Wahlergebnis in Australien: Tiefes Misstrauen in Labor und die Liberal-Nationale Koalition

Die australische Parlamentswahl am Samstag hat eine historische Krise des Zweiparteiensystems offengelegt. Millionen Menschen entzogen Labor und der Liberal-Nationalen Koalition, den traditionellen Parteien der kapitalistischen Herrschaft, ihr Vertrauen.

Der neue australische Premierminister Anthony Albanese beim Aufbruch zu dem Treffen der Quad-Gruppe in Tokio (Foto: Twitter-Account von Anthony Albanese)

Labor und die Koalition verzeichneten mit zusammen 68,5 Prozent der Erststimmen das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. In den letzten Wahlen hatten sie zusammen noch 74 Prozent erzielt und 81 Prozent im Jahr 2010. Auch erzielten die so genannten Kleinparteien und unabhängigen Kandidaten mit 31,5 Prozent ein Rekordergebnis.

Premierminister Scott Morrison von der National-Liberalen Koalition gestand am Samstagabend seine Niederlage ein und erklärte, seine Priorität sei jetzt die Gewährleistung von „Sicherheit“. Labor-Chef Anthony Albanese wurde am Montagmorgen ungewöhnlich schnell als Premierminister vereidigt. Allerdings ist noch unklar, ob Labour mit derzeit 72 Sitzen im Repräsentantenhaus die für eine Mehrheitsregierung notwendigen 76 Sitze zusammenbekommen wird.

Unabhängig vom Ergebnis kann Albaneses Behauptung, er gehe „an die Arbeit“, nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Wahlergebnis eine immense Krise offengelegt hat. Labor hat weniger als ein Drittel der Stimmen erzielt – das schlechteste Ergebnis einer neuen Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg.

Sowohl Labor als auch die Koalition haben keinen Rückhalt mehr in der breiten Masse. Zwischen der Stimmung der Masse der Bevölkerung und dem verknöcherten politischen Establishment, das den Banken, Konzernen und dem Militär- und Geheimdienstapparat dient, hat sich über Jahrzehnte eine enorme Kluft entwickelt.

Im Vorfeld der Wahl befand sich die Koalition in einer schweren Krise, in der sich Fraktionskonflikte zu offenen Kämpfen entwickelten. Morrison hatte sich den Hass der Massen zugezogen, weil er den Opfern von Buschbränden und den Zehntausenden von Geschädigten durch die Überschwemmungen in diesem Jahr mit kalter Gleichgültigkeit begegnete. In der Pandemie hat er mit seiner Durchseuchungspolitik eine massive Ausbreitung des Virus verschuldet.

Die Zahl der Erststimmen für die Koalition ist zwar um etwa 5,7 Prozent gesunken, und sie hat 16 Sitze verloren, aber auch der Anteil von Labor ging um 0,5 Prozent zurück. In der Masse breitet sich die Erkenntnis aus, dass es zwischen den Parteien keine Unterschiede gibt. Beide großen Lager unterstützen Krieg und Militarismus, eine profitgetriebene Corona-Politik und die Offensive gegen die Löhne und Lebensbedingungen der Arbeiter.

Der Wahlkampf war, was rechte Standpunkte anging, beispiellos in der Geschichte Australiens. Labor und die Koalition versuchten, mit Unterstützung der Medien und der anderen Parteien im Parlament, die Diskussion auf entwürdigende Schlammschlachten und geistlose Ablenkung zu beschränken, während sie sich in den wichtigen Themen einig waren.

Gleichzeitig führten Morrison und Albanese einen Wahlkampf im Verborgenen, in dem sie sich der herrschenden Elite als das jeweils beste Werkzeug anboten, um Australiens führende Rolle bei den US-Plänen für einen Konflikt mit China zu spielen und umfangreiche Sparmaßnahmen und eine wirtschaftsfreundliche Umstrukturierung durchzusetzen, wie es das Großkapital erwartet.

Sowohl Labor als auch die Koalition versuchten, eine „Khaki-Wahl“ (Wahl zu Kriegszeiten) zu organisieren. Beide erklärten, es sei notwendig, sich auf einen Krieg gegen China vorzubereiten. Doch die Versuche, Kriegsstimmung anzuheizen, stießen in der Bevölkerung kaum auf Resonanz.

Abgesehen von der Kriegsfrage versuchten die großen Parteien, Diskussionen über die ausufernde globale Krise des kapitalistischen Systems auszuklammern. Fern jeder Realität behaupteten sie, Australien stehe an der Schwelle eines wundersamen Wirtschaftsaufschwungs, und die Pandemie sei vorbei.

Doch wie nur die Socialist Equality Party erklärte, war die Wahl 2022 von den direkten Auswirkungen großer internationaler Entwicklungen auf Australien geprägt. Inmitten des Wahlkampfs nahm die Covid-Welle deutlich zu, was zu etwa 50.000 Neuinfektionen und mindestens 40 Todesfälle pro Tag führte.

Auch die globale Krise der Lebenshaltungskosten rückte in den Vordergrund. Die offizielle Inflation erreichte mit 5,1 Prozent den höchsten Stand seit 30 Jahren. Die Reserve Bank of Australia erhöhte zum ersten Mal seit elf Jahren die Zinsen, was die soziale Krise für Millionen von Hypothekenschuldnern verschärft.

Auch der globale Ausbruch des Klassenkampfs machte sich bemerkbar. Die Labor-nahen Gewerkschaften konnten, im Gegensatz zu früheren Wahlkämpfen, Streiks und Proteste nicht verhindern. Es kam zu größeren Ausständen, zum Beispiel von Lehrern der staatlichen Schulen, Krankenhaus- und Altenpflegekräften und Universitätspersonal.

Die zunehmende Radikalisierung der Arbeiterklasse zeigte sich am deutlichsten im anhaltenden Niedergang des Stimmanteils für die Labor Party.

Im Jahr 2019 hatte Labor eine als sicher geltende Wahl verloren. Damals sank die Zahl der Erststimmen mit 33 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 1934. Am stärksten waren die Rückgänge bei Arbeitern. Dieser Trend hat sich im Jahr 2022 wiederholt: Die Zahl der Erststimmen für Labor ging erneut um 0,5 Prozent zurück. In den westlichen Vororten von Sydney und Melbourne stagnierte der Anteil oder ging noch weiter zurück.

In einigen Bezirken, darunter Calwell in Melbourne, in dem sich früher das Zentrum der Autoindustrie Broadmeadows befand, sank der Anteil von Labor um über sieben Prozent. Die zur Parteispitze zählende Kristina Keneally verlor das „sichere“ Labor-Mandat in Fowler, einem westlichen Vorort von Sydney.

Labor hat im ganzen übrigen Land mit Ausnahme von Westaustralien nur vier Sitze dazugewonnen, dafür in Brisbane einen an die Grünen verloren. Die neu gewonnenen Sitze repräsentieren bessergestellte Gebiete wie Chisholm und Higgins in den begüterten Teilen von Melbourne.

Der Anteil der Koalition ging um 5,7 Prozent zurück. Die Liberalen verzeichneten das schlechteste Ergebnis seit 1983. Die Partei wird mindestens 16 Sitze verlieren, darunter „Blue Ribbon“-Wahlkreise, die die Liberal Party seit ihrer Gründung 1944 kontrolliert hat. Der ehemalige Finanzminister Josh Frydenberg, der Morrison als Liberaler Parteichef ersetzen sollte, verlor sein Mandat im Melbourner Stadtteil Kooyong genauso wie andere wichtige Parteimitglieder.

Die Liberalen haben hauptsächlich an „türkise“ unabhängige Kandidaten verloren, die in einigen der reichsten Wahlkreisen des Landes antraten und Phrasen über den Klimawandel mit feministischer Stimmungsmache und unternehmerfreundlicher Wirtschaftspolitik verbanden.

Die Zukunft der Koalition ist angesichts dieses Ergebnisses fraglich. Führende Parteimitglieder haben die Möglichkeit eines Bruchs der Koalition und weitere Spaltungen in der Liberal Party eingeräumt.

Die Grünen haben zwei neue Sitze in der Innenstadt von Brisbane gewonnen und den Sitz in Melbourne gehalten. Ihre Verurteilung der Untätigkeit, was den Klimawandel angeht, stieß in Brisbane auf Resonanz, das schwer von Überschwemmungen betroffen war. Doch auch die Grünen und die unabhängigen Türkisen verteidigen das kapitalistische System, das für die Klimakatastrophe verantwortlich ist.

Dass die rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien trotz der schlechten Ergebnisse der großen Parteien keine Zugewinne erzielen konnten, zeigt, dass die arbeitende Bevölkerung nicht nach rechts, sondern nach links rückt.

West Australia (WA) war der einzige Bundesstaat, in dem Labor seinen Anteil vergrößern konnte. Hier wird die Partei vermutlich vier Sitze im Repräsentantenhaus erhalten. Die Abstimmung war eine Retourkutsche für Morrison, der von West Australia gefordert hatte, seine Maßnahmen zur Unterdrückung der Pandemie aufzugeben. Allerdings setzte die Labor-Regierung von Westaustralien die Sicherheitsmaßnahmen kurz vor der Wahl ebenso aus wie andere Bundesstaaten zuvor, sodass sich Hunderttausende infizierten und Tausende starben.

Die Mainstreammedien reagierten nervös auf das Wahlergebnis, und viele Kommentare warnten vor einer existenziellen Krise des bestehenden politischen Systems. Laut der Murdoch-Presse, die Morrison unterstützt hatte, wird Albanese eine Mehrheitsregierung bilden können, was jedoch noch lange nicht sicher ist. Die Grünen und die Türkisen versprachen, sich für „parlamentarische Stabilität“ einzusetzen.

Nur die Socialist Equality Party warnte vor der weiteren Kriegsentwicklung. Wie sie erklärte, wird der Kurs der nächsten Regierung, egal welche Partei oder Koalition sie stellt, von der ausufernden globalen Krise des Kapitalismus geprägt sein. Weiter werden der Kurs der USA auf einen Weltkrieg gegen China und Russland und die Forderungen der Wirtschaftselite nach Angriffen auf Löhne und Arbeitsbedingungen den Regierungskurs bestimmen.

Albanese hat sofort Signale ausgesandt. Am Montag reiste er nach Japan zu dem Treffen der Quad-Gruppe, dem de facto-strategischen Bündnis der USA, Japans, Indiens und Australiens gegen China. US-Präsident Joe Biden hatte ihm am Sonntag telefonisch gratuliert und Australiens entscheidende strategische Bedeutung bei den Kriegsvorbereitungen der USA im asiatischen Pazifik unterstrichen.

Albanese erklärte außerdem, sein Wirtschaftsteam werde bereits am Montagmorgen die Arbeit aufnehmen und ein „Gipfeltreffen“ aus Regierung, Gewerkschaften und Unternehmen vorbereiten. Da die Staatsverschuldung fast eine Billion Dollar beträgt, die Inflation steigt und weitere Zinserhöhungen bevorstehen, bereitet die Labor-Regierung eine korporatistische Kabale vor, um - wie alle herrschenden Eliten der Welt - die Arbeiterklasse frontal anzugreifen.

Dieses Programm wird die Wut und Feindschaft von Millionen von Arbeitern weiter verschärfen. Die Streiks und Proteste im Wahlkampf sind ein Vorgeschmack auf große Ausbrüche des Klassenkampfs in den kommenden Wochen und Monaten.

Doch Wut und Ablehnung reichen nicht aus. Die Lehre aus dieser Wahl ist, dass Arbeiter innerhalb des zunehmend zersplitterten parlamentarischen Systems und bei den Parteien, die es unterstützen, keinen Ausweg finden. Notwendig sind eine politische Perspektive und eine Partei, die für die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse kämpft.

Diese Position hat die SEP in ihrem Wahlkampf vertreten. Nur sie hat die großen internationalen Themen angesprochen, die von allen anderen Parteien unterdrückt wurden, und ein sozialistisches Aktionsprogramm für die bevorstehenden Kämpfe der Arbeiterklasse gegen Krieg, Austerität und Durchseuchungspolitik sowie den Angriff auf demokratische Rechte vorgelegt.

Die Kandidaten der SEP für den Senat von NSW, Queensland und Victoria gewannen eine kleine, aber bedeutende Anzahl von Stimmen: Mehrere Tausend Wähler zeigten damit ihre Unterstützung für eine echte revolutionäre sozialistische Alternative. Unsere Kandidaten mussten als Unabhängige auf den Wahlzetteln erscheinen, weil die SEP aufgrund undemokratischer Wahlgesetze von der Wahl ausgeschlossen war. Die Labor Party und die Koalition hatten diese Gesetze letztes Jahr durch das Parlament gepeitscht. So war jede Stimme für die SEP eine bewusste Stimme für eine sozialistische Perspektive.

Wir rufen Arbeiter und Jugendliche auf der ganzen Welt, die nach einem Ausweg suchen, dazu auf, sich noch heute mit der World Socialist Web Site in Verbindung zu setzen. Schließt euch dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) an und tragt dazu bei, die internationale Partei der Arbeiterklasse aufzubauen.

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