Italien droht eine rechtsextreme Regierung

Es wird immer wahrscheinlicher, dass in diesem Herbst, genau hundert Jahre nach Benito Mussolinis Marsch auf Rom, in Italien eine neofaschistische Partei die Regierung übernimmt.

Die Vorsitzende der Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, spricht im Februar 2022 auf der CPAC-Konferenz in Texas

Knapp sieben Wochen vor der Parlamentswahl am 25. September liegt das Rechtsbündnis – bestehend aus den neofaschistischen Fratelli d’Italia, der rechtsextremen Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia – in den Umfragen deutlich vorn. Mit einem Stimmenanteil von 45 Prozent könnte es aufgrund des komplizierten italienischen Wahlsystems – einer Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht, das größere Partien und Parteienbündnisse deutlich bevorteilt – rund 60 Prozent der Mandate gewinnen.

Innerhalb des Rechtsbündnisses wiederum liegen die Fratelli mit 24 Prozent an der Spitze, gefolgt von der Lega mit elf und Forza Italia mit acht Prozent. Giorgia Meloni, die 45-jährige Vorsitzende der Fratelli, gilt daher als aussichtsreichste Kandidatin für das Amt der Regierungschefin.

Meloni führt eine Partei, die in der ungebrochenen historischen Kontinuität von Mussolinis faschistischer Bewegung steht und die bis heute deren Symbol, die grün-weiß-rote Flamme, in ihrem Wappen trägt. Meloni trat im Alter von 15 Jahren der Jugendorganisation des Movimento Sociale Italiano (MSI) bei, das nach Mussolinis Tod die Nachfolge seiner faschistischen Partei antrat und zahlreichen hochrangigen Faschisten eine politische Heimat bot.

2008 ernannte Silvio Berlusconi die 31-Jährige, die inzwischen Mitglied der MSI-Nachfolgepartei Alleanza Nazionale war, zur Jugend- und Sportministerin. Nachdem sich die Alleanza Nazionale in Berlusconis Forza Italia aufgelöst hatte, gründete Meloni 2012 die Fratelli d’Italia, um die faschistische Tradition fortzusetzen. Die Partei huldigt dem Andenken des Duce und wird von neofaschistischen Schlägern unterstützt. Auf ihren Wahlkampfveranstaltungen ist regelmäßig der „römische Gruß“ zu sehen, die italienische Entsprechung des Hitlergrußes.

Meloni selbst bekennt sich zwar inzwischen aus taktischen Gründen nicht mehr offen zu Mussolini, distanziert sich aber auch nicht von ihm. Stattdessen verharmlost sie den faschistischen Diktator mit den Worten, er müsse „im Kontext der Geschichte gesehen werden“.

Ihre internationalen Verbündeten und ihre politischen Auffassungen lassen aber keinen Zweifel, wo Meloni politisch steht. Sie verehrt den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und unterhält enge Verbindungen zur spanischen Vox, einer Partei von Franco-Anhängern, sowie zum rechten ungarischen Regierungschef Viktor Orbán. Sie ist außerdem Vorsitzende der Partei Europäische Konservative und Reformer, zu der neben der polnischen PiS, den rechtsextremen Schwedendemokraten und der spanischen Vox auch die britischen Tories gehören.

Politisch vertritt Meloni ein Gemisch aus rechtem Nationalismus, aggressivem Fremdenhass und christlichem Fundamentalismus. Sie wettert gegen die „Masseninvasion von Migranten“, gegen die „Islamisierung unserer christlichen Identität“, gegen die „Lobby der LGBT“ und gegen die „Bürokraten aus Brüssel“. Sie bezeichnet sich als Mutter, Christin und Italienerin und sieht diese Identitäten durch Massenmigration, durch Genderpolitik und durch die Europäische Union bedroht.

Im April 1945 wurde der faschistische Diktator Mussolini von italienischen Partisanen hingerichtet und seine Leiche in Mailand öffentlich zur Schau gestellt. Wie ist es möglich, dass 77 Jahre danach eine seiner politischen Erbinnen wieder ernsthafte Aussichten auf die Regierungsübernahme in Italien hat? Und das in einem Land, das über eine lange antifaschistische Tradition und eine militante Arbeiterklasse verfügt und in dem die sozialen Gegensätze zum Zerreißen gespannt sind?

Die Antwort auf diese Frage liegt nicht so sehr bei Meloni und ihrer Partei, als bei den sogenannten Mittelinks-Parteien, den Gewerkschaften und ihren pseudolinken Anhängseln. Diese spielen seit langem eine Schlüsselrolle bei der Rehabilitierung rechtsextremer und faschistischer Kräfte und haben zuletzt immer offener deren Programm – soziale Angriffe, Krieg, innere Aufrüstung und die Durchseuchungspolitik in der Pandemie – übernommen und gegen wachsenden Widerstand durchgesetzt.

Als sich die italienische Wirtschaft Anfang 2021 im freien Fall befand und die Corona-Pandemie in Italien Zehntausende Todesopfer forderte, schlossen sich alle Parteien – von den Demokraten (PD) und ihren diversen Abspaltungen über die Fünf-Sterne-Bewegung bis zu Berlusconis Forza Italia und der rechtsextremen Lega, deren Führer Matteo Salvini selbst Mussolinis bewundert – zu einer Regierung der „nationalen Einheit“ unter dem Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi zusammen.

Als Vertrauensmann des internationalen Finanzkapitals wälzte Draghi die Lasten der Krise auf die Arbeiterklasse ab und brachte Italien, das bisher enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Russland unterhalten hatte, auf den Kriegskurs der Nato. Die Demokraten und die Gewerkschaften unterdrückten jeden Widerstand dagegen und unterstützten Draghi umso entschlossener, je offensichtlicher der arbeiterfeindliche Charakter seiner Politik wurde.

Sie hätten auch Meloni bereitwillig in ihre Regierung der „nationalen Einheit“ aufgenommen, doch die Fratelli, die bei der Parlamentswahl 2018 nur 4,4 Prozent der Stimmen erhalten hatten, zogen es vor, als einzige Partei in der Opposition zu bleiben – und wuchsen rasant.

Den aktuellen Wahlkampf führen die Demokraten unter ihrem Vorsitzenden Enrico Letta mit einem extrem rechten Programm. Als die italienische Tageszeitung La Stampa Ende Juli über angeblich enge Verbindungen zwischen Salvini und der russischen Botschaft in Rom berichtete, erklärte Letta: „Die heutigen Erkenntnisse über die Verbindungen zwischen Salvini und Putins Russland sind beunruhigend, der Wahlkampf beginnt auf die schlimmste Weise, mit einem großen Makel. Wir wollen wissen, ob es Putin war, der Draghis Regierung zu Fall gebracht hat.“

Mit anderen Worten: Letta kritisiert Salvini und seine rechtsextreme Lega nicht in erster Linie wegen ihrer faschistischen Tiraden gegen Migranten und der Lobpreisung Mussolinis, sondern weil sie den Kriegskurs gegen Russland nicht aggressiv genug unterstützen. Sobald sich Faschisten dagegen hinter die Nato-Offensive stellen, ist er voll des Lobs. Als Meloni bei einem gemeinsamen Auftritt im italienischen Senat ihre Unterstützung für die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine und den Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland kundtat, sprach Letta von einem „idyllischen Moment“ mit der Faschisten-Führerin.

Enrico Letta (PD) und Giorgia Meloni (Fratelli d'Italia) im italienischen Parlament (Alberto Pizzoli/Pool photo via AP)

Die Demokraten arbeiten selbst an einer Koalition, die den arbeiterfeindlichen Kurs Draghis verschärfen soll. Anfang des Monats gab Letta den Abschluss eines Bündnisses mit der Partei Azione des früheren Wirtschaftsministers Carlo Calenda und der Partei Più Europa der einstigen EU-Kommissarin Emma Bonino bekannt, zwei rechtsliberalen Parteien, die beide die Europäische Union unterstützen. Als er dann einige Tage später auch noch die Grünen und die italienische Linkspartei (Sinistra Italiana) in das Bündnis einbezog, sprang Azione jedoch wieder ab. Nach Einschätzung von Politikexperten hat sich damit die Chance des Mitte-Links-Bündnisses auf einen Wahlsieg „auf ein Minimum reduziert“.

Sinistra Italiana spielt eine besonders üble Rolle bei diesen Manövern, deren Hauptaufgabe darin besteht, die rechte Offensive zu stärken und jede soziale Mobilisierung dagegen zu unterbinden. Die 2015 gegründete Partei ist ein Auffangbecken für Schiffbrüchige früherer pseudolinker Parteien wie Rifondazione Comunista und Sinistra Ecologia Libertà (SEL), deren Politik jeweils in einem Desaster endete. Zwischen 2005 und 2008 war Rifondazione Bestandteil der „Mitte-Links“-Regierung unter Romano Prodi (PD), deren Kriegs- und Austeritätskurs Melonis erster Regierungsbeteiligung den Weg ebnete.

Auch Abtrünnige der Demokraten und der Fünf-Sterne-Bewegung, die von 2018 bis 2019 15 Monate lang gemeinsam mit Salvini regierten, haben in Sinistra Italiana Unterschlupf gefunden. Vorbilder der Partei sind die griechische Syriza und die spanische Podemos, die als Regierungsparteien beide massive Angriffe auf die Arbeiterklasse durchführten – im Fall von Syriza im Bündnis mit den rechtsextremen Unabhängige Griechen (Anel). Bezeichnenderweise gehört Anel auf EU-Ebene zur gleichen Fraktion wie Melonis Fratelli.

Italien ist ein soziales Pulverfass. Jahrzehntelange Angriffe auf die Arbeiterklasse haben soziale Ungleichheit, Armut und Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhen getrieben. Streiks und Proteste häufen sich. Die Rechtsextremen werden gebraucht, um die Arbeiterklasse einzuschüchtern, die sozialen Spannungen in rassistische Bahnen zu lenken, einen Polizeistaat aufzubauen und den Sicherheitskräften die letzten Skrupel zu nehmen.

Salvini, dessen rechtsextreme Partei in den vergangenen eineinhalb Jahren mit Letta & Co. am Kabinettstisch saß, sieht sich bereits wieder als künftiger Innenminister – wobei er die Hoffnung, selbst Regierungschef zu werden, noch nicht aufgegeben hat. Vor einigen Tagen versprach er bei einem Wahlkampfauftritt in einem Migrantenzentrum auf Lampedusa, die Aufnahme von Flüchtlingen in italienischen Häfen wieder ganz zu stoppen.

Meloni ging noch weiter und schlug vor, eine Seeblockade über die nordafrikanische Mittelmeerküste zu verhängen. Laut Völkerrecht wäre dies ein Kriegsakt. Sie machte auch deutlich, dass sie als Regierungschefin die sozialen Angriffe ihrer Vorgänger weiterführen werde. Die nächste Legislaturperiode werde eine schwierige sein, sagte sie im Interview mit dem US-Sender Fox News. „Wir müssen den Italienern im Wahlkampf die Wahrheit sagen. Wir können nichts versprechen, was wir nicht halten können.“

Aus all diesen Gründen sehen auch die herrschenden Kreise Europas einer möglichen Regierungsübernahme Melonis trotz ihrer Anti-EU-Rhetorik sogar mit Sympathie entgegen. Die europäischen Medien zeichnen ein äußerst schmeichelhaftes Bild der Neofaschistin.

Diese genießt in den europäischen Hauptstädten und in Washington auch deshalb viel Unterstützung, weil sie im Ukrainekrieg uneingeschränkt auf Seiten der Nato steht. „Dieser Konflikt ist die Spitze des Eisbergs in einem Prozess, welcher auf eine Neuausrichtung der Weltordnung abzielt,“ sagte sie Fox News. „Wenn der Westen verliert, sind Putins Russland und Xis China die Gewinner – und im Westen sind es die Europäer, die den höchsten Preis dafür bezahlen.“

Es steht außer Zweifel, dass die europäischen Regierungschefs Meloni, sollte sie die Wahl tatsächlich gewinnen, mit offenen Armen in ihren Reihen aufnehmen werden. Italien ist kein Einzelfall. Die herrschende Klasse reagiert auf die wachsenden sozialen Spannungen und Klassenkämpfe überall mit einem scharfen Ruck nach rechts. Rechtsextreme Parteien wie die spanische Vox, das französische Rassemblement National und die deutsche AfD bereiten sich auf die Regierungsübernahme vor oder geben – wie in der Flüchtlingspolitik – den Regierungen die politische Linie vor.

Die Arbeiterklasse darf dies nicht zulassen. Sie muss die Gefahr des Faschismus stoppen, der wie in den 1920er und 1930er Jahren eine Antwort der herrschenden Klasse auf die tiefe Krise des Kapitalismus und die explosive Entwicklung des Klassenkampfs ist. Dies ist nicht durch Stimmabgabe für die Parteien möglich, die den Rechtsextremen den Weg bereitet haben und dieselbe arbeiterfeindliche Politik wie sie vertreten. Der Kampf gegen rechts erfordert eine unabhängige Massenbewegung von unten.

Den Kampf gegen soziale und politische Angriffe, gegen die mörderische „Profite-vor-Leben“-Politik in der Pandemie und gegen Diktatur und Krieg muss mit einem sozialistischen Programm zum Sturz des Kapitalismus verbunden werden. Im Mittelpunkt dieses Kampfs muss der Aufbau eines eng verbundenen Netzwerks von Aktionskomitees in Betrieben und Stadtvierteln stehen, um der Gewerkschaftsbürokratie die Kontrolle über den Klassenkampf zu entreißen. Vor allem erfordert er die Vereinigung der Arbeiterklassen in allen Ländern gegen den gemeinsamen Feind und den Aufbau einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Italien.

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