ende von der automobilen Landkarte verschwunden.

Nun stehen die Kernmarke VW und vor allem das Stammwerk in Wolfsburg unter Druck. Diess hatte in der Vergangenheit wiederholt auf den Konkurrenten Tesla verwiesen, der im brandenburgischen Grünheide bei Berlin seine Giga-Factory hochzieht und ab nächstem Jahr etwa 500.000 E-Autos produzieren will, und zwar mit gut 10.000 Beschäftigten. Im Wolfsburger VW-Stammwerk sind etwa 60.000 Menschen beschäftigt, davon etwa 25.000 in der Produktion. Dort werden in diesem Jahr weniger als 500.000 Autos gebaut.

Dem Wolfsburger Werk droht im zweiten Jahr in Folge ein seit der Nachkriegszeit historisches Produktionstief. Im vergangenen Jahr sei Wolfsburg nur auf knapp eine halbe Million hergestellter Fahrzeuge gekommen, berichtet die Automobilwoche. Dieses Jahr sollen sogar noch weniger Autos von den Bändern rollen. Damit unterschreite Wolfsburg den jüngsten Zehn-Jahres-Durchschnitt von knapp 780.000 Autos bei weitem.

Vor knapp zwei Wochen stimmte Diess 120 Manager in einer Videokonferenz auf massive Angriffe ein. Ein Elektroauto im Tesla-Werk in Grünheide soll in zehn Stunden gebaut werden. Im Werk Zwickau benötigt VW für einen ID.3 oder ID.4 dreimal so lang.

Anfang der Woche sind nun die aktuellen Verkaufszahlen für Deutschland bekannt geworden. Die Zahlen der Pkw-Neuzulassungen markieren den schwächsten September-Wert seit 1991, und gerade bei den deutschen Automarken zeigt sich ein durchweg negatives Bild.

Gegenüber demselben Monat des Vorjahres verzeichneten Mercedes (-49,8 Prozent), Mini (-45,0 Prozent), Audi (-38,9 Prozent), VW (-23,3 Prozent) und BMW (-18,7 Prozent) die stärksten Rückgänge. Trotz Einbußen behält VW zwar den größten Marktanteil von 15,7 Prozent, aber ein Vergleich mit Tesla verdeutlicht, warum sich Diess entschlossen hat, nun in die Offensive zu gehen.

Das meistverkaufte Auto war im September mit 6886 neu zugelassenen Exemplaren einmal mehr der Dauerbrenner von VW, der Golf. Doch auf Rang 2 folgt ihm dicht das Model 3 von Tesla, das sich 6828 Mal verkaufte.

Diess plant nun, das VW-interne Projekt Trinity („Dreieinigkeit“) zu beschleunigen. Unter diesem Namen entwickelt VW ein neues Produktionsmodell, mit dem ab 2026 ein neues Premium-Modell mit VW-eigenem Software-Betriebssystem und weitreichenden Autonom-Fähigkeiten ins Stammwerk kommen soll.

Die VWs der nächsten Generation haben laut Handelsblatt eine völlig neue Architektur und sind viel effizienter zu produzieren. Konnte beispielsweise der VW-Golf je nach Kundenwunsch in zehn Millionen Varianten entstehen, erlaube Trinity weniger als hundert Varianten. In Wolfsburg setze man außerdem die Autokarossen noch aus etlichen Stahl- und Aluminiumblechen zusammen, die verschweißt werden müssen. Künftig solle eine Karosserie aus einem Guss und ohne Verwendung einzelner Bleche zu großen Produktivitätszuwächsen führen. Tesla plane diesen Ansatz bereits in der neuen Fabrik in Grünheide.

Weniger Komplexität bedeute aber auch weniger Arbeitsschritte und damit weniger Arbeitsplätze, so das Handelsblatt. Diess habe bereits verschiedene Szenarien durchrechnen lassen. Bis zu 30.000 Stellen könnten dem Umbau zum Opfer fallen. So habe das Management einige Werke bereits auf die neue Zeit umgerüstet, darunter die in Zwickau und Brüssel. Die Werke in Hannover und Emden befänden sich gerade im Wandel hin zur E-Mobilität. Ausgenommen sei von dem Prozess bislang nur Wolfsburg. Das wolle Diess ändern.

Die Wortmeldungen nach Diess’ Vortrag seien „geharnischt“ gewesen, zitiert das Handelsblatt einen Insider. Doch der Aufsichtsrat aus Kapitalvertretern, hohen Gewerkschafts- und Betriebsratsfunktionären mag Kritik an der Vorgehensweise von Diess haben, im Ziel sind sie sich alle einig.

„Es steht außer Frage, dass wir uns angesichts der neuen Marktteilnehmer mit der Wettbewerbsfähigkeit unseres Werks in Wolfsburg befassen müssen,“ sagte eine Sprecherin von VW im Anschluss an die Aufsichtsratssitzung. Schon in wenigen Tagen versammelt Diess seine Spitzenmanager zu einer Führungskräftetagung, auf der er seine verschiedenen Szenarien vorstellen und den massiven Arbeitsplatzabbau einleiten wird.

Die Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, Nachfolgerin von Bernd Osterloh, wird Diess zur Seite stehen und den Abbau vor der Belegschaft rechtfertigen und umsetzen. Sie hatte angesichts der geringen Auslastung des Stammwerks in Wolfsburg schon zuvor Umschichtungen der Produktion vorgeschlagen.

Vorstand und Betriebsrat hatten mit dem 2016 beschlossenen Zukunftspakt, dem bereits 30.000 Arbeitsplätze geopfert worden sind, für das Jahr 2020 eine Auslastung von mindestens 820.000 Fahrzeugen im Stammwerk garantiert. Mitte 2018 dachte man sogar daran, sich die Produktion von einer Million Fahrzeuge im Jahr zum Ziel zu setzen. „Auch bereinigt um die aktuellen Negativfaktoren Corona und Halbleitermangel sind wir von diesen gemeinsam verabredeten Plänen weit entfernt“, sagt nun Cavallo.

Das vielgerühmte Projekt Trinity werde das Blatt nicht wenden, so die Betriebsratschefin. Der Standort Wolfsburg brauche einen rascheren Weg in die E-Mobilität. Dabei müsse es sich aber um ein „volumenfähiges Modell“ handeln – so wie die Modelle ID3, ID4 und der kommende ID5 – und zwar schon 2024. Diese Modelle werden allerdings nach den bisherigen Plänen des Vorstands in anderen Werken produziert.

In den nächsten vier Wochen wird das Hauen und Stechen zwischen den Betriebsräten einzelner Standorte zunehmen. Denn am 12. November tagt in Wolfsburg erneut der VW-Aufsichtsrat, diesmal zwecks Investitionsplanung für die kommenden Jahre. Dann wird entschieden, in welchem Werk welches Auto produziert wird.

Die Betriebsräte legten Wert darauf, schrieb letzte Woche die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass es nicht darum gehe, anderen Werken etwas wegzunehmen. Die Nachfrage nach E-Autos wachse deutlich schneller, als viele erwartet hätten, deshalb könne in Wolfsburg zum Beispiel diese zusätzliche Nachfrage aufgefangen werden.

Die wachsende Nachfrage nach E-Autos löst aber nicht das Problem, das für ihre Produktion weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Die VW-Betriebsräte unterstützen im Grundsatz alle den Abbau von Arbeitsplätzen, bemühen sich aber, diesen durch den gegenseitigen Standortwettbewerb auf das jeweils andere Werk abzuschieben. So spalten sie die Belegschaft und sabotieren jeden effektiven Widerstand. Das war so, seitdem Konzernchef Diess 2015 von BMW kam und dem größten deutschen Autobauer eine radikale Rosskur verordnet hat.

Die Betriebsräte und die IG Metall sind die wichtigsten Stützen der Autokonzerne beim Angriff auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Löhne. Die Konzerne und ihre Aktionäre nutzen die Umstellung auf E-Mobilität und die Corona-Pandemie, um alle Errungenschaften, die sich die Autoarbeiter nach dem Zweiten Weltkrieg in erbitterten Streiks erkämpft haben, zu zerschlagen und ihre Bereicherungsorgie fortzusetzen.

Bei VW sind die Gewinne und damit die Dividende der Aktionäre trotz Pandemie und Kurzarbeit gewachsen. 2020 erzielte der Konzern rund 10 Milliarden Euro Gewinn vor Zinsen und Steuern. 2021 wurde diese Summe bereits im ersten Halbjahr mit 11,34 Milliarden Euro Gewinn übertrumpft.

Anfang Juli hat VW das Renditeziel für die gesamte Gruppe hochgesetzt. Bereits für 2025 kalkulieren die Wolfsburger jetzt mit einer Marge zwischen acht und neun Prozent, zuvor war es ein Prozentpunkt weniger gewesen. Während für die Kernmarke VW gut vier Prozent Rendite geplant sind, streben Audi und Porsche mit ihren Nobelkarossen mindestens 11 Prozent an.

Auch hier sind es vor allem die Angriffe auf die Belegschaften, die für die Steigerung des Profits sorgen. Bei Audi hatte die IG Metall schon 2019 den Abbau von 9500 Arbeitsplätzen vereinbart, inzwischen sind mehr als die Hälfte davon weg.

Nicht nur VW, sondern auch alle anderen Autokonzerne pressen ihre Belegschaften bis aufs Blut aus, um die Gier der Aktionäre nach immer höheren Profiten und Dividenden zu stillen. Die Arbeiter müssen diese Offensive mit einer eigenen, internationalen Kampfansage beantworten. Aus diesem Grund haben das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die ihr angeschlossenen Sozialistischen Gleichheitsparteien im Mai die „Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees“ gegründet, um die weltweiten Kämpfe aller Arbeiter zu koordinieren und zu organisieren. Die Autoarbeiter spielen allein aufgrund der eng verzahnten internationalen Produktion eine zentrale Rolle in diesem Kampf.

Wir rufen alle Autoarbeiter auf, sich in Aktionskomitees zusammenzuschließen, die von den Gewerkschaften unabhängig sind, und mit uns Kontakt aufzunehmen.

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