Am Dienstag vergangener Woche wurde Hendrik Wüst (CDU) vom Landtag Nordrhein-Westfalen (NRW) zum Ministerpräsidenten gewählt. Am Tag darauf stellte er die zwölf Minister der neuen schwarz-grünen Landesregierung vor. Vier Ministerien gehen an die Grünen, darunter ein sogenanntes „Superministerium“ für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, das von der Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur geführt wird.
Die Koalitionsbildung im einwohnerstärksten Bundesland unterstreicht vor allem zwei Dinge: erstens, wie austauschbar alle etablierten Parteien sind, und zweitens, welche zentrale Rolle die Grünen dabei spielen, die rechte Regierungspolitik gegen die wachsende Opposition von Arbeitern und Jugendlichen durchzusetzen.
Neben der Bundesregierung sind die Grünen mittlerweile in elf der 16 Landesregierungen vertreten. In Berlin, Bremen und Thüringen regieren sie zusammen mit SPD und Linkspartei, in Sachsen und Brandenburg mit CDU und SPD, in Rheinland-Pfalz mit SPD und FDP und in Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein – wo ebenfalls in der letzten Woche eine neue Landesregierung vereidigt wurde – mit der CDU.
Wie die Ampel auf Bundesebene bezeichnet sich die NRW-Koalition als „Fortschrittsregierung“. Das Koalitionspapier trägt den hochtrabenden Titel „Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen“. Ein genauerer Blick in das 146-seitige Dokument macht jedoch deutlich, dass die offiziellen Versprechungen von Klimaneutralität und einiger sozialer Maßnahmen reine Augenwischerei sind. Im Kern ist der Koalitionsvertrag eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse.
Bereits in der Einleitung stellen sich die Koalitionäre unter Bemühung der bekannten Propagandaphrasen von „Demokratie, Freiheit und Menschenrechte“ hinter den Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine. Übersetzt heißt das, dass die Politik der schwarz-grünen Landesregierung in Düsseldorf in den Dienst der Kriegspolitik gestellt wird. Die Kosten sollen auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden – durch explodierende Lebenshaltungskosten, Inflation, Massenarbeitslosigkeit und immer stärkere Verarmung.
Im Zentrum der Haushaltspolitik steht die strikte Einhaltung der Schuldenbremse, der am Ende auch Versprechen wie die Einstellung von neuen Lehrkräften, bessere Arbeitsverhältnisse, höhere Löhne im Bereich der Pflege und ein drittes beitragsfreies Kitajahr zum Opfer fallen dürften.
„Wir werden Haushalte ohne neue Schulden aufstellen, wie es die grundgesetzliche Schuldenbremse samt Ausnahmen für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen als Voraussetzung einer nachhaltigen und generationengerechten Haushaltspolitik vorsieht,“ heißt es im Koalitionsvertrag. Und dann noch expliziter: „Dies erfordert eine strikte Ausgabendisziplin und eine entschlossene Priorisierung und stellt alle bestehenden und zusätzlichen finanzwirksamen Ausgaben unter Haushaltsvorbehalt.“
Auch die Gelder, die im Zuge der Corona-Pandemie vor allem an große Unternehmen und die Superreichen geflossen sind, sollen wieder aus der Arbeiterklasse herausgepresst werden. „Spätestens im Jahr 2024“ werde man „mit dem Einstieg in die konjunkturgerechte Tilgung der für den Corona-Rettungsschirm aufgenommen Kredite beginnen.“
Wie alle anderen Regierungen in Bund und Ländern stellt auch Schwarz-Grün in NRW die Interessen und Profite der Wirtschaft über die Gesundheit und das Leben der Menschen. Trotz der nach wie vor grassierenden Pandemie findet sich im Koalitionsvertrag keine einzige konkrete Maßnahme zur Eindämmung von Corona.
Auch der Klimaschutz wird vollständig der Profitorientierung der Wirtschaft untergeordnet. „Wir machen Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“, heißt es im Koalitionsvertrag. „Dabei stellen wir sicher, dass unser Land einer der innovativsten, nachhaltigsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsstandorte in Europa wird.“
Die Wörter „Wettbewerb“ und „wettbewerbsfähig“ finden sich gleich 22 Mal im Text.
Es ist klar, was das bedeutet. Unter dem Schlagwort der „Transformation“ (52 Mal im Text) wird die neue Landesregierung die Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne noch aggressiver fortsetzen als die Vorgängerregierungen. Hohe Arbeitslosigkeit und Armut prägen seit langem die Arbeiterviertel in der Industrieregion.
Um die sozialen Angriffe durchzusetzen und die wachsende Opposition dagegen in Schach zu halten, setzt die Landesregierung auf eine enge Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Man wolle „starke Sozialpartner“ und die „hohe Qualität der Mitbestimmung in Nordrhein-Westfalen weiter pflegen und unterstützen“, heißt es im Abschnitt „Arbeitsmarkt“. Dafür sei „die Arbeit von Betriebsräten und Gewerkschaften sowie Arbeitgeberverbänden essenziell“.
Gleichzeitig wird der staatliche Sicherheitsapparat massiv ausgebaut. Die Regierungsparteien verpflichten sich darauf, jährlich tausende zusätzliche Polizeikräfte einzustellen. Die bereits unter der letzten Regierungskoalition aus CDU und FDP begonnene Ausrüstung der Polizei mit Tasern soll beibehalten und fortgesetzt werden. Die Grünen, die sich in der Opposition noch dagegen ausgesprochen hatten, unterstützen dies jetzt und verbinden es mit dem Einsatz von Bodycams und einem Evaluierungsprozess bis 2024.
Teile des Kapitels zur inneren Sicherheit lesen sich wie ein Strategiepapier zur Errichtung eines Polizeistaats. „Wir sichern eine qualitativ aus- und fortgebildete, personell gut aufgestellte und motivierte Polizei. Die personelle Stärkung der Polizei mit Polizeivollzugs- und Verwaltungsbeamtinnen und -beamten sowie Regierungsbeschäftigten setzen wir konsequent fort. Wir werden daher jährlich 3.000 Polizeikräfte einstellen.“
Dabei benötigten die Sicherheitsbehörden „zur Erfüllung ihrer Aufgaben … hinreichende Eingriffsbefugnisse,“ heißt es im Koalitionsvertrag weiter. Genannt werden u.a. die „polizeiliche Videoüberwachung“ und die Stärkung der „kommunalen Ordnungsdienste“. Das noch von der Vorgängerregierung auf den Weg gebrachte extrem repressive Versammlungsgesetz soll beibehalten und lediglich „Ende 2023 unabhängig und wissenschaftlich“ überprüft werden. Der Verfassungsschutz wird „als notwendiges Frühwarnsystem“ zur „Beobachtung verfassungs- und demokratiefeindlicher Bestrebungen“ gepriesen.
Gerechtfertigt wird die massive innere Aufrüstung vor allem mit dem Kampf gegen „Hasskriminalität“ und „Rechtsextremismus“. Das ist reine Propaganda. Gerade die NRW-Polizei ist berüchtigt für rechtsradikale Netzwerke, die rechtsextreme Hetze verbreiten und Hitler und den Nazis huldigen. Und das Innenministerium unter Leitung von Herbert Reul (CDU), der bezeichnenderweise im Amt bleibt, ist berüchtigt dafür, die rechten Strukturen abzudecken.
Auch der Verfassungsschutz ist ein Zentrum der rechtsextremen Verschwörung im Staatsapparat und führt einen regelrechten Krieg gegen links. Schwarz-Grün unterstützt diesen Kurs. „Unsere Gesellschaft steht auch vor der Herausforderung linksextremistischer Bestrebungen – dagegen werden wir vorgehen,“ heißt es im Koalitionsvertrag.
Auch die Flüchtlingspolitik liegt – trotz einiger blumiger Worte über Integration und kulturelle Vielfalt im Koalitionsvertrag – de facto auf der Linie der rechtsextremen AfD. „Da, wo ein Asylantrag abgelehnt wurde und es keine weiteren aufenthaltsrechtlichen oder humanitären Bleibegründe gibt, muss die Ausreise durch eine freiwillige Rückkehr oder eine Rückführung erfolgen“, heißt es im Text.
Priorität habe zwar „die konsequente und rechtmäßige Abschiebung von Straftätern und Gefährdern“, aber auch „Abschiebungen aus Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie Krankenhäusern und psychiatrischen Einrichtungen“ seien möglich. Man wolle lediglich „alles unternehmen“, um diese zu „vermeiden“, erklären die Koalitionäre zynisch.
Welche grundlegende Entwicklung diese reaktionäre Agenda treibt, wird immer klarer. Das bevölkerungsreichste Bundesland mit seiner historisch kämpferischen Arbeiterklasse ist ein soziales Pulverfass. Seit mehr als zehn Wochen streiken die Pflegekräfte an den Unikliniken Nordrhein-Westfalens. Die Regierungsparteien sind sich über die wachsende Opposition der Bevölkerung gegen den Krieg und die unerträglichen Lebensbedingungen bewusst.
Die Klassenspaltung, die enorme Kluft zwischen der herrschenden Elite und der arbeitenden Bevölkerung, war bereits in der Landtagswahl am 15. Mai deutlich zum Ausdruck gekommen. Mit knapp 55 Prozent fiel die Wahlbeteiligung auf ein historisches Tief. 5,8 Millionen der knapp 13 Millionen Wahlberechtigten blieben zuhause, etwa gleich viele, wie zusammen für die drei stärksten Parteien – CDU, SPD und Grüne – stimmten.
„Die Wahl in NRW bestätigt, dass es für die Arbeiterklasse unmöglich geworden ist, im Rahmen des verknöcherten parlamentarischen Systems ihren Interessen Geltung zu verschaffen“, kommentierte die WSWS das Wahlergebnis. „Der Kampf gegen Krieg, Sozialabbau und Staatsaufrüstung erfordert die Entwicklung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse, die sich international zusammenschließt und für ein sozialistisches Programm eintritt.“
Die Bildung der schwarz-grünen Landesregierung auf einer dezidiert rechten Grundlage verleiht dieser Perspektive eine enorme Dringlichkeit.