Am vergangenen Donnerstag kam es im Abstand von wenigen Stunden zu zwei Schiffbrüchen von Flüchtlingsbooten vor griechischen Inseln, bei denen mindestens 23 Menschen starben.
Die jüngsten tödlichen Schiffbrüche ereigneten sich nur wenige Tage, nachdem am 24. September mindestens 86 Menschen ertranken, als ein Boot mit Flüchtlingen aus dem Libanon vor der Küste von Tartus in Syrien sank.
Bei einem der beiden letzten Unglücke am 6. Oktober kenterte ein Schlauchboot aufgrund des stürmischen Wetters an der Ostseite der ägäischen Insel Lesbos vor der türkischen Küste. An Bord waren etwa 40 Menschen, die meisten laut Berichten afrikanischer Herkunft, wahrscheinlich aus Somalia. 18 Menschen starben, darunter 16 junge Frauen, ein Mann und ein 15-jähriger Teenager. 15 Überlebende konnten sich über Wasser halten und wurden in den umliegenden Bergen von Mitarbeitern des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge entdeckt, die sie den Behörden übergaben. Weitere zehn Überlebende wurden von Felsen unterhalb eines militärischen Außenpostens an der Küste gerettet.
Der andere Schiffbruch ereignete sich wenige Stunden zuvor, als ein Segelboot mit 95 Geflüchteten an Bord bei Windgeschwindigkeiten zwischen 90 und 100 Stundenkilometern östlich des Haupthafens von Kythira, Diakofti, auf einen Felsen auflief. Die Insel liegt im Ionischen Meer vor der Küste der Peloponnes im Süden Griechenlands.
Das Boot sank fünf Minuten nach dem Aufprall und wurde nach Angaben eines Sprechers der Küstenwache „völlig zerstört“. Die Flüchtlinge, darunter 18 Kinder, kamen hauptsächlich aus Afghanistan, einige auch aus dem Iran und Irak. Das Boot war zwei Tage zuvor von der Türkei aus in See gestochen und befand sich auf dem Weg nach Süditalien. Das Unglück ereignete sich 20 Minuten, nachdem die Menschen auf dem Boot die europaweite Notrufnummer 112 gewählt hatten. Sieben Leichen wurden geborgen, acht Personen werden noch vermisst.
Die erschütternden Szenen aus Kythira stehen für die dramatische Notlage, in die Flüchtlinge gebracht werden, die vor Krieg und Armut in ihren Heimatländern fliehen. In den Videoaufnahmen von Kythira News sieht man verzweifelte Überlebende am Fuß der steilen Klippe, die bei Wind und Wellengang um ihr Leben kämpfen und darauf warten, an einem Seil hochzuklettern, um in Sicherheit gebracht zu werden.
Dass die Zahl der Todesopfer nicht höher war, ist dem heldenhaften Einsatz der Anwohner zu verdanken, die die Bergklippe hinabstiegen, um bei den Rettungsarbeiten zu helfen.
Gegenüber der griechischen Onlinezeitung The Press Project sagte einer der Retter: „Mehr als 50 Einheimische kamen sofort zum Ort des Schiffsunglücks, mit Decken, trockener Kleidung und verschiedenen Hilfsgütern. Auf der Insel gibt es ein Rettungsteam, das sofort mobilisiert wurde und dabei half, die Beteiligung der Anwohner an der Rettungsaktion zu koordinieren. Zehn Personen zogen die 80 Menschen, die sie retten konnten, nacheinander mit Seilen aus der Höhle [am Fuß der Klippe] hoch. Für Hubschrauber und Schiffe der Küstenwache war es unmöglich, sich dem felsigen Ufer in der Dunkelheit und bei den von Norden kommenden Wellen zu nähern.“
Ein weiterer Videoclip der griechischen Küstenwache, der aus einem breiteren Blickwinkel aufgenommen wurde, zeigt die große Gefahr, in der sich die Flüchtlinge befanden, die an der massiven Felswand gestrandet waren.
In einem Tweet brachte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis scheinheilig seine „Trauer über den tragischen Verlust von Menschenleben“ zum Ausdruck und beschuldigte Menschenhändler, „unschuldige verzweifelte Menschen auszubeuten“. Vertreter der Küstenwache sagten gegenüber der konservativen Tageszeitung Kathimerini, dass die Menschenhändler in der Vergangenheit bei schlechtem Wetter nicht in See stachen, nun aber „Menschen in den Tod schicken, um schnell Geld zu verdienen“.
In Wahrheit müssen die Flüchtlinge, die nach Europa kommen, immer größere Risiken eingehen, um einer Entdeckung durch die Behörden zu entgehen. Grund dafür ist die brutale Politik der Pushbacks, d.h. der Zurückdrängung von Flüchtlingen über die Grenze in die Türkei durch die griechischen Behörden.
Kurz nach den beiden Tragödien twitterte der bekannte griechische Aktivist Iasonas Apostolopoulos, der Such- und Rettungsaktionen für Flüchtlinge in der Ägäis und im Mittelmeer leitet: „Auf Lesbos sind sie bei Windstärke 7 aufgebrochen, damit sie von der griechischen Küstenwache nicht entdeckt und zurückgedrängt werden. In Kythira versuchten sie aus demselben Grund, direkt von der Türkei nach Italien zu gelangen (was 100 Mal schwieriger ist).“
Die nach internationalem Recht illegale Praxis der Pushbacks ist mittlerweile zur Routine der griechischen Regierung geworden und fester Bestandteil der Politik der „Festung Europa“. Verzweifelten Flüchtlingen wird das Recht verweigert, in der EU Asyl zu suchen. Wie Recherchen ergeben haben, zwingen die griechischen Behörden sogar Asylbewerber, sich aktiv an den Pushbacks zu beteiligen. Sie werden mit dem Versprechen erpresst, dass ihnen im Gegenzug die Durchreise nach Europa ermöglicht wird. Die griechische Polizei arbeitet bei ihren Pushback-Operationen routinemäßig mit den Schleusern zusammen.
Laut der Nichtregierungsorganisation Aegean Boat Report, die regelmäßig Berichte zu den Pushbacks veröffentlicht, haben diese in den letzten zwei Jahren erheblich zugenommen. Im Jahr 2021 wurden 632 Boote in die Türkei zurückgeschoben – fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Diese Zahl wurde mit 701 Booten (bis zum 10. Oktober) in diesem Jahr bereits vor Jahresende übertroffen.
Die Pushbacks führen zu einem Anstieg der Todeszahlen, weil die Flüchtlinge größere Risiken eingehen, um in klapprigen Booten gefährliche Meere zu überqueren. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) starben oder verschwanden im Jahr 2021 offiziell 2.062 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, gegenüber 1.449 im Jahr zuvor. Bis Ende September dieses Jahres wurden bereits 1.522 Menschen als tot oder vermisst gemeldet.
Abscheuliche Verbrechen gegen Flüchtlinge durch die Behörden sind an der Tagesordnung. Am 4. Oktober berichtete The Press Project: „Einen ganzen Monat lang wurden acht Flüchtlinge illegal und willkürlich in den Hafteinrichtungen der Polizeistation von Samos festgehalten, ohne Unterkunft, Hygiene und Kleidung. Unter den Acht war eine junge Geflüchtete namens Madi, die 26 Tage lang in einer Zelle mit Gitterstäben – ähnlich einem Käfig – festgehalten wurde, die sich innerhalb der Zelle befand, in der die sieben Männer untergebracht waren. Die Flüchtlinge hatten den ‚Fehler‘ begangen, vom Evros [dem Grenzfluss zwischen Griechenland und Türkei] einzureisen und freiwillig zur Polizeistation von Samos zu kommen, um sich zu registrieren und internationalen Schutz zu beantragen. Das Ergebnis war ihre illegale Inhaftierung unter erbärmlichen Bedingungen, obwohl 46 Millionen Euro in Samos investiert wurden, um die geschlossene kontrollierte Einrichtung zu schaffen, die diesem Zweck dient.“
Abgesehen von einer kurzen Pressemitteilung der Grenzschutzagentur Frontex, in der sie ihr „tiefstes Beileid“ zu dem Schiffsunglück auf Lesbos zum Ausdruck brachte, gab es keine einzige Erklärung aus der EU, die die Tragödie auch nur zur Kenntnis genommen hätte. Jüngste Berichte haben gezeigt, dass Frontex regelmäßig an den Pushback-Operationen Griechenlands teilnimmt.
Die griechische Regierung hat die Tragödie nicht nur genutzt, um die Schuld auf die Schlepper zu schieben, sondern auch, um ihr Säbelrasseln gegen die Türkei zu verstärken. Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs nehmen die Spannungen zwischen Athen und Ankara zu. In einem Tweet vom 8. Oktober erklärte der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis: „Dringende Aufforderung an die Türkei, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um alle irregulären Ausreisen aufgrund der harten Wetterbedingungen zu verhindern.... Die EU muss handeln.“
Schon einen Tag vor den Tragödien hatte Mitarakis ein Video getweeted, das angeblich „Aufnahmen der türkischen Küstenwache zeigt, die Migranten gewaltsam nach Griechenland drängt, was gegen internationales Recht und die gemeinsame Vereinbarung der EU verstößt“. Mitarakis’ Behauptung wurde aber direkt von Aegean Boat Report widerlegt. Die NGO antwortete: „Dieses Video ist über drei Jahre alt, und Sie wissen das und führen die Leute absichtlich in die Irre. Das Video zeigt keinen ‚Vorstoß‘, wie Sie behaupten, sondern die türkische Küstenwache, die versucht, ein Boot gewaltsam an der Überfahrt nach Griechenland zu hindern, wofür sie von der EU im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens bezahlt wurde.“
Ungeachtet ihrer regionalen Rivalitäten sind sich die griechischen und türkischen Eliten einig in der Durchsetzung der EU-Politik der Festung Europa.
Die Lügen und die Heuchelei der griechischen Regierung unter Nea Dimokratia werden nur von der pseudolinken Syriza übertroffen, der wichtigsten Oppositionspartei im Parlament. Nach den Bootstragödien forderten die Syriza-Abgeordneten in einer gemeinsamen Erklärung die Türkei auf, „die Instrumentalisierung von Flüchtlingen zu beenden, die sie mit Duldung der EU-Führung fortsetzt, und ihre Verpflichtungen im Rahmen der internationalen Regeln einzuhalten“.
„Wir fordern die griechische Regierung auf, endlich die destruktive Rolle des Gefängniswärters Europas aufzugeben, aber auch die europäische Führung, nicht länger so zu tun, als sähe sie die Toten im Mittelmeer nicht, sondern Initiativen für eine gerechte Migrations- und Asylpolitik zu ergreifen.“
Wenn jemand etwas davon versteht, der Gefängniswärter Europas zu sein, dann ist es Syriza, die selbst eine üble Antiflüchtlingspolitik betrieben hat. Als Syriza von 2015 bis 2019 an der Regierung war, errichtete sie auf Geheiß der EU Lager zur Internierung von Flüchtlingen. Das berüchtigte Moria-Lager auf Lesbos wurde als „schlimmstes Flüchtlingslager der Welt“ bezeichnet, bevor es im September 2020 abbrannte.
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