US-Kongress droht mit Eingriff gegen möglichen Bahnstreik

Das Railroad Workers Rank-and-File Committee (Eisenbahner-Aktionskomitee) veranstaltet am Mittwoch, den 14. September um 19:00 Uhr Eastern Time ein Online-Meeting unter dem Motto „Organisiert euch, um einen nationalen Streik vorzubereiten!“ Eisenbahner und ihre Unterstützer, die daran teilnehmen möchten, können sich hier anmelden.

Der US-Kongress erwägt ein Eingreifen, um einen landesweiten Bahnstreik zu verhindern und einseitig ein Tarif-Abkommen durchzusetzen. Dies sagte Steny Hoyer, einer der ranghöchsten Abgeordnete der Demokratischen Partei im US-Repräsentantenhaus am Montag gegenüber Bloomberg News.

Steny Hoyer spricht auf der Konferenz der American Federation of Government Employees in Washington D.C. am 10. Februar 2020 [Photo by AFGE / CC BY 4.0]

„Der Kongress kommt ins Spiel, wenn es tatsächlich nicht gelingt, eine Einigung zu erzielen“, sagte Hoyer dem Nachrichtendienst Bloomberg. „Wir können Gesetze verabschieden, wenn es nötig ist.“ Und weiter: „Ein Eisenbahnerstreik zum jetzigen Zeitpunkt wäre außerordentlich schädlich für unsere Wirtschaft und das amerikanische Volk, und das wollen wir vermeiden.“

Auch die US-Handelskammer forderte in einer Erklärung ein Eingreifen des Kongresses für den Fall, dass bis zum Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Stillhaltefrist am Freitag um 12.01 Uhr keine Einigung erzielt wird. Hiermit fordert eine Interessensvertretung der Arbeitgeber öffentlich den Kongress zum Eingreifen auf, um einen Tarifvertrag per Gesetz durchzusetzen. Damit würden die demokratischen Rechte von 100.000 Eisenbahnerinnen und Eisenbahner ausgehebelt, die sich fast einstimmig gegen eine Einigung ausgesprochen haben und auf einen Streik drängen.

Die Äußerungen von Hoyer kommen zwar nicht unerwartet, stellen aber eine deutliche Eskalation dar, was einen politischen Eingriff zugunsten eines unternehmensfreundlichen Vertragsschlusses angeht. Dies folgt auf Bidens Einrichtung eines Presidential Emergency Board (PEB), einer Art staatlicher Zwangsschlichtungsstelle. Das PEB schlägt nun eine Einigung vor, die Lohnerhöhungen unterhalb der Inflationsrate, höhere Gesundheitskosten und keine Änderungen an der verhassten Präsenzpflicht vorsieht, die das Zugpersonal rund um die Uhr auf Abruf bereithält.

Seit 1926 unterliegen die Eisenbahner dem reaktionären Railway Labor Act – und damit einem Gesetz, das darauf abzielt, Streiks praktisch zu unterbinden. Aber schon davor hatte die US-Regierung nicht gezögert, Unterlassungsverfügungen und direkte Gewalt gegen drohende Streiks bei den Eisenbahnen einzusetzen. Eugene Debs, der Sozialistenführer des frühen 20. Jahrhunderts und Eisenbahner, der den Pullman-Streik von 1894 anführte, bezeichnete die staatliche Reaktion auf Streiks als „Regieren durch Unterlassungsanordnung“. Das letzte Eingreifen des Kongresses in einen Eisenbahnerstreik erfolgte 1991, als das Repräsentantenhaus mit 400 zu 5 Stimmen einen nationalen Streik weniger als 24 Stunden nach dessen Beginn verboten hatte.

Hoyers Behauptung, der Kongress würde handeln, um „unsere Wirtschaft“ zu schützen, ist von Heuchelei durchtränkt. Während die Wall Street und ihre politischen Agenten zynisch die Aussicht auf Engpässe nutzen, um die öffentliche Meinung gegen einen Streik aufzuwiegeln, haben die amerikanischen Unternehmen immens von der Kostensteigerungsspirale während der Pandemie profitiert. Diese wäre im Falle eines Streiks ausgesetzt. Die US-Notenbank erhöht mit Zustimmung der Konzerne die Zinssätze, um das Lohnwachstum zu bremsen. Dieses wird als zu hoch betrachtet, obwohl die Löhne und Gehälter nicht annähernd mit den steigenden Lebenshaltungskosten Schritt halten.

Der Kongress selbst, der Meinungsumfragen zufolge eine der meistgehassten Institutionen des Landes ist, besteht zum größten Teil aus Millionären. Im Jahr 2020 waren sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat die Hälfte der Mitglieder Millionäre, und das durchschnittliche Nettovermögen lag bei etwa 1 Million Dollar. Mit dem Versuch, einen Streik zu verhindern, verfolgen die Abgeordnete auch ihre nackten Eigeninteressen. Berkshire Hathaway, der Mehrheitseigentümer von BNSF Railway, ist laut capitoltrades.com die am achthäufigsten gehandelte Aktie von Kongressmitgliedern. Seit 2018 haben 32 Mitglieder beider Parteien insgesamt 236 Geschäfte mit der von Warren Buffett geführten Investmentfirma im Wert von fast 9 Millionen US-Dollar getätigt.

Die Eisenbahner sind entschlossen, gegen die seit Jahrzehnten sinkenden Löhne und Arbeitsbedingungen zu streiken. Sie sind insbesondere über den Vorschlag des PEB verärgert, den der Kongress bei einem Eingreifen wahrscheinlich einseitig durchsetzen würde.

Schilder der Bahnarbeiter über den Gleisen mit Aufruf zum Streik (Foto eines Bahnarbeiters über Facebook) [Photo: Railroad worker via Facebook]

Die Arbeiter rebellieren auch immer offener gegen die unternehmensfreundliche Gewerkschaftsbürokratie. Die Gewerkschaft versucht noch immer verzweifelt, eine Vereinbarung nach dem Muster des PEB auszuarbeiten, um eine Arbeitsniederlegung abzuwenden.

Die Gewerkschaften wollen absichtlich die Kraft der Lokführer und Zugbegleiter schwächen, indem sie mit kleineren Gewerkschaften für 10 einzelne Berufsgruppen separate Vereinbarungen auf der Grundlage des PEB treffen. Am Dienstag endet eine Abstimmung der Beschäftigten in der International Association of Machinists (IAW), die sich mit überwältigender Mehrheit dagegen aussprach.

„Ich glaube, dass wir uns gemeinsam gegen das Unternehmen, die Gewerkschaften und die Regierung stellen müssen, um etwas zu erreichen“, schreibt ein Arbeiter an die WSWS. „Die Gewerkschaften machen Hintertürchen-Deals mit den Transportgesellschaften, aber sie erzählen uns etwas anderes, weil sie davon profitieren, wenn wir mit 'Ja' stimmen. Genug ist genug, und wir müssen uns behaupten.“

„Dies ist nicht der erste Vertrag, der uns aufgedrängt wird“, bemerkt ein anderer Arbeiter. „Dies wird jedoch der Vertrag sein, der unsere gemeinsame Kraft für immer brechen wird. Ich stimme für einen Streik. JETZT!“

Ein dritter Arbeiter sagt: „Jeder einzelne Beschäftigte aus der Arbeiterklasse, egal in welcher Branche, muss planen, am 16. September die Arbeit niederzulegen. Wir haben Recht, wenn wir sagen, dass wir am Ende des Tages die absolute Macht sind. Das Problem ist nur, dass wir das der Welt noch nicht gezeigt haben!

Ich rufe alle Gewerkschaftsmitglieder auf, an diesem Tag zu streiken. Die Gewerkschaften haben sich schon viel zu lange abspeisen lassen. Jetzt ist die Zeit für die Gewerkschaften gekommen. 16. September...“

Eine Erklärung, die am Sonntag vom Railroad Workers Rank-and-File Committee veröffentlicht wurde, einer unabhängigen Gruppe von Arbeitern im ganzen Land, die sowohl gegen die Eisenbahn-Unternehmen als auch gegen die Gewerkschaftsbürokratie kämpfen, wurde von Eisenbahnern mehrere tausend Mal gelesen. Das Komitee selbst wird zunehmend als maßgebliche Stimme der Opposition anerkannt, sowohl von den Kollegen als auch von den Feinden der Eisenbahner.

Ein landesweiter Bahnstreik hätte enorme Auswirkungen. Die Bahnindustrie schätzt, dass ein Streik 2 Milliarden Dollar pro Tag kosten würde, obwohl selbst dies wahrscheinlich eine gewaltige Untertreibung ist. Ein Großteil der Produktion in den Vereinigten Staaten würde zum Stillstand kommen, ebenso wie die der Schiene vor- und nachgelagerte Arbeit in den Versorgungsketten, einschließlich der Arbeit in den Docks und Lagerhäusern. Die Regierung Biden interveniert bereits in den Docks an der Westküste, um eine Arbeitsniederlegung nach Auslaufen des letzten Vertrags zu verhindern. Aufgrund der hochgradig globalisierten Produktionsnetze hätte ein Streik auch schnell enorme Auswirkungen auf die ganze Welt.

Vor allem aber würde die gesamte Arbeiterklasse einen solchen Streik massiv unterstützen. Der Eisenbahnsektor, in dem die Investmentfirmen der Wall Street ihre Profite durch zunehmende Ausbeutung auf ein Rekordniveau getrieben haben, zeigt wie ein Brennglas die sozialen Bedingungen, mit denen die Arbeiter in allen Branchen konfrontiert sind. Nachdem sie jahrzehntelang Lohnkürzungen und Deindustrialisierung erduldet haben, wurden die Arbeiter während der Pandemie bis an ihre Grenzen gebracht. Gleichzeitig sind die Gewinne und Aktienwerte auf den höchsten Stand in der Geschichte gestiegen.

In den Vorstandsetagen der Eisenbahngesellschaften wächst das Gefühl, dass irgendeine Form der Arbeitsniederlegung unvermeidlich sein könnte, weil sie kein Vertrauen in die Fähigkeit der Gewerkschaften haben, ein Abkommen nach dem Muster der PEB-Zwangsschlichter zu verabschieden. Die Eisenbahnen manövrieren offen auf eine Aussperrung zu, in der Hoffnung, dass ein Eingreifen des Kongresses einseitig durchsetzen würde, was in einer Abstimmung nicht beschlossen werden konnte.

Die Eisenbahngesellschaften sind bereits dabei, den Betrieb im Vorgriff auf eine Stilllegung am Freitag herunterzufahren. Eine Industriegruppe kündigte am vergangenen Freitag an, dass sie keine gefährlichen Güter mehr befördern werde. Norfolk Southern kündigte an, Notfallpläne zu erstellen, die u. a. die Verweigerung der Annahme neuer Fracht ab dem 13. September vorsehen.

Die Gewerkschaften Brotherhood of Locomotive Engineers and Trainmen (BLET) und SMART-TD, die einzigen Aussteiger unter den 12 nationalen Eisenbahngewerkschaften, haben daraufhin die Eisenbahngesellschaften angefleht, mit ihnen eine Vereinbarung auszuhandeln. Ein Sprecher der Gewerkschaft erklärte jedoch am Montag gegenüber CNBC: „Wenn der Vertrag unseren Mitgliedern in seiner jetzigen Form vorgelegt wird, wird er nicht angenommen. Die Beschäftigten sind wütend. Sie wollen Bewegung in der Frage der Präsenzpflicht, so dass sie keine Angst vor Kündigung haben müssen, wenn sie einen Krankheits- oder Urlaubstag nehmen. Es wird keine Ratifizierung geben, bevor diese Frage nicht geklärt ist.“ Dies deutet darauf hin, dass die Gewerkschaften selbst zunehmend in Sorge sind, eine Arbeitsniederlegung nicht verhindern zu können.

Unterdessen macht sich in Washington Krisenstimmung breit. Der Washington Post zufolge rief Biden persönlich bei Gewerkschafts- und Bahnvertretern an, um sie zu drängen, noch vor Ablauf der Frist am Montag eine Einigung zu erzielen. Arbeitsminister Marty Walsh hat eine geplante Reise nach Irland abgesagt, um sich auf die Eisenbahnen zu konzentrieren.

Sich auf das Eingreifen des Kongresses zu verlassen, birgt sowohl für die herrschende Klasse als Ganzes als auch für die Demokratische Partei im Besonderen einige Gefahren.

Erstens ist es zwar wahrscheinlich, aber nicht garantiert, dass beide Parteien im Kongress in der Lage wären, eine einstweilige Verfügung zu erlassen – sie befinden sich in der schwersten Krise seit dem Bürgerkrieg und nur Wochen vor wichtigen Wahlen zum Repräsentantenhaus. Doch selbst wenn es dazu käme, wäre dies ein politisches Debakel vor den Wahlen. Es würde aller Welt vor Augen führen, wie sehr die Demokraten und Biden die Gewerkschaften benötigen, um den Klassenkampf zu unterdrücken.

Zweitens: Selbst wenn eine einstweilige Verfügung erlassen wird, insbesondere nachdem eine Aussperrung oder ein Streik begonnen hat, gibt es keine Garantie, dass diese angesichts der rebellischen Stimmung unter den Eisenbahnern durchsetzbar wäre. Im Jahr 2018 haben sich Lehrer in West Virginia, Oklahoma und anderen Bundesstaaten über die Anti-Streik-Gesetze hinweggesetzt und landesweit und weitgehend unabhängig vom Gewerkschaftsapparat die Arbeit niedergelegt. Im Jahr 1977 streikten Zehntausende von Bergarbeitern in den Appalachen unter ähnlichen Bedingungen, als die Inflation in die Höhe schnellte und zu explosiven Kämpfen in der Arbeiterklasse führte, und setzten sich erfolgreich gegen eine Taft-Hartley-Verfügung von Präsident Jimmy Carter zur Wehr.

Wie auch immer sich die Situation in den kommenden Tagen entwickelt, die entscheidende Frage für die Eisenbahner besteht darin, dass sie sich unabhängig organisieren. Das Railroad Workers Rank-and-File Committee erklärt dazu: „Kein Vertrauen in den Gewerkschaftsapparat, der durchweg mit dem Management und der Regierung konspiriert, um einen Vertrag zu ihren Bedingungen durchzusetzen! Wir müssen uns selbst organisieren und bei jedem Transportunternehmen und in jedem Betrieb im ganzen Land Streikkomitees aus den Reihen der Belegschaft bilden.“

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