Wachsende Streikwelle in den USA: Lehrer in Seattle schließen sich an

Der Anstieg der Lebenshaltungskosten, lange Arbeitszeiten und andere üble Arbeitsbedingungen treiben immer mehr Teile der amerikanischen Arbeiterklasse in den Kampf. Am Mittwoch legten 6.000 Lehrer und Beschäftigte der öffentlichen Schulen von Seattle die Arbeit nieder und schlossen sich damit den Arbeitskämpfen von Tausenden Arbeitern im Bildungs- und Gesundheitswesen, dem Landmaschinenbau und anderen Teilen der Wirtschaft an.

Ein Lehrer aus Seattle erklärte gegenüber der WSWS: „Ich kann es mir nicht mehr leisten, in dem Schulbezirk zu wohnen, in dem ich arbeite. An meiner Schule sind 90 Schüler mehr als im Budget vorgesehen ... Wir sind unterbesetzt und haben nicht die notwendigen Mittel, um alle Schüler zu unterstützen.“ Bei einer Abstimmung hatten 95 Prozent der Lehrer für den Streik gestimmt.

Lehrer der öffentlichen Schulen von Seattle auf Streikposten vor der Roosevelt High School am ersten Tag des Schuljahres, dem 7. September 2022 [AP Photo/Jason Redmond]

Genau wie alle Lehrkräfte in den USA und überall auf der Welt wollen die Lehrer in Seattle deutliche Gehaltserhöhungen, kleinere Klassen sowie besseren Schutz vor Covid-19 für sich und ihre Schüler. Obwohl im Bundesstaat Washington sechzehn Milliardäre leben, darunter Jeff Bezos und Bill Gates, gehören die Klassen dort zu den landesweit größten. Bei den Ausgaben pro Schüler liegt dieser Bundesstaat auf Platz 36, bei den Lehrergehältern inflationsbereinigt auf Platz 42.

Laut den aktuellen Zahlen des US Bureau of Labor Statistics beträgt die landesweite Inflation weiterhin 8,5 Prozent, die Kosten für Energie sind im letzten Jahr um 33 Prozent gestiegen, für Nahrung um 10,2 Prozent. Zudem zählt Seattle zu den teuersten Städten des Landes. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Stadt kostet 1.920 Dollar Miete, der landesweite Durchschnitt liegt bei 1.278 Dollar. Die Kosten für ein Eigenheim in Seattle liegen im Mittel bei 891.000 Dollar, landesweit sind es nur 291.700 Dollar.

Die Gewerkschaft Seattle Education Association (SEA) hatte mit allen Mitteln versucht, einen Streik zu verhindern und versprochen, mit Vertretern des Schulbezirks und einem Schlichter einen Deal auszuhandeln, sodass „die Lehrkräfte so schnell wie möglich in die Klassenzimmer zurückkehren können“. Die Gewerkschaft hatte eine Gehaltserhöhung von läppischen 5,5 Prozent vorgeschlagen. Die hatte der Schulbezirk, der von den Demokraten kontrolliert wird, jedoch abgelehnt. Die Bezirksbeamten weigerten sich auch, die Klassengrößen zu begrenzen, und fordern einen Personalabbau bei der Sonderpädagogik, der mehrsprachigen Erziehung und anderen Programmen.

In der Nachbarstadt Kent beendete die Gewerkschaft National Education Association (NEA) am Mittwochmorgen den achttägigen Streik von 2.000 Lehrern aus Angst, dass er sich auf die Metropolregion Seattle und darüber hinaus ausbreiten könnte. Die Kent Education Association peitschte am Mittwochabend eine vorläufige Vereinbarung durch, damit die Lehrer am Donnerstag wieder an die Arbeit können.

In diesem Jahr gab es bereits zehn große Lehrerstreiks, u.a. an den öffentlichen Schulen von Minneapolis, Sacramento und Oakland. Die NEA und die American Federation of Teachers (AFT) haben verzweifelt versucht, die Streiks zu verhindern oder so schnell wie möglich zu beenden, um jede Störung der Wiederöffnung der Schulen zu verhindern – und das obwohl die Pandemie bereits mindestens 6.000 aktive und pensionierte Lehrer das Leben gekostet hat.

Letzten Monat beendete der NEA-Ortsverband in Columbus (Ohio) einen dreitägigen Streik von 4.500 Lehrern für bessere Belüftung und Schutz vor Covid-19, nachdem ein von der Regierung ernannter Schlichter eine „konzeptuelle Einigung“ ausgehandelt hatte, in der die Forderungen der Lehrer ignoriert wurden.

Trotz aller Versuche der Bürokratie des Gewerkschafts-Dachverbands AFL-CIO- hat sich die Streikaktivität in den letzten Wochen deutlich erhöht.

  • Am Mittwoch legten 500 Lehrkräfte der Eastern Michigan University (EMU) in Ypsilanti (Michigan) die Arbeit nieder, um gegen die Forderung der Verwaltung zu demonstrieren. Sie sollten Lohnerhöhungen von durchschnittlich drei Prozent über fünf Jahre akzeptieren, die von der Inflation und den erhöhten Prämien und Eigenbeteiligungskosten der Krankenversicherung mehr als aufgefressen würden. Die Lehrkräfte, die Teil der American Association of University Professors sind, stimmten zu 91 Prozent für den Streik.
  • In Pennsylvania begannen 700 Pflegekräfte am 3. September einen Streik in vierzehn Einrichtungen des Konzerns Comprehensive Healthcare and Priority Healthcare. Die lizenzierten Pflegekräfte, Hilfskräfte, Unterstützungs- und Küchenpersonal sind Mitglieder der Service Employees International Union (SEIU). Sie fordern bessere Löhne, mehr Personal und besseren Schutz vor Covid-19. Es sind noch keine neuen Verhandlungen geplant; am 9. September wird der Streik auf zwei weitere Pflegeheime – The Meadows in Gettysburg und The Meadows in West Shore – ausgeweitet werden.
  • Am 12. September sollen 15.000 Pflegekräfte im Bundesstaat Minnesota drei Tage lang gegen unsichere Belegungspraktiken und angebotene Lohnerhöhungen zwischen drei und fünf Prozent pro Jahr streiken. Die Krankenhausmonopolisten haben in der Pandemie Millionen Dollar Hilfsgelder erhalten und immense Profite gemacht. Die Entscheidung zu dem beschränkten Streik fiel aufgrund der wachsenden Wut der Pflegekräfte über die Entscheidung der Minnesota Nursing Association, sie noch Monate nach dem Ablauf ihres Tarifvertrags und trotz eines eindeutigen Mandats für einen Streik weiterarbeiten zu lassen.
  • Weitere 2.600 Pflegekräfte der University of Wisconsin (UW) Health in Madison sollen vom 13. bis zum 16. September gegen Unterbesetzung, schlechte Arbeitsbedingungen und für die Anerkennung von Gewerkschaften streiken. Das Management des Krankenhauses hat die arbeiterfeindlichen Gesetze des ehemaligen republikanischen Gouverneurs Scott Walker benutzt, um die jahrelange Kampagne zum Aufbau von Gewerkschaften an dem Krankenhaus zu behindern und Tarifverhandlungen über Zusatzleistungen und Arbeitsbedingungen zu verbieten. Laut der Service Employees Health Care Wisconsin, eines Teil der SEIU, hat letztes Jahr eine Mehrheit der Arbeiter einen Aufnahmeantrag für die Gewerkschaft gestellt, doch das Management hat ihr die Anerkennung verweigert und die Arbeiter wegen ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeiten bedroht.
  • In Nordkalifornien streiken 2.000 Beschäftigte aus der Psychiatrie des Gesundheitskonzerns Kaiser Permanente seit dem 14. August für höhere Löhne, gegen Unterbesetzung und überlange Wartezeiten für Patienten. An dem Streik beteiligen sich Psychologen, Therapeuten, Suchtberater und Sozialarbeiter, die der National Union of Healthcare Workers (NUHW) angehören. Betroffen sind Kaiser-Einrichtungen in San Francisco, Fresno, Sacramento, San Jose und weiteren Städten.
  • Bei CNH Industrial in Wisconsin und Iowa setzen mehr als 1.000 Produktionsarbeiter ihren viermonatigen Streik fort. Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) isoliert ihren Kampf, weil sie befürchtet, er könnte eine größere Bewegung der Autoarbeiter gegen die unternehmensfreundlichen Tarifverträge auslösen, die der UAW-Apparat unterzeichnet hat.

Angesichts der drohenden Herbstwelle von Covid-19 und der Tatsache, dass keines der Probleme im Gesundheitswesen gelöst wurde, versuchen die Gewerkschaften, eine neue Welle von Pflegestreiks zu verhindern. Dies betrifft 22.000 Pflegekräfte von Kaiser Permanente in Süd- und Nordkalifornien und 6.200 Pflegekräfte bei Michigan Medicine, von denen 95 Prozent für einen Streik gestimmt haben.

Biden hat die Gewerkschaftsbürokratie benutzt, um Streiks noch größerer Teile der Arbeiter abzublocken, u.a. in den wichtigen Öl-, Gummi-, Stahl und Logistikbranchen. Die herrschende Klasse versucht, die vollen Kosten der Wirtschaftskrise und der eskalierenden militärischen Konfrontation mit Russland und China auf den Rücken der amerikanischen Arbeiter abzuwälzen.

Das Weiße Haus hat mit der International Longshore and Warehouse Union (ILWU) zusammengearbeitet, um einen Streik von 28.000 Hafenarbeitern an der Westküste zu verhindern, die seit dem 1. Juli ohne Tarifvertrag arbeiten. Biden hat auch mit den Eisenbahnergewerkschaften zusammengearbeitet, um einen Streik von 115.000 Arbeitern bei CSX, BNSF, Union Pacific und anderen wichtigen Eisenbahngesellschaften abzublocken.

Die Gewerkschaften haben die Ernennung eines Presidential Executive Board (PEB) durch Biden unterstützt, um einen Bahnstreik zu unterbinden. Angeblich werde das PEB für die Arbeiter günstige Empfehlungen aussprechen. Wie vorhersehbar, schlug sich das PEB vollständig auf die Seite der Unternehmen, die tiefe Einschnitte bei den Reallöhnen, die Beibehaltung unsicherer Arbeitszeiten und eine strafbewehrte Anwesenheitspolitik forderten, die die Arbeiter dazu zwingt, praktisch rund um die Uhr auf Abruf zur Verfügung zu stehen.

Ein Artikel in The Hill, dem Sprachrohr des amerikanischen Kongresses, äußerte die Befürchtung, die Gewerkschaften könnten die Streiks nicht mehr verhindern, wenn am 16. September die staatlich verordnete 30-tägige „Abkühlzeit“ ausläuft. Er wies auf den weit verbreiteten Widerstand der Arbeiter gegen die unternehmensfreundlichen Empfehlungen des PEB hin, die bereits fünf der dreizehn Eisenbahngewerkschaften akzeptiert haben. Er zitiert einen Vertreter des Weißen Hauses: „Nach der Pandemie und den Störungen der Lieferketten in den letzten zwei Jahren ist jetzt nicht die Zeit für Unsicherheit und Beeinträchtigung. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Parteien ihre Differenzen beilegen, bevor die Wirtschaft des Landes bereits auf die Aussicht auf einen landesweiten Schienenstillstand reagiert.'

Die wachsende Bewegung der Arbeiterklasse führt zu einer direkten Konfrontation mit der Biden-Regierung und ihren Betriebspolizisten, den Gewerkschaften. Dies ist Teil einer internationalen Entwicklung. Beispielsweise organisierten in Großbritannien die Arbeiter der Ölbohrplattformen in der Nordsee gegen den Widerstand der Energiekonzerne und der Gewerkschaften einen spontanen 24-stündigen Streik.

Diese Bewegung benötigt eine Organisation und politische Leitung. Der Wahlkampf von Will Lehman, einem sozialistischen Arbeiter von Mack Trucks aus Pennsylvania, der für die Präsidentschaft der United Auto Workers kandidiert, weist den Weg vorwärts. Lehman fordert die Abschaffung des korrupten UAW-Apparats und die Gründung von Aktionskomitees in den Betrieben, um die Macht an die Arbeiter in den Werkhallen zu übertragen. Um gegen die globalen Konzerne zu kämpfen, fordert er die Arbeiter auf, ihre Kämpfe über Landesgrenzen hinweg unter der Leitung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) zu koordinieren.

Zu der wachsenden Streikwelle erklärte Lehman der WSWS: „Die Mainstreammedien versuchen sie nach Kräften zu verheimlichen, aber gerade jetzt nehmen viele Arbeiter den Kampf für die Verbesserung ihrer Arbeits- und der Lebensbedingungen ihrer Familien auf.

Wir können nur gewinnen, wenn alle Teile der Arbeiterklasse weltweit solidarisch zusammenstehen. Der Kampf für bessere Bedingungen findet überall statt. Wir müssen unsere Kämpfe miteinander verbinden und gemeinsam das System der Ausbeutung beenden. Der Wille dazu ist da. Alles, was wir brauchen, ist eine Organisation und eine Strategie zum Sieg.“

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