Französische Regierung droht, landesweiten Raffineriestreik zu zerschlagen

Infolge des Streiks in den französischen Raffinerien wird seit Montag das Benzin knapp. Angesichts des Engpasses an den Tankstellen kündigte Premierministerin Élisabeth Borne im Parlament an, die Streikenden in den Exxon-Raffinerien zwangsweise zu verpflichten. Der Staat könnte Bereitschaftspolizei einsetzen, um den Streik zu brechen. Er könnte Arbeiter an den Streikposten angreifen und sie physisch zur Rückkehr an die Arbeit zwingen.

Raffinerie Total in Grandpuits

Wenige Stunden vor dieser Ankündigung hatten Arbeiter der Exxon-Raffinerien in Port-Jérôme-Gravenchon und Fos-sur-Mer für die Fortsetzung des Streiks gestimmt. Am Montag schloss sich auch die Belegschaft der letzten bisher nicht bestreikten Raffinerie, von Total in Donges, dem Arbeitskampf an. Nun streiken die Beschäftigten aller französischen Raffinerien und fordern Lohnerhöhungen, um die Inflation aufzufangen. Exxon und Total erzielen aufgrund der steigenden Energiepreise gerade Gewinne in Höhe von mehreren Milliarden Euro.

Getrieben durch den raschen Anstieg der Inflation kommen die Streiks in Frankreich mit einem internationalen Aufschwung des Klassenkampfs zusammen. In Großbritannien und Südafrika kämpfen Hafen- und Transportarbeiter, und in weiten Teilen Afrikas sind die Fluglotsen im Streik. Lehrkräfte wehren sich von Norwegen über Deutschland bis Serbien, Kosovo und Griechenland. In den Vereinigten Staaten droht ein landesweiter Streik der Eisenbahner, und es brodelt bei der gesamten Bahn, wie auch in der US-Autoindustrie.

Die Drohung der Premierministerin Élisabeth Borne, den Raffineriestreik gewaltsam zu zerschlagen, ist eine Warnung an die Arbeiter in ganz Frankreich und weltweit. Eine massive Eskalation des Klassenkampfs ist im Gange. Nachdem die herrschenden Eliten Billionen von Euro für Bankenrettungen ausgaben, verschwenden sie solche Summen jetzt an das Militär, wobei der Nato-Russland-Krieg in der Ukraine zum Atomkrieg eskalieren könnte. Gleichzeitig erklären die kapitalistischen Regierungen in aller Welt auch der Arbeiterklasse im eignen Land den Krieg.

Arbeiter können sich nur auf der Grundlage einer internationalen Strategie gegen Inflation und Krieg zur Wehr setzen, indem sie mit den bankrotten nationalen Gewerkschaften brechen.

Die Premierministerin rechtfertigte ihre Entscheidung, Arbeiter zwangsweise zu verpflichten, mit dem Hinweis auf einen Vertrag, den Exxon mit der Gewerkschaft CFDT vereinbart hat. Mit Verweis auf den stalinistischen CGT warnte Borne: „Einige Organisationen wollen den Streik fortsetzen. Das können wir nicht akzeptieren.“

Borne behauptete, die Zustimmung der CFDT zu besagtem Vertrag bedeute, dass der Streik beendet werden müsse: „Der soziale Dialog, das bedeutet, dass man weitermacht, sobald eine Mehrheit erreicht ist. Das ist kein Minimalvertrag. Das Management macht echte Zugeständnisse. Deshalb habe ich die Polizeipräfekten angewiesen, wie das Gesetz es erlaubt, ein Verfahren vorzubereiten, um Personal zwangsweise zu verpflichten, das für das Funktionieren der [Exxon]-Raffinerien unerlässlich ist.“

Sie drohte auch den Beschäftigten der anderen französischen Raffinerien, die von Total betrieben werden: „Ich hoffe, dass die Gewerkschaften die ausgestreckte Hand ergreifen werden (...) Wenn nicht, wird die Regierung auch hier handeln, um die Situation zu entschärfen.“ Dann zitierte sie den berüchtigten Satz von Maurice Thorez, dem Führer der stalinistischen KPF, der sich während des französischen Generalstreiks 1936 geweigert hatte, für die Arbeitermacht zu kämpfen: „Man muss auch wissen, wie man einen Streik beendet, sobald Zufriedenheit erreicht ist.“

Das ist eine zynische Lüge, denn die Arbeiter haben noch nicht einmal die Erfüllung ihrer Lohnforderungen erreicht. Die Inflation liegt für 2022 bei 7 Prozent und wird für 2023 in Frankreich auf 10 bis 15 Prozent vorausgesagt. Der Vertrag sieht jedoch nur eine Erhöhung von 4,2 Prozent in diesem Jahr und 6,5 Prozent im Jahr 2023 vor. Der Vertrag der CFDT würde also eine weitreichende Reallohnsenkung für die Raffineriebeschäftigten bedeuten. Diese Strategie verfolgen derzeit die Banken ganz Europas gegen Beschäftigte in allen Branchen.

Es zeigt, dass die CFDT-Bürokratie nicht als Gewerkschaft, sondern als reaktionäre Streikbrecher-Organisation handelt und sich an der Verarmung ihrer Mitglieder durch die Banken beteiligt. Aber auch die vermeintlich „klassenkämpferische“ CGT ist keine Alternative. Das zeigt die bittere Erfahrung des Klassenkampfs. Die CGT reagiert nur auf die Militanz der Arbeiter, während sie sich bemüht, keine breite Mobilisierung von Arbeitern gegen die Gefahr der Repression zuzulassen.

Die CGT-Bürokratie versucht auf zynische Weise, die wachsende Wut der Basis aufzufangen. Sie hat eine Erklärung herausgegeben, in der es heißt: „Die Pseudo-Gewerkschaften haben den Streik für einen Bonus verraten, aber der Kampf der CGT für echte Lohnerhöhungen geht weiter.“ In den beiden größten französischen Häfen, Marseille und Le Havre, erklärten die CGT-Gewerkschaften sich mit dem Raffineriestreik solidarisch und versprachen, „solidarisch und aktiv“ zu sein, falls es zu polizeilichen Repressionen kommen sollte.

Die Rolle der CGT-Bürokratie besteht jedoch vor allem darin, die Arbeiter zu demobilisieren und einzulullen, während Borne und der französische Präsident Emmanuel Macron Repressionen vorbereiten.

In der Raffinerie Total in La Mède behauptete der CGT-Delegierte Fabien Cros, er verstehe nicht, was Bornes Drohung, die Streikenden zwangsweise zu verpflichten und die Raffinerien zu ent-blockieren, bedeuten könnte. Cros sagte: „Raffinerien ent-blockieren? Aber wir blockieren die Raffinerien nicht, wir streiken. Sie können ja selbst reinkommen und die Maschinen zum Laufen bringen (...) Ich verstehe das juristische Drumherum dieser Forderung nicht, die sich im Moment offenbar eher an Exxon richtet als an uns.“

Um Bornes Drohung zu verstehen, muss man sich an die Beschlagnahmung der französischen Raffinerien im Jahr 2010 erinnern, als deren Beschäftigte gegen die Rentenkürzungen von Präsident Nicolas Sarkozy streikten. Als die Tankstellen leer waren, zwang Sarkozy den Streik durch mehrere Maßnahmen in die Knie. Er ließ Lieferungen von raffiniertem Gas aus andern Ländern kommen und übte gleichzeitig finanziellen Druck auf die Streikenden aus, denen die Gewerkschaften kein Streikgeld zahlten. Zudem profitierte er von der Spaltung zwischen verschiedenen Gewerkschaftsverbänden. Schließlich setzte die Regierung direkte Polizeirepression ein. Sarkozy verpflichtete die Streikenden in den Raffinerien zur Arbeit und schickte die Polizei, um die Streikposten zu räumen, wodurch er das verfassungsmäßig geschützte Streikrecht verletzte. So zwang er die Beschäftigten schließlich zur Rückkehr an die Arbeit.

Heute ist die Lage noch brisanter als 2010. Die europäische und die Weltwirtschaft taumeln unter den Auswirkungen der Inflation, die durch umfangreiche Bankenrettungen angetrieben wird – schließlich muss der Reichtum der besitzenden Klassen gerettet werden. Besonders der Nato-Russland-Krieg in der Ukraine desorganisiert die globale Industrie. Jetzt drohen sowohl die Nato als auch Moskau mit dem Einsatz von Atomwaffen, was laut US-Präsident Biden zu einem „nuklearen Armaggedon“ führen könnte.

Die Macron-Regierung weiß, dass sie inmitten einer tödlichen Krise des Kapitalismus weitherum verachtet wird. Sie ist bereit, noch rücksichtslosere Maßnahmen als 2010 zu ergreifen, und wie immer stützt sie sich auf die bankrotte Gewerkschaftsbürokratie. Als die Polizei im Jahr 2010 die Raffinerien angriff, weigerte sich die CGT, mehr als symbolische Proteste zu veranstalten. Während die CGT-Funktionäre heute von Solidarität zwischen Hafen und Raffinerie sprechen, rühren sie in Wahrheit keinen Finger, um eine solche zu organisieren, und überlassen die Initiative Macron und dem Staat.

Alexis, ein Arbeiter der Raffinerie Grandpuits, berichtete der World Socialist Web Site von dem Streikbeschluss in der Raffinerie am Montag: Kein Treibstoff habe seither das Gelände verlassen. Er bestätigte auch, dass die Gewerkschaftsfunktionäre, die diesen Streik organisiert haben, gestern Abend über die Gefahr einer Zwangsverpflichtung kein Wort verloren. „Bis jetzt haben wir keine Informationen darüber“, sagte er.

Die WSWS sprach auch mit David, einem Hafenarbeiter aus Marseille, der sagte, dass auch die Gewerkschaftsbürokraten im Hafen keine konkreten Maßnahmen für den Fall vorbereiteten, dass der Staat die Raffinerien besetzen würde. Die Hafenarbeiter sprechen über den Raffineriestreik, sagte David: „Sie sagen, diese Arbeiter haben das Recht zu streiken.“ David fügte hinzu, dass die Gewerkschaftsbürokraten nichts unternehmen, um diese spontane Unterstützung der Streikenden, denen eine Besetzung der Raffinerien droht, zu mobilisieren und die Streikenden zu verteidigen.

„Niemand hat uns etwas gesagt. Normalerweise bekommen wir eine Nachricht, wenn die Gewerkschaften eine Generalversammlung oder eine Abstimmung abhalten, aber wir haben bisher nichts gehört. Es gibt keine Versammlung“, sagte er und fügte hinzu: „Wenn es solche Diskussionen gab, dann wahrscheinlich auf der Ebene des Gewerkschaftsverbands der Abteilungen. Vielleicht haben die hauptamtlichen Funktionäre sich mit denjenigen bei Exxon ausgetauscht.“

Die mächtige, aufstrebende Bewegung der Arbeiterklasse kann den Zusammenbruch des Lebensstandards rückgängig machen, und sie kann den Absturz des Kapitalismus in einen Atomkrieg stoppen. Dies erfordert jedoch den Aufbau von Aktionskomitees, die von den Gewerkschaften unabhängig sind. Sie müssen deren lähmenden Einfluss brechen und einen Gegenschlag vorbereiten. Der Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees und der Kampf gegen Inflation und imperialistischen Krieg bilden die politische Achse, auf der der Kampf zur Verteidigung des Raffineriestreiks gegen Macron geführt werden muss.

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