Perspektive

Deutschlands zukünftiger Kanzler Olaf Scholz lässt der mörderischen Pandemie freien Lauf

Die Regierung des Sozialdemokraten Olaf Scholz, der die Christdemokratin Angela Merkel nach 16 Jahren als Bundeskanzler ablöst, hat der arbeitenden Bevölkerung den Krieg erklärt, bevor sie überhaupt im Amt ist.

Als die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP am Mittwoch ihr Regierungsprogramm vorstellte, überschritt die Zahl der Corona-Toten nach offizieller Zählung des Robert-Koch-Instituts die Schwelle von 100.000. Ein grausiger Zufall von hoher Symbolkraft.

Die meisten dieser Todesfälle wären vermeidbar gewesen, wenn die Regierung dem Rat der Wissenschaft gefolgt und den Weg der Eliminierung des Virus gegangen wäre, der alle verfügbaren Mittel – Impfen, massenhaftes Testen, Kontaktverfolgung, Lockdowns, Schließung aller Betriebe und Schulen, Quarantäne – gleichzeitig zum Einsatz bringt.

Doch die Regierung Merkel traf in Absprache mit den Länderregierungen eine bewusste Entscheidung, die Gesundheit und das Leben von Millionen den Profiten der Konzerne zu opfern. Sie ergriff nur Maßnahmen gegen das Virus, wenn die Lage zu explodieren drohte, und hob sie dann viel zu früh wieder auf. Nicht lebenswichtige Betriebe wurden überhaupt nie geschlossen. Die Schulen bleiben bis heute offen, obwohl das Virus unter Minderjährigen grassiert und unkalkulierbare Langzeitschäden verursacht.

Während sich Millionen infizierten, den Arbeitsplatz und das Einkommen verloren und in Kliniken und Pflegeheimen Übermenschliches leisteten, mästeten sich Konzerne und Reiche an der Pandemie. Allein die Vermögen der 100 reichsten Deutschen sind im ersten Pandemiejahr von 606 auf 722 Milliarden Euro gestiegen.

Das Ergebnis ist die jetzige Katastrophe. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen steigt exponentiell und lag am Mittwoch mit 76.000 mehr als doppelt so hoch wie auf dem Höhepunkt der zweiten und der dritten Welle. Verzweifelte Eltern und Lehrer wissen nicht, wie sie die Kinder schützen sollen. Schon jetzt sterben täglich wieder 350 Menschen an Covid-19. Die Intensivstationen sind überfüllt und bereiten sich auf die Triage vor. Ohne drastische Gegenmaßnahmen wird sich die Zahl der Todesopfer bis zum Frühjahr nach Expertenschätzungen auf 200.000 verdoppeln.

Doch die neue Regierung verhält sich noch menschenverachtender und krimineller als die alte. Bereits vor einer Woche beendeten SPD, Grüne und FDP mit ihrer Mehrheit im Bundestag die Corona-Notlage, die gesetzliche Grundlage für Lockdowns und ähnliche Maßnahmen.

Scholz‘ Auftritt vor der Presse am Mittwoch erinnerte dann an den berüchtigten Kaiser Nero, der fiedelt, während Rom brennt. Scholz und seine Koalitionspartner lobten und feierten sich gegenseitig, doch außer einem allgemeinen Impfaufruf und der Einrichtung eines Krisenstabs im Kanzleramt schlugen sie keine einzige Maßnahme gegen die Pandemie vor.

Selbst etablierte Medien zeigten sich irritiert: „Die jetzigen Entschlüsse sind so, als würde man in einer Flutkatastrophe ankündigen, mehr Schwimmlehrer einzustellen und ein paar Schwimmflügel und Badeenten zu verteilen,“ kommentierte die Süddeutsche Zeitung.

Die Verachtung für das Leben und die Gesundheit der Arbeiterklasse durchzieht das gesamte Regierungsprogramm, das wir auf der WSWS analysiert haben. Jedes Thema und jede Frage werden vom Standpunkt der Profitoptimierung, der geopolitischen Interessen des deutschen Imperialismus und der Unterdrückung des Widerstands dagegen angegangen.

Das Programm strebt eine deutsche Großmachtpolitik an, befürwortet die nukleare Abschreckung und reiht sich in die Kriegsfront der USA gegen China und Russland ein. Es sieht eine beschleunigte Aufrüstung von Bundeswehr, Polizei und Geheimdiensten vor. Es hält an der Schuldenbremse fest und schließt Steuerhöhungen für die Reichen kategorisch aus. Es knüpft an die berüchtigte Agenda 2010 der rot-grünen Regierung Gerhard Schröders an und entwickelt deren Angriffe auf Löhne, soziale Rechte und Renten weiter.

Die SPD hat diese Politik nach Schröders Rücktritt 2005 als Juniorpartner der CDU/CSU weitergeführt. Scholz selbst war während der letzten dreieinhalb Jahre Merkels Vizekanzler und Finanzminister. Nun kehren auch die Grünen wieder in die Bundesregierung zurück.

Die Grünen wurden Anfang der 1980er Jahre von Teilnehmern der 68er Studentenproteste gegründet. Sie sammelten ehemalige Maoisten, Anarchisten, Jungsozialisten, Atomkraftgegner und Friedensaktivisten unter dem Banner des Umweltschutzes. Was sie alle vereinte, war die Ablehnung des Marxismus und der Arbeiterklasse auf der Grundlage der Theorien der Frankfurter Schule und der Postmoderne.

Im Bundestagwahlkampf 1998 traten die Grünen noch als Pazifisten und „Linke“ auf. Doch kaum waren sie in der Bundesregierung, zeigten sie ihr wahres Gesicht. Der ehemalige Hausbesetzer und Straßenkämpfer Joschka Fischer organisierte als Außenminister den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr in Jugoslawien. Auch die Agenda 2010 genoss die uneingeschränkte Unterstützung der Grünen.

Nun kehren die Grünen als aggressive Kriegs- und Austeritätspartei in die Bundesregierung zurück. Auch den Klimaschutz, ihr Markenzeichen, ordnen sie den Interessen der Konzerne und Banken unter. Er erweist sich bei näherem Hinsehen als gigantisches Subventions- und Bereicherungsprogramm für die Wirtschaft und verfehlt die dringend erforderlichen Klimaziele bei weitem. Die Partei stützt sich auf wohlhabende, städtische Mittelschichten, die einen liberalen Lebensstil pflegen, unter dem Eindruck wachsender Klassenspannungen scharf nach rechts gerückt sind und sich nun mit den offenen Vertretern des Finanzkapitals in der FDP verbünden.

Das hat eine Situation geschaffen, in der offene Klassenauseinandersetzungen unausweichlich werden. Die Stimmung der Massen steht weit links von der offiziellen Politik. Die Wut über die mörderische Corona-Politik und der Widerstand gegen Lohnsenkungen, steigende Arbeitshetze und Entlassungen wachsen und werden angesichts einer Inflationsrate von bald 6 Prozent weiter zunehmen. Bei der Bahn, in den Kliniken, im öffentlichen Dienst und in zahlreichen Metallbetrieben ist es bereits zu heftigen Streiks und Protesten gekommen.

Diese Stimmungen finden im offiziellen parlamentarischen System keinen Ausdruck mehr. Es gibt keine etablierte Partei, die auch nur ansatzweise die Interessen der Arbeiter vertritt. Im Bundestag sitzen mit CDU, CSU und AfD drei rechte Oppositionsparteien, aber – außer der stark geschrumpften Linken – keine Partei, die nominal links von der Ampelkoalition steht. Und die Linke unterstützt uneingeschränkt deren Politik. Sie regiert in vier Bundesländern im Bündnis mit SPD und Grünen.

Diese Situation ist nicht auf Deutschland beschränkt. Überall auf der Welt machen Arbeiter die Erfahrung, dass die nominell linken Parteien und die Gewerkschaften auf der anderen Seite stehen und ihnen in den Rücken fallen. In Griechenland hat die pseudolinke Syriza das drastische Sparprogramm der Troika umgesetzt. In Spanien verfolgen PSOE und Podemos eine mörderische Coronapolitik und greifen streikende Metallarbeiter in Cádiz mit Bereitschaftspolizei an. In Großbritannien bemüht sich die Labour Party unter Keir Starmer, die Tories rechts zu überholen. In den USA unterstützen die pseudolinken Democratic Socialists (DSA) Präsident Biden, der seinerseits die Republikaner umarmt, die in den Faschismus abdriften.

Als Folge dieser kriminellen Politik ist Europa zum Hotspot der Pandemie geworden. Die WHO hat am Dienstag gewarnt, dass die Zahl der gemeldeten Todesfälle in Europa bis zum Frühjahr nächsten Jahres von derzeit 1,5 auf 2,2 Millionen steigen wird, wenn der aktuelle Trend anhält, dass also 700.000 Tote hinzukommen.

Heftige Klassenkonflikte sind unvermeidlich. Aber diese müssen vorbereitet werden und brauchen eine politische Perspektive. Dazu müssen die Sozialistischen Gleichheitsparteien und des Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) als neue politische Führung der Arbeiterklasse aufgebaut werden.

Die SGP ist die einzige Partei, die dem Kartell der etablierten Parteien und Gewerkschaften entgegentritt und darauf beharrt, dass die Pandemie nur durch die unabhängige Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms überwunden werden kann.

Die herrschenden Kreise kennen und fürchten die Macht einer sozialistischen Perspektive. Das ist der Grund, weshalb der Verfassungsschutz versucht, die SGP mundtot zu machen, indem er sie als „linksextremistisch“ denunziert und überwacht, und weshalb das Berliner Verwaltungsgericht diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit abgesegnet hat.

Das IKVI hat am 1. Mai die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees initiiert, um, wie es in seinem Aufruf heißt, „eine globale Gegenoffensive der Arbeiterklasse gegen die mörderische Politik der herrschenden Kapitalistenklasse und ihrer Regierungen“ einzuleiten und einen Weg zu schaffen, „um ihre Kämpfe in verschiedenen Fabriken, Branchen und Ländern in Opposition zur herrschenden Klasse und den korporatistischen Gewerkschaften zu koordinieren“.

Sie hat den Global Workers’ Inquest into the COVID-19 Pandemic, eine globale Ermittlung der Arbeiter in Sachen Corona-Pandemie, ins Leben gerufen, um die katastrophale Reaktion der Regierungen, Unternehmen und Medien auf den Ausbruch der Pandemie zu untersuchen und aufzudecken, welche politischen und wirtschaftlichen Kräfte und Interessen hinter der Politik stehen, die weltweit Millionen Todesopfer fordert.

Wir rufen alle Leser der WSWS auf, die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees und den Global Workers’ Inquest zu unterstützen und sich jetzt der Sozialistischen Gleichheitspartei anzuschließen.

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