Das Verwaltungsgericht Berlin hat am Donnerstag die Klage der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) gegen das Bundesinnenministerium abgewiesen und die Partei zum Tragen der vollen Prozesskosten verurteilt. Die SGP hatte das Ministerium am 24. Januar 2019 verklagt, weil es die Partei seit 2017 im jährlichen Verfassungsschutzbericht als „linksextremistisch“ aufführt und mit geheimdienstlichen Mitteln überwachen lässt.
Das Urteil, gegen das die SGP in Berufung gehen wird, hat weitreichende Konsequenzen. Es knüpft an die Tradition der nationalsozialistischen Gesinnungsjustiz und der Bismarck’schen Sozialistengesetze an und öffnet die Tür für die Überwachung und Unterdrückung jeglicher Opposition gegen Kapitalismus und staatliche Willkür.
Das Gericht stellte sich uneingeschränkt hinter den Verfassungsschutz, eine demokratisch nicht legitimierte Institution mit engen Verbindungen zur rechtsradikalen Szene. Der Vorsitzende Richter Wilfried Peters, der auch Vizepräsident des Gerichts ist, und die Vertreter des Innenministeriums, Rechtsanwalt Professor Dr. Wolfgang Roth und Ministerialrat Reinfeld, arbeiteten während des Prozesses wie ein eingespieltes Team zusammen.
Das Innenministerium hatte bereits in seiner von Roth verfassten Antwort auf die Klage der SGP das „Streiten für eine egalitäre, demokratische und sozialistische Gesellschaft“, die Kritik an Militarismus und Nationalismus sowie die Ablehnung der Europäischen Union für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ging noch weiter und erklärte auch jede Kritik am Staat für unzulässig. Es gebe in der Programmatik der SGP „erhebliche Punkte, die Anlass geben davon auszugehen, dass die Klägerin doch einen anderen Staat und eine andere Rechtsordnung will“, sagte Richter Peters in seiner vorläufigen mündlichen Urteilsbegründung.
Die Aussage des SGP-Grundsatzprogramms, der Staat stehe „nicht als neutraler Schiedsrichter über den sozialen Konflikten“, er verteidige „die politische Herrschaft der Kapitalistenklasse“ und schon seine Existenz beweise, „dass die Gesellschaft in unversöhnliche Klassen gespalten ist“, wertete der Richter als Angriff auf die Verfassung. „Die Klassen stehen sich unversöhnlich gegenüber, das klingt sehr unfriedlich, klingt nach Krieg,“ kommentierte er. „Daraus kann man ableiten, dass sie ein anderes System, einen anderen Staat, eine andere Verfassung wollen.“
Artikel 14 des Grundgesetzes, der das Privateigentum schützt, erklärte das Gericht zum unantastbaren Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Dabei wird dieser Artikel in Paragraph 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, mit dem das Gericht das Urteil begründete, mit keiner Silbe erwähnt.
„Das Grundgesetz gibt möglicherweise nicht ganz klar eine Wirtschaftsordnung vor, aber eine marktwirtschaftliche Eigentumsordnung,“ begründete dies Peters. „Artikel 14 der Verfassung ist daher ein Freiheitsgesetz. Aber das wird von Ihnen nicht anerkannt. Sie stellen das Privateigentum an Produktionsmitteln infrage.“
Immer wieder unterstellte der Richter der SGP, sie strebe einen gewaltsamen Umsturz durch eine Minderheit an. Er zitierte aus der „Grundsatzerklärung der SGP“, in der es heißt: „Im Verlauf revolutionärer Massenkämpfe müssen neue Organe aufgebaut werden, die der Arbeiterklasse – d.h. der Mehrheit der Bevölkerung – eine wirklich demokratische Teilnahme erlauben.“ – „Das ist etwas Unfriedliches. Das ist eine Angelegenheit, die im Rahmen eines Verfassungsschutzberichts aufgeklärt werden sollte,“ kommentierte er.
Die Vertreter der SGP – der Parteivorsitzende Ulrich Rippert, sein Stellvertreter Christoph Vandreier und Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle – verteidigten während der mehr als zwei Stunden dauernden Verhandlung die Ziele und das Programm der SGP. Rippert betonte, dass die demokratischen Grundrechte in Deutschland durch die marxistische Arbeiterbewegung erkämpft worden seien, und dass die SGP eine Ausdehnung der Demokratie, insbesondere auf die Wirtschaft, anstrebe.
Vandreier gab zu Beginn der Verhandlung ein Statement ab, das wir als gesonderten Artikel im Wortlaut veröffentlichen. Es geht auf die historischen und aktuellen politischen Hintergründe der Klage ein.
Ans Gericht gewandt warnte Vandreier, dass eine Entscheidung für den Verfassungsschutz und seine antidemokratische Argumentation weitreichende Konsequenzen hätte: „76 Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes würden sozialistische Ideen wieder für verfassungsfeindlich erklärt. Damit wäre die Grundlage für die geheimdienstliche Überwachung und Ächtung von Buchläden, die marxistische Literatur anbieten, kritischen Wissenschaftlern und streikenden Arbeitern geschaffen. Es wäre der Schritt in einen Polizeistaat.“
Nach anfänglichen Versuchen, Vandreier zu stoppen, ließ Richter Peters ihn zwar ausreden. Doch in seiner Urteilsbegründung wischte er alle seine Warnungen arrogant beiseite. „Heute haben wir viel Historisches gehört, über Bismarck-Gesetze, Argumente über Karl Marx, usw.“, sagte er. Doch all das sei hier „nicht relevant“. Es gehe ausschließlich um die Frage, ob die Programmatik der SGP gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoße.
Zwei Anträge der SGP – ein wissenschaftliches Gutachten einzuholen und den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen als Zeugen zu laden – lehnte das Gericht kurzerhand ab. Den Streitwert des Prozesses, auf dessen Grundlage die Prozesskosten berechnet werden, setzte es auf 20.000 Euro fest, vier Mal so viel wie üblich. Da die SGP wegen der langen Zeit zwischen Klage und Prozessbeginn in insgesamt vier unterschiedlichen Verfassungsschutzberichten erwähnt wurde, legte es für jeden einzelnen den üblichen Streitwert von 5000 Euro fest.