Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen: Ein tödlicher Unfall mit Ansage

Am vergangenen Freitag kam es auf der Regionalbahnstrecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und München bei Burgrain zu einem dramatischen Zugunglück. Noch bevor der Zug die erste Station im Ort Farchant erreichte, entgleisten aus bislang noch ungeklärten Gründen alle fünf Wagen und die Lokomotive auf der eingleisigen Strecke in einem Linksbogen.

Die am Unfall beteilige Lokomotive mit ähnlichen Doppelstockwagen, 2011 (Paul Smith, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons) [Photo]

Bei dem schweren Unglück kamen fünf Menschen ums Leben. Unter den Opfern befinden sich vier Frauen im Alter von 30, 39, 51 und 70 Jahren sowie ein Junge im Alter von 13 Jahren. Die mehr als 40 Verletzten wurden in Krankenhäuser in der Umgebung, teilweise auch in Österreich eingeliefert. Mehrere der Opfer befanden sich Anfang der Woche noch in einem kritischen Zustand. Alle noch als vermisst gemeldeten Personen konnten unterdessen gefunden werden.

Insgesamt waren etwa 140 Fahrgäste in dem aus fünf Doppelstockwagen bestehenden Zug, darunter viele Schüler, die mit Beginn der Pfingstferien in Bayern auf dem Weg nach Hause waren.

Die Bilder vom Unfallort lassen das schreckliche Ausmaß des Unglücks nur erahnen: Zwei Waggons wurden aus der Spur gerissen, stürzten eine Böschung hinab und blieben zertrümmert und ineinander verkeilt liegen. Lange war unklar, ob sich weitere Menschen unter den umgestürzten Wagen befinden.

„Vom Unfallhergang wussten wir, dass in dem mittleren Waggon wohl Menschen herausgeschleudert worden sind,“ sagte Stephen Jaklitsch vom Technischen Hilfswerk (THW) dem Bayerischen Rundfunk (BR). Die restlichen Wagen und die Lokomotive blieben mit starker Neigung im Gleisbett stehen.

In Bayern kamen in den letzten Jahren zahlreiche Menschen durch schwere Zugunglücke ums Leben. Zwischen Bad Aibling und Kolbermoor stießen 2016 zwei Meridian-Züge frontal aufeinander, zwölf Menschen starben. In der Nähe von Aichach kam es 2018 zu einem folgenschweren Zusammenstoß zwischen einem Regionalzug und einem Güterzug. Zwei Menschen, darunter der Lokführer, verloren ihr Leben. Im Februar dieses Jahres stießen südlich von München zwei S-Bahnen frontal zusammen; ein Mensch starb bei dem Unfall.

Zum Unfallhergang nahe Garmisch-Partenkirchen ermittelt derzeit die Soko „Zug“. Die Staatsanwaltschaft München II hat außerdem einen externen Gutachter zur Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens beauftragt. Bis zur endgültigen Klärung der Unfallursache könnte es Monate dauern.

Die meisten Experten gehen aber inzwischen davon aus, dass nur ein technischer Defekt der Schienen oder der Fahrgestelle des Zugs als Unfallursache in Frage kommt. Der Professor für das Fachgebiet Schienenfahrzeuge an der TU Berlin, Markus Hecht, sagte der Wirtschaftswoche: „Es kommt eigentlich nur eine Gleisverwerfung als Ursache in Frage.“ Oft verformten sich Gleise erst in dem Moment, wenn ein Zug darüberfahre. Ursache könne etwa ein Instandhaltungsfehler am Gleis sein.

Der Verdacht, dass mit den Gleisen etwas nicht in Ordnung war, drängt sich um so dringender auf, als die Infrastruktur der Bahn bekanntermaßen in einem katastrophalen Zustand ist. Nur fünf Tage vor dem Zugunglück erklärte Bahn-Chef Lutz, das Bahnnetz sei vielerorts völlig marode und dringend sanierungsbedürftig. Er sprach von einem Sanierungsrückstand von 20 Jahren.

Der Spiegel, der dem Thema am Tag vor dem Unglück seine Titelstory widmete, zitiert einen Lokführer mit 33 Jahren Berufserfahrung: „Mit der Privatisierung der Bahn im Jahr 1994 habe die fatale Entwicklung begonnen. Wertvolle Schienenwege seien abgebaut worden, Ressourcen verknappt, dringend nötige Sanierungen unterblieben.“

Die DB-Netz, eine hundertprozentige Tochter der Bahn AG, die für das Schienennetz zuständig ist, wurde in dieser Zeit im letztlich gescheiterten Versuch, die Bahn gewinnbringend an die Börse zu bringen, immer wieder umgebaut und kaputtgespart.

Die Strecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und München war berüchtigt wegen der vielen schadhaften Stellen, die die Züge zur Drosselung der Geschwindigkeit zwangen, mit entsprechenden Verspätungen. Laut einem Bericht der Welt waren auf der Unfallstrecke demnächst Sanierungsarbeiten geplant. Die Deutsche Bahn weigert sich mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen, dies zu kommentieren.

Die Süddeutsche Zeitung zitiert Norbert Moy vom Fahrgastverband Pro Bahn, der bestätigt, dass es in den vergangenen Jahren auf der Garmischer Strecke bei Passagieren häufiger Ärger gab. „Die Reparaturtrupps sind einfach nicht so schnell auf der Schiene,“ meinte er. Sein Verband habe schon 2007 in einem Papier für die Rückkehr zu einer mehr „präventiven Instandhaltung“ plädiert, „um wieder einen störungsfreien Betrieb zu gewährleisten“. Auch andere Verkehrsverbände forderten seit Jahren, mehr Geld in die Schieneninfrastruktur und ihren Erhalt zu stecken – ohne Erfolg.

Dem Münchner Merkur sagte Moy außerdem, dass die nun verunglückten Doppelstockwagen erst seit 2018 auf der Strecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und München zum Einsatz kommen. Zuvor fuhren dort modernere Triebzüge der Baureihe 442 „Talent“ aus den 2000er-Jahren, die dann an den Flughafenexpress „ÜFEX“ zwischen Regensburg und dem Münchener Flughafen abgetreten werden mussten.

Trotz der erdrückenden Hinweise auf technische Mängel ermittelt die Staatsanwaltschaft München II gegen drei Mitarbeiter der Deutschen Bahn wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung. Sie bezeichnet das als Routinevorgang, nennt keine Namen und betont, dass die Unschuldsvermutung gelte. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass ein Lokführer oder Bahnangestellter als Sündenbock für das Versagen der Bahn herhalten muss.

Während für die Sicherheit der Bahn und ihrer Passagiere kein Geld da ist, mangelt es nicht daran, wenn es um lukrative Prestigeobjekte geht. Es grenzt an Ironie, dass nur einige Tage vor dem Unglück und nur wenige Kilometer von der Unglücksstelle entfernt der Tunnel Oberau eröffnet wurde, der die Autobahn aus München vierspurig bis an den Ortseingang des Ski- und Ferienressorts Garmisch-Partenkirchen verlängert.

Kostenpunkt für das gesamte Projekt: 204 Millionen Euro. Das Geld hatte der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in seinen Wahlkreis in der Region geleitet.

Auf das Unglück folgten umgehend die üblichen Krokodilstränen und hohlen Mitleidsbekundungen der herrschenden Klasse. Sie schwadronierten von „Gedanken und Gebeten“, die jetzt den Opfern des Zugunglücks gelten, gefolgt von den üblichen Versprechen, die Unglücksursache umfassend aufzuklären. All das wird den Verletzten, den Hinterbliebenen der Opfer sowie den traumatisierten Rettungskräften nicht helfen.

Der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) wies unverhohlen jede Verantwortung von sich. Es werde derzeit davon ausgegangen, „dass irgendeine technische Ursache entweder am Fahrzeug oder am Gleis die Ursache sein müsste“, sagte er im Interview mit dem Bayrischen Rundfunk. Der Freistaat sei hierfür nicht verantwortlich, so Bernreiter, denn „der Ausbau der Schienen-Infrastruktur ist Aufgabe des Bundes“.

Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) machte deutlich, dass seine eigentliche Sorge nicht den Opfern und Verletzten gilt, sondern dem G7-Gipfel, der zwischen dem 26. und 28. Juni im Schloss Elmau unweit der Unglücksstelle stattfinden wird. Aufgabe des Gipfels wird es sein, den Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine zu verschärfen.

Für den G7-Gipfel wird auch die Wiederherstellung der Infrastruktur zurückgestellt. „Man muss ohnehin sehen, inwieweit mit Blick auf den G7-Gipfel Baumaßnahmen durchgeführt werden können“, so Hermann gegenüber dem BR. Er bezog sich auf einen Oberleitungsmast, den einer der entgleisenden Waggons mit sich gerissen hatte und der auf der Seitenwand des Wagens liegen blieb. Der Tunnel Oberau wird derweil auch als Anfahrtsstrecke zum G7-Gipfel auf Schloss Elmau dienen.

Das tragische Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen bestätigt, was bereits die „Profite vor Leben“-Politik in der Pandemie und das 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm der Bundeswehr gezeigt haben, während Krankenhäuser und Schulen kaputtgespart werden: Wenn es um das Profitstreben der Banken und Konzerne und den Anstieg der Aktionkurse geht, sind Menschenleben nichts wert.

Loading