Seit Wochen arbeiten die westlichen Medien auf Hochtouren, um einen Krieg gegen Russland zu provozieren. Die USA und andere Nato-Mitglieder beliefern die Ukraine mit „tödlichen Waffen“, mobilisieren eigene Truppen und bereiten – in den Worten eines ranghohen US-Militärs – „den größten europäischen Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg“ vor. Unter diesen Umständen war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch International Viewpoint in den Chor der Kriegstreiber einreihte.
Am 20. Januar veröffentlichte das internationale Sprachrohr der Pseudolinken eine Erklärung, die sich noch nicht einmal die Mühe macht, die imperialistische Kriegspropaganda hinter einem pseudosozialistischen Schleier zu verbergen. Unter dem irreführenden Titel „Zeit für internationale Anti-Kriegs-Solidarität“ rufen nicht namentlich genannte „ukrainische Sozialisten“ die „internationale Linke“ auf, „die imperialistische Politik der russischen Regierung zu verurteilen“.
Die Erklärung hätte in dieser Form auch von der CIA in Langley/Virginia, vom BND in Berlin oder vom MI6 in London verfasst werden können. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass International Viewpoint bei der militärischen Konfrontation mit Russland mit beiden Beinen im Lager der Nato und ihrer ukrainischen Marionetten steht.
Die Autoren bemerken, dass die Hegemonie der Vereinigten Staaten im Niedergang begriffen sei, und stellen mit Bedauern fest: „Leider ist der Niedergang des amerikanischen Imperialismus nicht mit dem Entstehen einer demokratischeren Weltordnung einhergegangen, sondern mit dem Aufstieg anderer imperialistischer Räuber, fundamentalistischer und nationalistischer Bewegungen.“ (Hervorhebung im Original)
„Unter diesen Umständen“, folgern sie, „sollte die internationale Linke, die gewohnt ist, nur gegen den westlichen Imperialismus zu kämpfen, ihre Strategie überdenken.“ Der „imperialistische Räuber“, den es jetzt zu bekämpfen gelte, sei „der russische Imperialismus, der nun versucht, die USA dazu zu bringen, die Einflusssphären in der Welt neu zu verteilen“.
Die Erklärung ruft zum Sturz des Putin-Regimes in Russland auf: „Nur eine Revolution in Russland und der Sturz des Putin-Regimes können den postsowjetischen Ländern Stabilität, Frieden und Sicherheit bringen.“ Gemeint ist damit eine sogenannte „Farbenrevolution“, wie sie die USA und ihre Verbündeten in zahlreichen Ländern inszeniert haben, um ein gefügigeres pro-imperialistisches Regime an die Macht zu bringen. International Viewpoint verliert kein Wort über das Programm und den Klassencharakter der angestrebten Revolution, es spricht weder von einer sozialistischen noch von einer proletarischen Revolution und hat bisher solche Farbenrevolutionen stets unterstützt.
Auch für die Ukraine vertritt International Viewpoint ein rein bürgerliches Programm. Ziel ist eine kapitalistische Ukraine unter imperialistischer Schirmherrschaft: „Wir streben eine friedliche, neutrale Ukraine an, aber dafür muss der Kreml seine aggressive imperialistische Politik beenden, und die Ukraine muss Sicherheitsgarantien erhalten, die ernster sind als das Budapester Memorandum...“
Im Budapester Memorandum von 1994 hatten die USA, Großbritannien und Russland der Ukraine als Gegenleistung für den Verzicht auf Atomwaffen sichere Grenzen garantiert.
International Viewpoint verspricht den ukrainischen Arbeitern sogar, dass die imperialistischen Großmächte ihre Interessen schützen werden, wenn die „fortschrittlichen Bewegungen“ in diesen Ländern – d.h. sie selbst – Druck auf sie ausüben. „Da wir uns keine Illusionen darüber machen, dass die Politik der westlichen Regierungen dem Großkapital und ihren eigenen Zielen dient“, heißt es in der Erklärung, „glauben wir, dass sie die Interessen der ukrainischen arbeitenden Bevölkerung nur unter dem Druck der fortschrittlichen Bewegungen und der Öffentlichkeit dieser Länder berücksichtigen werden.“
Dies, nachdem Millionen Einwohner Afghanistans, Syriens, Libyens und zahlreicher anderer Länder ihre Existenz oder ihr Leben verloren haben, weil sie von den USA und ihren Nato-Verbündeten „befreit“ und „beschützt“ wurden!
Als erste Maßnahme verlangt International Viewpoint die Stationierung westlicher Truppen in der Ukraine. „Der erste Schritt sollte die Entsendung eines UN-Friedenskontingents in den Donbas sein“, heißt es in der Erklärung in Fettschrift. „Wir sind uns der Probleme mit bestehenden Friedensmissionen bewusst und wissen, dass Blauhelme manchmal massive Gewalt nicht verhindert haben. Aber unter den aktuellen ukrainischen Umständen ist dies ein zwangsläufiger Schritt.“
Die WSWS ist nicht überrascht, dass sich International Viewpoint in die Front der Kriegstreiber einreiht. Wir haben es sogar erwartet. Wir haben zahlreiche Polemiken gegen Individuen wie Gilbert Achcar, Rohini Hensman, Juan Cole und Organisationen wie die französische NPA, die deutsche Linke, die spanische Podemos und die amerikanische DSA veröffentlicht, die sich als „links“ ausgeben und imperialistische Kriegspropaganda betreiben.
Anfang 2016 veröffentlichte das Internationale Komitee der Vierten Internationale die Erklärung „Sozialismus und der Kampf gegen Krieg“, die den „pseudolinken Agenturen des Imperialismus“ ein eigenes Kapitel widmet. Es erklärt ihre politische Rolle, untersucht ihre gesellschaftliche Grundlage und widerlegt ihre Behauptung, Russland und China seien imperialistische Mächte.
Die Pseudolinken verkörpern eine privilegierte Schicht der Mittelklasse, die sich in den 1960er und 70er Jahren radikalisierte und später – dank steigender Aktienkurse und unaufhörlicher Angriffe auf die Arbeiterklasse – zu Reichtum gelangte. „Der lang anhaltende Börsenboom hat den Imperialismus in die Lage versetzt, in Teilen der oberen Mittelklasse eine neue, ihm treu ergebene Anhängerschaft zu gewinnen“, schreibt das IKVI. Diese Kräfte „lassen nichts unversucht, um nicht nur Widerstand gegen Krieg zu unterdrücken, sondern auch die Raubzüge des Imperialismus zu rechtfertigen“.
Die Beschreibung Chinas und Russlands als „imperialistisch“ durch die Pseudolinken erfülle zwei Zwecke, heißt es weiter in der Erklärung des IKVI: „Erstens wird die zentrale und entscheidende Rolle des amerikanischen, europäischen und japanischen Imperialismus relativiert und damit heruntergespielt. Dies erleichtert den Pseudolinken die aktive Zusammenarbeit mit den USA bei Regime-Change-Operationen…“
Zweitens rechtfertige „die Bezeichnung Chinas und Russlands als imperialistisch – und damit implizit als Kolonialmächte, die ethnische, nationale, sprachliche und religiöse Minderheiten unterdrücken – die Unterstützung der Pseudolinken für vom Imperialismus geförderte nationale ‚Befreiungsaufstände‘ oder ‚Farbrevolutionen‘ innerhalb der Grenzen bestehender Staaten.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das IKVI tritt für den Sturz der kapitalistischen Herrschaft in Russland und China ein. Aber es verfolgt dieses Ziel im Rahmen der Strategie der sozialistischen Weltrevolution. Der Sturz des Putin-Regimes ist die Aufgabe der Arbeiterklasse, und nicht der Imperialisten und ihrer Helfer vor Ort. Der Zusammenbruch Russlands infolge einer imperialistischen Offensive würde zu seinem Auseinanderbrechen in zahlreiche Marionettenstaaten führen, die Kolonien der imperialistischen Großmächte wären.
Was in den 1990er Jahren mit Jugoslawien geschah, würde sich in größerem Maßstab wiederholen. Schon damals hatten viele Pseudolinke die brutalen Kämpfe nationalistischer Gangstercliquen, die sich um das Erbe Jugoslawiens stritten und an den Fäden rivalisierender Großmächte hingen, als „Kampf für nationale Selbstbestimmung“ verherrlicht. Es war nichts dergleichen. Übriggeblieben ist ein nationaler Flickenteppich verarmter, impotenter und völlig unselbständiger Staaten.
Der reaktionäre Charakter von Putins Regime rührt gerade daher, dass er die Arbeit, die seine stalinistischen Vorgänger begonnen hatten, weiterführte: Die Zurückweisung des internationalen, sozialistischen Programms der Oktoberrevolution, die kapitalistische Restauration und die Plünderung des gesellschaftlichen Eigentums der Sowjetunion durch eine Handvoll Oligarchen, und ihre Öffnung für das internationale Finanzkapital. Aus diesem Grund wurden Putin und seine Vorgänger Michail Gorbatschow und Boris Jelzin anfangs im Westen auch emphatisch gefeiert. Der Deutsche Bundestag ehrte Putin 2001 sogar mit einer stehenden Ovation, als er dort eine Rede in deutscher Sprache hielt.
Auch die Pseudolinken teilten diese Euphorie an. Das letzte Buch von Ernest Mandel, des langjährigen Führers des Vereinigten Sekretariats, das International Viewpoint herausgibt, war eine Lobeshymne auf Gorbatschow. Tariq Ali, ein anderes führendes Mitglied dieser Tendenz, widmete eines seiner Bücher Boris Jelzin, der das eigene Parlament bombardieren ließ, die Sowjetunion auflöste und Putin persönlich zu seinem Nachfolger auserkor.
Doch je weiter die Nato nach Osteuropa und auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion vorrückte, desto mehr wurde Putin zum Hindernis. Selbst die russischen Oligarchen, deren Interessen er vertritt, haben eigene nationale Interessen. Doch das Putin-Regime, das die Arbeiterklasse weit mehr fürchtet als die imperialistischen Mächte, hat keine Antwort auf die wachsende Kriegsgefahr. Es schwankt zwischen diplomatischen Manövern und militärischem Säbelrasseln, das die Gefahr eines dritten Weltkriegs – und damit der Vernichtung der Menschheit – weiter erhöht.
Die Mitglieder der Nato, getrieben durch den wachsenden Widerstand gegen die soziale Ungleichheit und ihre mörderische Pandemiepolitik, nehmen eine solche Katastrophe bewusst in Kauf und treiben ihre Kriegsvorbereitungen weiter voran. Die Pseudolinken, die tief in den bürgerlichen Herrschaftsapparat integriert sind, unterstützen sie dabei.
Der Ausbruch eines Kriegs mit schrecklichen Folgen kann nur durch die Entwicklung einer weltweiten Antikriegsbewegung der Arbeiterklasse verhindert werden. Das erfordert den Aufbau einer neuen politischen Führung in der Arbeiterklasse. Die Unterstützung von International Viewpoint für die Kriegsvorbereitungen der Nato unterstreicht erneut, wie tief die Kluft zwischen den Pseudolinken und dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale ist.
Das IKVI und seine Sektionen, die Sozialistischen Gleichheitsparteien, sind heute die einzige internationale sozialistische Tendenz, die diesen Namen verdient. Der Aufbau ihrer Sektionen – auch in Russland und der Ukraine – ist die dringendste Aufgabe im Kampf gegen die Kriegsgefahr.