19 Monate nach Trumps Putschversuch entdeckt Biden die Gefahr des Faschismus

In seiner heutigen Rede in Philadelphia wird US-Präsident Joe Biden vermutlich erklären, dass „unsere Demokratie auf dem Spiel steht“ und eineinhalb Jahre nach Trumps versuchtem Staatsstreich vom 6. Januar 2021 „unsere Rechte und Freiheiten immer noch angegriffen werden“. Das gab ein Vertreter des Weißen Hauses vorab bekannt.

Schon am vergangenen Donnerstag hatte Biden gesagt, Trump sei ein „Halbfaschist“. Diese Äußerungen sind ein erschütterndes Eingeständnis, dass die Vereinigten Staaten am Abgrund einer faschistischen Diktatur stehen.

Seit dem Putschversuch haben die Demokraten 19 Monate lang die Gefahr heruntergespielt und versucht, die Republikanische Partei und den Militär- und Geheimdienstapparat von jeglicher Schuld freizusprechen. Jetzt, neun Wochen vor den Zwischenwahlen, bei denen Trump-Kandidaten die republikanische Liste anführen, verkündet Biden, die Gefahr sei größer denn je. Er würde nicht zur besten Sendezeit vor der Independence Hall in Philadelphia sprechen (wo im 18. Jahrhundert die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung der USA unterzeichnet wurden), wenn seine Regierung nicht das Gefühl hätte, dass sie mit einer politischen Krise noch nie dagewesenen Ausmaßes konfrontiert ist.

Der Konflikt hat sich in den letzten drei Wochen so heftig zugespitzt, dass die kapitalistischen Zeitungen regelmäßig Artikel veröffentlichen, in denen die Gefahr eines Bürgerkriegs heraufbeschworen wird. Am 8. August führte das FBI eine Razzia in Trumps Palast in Florida durch und beschlagnahmte Kisten mit Beweismaterial, das laut dem Justizministerium Staatsgeheimnisse enthält. Aus später veröffentlichten Dokumenten geht hervor, dass die Razzia stattfand, weil die Staatsanwälte den begründeten Verdacht hatten, dass Trump die Justiz behindert und gegen das Spionagegesetz verstoßen habe.

Am 26. August gab die Direktorin der US-Nachrichtendienste Avril Haines bekannt, dass ihre Behörden die Dokumente untersuchen, die Trump aus dem Weißen Haus entwendet hat und die bei der Razzia in Mar-a-Lago sichergestellt wurden. Am 27. August veröffentlichte die New York Times ein Redaktionsstatement unter der Überschrift „Donald Trump steht nicht über dem Gesetz“. Darin forderte die einflussreichste Zeitung der Demokraten die strafrechtliche Verfolgung Trumps, auch wenn ein solcher Schritt „den bitteren Konflikt zwischen den Parteien bis hin zu zivilen Unruhen anheizen könnte“.

Trump und seine Verbündeten haben darauf mit unverhohlenen Gewaltandrohungen reagiert.

Nach der Razzia in Mar-a-Lago übergaben Trumps Anwälte dem Generalstaatsanwalt Merrick Garland einen Brief, der eine mafiöse Drohung enthielt: „Präsident Trump möchte den Generalstaatsanwalt wissen lassen, dass er von Menschen im ganzen Land Kommentare über die Razzia gehört hat. Wenn es ein Wort gäbe, um ihre Stimmung zu beschreiben, dann wäre es ‚wütend‘. Die Spannung nimmt zu. Der Druck wird immer größer. Was immer ich tun kann, um den Druck zu verringern, lassen Sie es uns wissen.“

Am 28. August erklärte der Mitverschwörer Lindsey Graham, ein Republikaner aus South Carolina, auf Fox News: „Die meisten Republikaner, mich eingeschlossen, glauben, wenn es um Trump geht, gibt es kein Gesetz. Es geht nur darum, ihn zu kriegen. Und ich sage Folgendes: Wenn Donald Trump wegen des falschen Umgangs mit Verschlusssachen strafrechtlich verfolgt wird und das nach dem Clinton-Debakel…, dann wird es Aufstände auf den Straßen geben.“

Diese Gewaltdrohungen sind glaubwürdig und müssen ernst genommen werden. Schließlich ist das Trumps Modus Operandi. In den letzten Tagen hat er sich auf der rechtsextremen Plattform Truth Social ausgetobt, seine faschistischen Anhänger aufgepeitscht und anzügliche und entwürdigende Bilder seiner politischen Gegner in der Demokratischen und Republikanischen Partei geteilt. In einem Beitrag am Dienstagmorgen teilte Trump ein Bild von einem Konto namens „Patriot Party“, das andeutete, dass er mit der Republikanischen Partei brechen und eine „ultra MAGA“-Partei der extremen Rechten gründen würde. Als „ultra MAGA“ (kurz für Trumps Slogan „Make America Great Again“) werden die ultrarechten Trump-Anhänger bezeichnet.

Doch die Äußerungen und Handlungen der Biden-Regierung machen deutlich, dass die Demokratische Partei nicht den Faschismus bekämpft, sondern den Weg für ein weiteres Erstarken der extremen Rechten ebnet.

Ein Verteter des Weißen Hauses teilte der Presse mit, dass Biden in seiner Rede den Kampf für die Demokratie im eigenen Land untrennbar mit dem Kampf für „Demokratie“ im Ausland gegen Amerikas „autoritäre“ Feinde, Russland und China verknüpfen wird. Er werde davor warnen, dass Amerikas „Ansehen in der Welt“ nach dem Putschversuch vom 6. Januar auf dem Spiel steht. Lauren Egan, Korrespondentin von NBC White House, sagte am Dienstag: „Wir wissen, dass er sagen wird, dass Amerikas Ruf auf der Weltbühne immer noch auf dem Spiel steht. Er wird sagen, dass es im November bei den Wahlen um unsere Glaubwürdigkeit gegenüber unseren ausländischen Verbündeten geht.“

Dieses Argument ist voller Widersprüche, die Biden nicht beantworten kann. Wie können die Vereinigten Staaten die Demokratie im Ausland verbreiten, wenn ein faschistisches Netzwerk droht, die Macht im eigenen Land zu übernehmen? Wie wird der Kampf für die „Demokratie“ gegen die Faschisten im eigenen Land gefördert, wenn man die Faschisten in der Ukraine mit Waffen im Wert von Milliarden Dollar versorgt?

Krieg bedeutet die Stärkung des Repressionsapparats und der extremen Rechten, um gegen politisch Andersdenkende vorzugehen und Streiks und Proteste von Arbeitern niederzuschlagen. Das hat sich in der US-Geschichte mehrfach gezeigt – von den Alien and Sedition Acts 1798 (Gesetze gegen Ausländer) und den Palmer Raids 1918–1921 (antikommunistische Razzien) bis zur Internierung der Japaner im Zweiten Weltkrieg und dem Kent-State-Massaker von 1970, als eine Demonstration gegen den Vietnamkrieg mit der Nationalgarde niedergeschlagen und vier Studenten erschossen wurden. Zahlreiche Bücher beschäftigen sich mit der Frage der Unterdrückung von Opposition in Kriegszeiten, darunter Zechariah Chafees Freedom of Speech in War Time und Geoffrey Stones Perilous Times: Free Speech in Wartime.

Biden bemüht sich auch intensiv um die Rettung der Republikanischen Partei, die die Demokraten brauchen, um den Krieg zu führen. In derselben Rede, in der er Trump letzte Woche einen „Halbfaschisten“ nannte, rief Biden zur „nationalen Einheit“ mit der Republikanischen Partei auf, die für den Staatsstreich verantwortlich ist und Bemühungen blockiert, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Biden sagte, Einigkeit zwischen „Mainstream-Republikanern“ und Demokraten sei notwendig, um Russland und China zu konfrontieren und den Schaden zu überwinden, den Trump den Interessen des US-Imperialismus zugefügt hat. Er erklärte: „Ich habe unterschätzt, wie viel Schaden die letzten vier Jahre dem Ansehen Amerikas in der Welt zugefügt haben.“ Er unterschied sorgfältig zwischen „MAGA-Republikanern“ und „Mainstream-Republikanern“ und versicherte, dass letztere „dieses Land lieben“.

Bidens Regierung verspricht, den repressiven Staatsapparat, auf den sich Trump stützt, zu stärken. Am Dienstag griff Biden in einer Rede in Wilkes-Barre, Pennsylvania, die „MAGA-Republikaner“ nicht als Gegner der Demokratie an, sondern als Gegner der Polizisten, die von den Randalierern am 6. Januar verletzt wurden. In seiner Rede prangerte er die Forderungen nach einer Verringerung der Budgets für die Polizei an und kündigte vielmehr eine Erhöhung der Mittel für die Polizei an.

In der Sozialpolitik führt die Regierung eine rücksichtslose Erhöhung der Zinsen durch, um die Löhne der Arbeiter zu drücken. Gleichzeitig arbeitet sie mit den Gewerkschaften zusammen, um den Klassenkampf einzudämmen und die Löhne unter der Inflationsrate zu halten. Man kann nicht für politische Demokratie kämpfen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Konzerne ihre diktatorische Macht über die gesamte Wirtschaft ausweiten. Dass Trump eine Massenbasis aufbauen kann, ist auf die verheerenden Folgen der Politik der Demokratischen Partei zurückzuführen, die sich von früheren sozialen Reformen lange verabschiedet hat.

Der Aufstieg von Trump selbst vollzog sich in einem reaktionären politischen Klima, das durch jahrzehntelange permanente Kriege, Angriffe auf demokratische Rechte und den Transfer von Billionen Dollar von der Arbeiterklasse zur Finanzaristokratie geprägt ist.

Während der Kriege in Afghanistan und im Irak wurde das Ministerium für Heimatschutz aufgebaut und die Überwachung der Bevölkerung durch die NSA (National Security Agency) ausgeweitet. Die Demokratische Partei rettete 2008 die Banken und unterstützte 2020 den CARES Act, mit dem Billionen an die Konzerne ausgeschüttet wurden. Sie hat Sozialprogramme gekürzt und gleichzeitig durch die jahrelange Politik der quantitativen Lockerung Milliardensummen in die Wall Street gepumpt. Dieses Klima des Militarismus, Chauvinismus und Parasitismus bereitete den Boden, aus dem Trump und seine Bewegung entstanden sind.

Der Kampf für die Demokratie kann nur erfolgreich sein, wenn er mit dem Widerstand gegen Krieg verbunden ist. Dabei ist es notwendig, gegen die sinkenden Löhne und die explodierenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen, die Immigranten zu verteidigen, die zum Sündenbock der sozialen Krise gemacht werden, und für alle demokratischen Rechte einzustehen. Das kann und wird nicht durch die Demokratische Partei geschehen. Echte Demokratie kann nur von der Arbeiterklasse verteidigt werden, indem sie sich politisch unabhängig organisiert und gegen die gesamte kapitalistische Elite kämpft.

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