Die Rede, die der Betriebsratsvorsitzende Markus Thal am Montag auf der Online-Betriebsversammlung des Ford-Werks in Saarlouis hielt, war eine Kampfansage an die rund 4600 Mitglieder der Belegschaft. Anders lässt sich seine Aussage nicht verstehen, der Erhalt des Werks sei nicht umsonst zu haben.
Er werde den Besitzstand nicht um alles in der Welt verteidigen, um dann sagen zu müssen, dafür werde das Werk in den nächsten zwölf Monaten geschlossen, sagte er laut übereinstimmenden Berichten von Beschäftigten. Das mache er nicht mit, dafür sei er nicht zu haben. Er trete für den Erhalt des Werks ein. Aber wenn das Werk Saarlouis für die Jahre nach 2025, wenn die Produktion des Focus auslaufe, eine Anschlussfertigung bekomme, dann werde das nicht umsonst sein.
Eine Abwicklung des Werks schloss Thal nicht aus. Wenn Saarlouis nichts bekomme, dann bekomme auch Ford nichts. Dann gebe es eine der teuersten und lautesten Werksschließungen.
Mit der Ankündigung, er werde den Besitzstand nicht verteidigen, gibt Thal zu erkennen, dass er bei Löhnen, Arbeitszeit und Sozialleistungen zu sehr weitgehenden Zugeständnissen bereit ist. Doch auch dann sei eine Werksschließung durchaus möglich, fügte er hinzu.
Weil diese feige Unterordnung unter das Diktat des Managements auf die Ablehnung von vielen Beschäftigten stößt, besteht Thal auf der strikten Geheimhaltung der Verhandlungen. Auf der Betriebsversammlung wurde erneut deutlich, dass er und seine engsten Vertrauten in der Verhandlungskommission eine regelrechte Verschwörung gegen die Belegschaft bilden.
In der Woche zuvor hatte das Ford-Aktionskomitee in einem Brief an die Beschäftigten in Saarlouis betont, dass die Belegschaft „keine Informationen zu den Fragen erhält, die uns allen auf den Nägeln brennen: Welche Angriffe sind im Bieterwettbewerb mit Valencia von Management und Betriebsrat ausgearbeitet worden?“ Die Betriebsratsspitzen verheimlichten ihre Absprachen vor den Arbeitern, „weil sie mit dem Management unter einer Decke stecken“.
Diese Einschätzung ist vollauf bestätigt worden. Die Versammlung begann eine halbe Stunde später als geplant, weil der Europäische Betriebsrat noch mit der europäischen Konzernspitze im Austausch war. Denn während die Belegschaft in Saarlouis fast dreieinhalb Stunden ausharren musste, um zum Schluss doch keine Infos über die Zukunft des Werks zu erhalten, hatte der Ford-Konzern in einer Präsentation Zukunftspläne für die Elektrifizierung seiner Modelle in Europa vorgestellt. Ford-Europachef Stuart Rowley kündigte an, dass ab 2024 drei Elektro-PKW und vier neue Elektro-Nutzfahrzeugmodelle in Europa gebaut werden.
Im rumänischen Werk in Craiova sollen ein Modell des SUV Ford Puma sowie mittelgroße und große Lieferwagen mit Elektroantrieb produziert werden. In der Türkei wird ein Joint Venture zwischen Ford Europe, Koc und SK ON Ltd. gegründet, um dort eines der größten Werke in Europa für den Bau von Batterien für Nutzfahrzeuge zu errichten.
Im Stammwerk Köln will Ford zwei Milliarden Dollar investieren, um schon ab 2024 zwei E-Automodelle auf den Markt zu bringen. Die Produktion soll von jährlich 600.000 auf 1,2 Millionen Autos verdoppelt werden. Benjamin Gruschka, Gesamtbetriebsratsvorsitzender und Vorsitzender des Betriebsrats in Köln, gab sich im Fernsehinterview hoch erfreut und träumte bereits von der Wiedereinführung der Nachtschicht und einer „Vollauslastung“ des Werks.
Aber weder das Werk in Valencia noch das in Saarlouis spielten bei der Präsentation eine Rolle. Ford-Chef Rowley verlor kein Wort zum laufenden Bieterwettbewerb.
Angeblich hat Gruschka, der am Montagmorgen ebenfalls zu den Arbeitern in Saarlouis sprach, erst kurz vor der Online-Schalte erfahren, dass alle Werke außer den beiden Fabriken in Saarlouis und Valencia Produktionszusagen erhalten haben. Das mag glauben, wer will. Die Entscheidung war bereits am letzten Mittwoch in den USA getroffen worden, und das Flugblatt des Kölner Betriebsrates, unterzeichnet von Gruschka, wurde noch während der Betriebsversammlung veröffentlicht.
Gruschka beharrte darauf, dass die Arbeiter des saarländischen Werks nichts über das „Projekt Saarlouis“, wie er es nennt, erfahren. Man habe sich Geheimhaltung auferlegt, um das Projekt nicht zu gefährden, begründete er sein Schweigen. Auch Markus Thal vertrat in seinem Redebeitrag diese Haltung. Er bat die Arbeiter um Vertrauen. Er sei mindestens zwei Tage in der Woche in Köln und verhandle mit dem Management.
Schon in den letzten Jahren habe der von ihm geleitete Betriebsrat dem Abbau von Arbeitsplätzen zugestimmt. 2018 habe der Konzern erklärt, der Abbau trage dazu bei, dass alles gut gehe. Das scheine jetzt nicht mehr zu gelten. Nun müsse man auf die Entscheidung des Konzerns im Juni warten. Und selbst dann sei das Werk, das den Zuschlag erhält, noch nicht über den Berg. Denn Ford wolle erst Anfang des nächsten Jahres beschließen, ob wenigstens eines der beiden Werke eine Zukunft habe. Wenn beide Werke abgebaut würden, wäre das „der Supergau“, so Thal.
Der Betriebsratschef sei „wie schon früher“ sehr arrogant und schroff aufgetreten, berichteten Teilnehmer. Er habe die Belegschaft vor ein Ultimatum gestellt: „Das ist die Lage, eine andere gibt es nicht“, egal, ob das einem gefalle oder nicht. Zum Inhalt des Angebots, das Betriebsrat und Geschäftsleitung Ende Januar in Köln der Europazentrale übergeben haben und über das sie nun offensichtlich weiter verhandeln, wolle er nicht sagen. Punkt, Schluss, Aus.
Dennoch forderte Thal die Belegschaft auf, in den noch bis Freitag laufenden Betriebsratswahlen die IG Metall zu wählen.
Unterstützt wurde er von der Geschäftsführung. Rainer Ludwig, Geschäftsführer Personal- und Sozialwesen und stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke GmbH stimmte überein, dass die Ausgangslage schwierig sei. In der Vergangenheit habe man aber erfolgreich kooperiert – gemeint war der Abbau der vergangenen Jahre. Daran müsse man anknüpfen.
Zum Schluss bat auch er die Mitarbeitenden, ihr demokratisches Recht zur Wahl des Betriebsrats zu nutzen.
Viele Arbeiter waren extrem aufgebracht. „Jetzt haben wir schon wieder nichts gehört“, schimpfte ein Kollege. „Wieso sollen wir diesen IG Metall-Betriebsrat wählen, wenn er uns verschweigt, was er aushandelt? Was wählen wir denn dann? Das geht doch nicht!“
Der Brief des Aktionskomitees an die Belegschaft hatte in Vorbereitung auf die Betriebsversammlung schon letzte Woche darauf hingewiesen: „Wahlen setzen Information voraus. Was sollen Betriebsratswahlen, wenn in der wichtigsten Frage, die uns betrifft, der Betriebsrat uns von allen Informationen ausschließt? Die IG Metall verlangt von uns in diesen Betriebsratswahlen einen Blankoscheck. Wir sollen unseren eigenen Ausverkauf absegnen. Nicht mit uns!“
Der Betriebsrat und die Geschäftsführung sprachen nicht nur über die Halbleiterkrise, die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen, sowohl Ludwig als auch Thal äußerten sich auch zum Ukraine-Krieg.
Beide wiederholten die Propaganda der Nato, der Regierenden und der Medien, dass Putin und Russland allein für den Krieg und die Gefahr einer unvorhersehbaren Eskalation verantwortlich seien. Unisono behaupteten sie, es gäbe keine andere Alternative als die Regierungen in den USA, Deutschland und der Ukraine gegen Russland zu unterstützen und, etwa mit Sanktionen, Frieden zu erzwingen.
Genauso wie Thal sich in der Kriegsfrage vor den Herrschenden verbeugt, bettelt er auch beim Ford-Konzern um Gnade. Dieser Bürokrat kann sich nichts anderes vorstellen, als der Büttel der Herrschenden und Besitzenden zu sein. Laut Berichten von Arbeitern erklärte er, Ford gehöre nun einmal nicht den Beschäftigten, Ford sei kein VEB, kein Volkseigener Betrieb. Deshalb könne man nichts anderes machen, als zu kuschen.
Gleichzeitig strebt Thal eine Wahlbeteiligung und ein Wahlergebnis wie zu SED-Zeiten an. 100 Prozent Wahlbeteiligung seien das Ziel. Er drohte den Arbeitern, dass alles noch viel schlimmer kommen werde, wenn sie nicht die IG Metall wählen. Die Geschäftsführung schaue sehr genau, wie viel Unterstützung der Betriebsrat in der Belegschaft habe. Je höher die Wahlbeteiligung sei, desto besser könne der Betriebsrat gegenüber dem Konzern auftreten, behauptete Thal.
Das Gegenteil ist der Fall. Je höher das Wahlergebnis für die IG Metall, desto sicherer kann sich der Konzern sein, dass die Belegschaft unter ihrer Kontrolle ist, und desto schärfer fallen die Angriffe aus. Je geringer die Wahlbeteiligung und das Ergebnis der IG Metall, desto vorsichtiger muss die Geschäftsführung sein.
Beide, Geschäftsführung und Betriebsrat, fürchten wie der Teufel das Weihwasser, dass sich die Belegschaft unabhängig organisiert und einen wirklichen Kampf gegen die drohende Werksschließung, gegen Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen organisiert.
Wir wiederholen daher noch einmal ausdrücklich die Aufforderung des Ford-Aktionskomitees: „Wir sprechen erstens dem Betriebsrat das Recht ab, weiter in unserem Namen zu verhandeln und rufen alle Kollegen auf, sich unserem unabhängigen Aktionskomitee anzuschließen, um den Kampf zur Verteidigung der Löhne und Arbeitsplätze zusammen mit den Kollegen in Spanien und auf der ganzen Welt in die eigene Hand zu nehmen. Es führt kein Weg daran vorbei. Wir müssen uns unabhängig organisieren.“
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