Während der Trauerzug der Queen im Vorfeld des Staatsbegräbnisses nächste Woche durch mehrere Städte fuhr, wurden Demonstranten gegen die Monarchie von der Polizei verhaftet und bedroht.
Im schottischen Edinburgh wurden mindestens vier Personen verhaftet, darunter eine Frau, die später angeklagt wurde. In Oxford wurde ein Mann während einer Veranstaltung zur Proklamation von Charles III. verhaftet und später von der Thames Valley Police wieder freigelassen.
Einige der Fälle:
- In Edinburgh wurde eine Frau wegen „Landfriedensbruch“ verhaftet, weil sie vor der St. Giles Cathedral, wo der Sarg der Queen eintreffen sollte, ein Schild mit der Aufschrift „Fuck Imperialism, schafft die Monarchie ab“ trug.
- Eine 74-jährige Person wurde ebenfalls in Edinburgh wegen des gleichen „Vergehens“ angeklagt.
- Ein 22-Jähriger namens Rory wurde verhaftet, weil er während der königlichen Prozession in Edinburgh gerufen hatte: „[Prinz] Andrew, Sie sind ein kranker alter Mann.“ Er wurde wegen Landfriedensbruch angeklagt.
- In Oxford wurde Symon Hill wegen „ungebührlichem Verhalten“ verhaftet und in Handschellen gelegt, weil er während der Proklamation von Charles gerufen hatte: „Wer hat ihn gewählt?“
- Am Montag wurde eine Frau aus dem Parlament in London geführt, weil sie während Charles’ Rede vor den Abgeordneten ein Schild mit der Aufschrift „Nicht mein König“ hochgehalten hatte. Der Evening Standard postete ein Video des Vorfalls, das auf Twitter viral ging und über 4,7 Millionen Mal aufgerufen wurde.
Die Flut von monarchistischem Unsinn, mit dem die Bevölkerung überschüttet wird, hat den beabsichtigten Effekt, üble rechte Elemente aufzustacheln.
Als der junge Mann in Edinburgh Bemerkungen über Prinz Andrew rief und auf dessen Freundschaft mit dem verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein Bezug nahm, wurde er von einem Mann gewaltsam zu Boden geworfen. Danach gingen zwei weitere Männer auf ihn los, bevor er von der Polizei abgeführt und verhaftet wurde.
Die Boulevardzeitung The Sun erklärte begeistert, ein „Rüpel“ sei „von trauernden Anhängern des Königshauses zur Strecke gebracht“ worden.
Die BBC veröffentlichte Interviews mit mehreren Teilnehmern der Veranstaltung in Edinburgh als angebliche Beispiele für das Empfinden der Bevölkerung. Einer davon war ein junger Mann mit einem Trikot des Fußballclubs Rangers, der erklärt, er nehme teil, „weil ich ein stolzer Patriot meines Landes bin. Ich finde, die Monarchie hat einen Platz, aber die ganze Tradition und der Stolz, die ich empfinde, gehen immer mehr verloren. Es gibt in Großbritannien und Schottland nicht mehr viele Patrioten.“
Die Rangers sind berüchtigt dafür, dass viele ihrer Fans royalistische paramilitärische Gruppen in Nordirland unterstützen.
Ebenfalls am Montag wurde dem Rechtsanwalt Paul Powlesland in London mit Verhaftung gedroht. Videoaufnahmen des Vorfalls wurden von mehr als 1,4 Millionen Menschen gesehen.
Powlesland twitterte: „Bin gerade zum Parliament Square und habe ein leeres Stück Papier hochgehalten. Ein Beamter kam und fragte nach meinen Personalien. Er bestätigte, dass er mich wegen Verstoßes gegen den Public Order Act verhaften würde, wenn ich ,Nicht mein König‘ auf das Papier schreiben würde, weil sich davon jemand beleidigt fühlen könnte.“
Powlesland erklärte am Dienstag in der ITV-Sendung GMB: „Ich stand vor dem Parlament, unserem politischen Zentrum, wo sich jemand selbst zum König ernannt und mich als seinen Untertanen bezeichnet hat. Ich denke, ich habe zumindest die Möglichkeit, meine Meinung dazu in sehr höflicher Form zu äußern.“
Das harte Durchgreifen der Polizei hat so große Wut ausgelöst, dass selbst führende politische Kommentatoren und Kolumnisten, die seit langem die Interessen des britischen Imperialismus vertreten, vor einem Vertrauensverlust in die staatlichen Institutionen warnten. Immerhin vertritt mindestens ein Viertel der Bevölkerung republikanische Ansichten.
Andrew Marr, bis vor kurzem Leiter der wichtigsten Politsendung der BBC, erklärte zu Beginn seiner LBC-Show Tonight with Andrew Marr: „Eine Monarchie, die ein paar Buhrufe und ein paar Stück Pappe nicht aushält, ist ziemlich schwach, oder? ... Diese Art von idiotischen, plumpen Polizeieinsätzen ist langfristig sogar gefährlich für die Monarchie. Wenn es aussieht, als ob wir uns zwischen einem König oder freier Meinungsäußerung entscheiden müssen, werden Millionen von uns sagen: Dann nehme ich lieber die Meinungsfreiheit.“
Die politische Redakteurin des Guardian, Pippa Crerar, twitterte: „Ob man mit ihr übereinstimmt oder nicht, diese Frau [die von einer Phalanx von Polizisten aus dem Buckingham Palace abgeführt wurde] hat ein Recht zu protestieren. Das ist auch kein Einzelfall. Die Polizei muss aufpassen, dass sie nicht über das Ziel hinausschießt.“ Die Guardian-Kolumnistin Marine Hyde erklärte ebenfalls: „Öffentliche Unmutsäußerungen zu unterdrücken, kann auf eine Weise nach hinten losgehen, die selbst die Mächtigen nicht voraussehen können.“
Am Montag um 21:16 Uhr sah sich die Londoner Metropolitan Police, die im Zusammenhang mit dem Tod der Queen die größte Polizeioperation ihrer Geschichte durchführt, zu einer Stellungnahme gezwungen. Deputy Assistant Commissioner Stuart Cundy erklärte: „Wir wissen, dass im Internet ein Video kursiert, in dem ein Beamter vor ein paar Stunden mit einer Person [Powlesland] vor dem Palace of Westminster sprach. Die Öffentlichkeit hat absolut das Recht zu protestieren. Wir haben das allen Beamten deutlich gemacht, die an der heutigen außergewöhnlichen Polizeioperation beteiligt sind, und werden es auch weiterhin tun.“
Viele Kritiker wiesen darauf hin, dass sich die Polizei bei der Drohung mit Verhaftung von Monarchiegegnern auf drakonische Gesetze beruft, die erst vor wenigen Monaten von der konservativen Regierung eingeführt wurden.
Unter dem Titel „Kann man nach dem Tod der Queen wegen eines Plakats mit monarchiefeindlichem Inhalt verhaftet werden?“ schrieb Sky News: „Der Police, Crime, Sentencing and Courts Act, der dieses Jahr in Kraft getreten ist, gibt der Polizei mehr Befugnisse, Proteste wegen ,erheblicher Auswirkungen‘ auf Umstehende aufzulösen.“
Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit wäre nicht möglich ohne die Unterstützung der Labour Party und der Gewerkschaften. Nur eine Stunde nach dem Tod der Queen sagten die Post- und Eisenbahngewerkschaften die aktuellen und bevorstehenden landesweiten Streiks ab. Die größte Gewerkschaft für Pflegeberufe Royal College of Nursing brach „aus Respekt“ sogar eine laufende Urabstimmung unter ihren 300.000 Mitgliedern ab.
Am Dienstag berichtete der Guardian-Kolumnist und Labour-Abgeordnete, Owen Jones, die Labour-Führung habe „Richtlinien an alle Labour-Abgeordneten geschickt, die es ihnen verbieten, in den sozialen Netzwerken etwas anderes als Achtungsbezeugungen für die Queen oder Positionen der Partei zu posten, und ihnen Gespräche mit den Medien verboten“.
Eine der Vorschriften lautet: „Alle Wahlkampf- und Parteiaktivitäten müssen bis auf weiteres ausgesetzt bleiben... Befolgen Sie in der Öffentlichkeit die für diese Zeit geltende Kleiderordnung (dunkle und gesetzte Farben)... Alle politischen Äußerungen, einschließlich Updates/Newsletter von Abgeordneten, sollten während dieser Zeit verschoben werden.“
Die Ereignisse der letzten Tage sind eine vernichtende Entlarvung der demokratischen Fassade der britischen herrschenden Elite, die die Strukturen eines Polizeistaats aufbaut.
In den letzten acht Monaten wurde der Bevölkerung mit unablässiger Propaganda klargemacht, dass im Krieg gegen Russland in der Ukraine die Zukunft der Demokratie und des Rechtsstaats auf dem Spiel steht. Die Kriegstreiber werden nie müde zu betonen, dass in Putins Russland jeder, der protestiert oder Plakate hochhält, sofort verhaftet wird.
Doch genau dieses Szenario spielt sich jetzt vor den Augen von Millionen ab. Ein superreicher Parasit wird zum Staatsoberhaupt proklamiert, weil es sein angebliches Erbrecht ist – das ist das exakte Gegenteil von demokratischer Herrschaft. Powlesland wurde mit Verhaftung bedroht, nur wenige Meter von der Westminster Hall entfernt, in der ebenjener König Charles III. behauptete, das Parlament sei „das lebende und atmende Organ unserer Demokratie“.
Das staatliche Vorgehen gegen die Anti-Monarchie-Proteste findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem die konservative Truss-Regierung Gesetze vorbereitet, die Streiks in bestimmten systemrelevanten Industrie- und Dienstleistungsbranchen verbieten sollen. Die Polizeiangriffe bestätigen, dass die Bourgeoisie auf diktatorische Herrschaftsformen zurückgreift, wenn sie mit einer beispiellosen sozialen Ungleichheit und dem Ausbruch des Klassenkampfs konfrontiert ist, der jetzt nur durch die obligatorische Staatstrauer unterbrochen wurde.