Am Freitag warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass die Omikron-Variante von Covid-19 inzwischen in 38 Ländern auf allen bewohnten Kontinenten gefunden wurde. In den Vereinigten Staaten wurde die Variante bereits in 12 verschiedenen Bundesstaaten entdeckt, darunter auch bei Personen ohne bekannte Reisegeschichte. Das zeigt, dass sie sich bereits im ganzen Land ausbreitet.
In Südafrika, dem ersten Land, in dem die neue Variante vorherrschend geworden ist, nimmt sie in einem Maße zu, wie es während der gesamten Pandemie in keinem anderen Land beobachtet wurde. Die Zahl der Covid-19-Fälle ist innerhalb eines Monats um fast das 40-fache gestiegen, von weniger als 300 auf 11.000 am Freitag. Zwischen Donnerstag und Freitag stieg die Zahl der neuen Fälle an nur einem Tag um 35 Prozent.
Besonders besorgniserregend ist, dass in Südafrika ein starker Anstieg der Fälle bei Kindern unter fünf Jahren stattfindet und die Kinderkliniken in einigen Städten bereits überwältigt sind.
Inmitten von Rekord-Neuinfektionszahlen in mehreren US-Bundesstaaten aufgrund der Delta-Variante hat die beispiellose Gefahr, die von der neuen Variante ausgeht, die gesamte Politik der herrschenden Klasse ins Wanken gebracht – und das ist ihnen bewusst. Die New York Times schreibt: „Nachdem fast ein Jahr lang die Impfung als Ausweg aus der Pandemie propagiert wurde, gibt das Weiße Haus stillschweigend zu, dass Impfungen nicht genügen, um die schlimmste öffentliche Gesundheitskrise seit hundert Jahren zu beenden.“
Mit anderen Worten: Das Narrativ, mit dem die Biden-Regierung die verfrühte Wiederöffnung von Schulen und Betrieben zu legitimieren versuchte – nämlich, dass die Pandemie allein durch Impfungen gestoppt werden könne –, bricht völlig in sich zusammen, weil sich die Beweise häufen, dass Omikron nicht nur übertragbarer ist als andere Covid-19-Varianten, sondern auch zunehmend resistent gegen Impfungen.
„Ich denke, es gibt keine Welt [kein Szenario], in dem [die Wirksamkeit bestehender Impfstoffe] gleich hoch bleiben wird“, sagte Stéphane Bancel, CEO von Moderna, Anfang vergangener Woche gegenüber der Financial Times. „Ich denke, es wird eine erhebliche Abnahme geben... Alle Wissenschaftler, mit denen ich gesprochen habe ... sagen: ‚Das verheißt nichts Gutes.‘“
Regeneron, der Hersteller eines monoklonalen Antikörpers zur Behandlung von Covid-19, warnte in einer Erklärung, dass seine Arzneimittel gegen die neue Variante weniger wirksam sein könnten: „Die einzelnen Mutationen in der Omikron-Variante deuten darauf hin, dass die Neutralisierungsaktivität sowohl der durch Impfstoffe als auch der durch monoklonale Antikörper vermittelten Immunität reduziert sein könnte.“
Eine am Donnerstag veröffentlichte Preprint-Studie von Epidemiologen in Südafrika ergab, dass die Omikron-Variante bei der Reinfektion von Menschen, die zuvor mit Covid-19 infiziert waren, 2,4-mal effektiver ist. Die Variante „zeigt auf Populationsebene erhebliche Anhaltspunkte dafür, die Immunität aus früheren Infektionen umgehen zu können“, warnen die Autoren.
Als Reaktion auf den unbestreitbaren Anstieg der Fälle in Südafrika wurde in zahlreichen Medienberichten behauptet, dass viele der Fälle der Omikron-Variante mild verlaufen, womit suggeriert wird, dass die neue Variante kein Grund zur Besorgnis sei.
Doch diese jüngste Neuauflage von Trumps Märchen, dass Covid-19 einfach „verschwinden“ werde, ist die gefährlichste. Die Tatsache, dass die Zahl der Hospitalisierungen in Südafrika mit der Ausbreitung von Omikron zunimmt, entlarvt bereits die falschen Behauptungen einer „milden Variante“. Darüber hinaus hat während der gesamten Pandemie stets der Großteil der Infizierten die Krankheit überlebt. Die hohe Zahl der Todesfälle ist vielmehr auf die Infektion von hunderten Millionen Menschen zurückzuführen.
Die weitaus größere Infektiosität der Omikron-Variante im Vergleich zur Delta-Variante hat zur Folge, dass die größere Fallzahl mehr Krankenhausaufenthalte und im Falle der anschließenden Überwältigung der Krankenhäuser einen massiven Anstieg der Todesfälle nach sich ziehen würde. Dies würde selbst dann gelten, wenn Omikron im Verhältnis zu Delta etwas weniger tödlich wäre – eine Behauptung, für die es bisher keine Grundlage gibt.
Trotz der zunehmenden Bedrohung durch die neue Variante hat die Biden-Regierung erneut bekräftigt, dass sie die Schließung von Schulen und nicht lebensnotwendigen Betrieben ablehnt, eine Politik, die in ihren Grundzügen in allen Ländern Europas und Amerikas verfolgt wird.
Der Plan des Weißen Hauses, so erklärte der Präsident am Donnerstag erneut, „sieht keine Schließungen oder Lockdowns vor, sondern umfassende Erst- und Auffrischungsimpfungen“. Biden erklärte unverblümt: „Mehr als 99 Prozent unserer Schulen sind jetzt geöffnet, aber wir müssen sicherstellen, dass wir das den ganzen Winter über beibehalten.“
Biden forderte sogar ein Ende der Quarantäne für Kinder, die Covid-19 ausgesetzt sind, und erklärte, dass die Schüler „in einem Klassenzimmer bleiben und häufig getestet werden sollten, wenn ein positiver Fall in diesem Klassenzimmer auftaucht“, anstatt nach Hause zu gehen.
Die Gouverneurin von New York, Kathy Hochul, schloss sich diesen Worten an: „Ich bin nicht bereit, Schulen oder die Wirtschaft stillzulegen. Das ist keine notwendige Reaktion.“
Noch vor zwei Monaten waren die US-Medien mit dummen Kommentaren über ein angebliches Ende der Pandemie gefüllt. „Covid-19 ist wieder auf dem Rückzug“, schrieb etwa David Leonhardt von der New York Times am 4. Oktober und behauptete, ein leichter Rückgang der Fälle zeige, dass das Schlimmste der Pandemie wahrscheinlich vorbei sei: „... die Impfstoffe können Covid in eine handhabbare Krankheit verwandeln, die sich nicht so sehr von einer Grippe oder Erkältung unterscheidet. ... Was auch immer der Herbst bringt, das Schlimmste der Pandemie liegt mit Sicherheit hinter uns.“
„Was, wenn die Dinge gerade dabei sind, besser zu werden?“, sinnierte Paul Krugman von der Times am 7. Oktober. Die Verfügbarkeit der Impfstoffe, so Krugman, bedeute, dass die Bevölkerung „sich ziemlich sicher fühlen kann, wenn sie wieder ins Büro geht, essen geht und – was am wichtigsten ist – ihre Kinder in die Schule schickt“.
In ihrer Erklärung „Die Ausrottung von Covid-19 ist die einzige Möglichkeit, die Pandemie zu stoppen“ vom 23. August wandte sich die WSWS gegen diejenigen, die eine „Mitigations“- oder „Nur Impfen“-Strategie befürworten: „In Wirklichkeit wird das Virus, solange es sich ausbreitet, weiter zu neuen, infektiöseren, tödlichen und impfstoffresistenten Varianten mutieren, die die gesamte Menschheit bedrohen. Wenn das Virus nicht weltweit ausgerottet wird, kann die Glut von Covid-19 weiter brennen und die Voraussetzungen für ein erneutes Aufflammen des Virus schaffen.“
Eine Politik der Eliminierung und Ausrottung von Covid-19 wird von den kapitalistischen Regierungen und der herrschenden Klasse abgelehnt, weil die notwendigen Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben den privaten Profit und den Reichtum der Oligarchie beeinträchtigen.
Diese Politik hat weltweit zum Tod von mehr als 5,2 Millionen Menschen geführt, davon allein in den Vereinigten Staaten nach offiziellen Angaben mehr als 800.000. Wenn nicht umgehend ein politischer Kurswechsel erfolgt, wird die schon jetzt enorme Zahl der Todesopfer nur eine Art Anzahlung für den gewaltigen Blutzoll sein, den die Omikron-Variante und alle weiteren tödlichen Varianten fordern werden.
Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben! Es gibt nur eine tragfähige Politik: Die Pandemie muss gestoppt werden! Menschenleben dürfen nicht dem Profit geopfert werden!
COVID-19 kann durch die rasche Umsetzung dringend erforderlicher Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit eliminiert oder sogar ausgerottet werden. Dies bedeutet unter anderem, dass ein massives, mehrere Milliarden Dollar teures Programm aufgelegt werden muss, das die Schließung von Schulen und nicht lebensnotwendigen Betrieben ermöglicht. Tests müssen bereitgestellt, Kontaktpersonen ermittelt und sichere Quarantäneeinrichtungen eingerichtet werden. Darüber hinaus muss ein globales Programm zur raschen Impfung der ganzen Weltbevölkerung umgesetzt und hochwertige N95/FFP2 oder bessere Masken sowie weitere Maßnahmen zum Schutz vor der Übertragung des Virus über die Atemluft an allen wichtigen Arbeitsplätzen bereitgestellt werden.
Das Beispiel Chinas, wo in diesem Jahr nur zwei Menschen an COVID-19 gestorben sind, hat gezeigt, dass dieses Programm auf nationaler Ebene realisiert werden kann. Die weltweite Eliminierung und endgültige Ausrottung von COVID-19 erfordert jedoch eine global koordinierte Offensive gegen die Krankheit.
Dies erfordert die Entwicklung einer Massenbewegung in der Arbeiterklasse. Diese Bewegung muss sich die Zurückweisung jener Politik, bei der Profitinteressen gegen die Rettung von Menschenleben „abgewogen“ werden sollen, zur Grundlage machen. Die Arbeiter müssen jetzt mit den Vorbereitungen beginnen – u. a. durch die Bildung von Aktionskomitees für Sicherheit an jedem Arbeitsplatz, in jeder Schule und in jeder Nachbarschaft –, um Forderungen hinsichtlich der notwendigen Maßnahmen zur Rettung von Leben zu formulieren und für sie zu kämpfen.
Die globale Ausbreitung der Omikron-Variante steht noch ganz am Anfang. Wenn jetzt sofort Maßnahmen ergriffen werden, um die Übertragung von COVID-19 zu unterbinden, wären die Kosten für die Ausrottung der Krankheit wesentlich geringer, als wenn diese Variante sich ausbreiten und die derzeit dominierende Delta-Variante verdrängen oder sogar ergänzen würde.
Das Auftauchen der Omikron-Variante und ihre rasche Ausbreitung auf der ganzen Welt beweist die Dringlichkeit des von der World Socialist Web Site initiierten Global Workers‘ Inquest zur Corona-Pandemie. Wir appellieren an Arbeiter und Jugendliche, die Ermittlungsarbeit im Rahmen des Inquest zu unterstützen. Wir appellieren auch an Wissenschaftler und alle, die im Bereich des Gesundheitssystems tätig sind, die Arbeit des Inquest durch Informationen und fachliche Unterstützung voranzubringen.