VW streicht in der aktuellen Corona-Situation rund 900 Stellen von Leiharbeitern. Die VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo und VW-Marken-Vorstand Ralf Brandstätter haben dies nur vier Wochen vor Weihnachten in einer Online-Belegschaftsrunde bekannt gegeben. Vor dem Stammwerk in Wolfsburg haben vor gut einer Woche rund 150 Leiharbeiter dagegen protestiert.
Laut Angaben aus Betriebsratskreisen sollen in Wolfsburg etwa 500 Arbeiter ihren Job verlieren, in Braunschweig 395 und in Salzgitter 29. Die Ende des Jahres auslaufenden Verträge werden nicht verlängert.
Betriebsrats-Chefin Cavallo und Markenchef Brandstätter schieben die Schuld auf den Halbleitermangel. Brandstätter sagte: „Durch Halbleitermangel können wir nicht in hohen Stückzahlen produzieren, und auch der Ausblick bleibt volatil.“ Das bedeute, dass auslaufende Zeitverträge nicht mehr verlängert werden könnten. Der Einkommensmillionär bat die „betroffenen Kolleginnen und Kollegen um Verständnis, dass die aktuelle Situation keine andere Entscheidung zugelassen hat“.
Cavallo sekundierte: „Das ist für uns sehr bedauerlich, und wir hätten uns gewünscht, dass es eine Perspektive für die Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer gibt.“ Die aktuelle Halbleiterkrise und die niedrigen Produktionszahlen ließen zu ihrem „großen Bedauern“ eine Übernahme der Leiharbeiter nicht zu, „so dass wir die Entscheidung akzeptieren müssen“.
Diese Heuchelei sollte sich Cavallo sparen. Denn „schuld“ am Arbeitsplatzabbau ist nicht der Chipmangel. Schuld sind ein Betriebsrat und ein Management, die Arbeitsplätze, Gesundheit und Leben der Beschäftigten dem Profit unterordnen. Das machte sich schon während der gesamten Corona-Zeit bemerkbar, als niemals aus Gründen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes die Arbeit eingestellt wurde. Die IG Metall und der Betriebsrat haben seit Beginn der Pandemie vehement dafür geworben, die Produktion aufrecht zu halten.
Denn die Profite sind das Maß der Dinge, ihnen ordnen sie alles unter. Dem Mangel an Elektronikchips begegneten VW und andere Autokonzerne einerseits, indem sie die Produktion von Premium-Modellen bevorzugt haben, weil damit größere Renditen erzielt werden. Andererseits hat VW Milliarden an Kurzarbeitergeld erhalten.
So konnte der Konzern trotz Produktionseinbußen im Jahr 2020 rund zehn Milliarden Euro Gewinn vor Zinsen und Steuern erzielen. Im Oktober 2021 meldete die VW AG: „Operatives Ergebnis vor Sondereinflüssen bis September aufgrund des starken ersten Halbjahres mit 14,2 Milliarden Euro weiter solide, operative Rendite bei 7,6 Prozent.“
Trotzdem drohte der Konzern, den Beschäftigten in der Golf-Fertigung, ab 1. Januar 2022 für drei Monate den Lohn für Kurzarbeitstage vorzuenthalten. Zu einem späteren Zeitpunkt soll er dies auch den Beschäftigten in der Tiguan-Produktion gedroht haben. Die neue Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP kündigte daraufhin an, die maximale Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes zu verlängern.
Wenn jetzt also VW und Betriebsrat behaupten, die Entlassung von Leiharbeitern sei unvermeidlich, liegt dies nicht am Halbleitermangel und der Kurzarbeit. Der Konzern nutzt die Corona-Krise, um längst geplante Angriffe durchzusetzen.
Konzernchef Diess hat schon vor einem Jahr verkündet, dass das kommende Top-Elektroauto innerhalb von zehn Stunden produziert werden soll, statt wie in der Branche üblich in 15 bis 20 Stunden. Das bedeutet eine brutale Steigerung der Arbeitshetze und den Abbau von Zehntausenden Arbeitsplätzen. Diess selbst hat die Zahl von 30.000 genannt. Die Leiharbeiter sind nun die ersten, die diesen Angriffen zum Opfer fallen.
Cavallo und der gesamte Betriebsrat unterstützen dies. Schon im Zukunftspakt, den sie 2016 mit dem Vorstand vereinbart hatten, stimmten sie dem Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen zu. Dieser Pakt ist bis heute nicht vollständig umgesetzt, nun kommen weitere Angriffe hinzu. In diesem Zusammenhang kommt der Abbau von Leiharbeitsstellen dem Betriebsrat entgegen. Denn formal handelt es sich nicht um Entlassungen, bei denen seine Zustimmung nötig wäre.
Cavallo hatte dieses Argument in der Belegschaftsrunde vom November auch tatsächlich bemüht. Die Übernahme der Leiharbeitskollegen bzw. die Trennung von ihnen seien nicht zustimmungspflichtig. „Wir kämpfen immer um jede und jeden einzelnen Beschäftigten und konnten dazu beitragen, dass in der Vergangenheit viele Beschäftigte übernommen werden konnten.“ Das sei diesmal nicht möglich.
Es wäre möglich, wenn sich die Arbeiter solidarisieren und unabhängig vom Betriebsrat organisieren würden. Aber um das zu verhindern, werden die VW-Arbeiter gegeneinander ausgespielt. Das gehört seit vielen Jahren zum Standardrepertoire der IG Metall und ihres Betriebsrats.
Bei VW gibt es inzwischen vier Klassen von Arbeitern. Beschäftigte im Haustarif 1 haben eine 30 Stundenwoche, im Haustarif 2 eine 35 Stundenwoche bei gleicher Bezahlung. Dies ist die so genannte Stammbelegschaft.
Die Volkswagen Group Services GmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des VW-Konzerns, beschäftigt rund 9000 Menschen in den VW-Werken zu einem eigenen Tarif, der niedriger ist als die beiden Haustarife. Sie sind in den unterschiedlichsten Bereichen, von Ingenieursdienstleistungen über Fertigung und Logistik bis hin zu Vertrieb, Gastronomie, Gesundheit und kaufmännischen Dienstleistungen tätig.
Ganz unten und damit noch schlechter bezahlt sind die Leiharbeiter der AutoVision GmbH, einer gemeinsamen Gesellschaft des VW-Konzerns und der Stadt Wolfsburg. Seit rund 20 Jahren setzt VW die Leiharbeiter ein, um die Lohnkosten zu drücken. Sie erhalten für gewöhnlich Zwei-Jahres-Verträge für ihren Einsatz in den VW-Werken.
In diesen zwei Jahren geben sie alles, weil sie hoffen, anschließend von VW übernommen zu werden. Kommentare in den Wolfsburger Nachrichten spiegeln nun ihre Enttäuschung wieder.
Ein VW-Leiharbeiter schreibt, es sei schon traurig, „dass ein Unternehmen, welches Milliarden-Gewinne abwirft zur Corona-Zeit, die Leute nicht verlängert“. Diese hätten „sich über zwei Jahre auf deutsch gesagt den Arsch aufgerissen“. Wenn sie freitags Bescheid bekommen hätten, dass sie montags im VW-Werk Zwickau gebraucht würden, seien sie sofort bereit gewesen, ins über 300 Kilometer entfernte Werk zu fahren. „Die Leute aus Wolfsburg, die seit Oktober 2019 dabei sind, zu übernehmen, hätte niemanden einen Zacken aus der Krone gebrochen. Aber so ist das nun mal.“
Die Betriebsräte sabotieren selbst die Solidarisierung der Leiharbeiter untereinander. Sie weigern sich, Anfragen und Forderungen von Vertrauensleuten und Beschäftigten auch nur zu beantworten. Sie streuen Gerüchte über die Zahl, die mit Weiterbeschäftigung rechnen kann, nennen aber keine konkreten Fakten, weil angeblich noch nichts „schwarz auf weiß“ feststehe.
So sollen in Wolfsburg angeblich 150 Leiharbeitsverträge verlängert werden, in Braunschweig 65 von 460. Alle Leiharbeiter führen so genannte Beurteilungsgespräche mit den Meistern, in denen ihnen eine Note von 1 (sehr gut) bis 5 (mangelhaft) genannt wird. Jeder kann sich ausdenken, dass dies für das denkbar schlechteste Arbeitsklima sorgt, wenn in einer Abteilung bzw. Linie nur jeder zehnte Kollege übernommen wird. Wer wird es sein? Habe ich noch eine Chance? Was muss ich dafür tun? Diese Anleitung zum Hauen und Stechen dient einzig und allein dazu, gemeinsamen Widerstand zu verhindern.
Derweil hüllen sich die Betriebsräte in Schweigen und warten ab. Der Betriebsratsvorsitzende von Autovision für die Werke in Braunschweig und Salzgitter, Dirk Oppermann, hat sich in den Urlaub abgemeldet. Nächsten Monat sind vollendete Tatsachen geschaffen, die Kollegen der AutoVision sind weg.
Die Spaltung der Arbeiter nach Land, Standorten und Beschäftigtengruppen kann nur überwunden werden, wenn die Interessen der Beschäftigten über die der Aktionäre gestellt werden. Die Aktionäre setzen ihre Interessen mithilfe der Gewerkschaften und ihren Betriebsräten durch. Deren Spitzen werden dafür fürstlich entlohnt, nicht selten mit Millionen-dotierten Managerposten wie Cavallos Vorgänger Bernd Osterloh.
Autoarbeiter können ihre Interessen nur verteidigen und durchsetzen, wenn sie sich unabhängig von Gewerkschaft und deren Betriebsräten organisieren. Wir rufen alle Autoarbeiter auf, sich in Aktionskomitees zusammenzuschließen, die von den Gewerkschaften unabhängig sind, und mit uns Kontakt aufzunehmen.