Die Entscheidung der Bundes- und Landesregierungen, Kinder und Jugendliche in ungesicherten Kitas und Schulen schutzlos der hochansteckenden und gefährlichen Omikron-Variante des Coronavirus auszusetzen und die Quarantäneregeln massiv zu beschneiden, trifft unter Arbeitern und Jugendlichen in den sozialen Medien auf Wut, Fassungslosigkeit und zunehmende Kampfbereitschaft.
Eine anonyme Kita-Erzieherin, die bereits eine Covid-Erkrankung überlebt hat, schreibt auf Twitter: „Meine Booster-Impfung wird dazu benutzt, dass ich meine Klappe halte und ungeimpfte Kinder einfach weiter betreue – egal, ob Omikron in der Familie ist oder in meiner Gruppe Fälle von Omikron auftreten.“ Eine angehende Lehrerin antwortet: „Mir als Mutter geht es genau wie dir und vielen anderen auch. Dass unsere Kinder für die Wirtschaft verheizt werden, obwohl man es besser weiß, widert mich über alle Maße an.“
Die wirtschaftlichen Motive hinter der Durchseuchung hatte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nach der Bund-Länder-Konferenz am Freitag ein weiteres Mal offen ausgesprochen: Man habe sich entschlossen, „alles zu tun, um die Schulen offen zu halten… denn Menschen brauchen gute Kinderbetreuung, damit sie ihrer Arbeit nachgehen können“. „Eine Schließung der Schulen“, so Giffey, stehe daher „gar nicht mehr zur Debatte“.
Dass die Regierung derart skrupellos das Wohlergehen der verwundbarsten Teile der Gesellschaft den Profitinteressen der Wirtschaft opfert, offenbart Millionen Menschen deren rechten Charakter. Eine Juristin, die zugleich Mutter eines Kita- und eines Grundschulkindes ist, schreibt etwa auf Twitter: „Ich hätte niemals gedacht, dass so etwas passieren kann. Die ‚Aufbewahrung‘ der Kinder ist nur noch Mittel zum Zweck, damit die Eltern arbeiten gehen können.“
Die Sozialrichterin „Chrisse“ erklärt mit Blick auf Giffeys Statement: „Dass ich als Richterin in diesem Land erleben muss, dass von diesem Land meine Kinder nicht geschützt werden und – schlimmer noch – mir auch nicht erlaubt wird, meine Kinder selbst zu schützen (Präsenzpflicht), macht etwas mit mir.“ Eine Rektorin aus Baden-Württemberg fügt hinzu: „Mir geht es auch so. Die Schule startet wieder und ich kann die mir anvertrauen Kinder nicht so schützen, wie es sein müsste. Es setzt mir unheimlich zu.“
In mehreren Städten – darunter Bremen und Berlin – finden in diesen Tagen angesichts von vierstelligen Inzidenzen erneut Kundgebungen und Proteste gegen die Durchseuchung der Kinder und für sichere Bildung statt.
In Österreich, wo die Regierung offen dafür eintritt, Kinder und Jugendliche auch bei höchsten Inzidenzen in den ungesicherten Präsenzunterricht zu schicken, sind Jugendliche und ihre Angehörigen bereits besonders akut gefährdet.
„Die Durchseuchung ist nicht unvermeidlich“, sagt Mati Randow, Schülersprecher eines Wiener Gymnasiums, dessen viraler Tweet die weitverbreitete Stimmung unter Schülerinnen und Schülern zum Ausdruck bringt: „Es ist eine aktive Entscheidung, sie nicht zu stoppen. Ich sehe nicht, wie das mit Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention – dem Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit – vereinbar sein soll.“ Er fährt fort:
„Auch verstehe ich nicht, wie irgendjemand ernsthaft meinen kann, mit der Durchseuchung würde psychische Gesundheit geschützt werden. Sorry, aber geht‘s noch? Es gibt wohl nichts, was uns psychisch mehr belastet als das Wissen, dass wir mutwillig mit diesem Virus angesteckt werden und dann monatelang Angst vor Long Covid haben müssen. In einem neuen Ausmaß wird öffentlich breit hingenommen, dass wir uns jetzt alle anstecken sollen. Währenddessen wächst die Wut und wächst die Fassungslosigkeit bei uns.“
Darüber hinaus, so der Schüler, „haben wir weiterhin alle ‚üblichen‘ Probleme im Schulalltag: Enorm hoher Leistungsdruck durch dauernde Schularbeiten, soziale Ungerechtigkeit und mentale Probleme durch das Schulsystem“. Die von der österreichischen Regierung in Kauf genommene Ansteckung sämtlicher Schüler sei „sehr offensichtlich die Strategie, dass man mit der verantwortungslosen Brechstange versucht, die Toleranzschwelle in der Bevölkerung zu verringern“.
Im Zuge des Globalen Arbeiter-Inquests zur Covid-19-Pandemie sprach die World Socialist Web Site mit Eltern und Pädagogen über die Verantwortung der herrschenden Klasse für das unermessliche Leid, das die Durchseuchung für Millionen Menschen bedeutet. Tanja R. aus der Nähe von Aachen berichtet uns:
„Meine Tochter ist mittlerweile zwar geboostert, aber auch das scheint mir keine Sicherheit zu bieten. Ich finde es unmöglich, wie mit der Gesundheit der Kinder gespielt wird. Derzeit fühle ich mich einfach machtlos gegenüber der Politik und habe täglich Angst, dass sie Corona aus der Schule mitbringt. Ich bin chronisch krank, habe ein sehr schwaches Immunsystem und bin alleinerziehend. Der Vater meiner Tochter ist bereits tot. Ich kann nicht nachvollziehen, warum nicht wenigstens die Präsenzpflicht ausgesetzt wird, so dass Eltern, die ihr Kind zu Hause betreuen können, dies auch tun dürfen. Es entbehrt einfach jedweder Logik und wirkt auf mich wie eine pure Machtdemonstration seitens der Politik.“
„Ich finde die Durchseuchung mit Omikron absolut verantwortungslos“, sagt Silke Aretz, Aktivistin für sichere Bildung und die Unterstützung besonders gefährdeter Familien. „Abgesehen von den Menschen, die deswegen sterben werden, wird es zu einem immensen Anstieg bei Long Covid kommen und ich finde es abartig, dass man legal kaum die Möglichkeit hat, sich davor zu schützen.“ Silke setzt hinzu:
„Getestet wird bei uns im Klassenraum. Frühstück und Sport finden drinnen und ohne Maske statt. Unsere Kommune hat Luftfilter für unnötig erklärt. Meinem Sohn, den ich nicht zur Schule schicke, wird die Empfehlung für den Übergang auf die weiterführende Schule verweigert.“
„Dass die Ampel die pandemische Notlage auslaufen ließ und ins Infektionsschutzgesetz geschrieben hat, dass die Pandemie am 19. März dieses Jahres endet, ist meines Erachtens an Verantwortungslosigkeit nicht zu überbieten. Genau wie die Tatsache, dass Gebauer und Konsorten die S3-Leitlinie des RKI für die Schulen nicht umsetzen, sondern ignorieren.“
Diese Leitlinie „zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen“ empfiehlt koordinierte Schutzmaßnahmen wie Masken- und Testregeln, den allgemeinen Einbau von Filteranlagen, sowie kleine Lerngruppen, konsequente Kohortenbildung und Kontaktnachverfolgung – Empfehlungen, die von den verantwortlichen Politikern ignoriert werden.
Twitter-Userin Klara verweist auf die schamlose Doppelmoral der Regierungspolitiker, die während der gesamten Pandemie stets tunlichst darauf geachtet haben, für sich selbst privilegierte Schutzvorkehrungen zu treffen: „Am selben Tag, an dem seine Regierung den Zwangspräsenzunterricht damit rechtfertigt, dass Omikron für die meisten Kinder keine Gefahr darstelle, begibt sich [Schleswig-Holsteins] Ministerpräsident Daniel Günther in ein Hotelzimmer in Quarantäne. Begründung: Er will seine Kinder vor genau diesem Virus schützen.“
Über diese Zwei-Klassen-Politik in der Pandemie spricht auch Karina N. aus Rheinland-Pfalz gegenüber der World Socialist Web Site:
„Ganz schlimm ist die Scheinheiligkeit der Politiker, die wegen der ansteckenden Omikron-Variante bevorzugt online oder in mehreren Sälen tagen – erwachsene Menschen, die geboostert sein können, Maske tragen und sich testen dürfen. Dieselben Menschen sagen, dass Kinder – teils ungeimpft und nur mit OP-Masken, weil nichts richtig passt – gerade einmal zwei Schnelltests pro Woche bekommen sollen und das auch nur, wenn sie nicht geimpft sind. Sie sagen, die Kinder müssen täglich in überfüllte Busse und zu dreißigst im Klassenzimmer sitzen ohne Luftfilter, die aber wiederum im Plenarsaal und im Bundestag stehen.
Kinder sind in deren Augen wohl keine gleichwertigen Menschen. Und selbst wenn die Kinder weniger oft sterben: Long Covid ist keine schöne Aussicht. Noch schlimmer ist, dass sie es heimbringen können – und da sitzen ganz normale Menschen, genau wie Politiker es auch sind. Nur sind Nicht-Politiker scheinbar einfach viel weniger Wert und Vorerkrankte sind erst recht ganz unwerte Individuen.
Was hier passiert, ist für mich gegen jedes Menschenrecht: Recht auf Selbstbestimmung, Recht auf Unversehrtheit, ja sogar gegen die Würde – in einem Klassenraum wie ein Schaf eingepfercht zu werden und sogar Angehörige dadurch gefährden zu müssen, da ja auch Impfung nicht vor Long Covid schützt. Es ist so verlogen und mit zweierlei Maß.“
Wer sich und seine Familie ernsthaft beschützen wolle, schließt Karina, werde von Politik und Behörden regelrecht „als Verbrecher“ behandelt. Mehrere Eltern stellen demgegenüber fest, dass es in Wirklichkeit die Politiker sämtlicher Parteien selbst sind, die an Kindern, Jugendlichen und ihren Angehörigen ein soziales Verbrechen begehen. So schreibt etwa Jana B. aus Bremen:
„Ich bin einfach nur entsetzt und verzweifelt. Unsere Kinder haben keine Lobby, das zeigt sich einmal mehr. Die Politik geht über Leichen, alles für den Profit. Man fühlt sich nur noch allein gelassen und verarscht – oder um es deutlicher zu sagen, ich wünsche Frau Gebauer und Konsorten so schnell wie möglich die Quittung für diesen Frevel an unseren Kindern!“
Nadine aus Niedersachsen fragt: „Was will man zur Zwangsdurchseuchung durch die Politik noch sagen? Uns Eltern sind jegliche Rechte zur Gesunderhaltung unserer Kinder genommen worden. Seit Beginn der Pandemie war klar, dass Wirtschaft über Menschenleben geht – aber jetzt noch die Kinder hineinzuziehen ist einfach abartig. Wenn man sich im eigenen Land nicht mehr sicher fühlt – unsere Politiker sind einfach nur fahrlässig und absolut deplatziert auf ihren Posten.“
Heike L. aus Bayern, die selbst an einer Auto-Immunerkrankung leidet, schreibt uns:
„Ich finde es unfassbar grausam, dass die Kultusminister dieses Landes unsere Kinder sehenden Auges in die Katastrophe schicken. Noch gibt es zu wenig Erfahrungswerte bezüglich Omikron und unsere Kinder müssen nun herhalten, um diese zu gewinnen. Schwere Verläufe und Long-Covid-Komplikationen werden dabei billigend in Kauf genommen.
Vor den Weihnachtsferien wäre die Gelegenheit und Notwendigkeit gewesen, die Kinder für den Distanzunterricht fit zu machen – der aufgrund der zu erwartenden Ausfälle bei den Lehrkräften ohnehin kommen wird. Sofort Lockdown – Schulen hätten gar nicht geöffnet werden dürfen nach Weihnachten.“
Unter Bezugnahme auf die Entscheidung der bayrischen Landesregierungen, die Testung von Kita-Kindern nicht mehr überprüfen zu lassen, sagt Heike: „Die Erzieher werden total verheizt.“
Die WSWS sprach außerdem mit der Kita-Erzieherin Johanna aus dem Rhein-Main-Gebiet. Sie erklärt mit Blick auf den „Offenen Brief“ der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) an die Arbeiterklasse: „Mit eurer sozialistischen Perspektive habe ich keinerlei Probleme – Ich bin Enkeltochter eines Widerstandskämpfers im dritten Reich.“
Johanna hat bereits mehrere Corona-Todesfälle in ihrem näheren Umfeld miterlebt. Zu dem Aufruf der WSWS, die Pandemie im Jahr 2022 zu beenden und Leben zu retten, sagt sie: „In den letzten Monaten musste ich leider feststellen, dass unser Anliegen vor allem unter den Leitungen [der Einrichtungen] nicht gut ankommt: Ihre Haltung stimmt leider mit meinen Ansichten zur Pandemie, allem voran zu den offenen Kitas im Regelbetrieb, nicht überein.“ Wie Johanna weiter berichtet, sei eine Kollegin mit schweren Vorerkrankungen faktisch gezwungen worden, Dienst mit den Kindern vor Ort zu leisten:
„Diese Frau hat sich trotz Impfung und Maske mit einem schweren Verlauf infiziert, ist bis dato noch nicht wieder gesund und leidet unter schweren Lungenproblemen – die ganze Bandbreite. Wenn jetzt Omikron durch die Kitas fegt – um Gottes Willen. Es ist doch bekannt, dass zahlreiche Erzieherinnen und Erzieher zu den vulnerablen Gruppen zählen. An sie denkt niemand. Dabei ist es wissenschaftlich erwiesen, dass chronisch Kranke, die täglich mit 20 und mehr Kindern arbeiten, sehr leicht erkranken. Außerdem: Was tun wir denn den Kindern selbst damit an? Sie können Long Covid bekommen, man versaut ihnen womöglich ihr ganzes Leben. Und alles nur, um die Wirtschaft aufrechtzuerhalten!“
Die Berichte und Erklärungen von Schülern, Eltern und Pädagogen machen deutlich, dass die Verantwortung für die Sicherheit und das Wohlergehen der Kinder – und der gesamten Gesellschaft – nicht länger in den Händen der kapitalistischen Politiker verbleiben darf. Die Beendigung der Pandemie ist eine Machtfrage, die nur durch einen unnachgiebigen politischen Kampf entschieden werden kann. Das Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Bildung hat aus diesem Grund für kommenden Dienstag, 19:00 Uhr ein Dringlichkeitstreffen einberufen, um als Teil einer weltweiten Corona-Eliminierungsstrategie für die Schließung von Schulen und Kitas zu kämpfen.