Verwaltungsgericht Berlin bestätigt geheimdienstliche Beobachtung der Tageszeitung „junge Welt“

Das Verwaltungsgericht Berlin hat am 18. März einen Eilantrag der linken Tageszeitung junge Welt abgelehnt, dass sie im Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums nicht mehr als „linksextremistisch“ bezeichnet werden darf.

Die Bedeutung dieser Entscheidung geht weit über den unmittelbaren Fall hinaus. Sie unterstreicht, dass in Deutschland alle, die sich zum Marxismus bekennen oder auch nur die Klassenspaltung der Gesellschaft beim Namen nennen, vom Staat verfolgt und massiv behindert werden.

Richter Wilfried Peters (links) im Prozess der SGP gegen den Verfassungsschutz (Bild WSWS)

Ein Urteil im Hauptsacheverfahren steht zwar noch aus, doch die Begründung des Beschlusses im Eilverfahren, die der World Socialist Web Site vorliegt, lässt keinen Zweifel daran, dass es im Ergebnis genauso ausfallen wird.

Die junge Welt hatte ein Eilverfahren angestrengt und eine einstweilige Anordnung beantragt, weil die Nennung im Verfassungsschutzbericht ihre Arbeit massiv beeinträchtigt sowie ihre wirtschaftliche Existenz zu vernichten droht und sich ein Hauptsacheverfahren oft über Jahre hinzieht.

Das Verwaltungsgericht hat anerkannt, dass die junge Welt glaubhaft nachgewiesen habe, dass die Nennung im Verfassungsschutzbericht ihre Verbreitung erschwere – u.a. weil bezahlte Werbung abgelehnt, Bilder nicht zur Verfügung gestellt oder der Zugriff auf die Zeitung und die Zusammenarbeit mit ihr beschränkt werden.

Die junge Welt selbst hat dazu erklärt: „So verweigern die Deutsche Bahn und verschiedene Kommunen und Radiosender unter Verweis auf den Verfassungsschutz-Eintrag das Anmieten von Werbeplätzen, Bibliotheken sperren den Onlinezugang zur Zeitung, und eine Druckerei weigerte sich, eine andere Druckschrift mit einer Anzeige der jungen Welt herzustellen.“

Dies ist auch beabsichtigt, wie die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage zur geheimdienstlichen Beobachtung der jungen Welt im letzten Jahr erklärt hat: Eine derartige Diskriminierung von linken Publikationen sei eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ und solle diesen „den weiteren Nährboden entziehen“.

Dennoch bezweifelte das Verwaltungsgericht die Eilbedürftigkeit des Antrags, entschied aber dann, dass es darauf gar nicht ankomme, weil der Antrag auch inhaltlich unbegründet sei. Dies vor allem deshalb, weil es sich bei der jungen Welt um eine „marxistisch orientierte Tageszeitung“ handle.

Der „Linksextremismus“ der jungen Welt ergebe sich in der „Gesamtschau“ aus dem „Propagieren des Klassenkampfs“, der Darstellung „sozialistisch-kommunistischer Staaten und Gesellschaften als vorzugswürdig“ sowie aus der Forderung nach „Überwindung des Kapitalismus“ und nach einer „sozialistischen Alternative“.

Die Blaupause für seine Entscheidung gegen die junge Welt hatte das Verwaltungsgericht vorher selbst geschaffen. Im November letzten Jahres hatte dasselbe Gericht unter dem Vorsitz desselben Richters, seines Vizepräsidenten Wilfried Peters, die Klage der Sozialistischen Gleichheitspartei gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht zurückgewiesen. Die Formulierungen aus dem damaligen Urteil hat es nun zum Teil wörtlich übernommen.

Im Urteil gegen die SGP hatte das Gericht Aussagen, wie die schreiende soziale Ungleichheit sei nicht mit Demokratie vereinbar, die Macht der großen Banken und Konzerne stehe einer wirklichen Volksherrschaft entgegen oder die staatlichen Organe dienten den Interessen der Reichen, als antidemokratisch und verfassungsfeindlich bezeichnet.

Da laut Grundgesetz alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe, seien auch alle staatlichen Institutionen demokratisch legitimiert, hatte das Gericht erklärt. Somit sei es illegitim, „namentlich den Verfassungsschutz und die Bundeswehr“ in Frage zu stellen. Die Berufung auf den Klassenkampf befand es ebenso als antidemokratisch und extremistisch, wie die Berufung auf Marx, Engels und Lenin und das Eintreten für eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus.

Wie schon im Urteil gegen die SGP beruft sich das Verwaltungsgericht auch im Fall der jungen Welt vor allem auf das diskreditierte KPD-Verbot des Bundesverfassungsgerichts von 1956. Es konstruiert sich eine ganz eigene Version von „Marxismus-Leninismus“ zurecht, die zu vertreten dann jedem unterstellt wird, der sich auf den Marxismus und eine revolutionäre sozialistische Perspektive beruft.

Danach sehen „kommunistische Staatsmodelle“ nach den „Lehren von Ideologen wie Marx, Engels und Lenin“ „Einparteiensysteme“ mit allmächtigen „Staatsparteien“ vor, für allgemeine und gleiche Wahlen ist „kein Raum“. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Nachweise, wo, wann und wie Marx, Engels und Lenin derartige Systeme „vorgesehen“ hätten, führt das Berliner Verwaltungsgericht nicht an.

Auch belegt es nicht, wo die junge Welt für ein derartiges Staatsmodell eingetreten sei. Aufgeführt wird im Beschluss lediglich, dass sie die DDR und Kuba positiv darstellt. So habe sie zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 unter der Überschrift „Wider das Zerrbild“ u. a. ausgeführt: „Solange die DDR existierte, ging von ganz Deutschland kein Krieg aus“ – was offensichtlich den Tatsachen entspricht.

Zum Beleg für die Demokratiefeindlichkeit der jungen Welt führt das Gericht auch deren Unterstützung des gewählten venezolanischen Präsidenten Nicolas Maduro an, der sich rechter Putschversuche erwehren musste.

Das Gericht versucht auch, die junge Welt irgendwie mit Gewalt und Terrorismus in Verbindung zu bringen. Es belegt aber nicht, dass die Zeitung zu Gewalt aufgerufen oder Terrorismus gebilligt hätte, sondern verweist lediglich auf die Veröffentlichung von Interviews mit verschiedenen Organisationen und Personen und die Dokumentation von Bekennerschreiben, denen damit „eine Plattform geboten worden“ sei.

Konkrete Belege, dass sich die Zeitung etwa mit der Politik der islamistischen palästinensischen Hamas identifiziere, weil einer ihrer Vertreter ihr ein Interview gab, führt das Verwaltungsgericht nicht an.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur geheimdienstlichen Beobachtung von Presseorganen ist dies aber zwingend erforderlich: „Von der Pressefreiheit ist auch die Entscheidung erfasst, ein Forum nur für ein bestimmtes politisches Spektrum bieten zu wollen, dort aber den Autoren große Freiräume zu gewähren und sich in der Folge nicht mit allen einzelnen Veröffentlichungen zu identifizieren.“

„Es bedürfte“, so das Bundesverfassungsgericht 2005 in einem Beschluss zur rechten Jungen Freiheit, also „besonderer Anhaltspunkte dafür, warum die Redaktion sich nicht mit diesen Artikeln, wohl aber mit den von den Gerichten herangezogenen Beiträgen identifiziert.“

Solche „besonderen Anhaltspunkte“ führt das Verwaltungsgericht nicht an, sondern verweist nebulös und in einem klassischen Zirkelschluss – was bewiesen werden soll, wird vorausgesetzt – auf eine „Gesamtschau“ der Artikel und auf die „politische Ausrichtung der Redaktion“.

Das ist juristisch unhaltbar. In Wirklichkeit geht es darum, jede linke Kritik am kapitalistischen System und der Regierungspolitik als antidemokratisch zu verleumden, zu kriminalisieren und mundtot zu machen, selbst wenn sie – wie die Bundesregierung und das Verwaltungsgericht auch im Fall der jungen Welt zugeben – ausschließlich demokratische und friedliche Mittel dafür nutzt.

Das Gericht hat die antikommunistischen Tiraden gegen den Marxismus, gegen den Sturz des Kapitalismus, gegen den Sozialismus und gegen die Berufung auf den Klassenkampf teilweise über mehrere Seiten Wort für Wort aus dem Urteil gegen die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) übernommen. Es bestätigt damit eindrücklich die damalige Warnung der SGP:

„Das Urteil ergeht gegen die SGP, weil sie dieser Opposition eine Stimme und eine sozialistische Perspektive gibt, es richtet sich aber gegen jeden, der den Kapitalismus kritisiert und die rechte Politik der Regierung ablehnt. Auf der Grundlage dieses Urteils könnte jeder Buchautor, der sich positiv auf die marxistischen Klassiker bezieht, jeder Soziologe, der die Auswirkungen der sozialen Ungleichheit auf die Gesellschaft untersucht, jeder Journalist, der die rechten Terrornetzwerke in der Bundeswehr beleuchtet, und jeder streikende Arbeiter zum Verfassungsfeind erklärt werden.“

Genau dies hat nun mit dem Beschluss gegen die junge Welt stattgefunden. Die SGP und die World Socialist Web Site rufen alle Leser auf, die junge Welt und alle anderen Gruppen, die wegen linker Opposition gegen Kapitalismus, Militarismus und Imperialismus vom Verfassungsschutz bespitzelt und angegriffen werden, zu verteidigen.

Loading