Am Freitag griffen israelische Sicherheitskräfte in Zehnerreihen und in voller Kampfausrüstung Palästinenser an, die die bekannte Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh betrauerten. Sie entrissen den Trauernden, die den Sarg in die Jerusalemer Altstadt und dann auf den römisch-katholischen Friedhof auf dem Berg Zion bringen wollten, ihre palästinensischen Flaggen.
Die 51-jährige palästinensische Reporterin war am Mittwochmorgen von einem israelischen Scharfschützen ermordet worden, als sie mit Presseweste und Helm an einem Kreisverkehr stand und über die ständigen Razzien der israelischen Sicherheitskräfte in der Stadt Dschenin im Westjordanland berichtete. Ein weiterer Journalist musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Nach Abu Aklehs Tod stürmte die Polizei in das Haus der Familie und forderte sie auf, die palästinensische Flagge zu entfernen. Außerdem sollten die Anwesenden ihre Zusammenkunft und den gemeinsamen Gesang beenden.
Die Polizei ging am Tag der Beisetzung mit so brutaler Gewalt vor, dass die Träger den Sarg beinahe fallenließen. Soldaten setzten Schwammgeschosse und Blendgranaten gegen die Menschenmenge ein, die sich vor der Leichenhalle des Krankenhauses versammelt hatte. Abu Aklehs Familie musste schließlich ihre Pläne ändern und den Sarg in einem Auto wegbringen, nachdem Polizisten die daran befestigten palästinensischen Flaggen heruntergerissen hatten.
Der Mord an der Journalistin löste Empörung und Trauer aus. Tausende von Palästinensern versammelten sich, um Abschied zu nehmen und den Sarg durch die westjordanischen Städte Dschenin, Nablus und Ramallah zu tragen. Obwohl Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen Ost-Jerusalem nicht betreten dürfen, kamen aus ganz Israel christliche und muslimische Trauernde. Es wurde die größte palästinensische Trauerfeier seit Jahrzehnten, größer noch als die von Yassir Arafat in Ramallah 2004.
Die israelischen Behörden versuchen, die Palästinenser für den Mord an Abu Akleh verantwortlich zu machen und behaupten, sie sei zu Boden gegangen, als Palästinenser auf israelische Soldaten schossen. Als „Beweis“ dafür veröffentlichten sie ein offensichtlich gefälschtes Video, das palästinensische Kämpfer in einer engen Gasse zeigt. Die amerikanische Botschaft wies jede Verantwortung für die Untersuchung des Todes einer amerikanischen Staatsbürgerin von sich (Abu Akleh besaß die palästinensische und die amerikanische Staatsbürgerschaft) und teilte auf Twitter das Video.
Die Menschenrechtsorganisation B'Tselem erklärte nach einer Besichtigung des Tatorts, Abu Akleh könne unmöglich von dort aus getroffen worden sein. Am Freitag kam die Staatsanwaltschaft der Palästinenserbehörde (PA) nach einer Autopsie und Zeugenbefragungen zu dem Schluss, dass Abu Akleh bewusst von israelischen Truppen in den Kopf geschossen wurde. Angesichts der überwältigenden Beweise musste Israel seine Behauptung zurücknehmen und einräumen, dass sie möglicherweise von israelischen Streitkräften getötet wurde. Außerdem musste es der Palästinenserbehörde eine „gemeinsame Untersuchung“ anbieten, diese fordert jedoch eine unabhängige internationale Untersuchung.
Der Sprecher des israelischen Militärs, Ran Kochav, erklärte: „So etwas kann passieren.“ Er erklärte, Abu Akleh habe „unter bewaffneten Palästinensern gefilmt und berichtet. Sie sind mit Kameras bewaffnet, wenn ich das mal so sagen darf.“ Israel will unbedingt verhindern, dass sein kriminelles Vorgehen zur Unterstützung der jahrzehntelangen illegalen Besetzung ans Tageslicht kommt. Das Militär genießt die uneingeschränkte Unterstützung faschistischer Abgeordneter wie Itamar Ben-Gvir und der rechtsextremen Siedlerbewegung.
Die Ermordung einer Journalistin, die über die brutale Unterdrückung der Palästinenser durch Israel berichtet hat, ist ein Ergebnis der eskalierenden Klassenspannungen innerhalb Israels und Palästinas, die durch die immer konfliktgeladeneren internationalen Beziehungen auf der ganzen Welt angeheizt werden. In den letzten zwei Monaten haben die israelischen Streitkräfte im besetzten Westjordanland fast täglich Razzien veranstaltet, um „Terrorverdächtige“ zu verfolgen, und dabei mindestens 30 Palästinenser getötet sowie Hunderte verwundet. Besonders Dschenin, über das die korrupte Palästinenserbehörde die Kontrolle verloren hat, steht im Fokus der Angriffe. Zuvor waren 19 Israelis von verzweifelten Palästinensern getötet worden, die kaum bekannte Verbindungen zueinander oder zu bewaffneten Gruppen hatten.
Die seit langem kochende Wut der Palästinenser über die nahezu täglichen Ermordungen – alleine dieses Jahr wurden bisher 58 Palästinenser getötet –, die Gewalt der Siedler gegen ihre Bauernhöfe, Häuser und ihr Eigentum, die Räumungen, Abrisse von Häusern und die Ausweitung der israelischen Siedlungen hat sich durch die Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen im Westjordanland und dem Gazastreifen weiter gesteigert, vor allem nachdem die US-Sanktionen gegen Russland die Preise für Treibstoff, Düngemittel und Nahrungsmittel in die Höhe getrieben haben.
Israel genießt die uneingeschränkte Unterstützung der großen imperialistischen Mächte, die sich als Verteidiger von Demokratie und demokratischen Grundrechten inszenieren. Tatsächlich geht es um das Überleben der autokratischen Regimes in Saudi-Arabien, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jordanien sowie Israel, von deren Unterstützung der Imperialismus in der rohstoffreichen Region abhängig ist.
Während der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Abu Aklehs Ermordung einstimmig verurteilte und eine „sofortige, gründliche, transparente und unparteiische Untersuchung“ forderte, nutzten die USA ihren Einfluss, um eine internationale Untersuchung zu verhindern. Sie setzten sogar durch, dass aus dem Text einer Resolution jede Erwähnung der israelischen Gewalt bei der Trauerfeier gestrichen wurden.
Israel kann sich darauf verlassen, dass die kommerziellen und staatlichen Mainstreammedien im Westen seine verlogene Darstellung der Ereignisse weiterverbreiten. Selbst jetzt erklären die Medien, die zunächst Israels Version von Abu Aklehs Ermordung übernommen hatten, nur, dass die Umstände ihres Todes untersucht werden.
Die Berichterstattung der New York Times war so einseitig, dass die US-Organisation Jewish Voice for Peace (JVP), die Israels Besetzung der Palästinensergebiete bekämpft, ihre Mitglieder dazu aufrief, von den Redakteuren der Zeitung eine bessere Berichterstattung einzufordern. Die Kommunikationsdirektorin von JVP, Sonya E. Meyerson-Knox, erklärte gegenüber Middle East Eye, die westlichen Medien hätten „einfach die Behauptungen des israelischen Militärs nachgeplappert“, statt über die Fakten zu berichten, die von anderen Journalisten, Videoclips und Menschenrechtsorganisationen bestätigt wurden.
Israel ist seit langem für seine Morde an palästinensischen Journalisten berüchtigt. Am Sonntag, dem 15. Mai, hielten Journalisten vor dem Hauptsitz der BBC in der Londoner Innenstadt 55 Pressewesten aus Papier hoch – eine für jeden Journalisten, der seit dem Jahr 2000 durch die israelische Regierung ermordet worden ist. Der 15. Mai ist der Jahrestag der Nakba, wie die Palästinenser die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 nennen, bei der etwa 750.000 Palästinenser fliehen mussten oder aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die Protestveranstaltung war Teil des March for Palestine von der BBC zum Amtssitz des Premierministers in der Downing Street, an dem 15.000 Menschen teilnahmen.
Zuvor hatte die britische Regierung am 10. Mai ein Gesetz angekündigt, das Kommunalräten, Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen die Teilnahme an Boykottkampagnen verbietet, deren Ziel es ist, die internationale Unterstützung für Israels Unterdrückung der Palästinenser zu beenden.
Am Freitag bestätigte das Berliner Verwaltungsgericht das Verbot von palästinensischen Demonstrationen am „Nakba-Tag“ in der deutschen Hauptstadt am Wochenende. Deutschland ist ein wichtiger Unterstützer Israels und hat lange über das brutale Vorgehen der Regierung im Westjordanland und Ost-Jerusalem geschwiegen.
Das Gericht rechtfertigte das Verbot von fünf palästinensischen Demonstrationen mit der Behauptung, es drohten aufwieglerische oder antisemitische Parolen, Einschüchterungsversuche und Gewalt. Die palästinensischen Organisatoren haben mehrfach betont, sie riefen nicht zum Antisemitismus auf.
Das Gericht führte auch den „hohen Mobilisierungsgrad“ am Nakba-Tag als relevanten Faktor an. Damit bezog es sich auf die Tatsache, dass letztes Jahr mehr als 10.000 Menschen an einer Demonstration zum Nakba-Tag und an Protesten gegen Israels mörderische Luftangriffe auf Gaza seit dem 10. Mai 2021 teilgenommen hatten.
Das Verbot galt auch für eine für Freitagabend geplante Veranstaltung der Jüdischen Stimme, einer Gruppe, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt. Im Mittelpunkt sollte die Ermordung von Abu Akleh stehen.
Letzten Monat hatten die deutschen Medien berichtet, Juden seien während einer pro-palästinensischen Protestveranstaltung in Berlin antisemitisch beschimpft worden. Doch der Vorsitzende der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Wieland Hoban, erklärte, dabei habe es sich nur um einen Vorwand gehandelt, um Solidarität mit den Palästinensern zu verhindern. Die Ermordung von palästinensischen Journalisten sei ein Versuch, Informationen und Wahrheit zu töten. Genau dasselbe tue die Berliner Polizei, indem sie Demonstrationen unterdrücke.
Die deutschen Behörden hatten mehr als 1.000 Beamte mobilisiert, um das Verbot von Solidaritätsdemonstrationen für die Palästinenser zu verhindern und Demonstranten anzugreifen, einzukesseln und zu verhaften.