Hamburger Intensivpflegekräfte schlagen Alarm

„Wir können nicht länger warten, wir brauchen jetzt eine Entlastung auf den Intensivstationen!“ Mit diesen Worten beginnt der jüngste Brandbrief der „Pflegenden der Klinik für Intensivmedizin“ in Hamburg-Eppendorf. Darin kündigen die Intensivpflegekräfte an, bis zum Jahresende nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen. Ihre zentrale Forderung lautet, der Betreuungsschlüssel von 1:2 sei endlich einzuhalten. „Statt einer ständigen Überlastung brauchen wir garantierte Entlastungszeiten.“

Patient auf der Intensivstation (Bild: Frank C. Müller / CC BY-SA 4.0)

In ihrem Brief vom 14. Dezember 2021 weisen die Pflegenden der Intensivmedizin darauf hin, dass dies nicht der erste solche Brandbrief sei. Schon im August und im Oktober diesen Jahres hätten sie auf ihre prekäre Arbeitssituation aufmerksam gemacht.

Die anhaltende Überlastung führe dazu, „dass viele Kolleg:innen die Klinik für Intensivmedizin verlassen und es immer wieder zu Situationen kommt, in denen Patienten:innen nicht mehr ausreichend pflegerisch versorgt werden und dadurch immens gefährdet sind.“ Bisher seien sie bei Ausfällen immer wieder eingesprungen, aber so könne es nicht weitergehen. „Wenn der Vorstand nicht handelt, müssen wir uns selbst schützen: Warum sollten wir freiwillig weitere Dienste übernehmen, die für uns im Voraus nicht geplant sind? Warum sollten wir unsere Überlastung weiter befeuern?“

Der Brandbrief der Intensivpflegenden des UKE in Hamburg zeigt, welche Frustration und Unzufriedenheit unter den Pflegekräfte um sich greift. Sie reagieren auf eine unerträgliche Situation, die tausende Ärzte und Pflegekräfte belastet und bis in den Schlaf hinein verfolgt. Sie sind diejenigen, die in den Kliniken und Intensivstationen um das Leben der Erkrankten kämpfen und das Sterben hautnah miterleben. Nach zwei Jahren Covid-19-Pandemie sind sie erschöpft, ausgelaugt und am Ende ihrer Kräfte.

Die aktuelle Situation übertrifft noch das Massensterben des letzten Winters. Denn mit der Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante wird sie noch weiter eskalieren. Seit Wochen infizieren sich jeden Tag Zehntausende und sterben täglich mehrere Hundert Corona-Patienten. Allein in den letzten sieben Tagen wurden 2600 Corona-Tote gezählt. Insgesamt sind schon über 108.000 Corona-Patienten eines quälenden Todes gestorben, viele davon viel zu früh und unnötigerweise.

Aufgrund der Profitinteressen der Wirtschaft weigern sich die Regierungen, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, sind außer der Impfkampagne auch die Schließung von Betrieben und Schulen und eine systematische Kontaktverfolgung und Isolation erforderlich. Dazu ist die Ampel-Regierung von Olaf Scholz ebenso wenig bereit wie zuvor Merkels Große Koalition.

Am Sonntag, dem 19. Dezember, hat der Expertenrat der neuen Regierung eine Stellungnahme publiziert, die dem gefährlichen Potential von Omikron Rechnung trägt. Darin skizziert der Expertenrat das wahrhaft apokalyptische Szenario, das die Ausbreitung von Omikron in Deutschland hervorrufen wird. Wegen der „vergleichsweise großen Impflücke“ sei mit einer „sehr hohen Krankheitslast durch Omikron“ zu rechnen, heißt es dort. Von einer „neuen Qualität der Pandemie“ ist die Rede. „Schnell steigende Inzidenzen bergen hohe Risiken für die kritische Infrastruktur (KRITIS) in Deutschland. Hierzu gehören unter anderem Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Telekommunikation, Strom- und Wasserversorgung und die entsprechende Logistik.“

Trotz alledem will die Regierung die Schließung der Wirtschaft um jeden Preis verhindern. „Nein, einen Lockdown wie in den Niederlanden vor Weihnachten, den werden wir hier nicht haben“, erklärte der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Sonntag in der ARD.

Während er die drohende Krise einräumte, behauptete Lauterbach, dagegen sei nichts zu machen: „Wir haben jetzt eine kritische Zahl von Omikron-Infizierten überschritten. Somit lässt sich diese Welle nicht mehr komplett aufhalten“, so der Minister, der erneut alle Betonung auf die Impfkampagne legte: „Eine ganz zentrale Botschaft ist die, dass wir mit einer Booster-Kampagne tatsächlich diejenigen schützen können, die sonst besonders gefährdet wären.“

Diese Behauptung des Ministers ist eine bewusste Lüge. Dass allein die Booster-Kampagne einen ausreichenden Schutz bieten könne, bestreitet auch sein eigener Expertenrat, auf den der Gesundheitsminister eigentlich hören müsste. In der erwähnten Stellungnahme heißt es. „Eine massive Ausweitung der Boosterkampagne kann die Dynamik verlangsamen und damit das Ausmaß mindern, aber nicht verhindern. Laut der mathematischen Modelle kann eine Überlastung des Gesundheitssystems und die Einschränkung der kritischen Infrastruktur nur zusammen mit starken Kontaktreduktionen eingedämmt werden.“ (Hervorhebung hinzugefügt)

„Starke Kontaktreduktionen“ – das ist nur ein anderer Ausdruck für den notwendigen Lockdown der gesamten nicht-systemrelevanten Wirtschaft. Andernfalls werde Omikron „aufgrund des gleichzeitigen, extremen Patientenaufkommens“ das Gesundheitssystem völlig überlasten, so die Experten.

Die Kosten dafür werden einmal mehr die Pflegekräfte und Ärzte und im weiteren Sinne die gesamte Arbeiterklasse tragen müssen. Noch mehr Pflegende werden an ihre Grenzen kommen. Sie werden sie sich gezwungen sehen, selbst zu handeln, um nicht völlig aufgerieben zu werden.

Allerdings bringt es nichts, an Regierungspolitiker, Staatsbeamte und Manager zu appellieren, die die Profite von Konzernen und Banken auf keinen Fall gefährden wollen. Auch die Gewerkschaftsbürokraten, die aufs Engste mit den regierenden Parteien verbunden sind, sabotieren den nötigen Kampf. Das sieht man schon daran, dass Verdi und Co. mitten in der Pandemie mit den Arbeitgebern der Länder einen Tarifvertrag abgeschlossen haben, der für Pfleger und andere öffentliche Beschäftigte eine Reallohnsenkung von fünf Prozent beinhaltet.

Die Pflegekräfte können ihre Lage nur verbessern, wenn sie sich an die Arbeiterklasse wenden und den Kampf mit ihr gemeinsam aufnehmen. Notwendig ist der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees, die das Leben vor die Profite setzen. Die World Socialist Web Site hat mit dem Global Workers‘ Inquest (Globale Ermittlungen zur Covid-19-Pandemie durch die Arbeiter) die Initiative ergriffen. Sie wird Berichte aus allen betroffenen Bereichen publizieren, um die katastrophalen Auswirkungen der Pandemie auszuleuchten und die Grundlagen dafür zu schaffen, dass SARS-CoV-2 weltweit eliminiert werden kann.

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