Hunderte weitere Flüchtlinge sterben im Mittelmeer an der Festung Europa

Das Massensterben der Flüchtlinge im Mittelmeer geht weiter. Allein in der letzten Woche starben wieder Dutzende Menschen bei dem Versuch, sich nach Europa zu retten.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Aegean Boat Report (ABR) wurden 22 Leichen aus einem Schiffswrack in der Nähe der griechischen Inseln Evia und Andros geborgen, mindestens 34 weitere werden noch vermisst. Unter den Toten, die in der Meerenge von Kafireas gefunden wurden, sind fünf Kinder und sechs Frauen. Etwa 68 Personen waren an Bord des Boots, das am Dienstag vor einer Woche sank.

Außerdem werden acht Menschen vermisst, nachdem ein Schlauchboot am vorletzten Montag vor der ostägäischen Insel Samos umkippte und sank.

Am 2. November veröffentlichte ABR in einem Facebook-Post weitere Informationen über das Unglück in der Kafireas-Meerenge: „Wir haben beschlossen, eines der beiden Videos zu veröffentlichen, die an Bord des Segelboots kurz vor dem Untergang gefilmt wurden. Auf dem Video sind keine Gesichter zu sehen, und die Stimme wurde verändert, so dass man sie nicht mehr erkennen kann, um der Sensibilität dieser Tragödie Rechnung zu tragen. In den Videos spricht der Mann auf Sorani und stammt daher höchstwahrscheinlich aus dem Nordirak (Kurdisch). Der Mann telefoniert, wie es scheint, mit den Rettungsdiensten und sagt: ‚Das Wasser dringt in das Boot ein, bitte beeilen Sie sich, uns zu retten, wir haben nur noch zehn Minuten, dann wird das Boot sinken.‘“

Ein ABR-Tweet vom 1. November zeigte vier Bilder von Flüchtlingsfrauen und -kindern, die sich auf ein Schlauchboot gequetscht hatten und erschöpft auf den Felsen an der Küste lagen: „40 Menschen kamen letzte Nacht auf [der griechischen Insel] Lesbos an, 11 von ihnen sind jetzt sicher im Lager, 29 wurden verhaftet, geschlagen und ausgeraubt, bevor sie von der griechischen Küstenwache in ein Rettungsboot geworfen und hilflos in der Ägäis treibend zurückgelassen wurden; das ist griechischer Grenzschutz.“

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Das sind nur die jüngsten schrecklichen Fälle, bei denen die griechischen und türkischen Behörden miteinander wetteifern, wer die brutalste Anti-Einwanderungspolitik an der Südgrenze der Festung Europa durchsetzt.

Im vergangenen Monat ertranken mindestens 27 Flüchtlinge bei zwei getrennten Schiffsunglücken. Achtzehn Menschen starben, als ein Boot, das von der Türkei aus in See gestochen war, vor Lesbos sank. Ein anderes Boot mit 100 Personen ging in einem Sturm unter, wobei mindestens neun Menschen starben und sechs noch vermisst werden.

Auch nach dem Schiffbruch vor der Insel Kythira am 5. Oktober werden noch immer Menschen vermisst. Ein Segelboot mit 95 Flüchtlingen an Bord war dort östlich des Haupthafens von Diakofti auf einen Felsen aufgeprallt. Mindestens elf Menschen starben, nur sieben Leichen wurden geborgen, acht Personen werden noch vermisst. Das Boot hatte sich zwei Tage zuvor von der Türkei aus auf den Weg nach Süditalien gemacht.

Leichen von ertrunkenen Geflüchteten neben schwimmenden Trümmern vor der Insel Kythira, 6. Oktober 2022 (AP Photo/Thanassis Stavrakis) [AP Photo/Thanassis Stavrakis]

Ein weiterer Vorfall verdeutlicht die grausame Brutalität und Unmenschlichkeit, mit der Regierungen verzweifelte Männer, Frauen und Kinder behandeln, die aus ihren zerstörten Heimatländern fliehen. Am Wochenende des 15./16. Oktober wurden 92 Einwanderer aus Afghanistan, Syrien, Marokko, Iran, Bangladesch und Pakistan am Fluss Evros in Griechenland an der Grenze zur Türkei entdeckt, nachdem sie von den Behörden völlig nackt dort ausgesetzt worden waren. Unter ihnen befanden sich auch Kinder.

Weder die griechische noch die türkische Regierung haben die Verantwortung für dieses Verbrechen übernommen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) bezeichnete den Vorfall als „grausame und erniedrigende Behandlung“ und forderte eine Untersuchung. Doch unabhängig davon, wer für diese Gräueltat direkt verantwortlich ist, folgt sie aus der brutalen Antiflüchtlingspolitik beider Länder und der Europäischen Union (EU). Im März 2016 wurde zwischen der EU und der Türkei ein Abkommen geschlossen, das als „vorübergehende und außerordentliche Maßnahme“ bezeichnet wurde. In dem Deal verpflichtete sich Ankara, „illegal“ von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangte Migranten wieder zurückzunehmen.

Die EU und andere europäische Länder sammeln nicht systematisch Daten über die Zahl der Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken oder in den Ankunftsländern verhaftet und ihrer demokratischen Rechte beraubt werden. Es wird Organisationen wie Aegean Boat Report überlassen, mit begrenzten Mitteln die Informationen zusammenzustellen und die brutale Abschiebung von Flüchtlingen in der faschistischen „Pushback“-Politik zu dokumentieren.

Am 2. November twitterte ABR, dass im Vormonat „105 illegale Pushbacks in der Ägäis registriert wurden, die von der [griechischen Küstenwache] durchgeführt wurden, 2.618 Menschen – Kinder, Frauen und Männer – wurde ihr Recht auf Asyl verweigert, ihre Menschenrechte wurden von der griechischen Regierung verletzt.“

Der Bericht vom Oktober stellt fest, dass die griechische und türkische Küstenwache in den letzten Wochen die Verfolgung von Migranten verstärkt hat. 2022 sei die Zahl der Menschen, die auf griechischen Inseln ankamen, im Vergleich zu 2021 um 153,2 Prozent gestiegen. Im Oktober war sie „im Vergleich zum September um 16,3 Prozent zurückgegangen“.

ABR schreibt: „225 Boote haben im Oktober die Reise [von der Türkei] zu den griechischen Inseln angetreten, an Bord waren insgesamt 6.113 Menschen. 54 Boote schafften die Fahrt mit insgesamt 1.282 Menschen, der Rest, 171 Boote und 4.831 Menschen, wurden von der türkischen Küstenwache aufgegriffen, die Hälfte dieser Boote wurde von der griechischen Küstenwache zurückgedrängt.“

Im Jahr 2022 wurden 1.386 Boote auf dem Weg nach Griechenland gestoppt und 44.041 Menschen (!) verhaftet.

Das neueste zweimonatliche Bulletin über Flüchtlinge und Migranten von ReliefWeb, das vom Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) bereitgestellt wird, enthält weitere Beispiele für die kriminelle Behandlung von Flüchtlingen.

Darin heißt es: „Zwischen dem 15. März und dem 27. September 2022 erließ der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 20 einstweilige Anordnungen in einer Reihe von Fällen von Flüchtlingen und Migranten in der Region Evros, die vom GCR [Griechischer Flüchtlingsrat] vertreten wurden, und wies die griechischen Behörden an, sie unverzüglich zu retten. Trotz der Gerichtsurteile wurden die meisten Menschen zurückgedrängt oder gewaltsam in die Türkei abgeschoben. Diejenigen, die formell festgenommen und registriert wurden, berichten, dass sie bereits zuvor zurückgeschoben worden waren.“

ReliefWeb nennt unter anderem folgende Fälle:

  • „Im August saßen 38 Flüchtlinge tagelang auf einer kleinen Insel im Evros-Fluss fest. Die griechischen Behörden leiteten keine Rettungsaktion ein, da sie behaupteten, die Flüchtlinge befänden sich auf türkischem Gebiet. Die Flüchtlinge wurden erst formell verhaftet und registriert, nachdem sie berichtet hatten, dass ein fünfjähriges Mädchen auf der Insel gestorben war.“
  • „Seit dem 10. August werden rund 50 Menschen vermisst, nachdem ein Migrantenboot, das von der Südtürkei aus in Richtung Italien unterwegs war, in der Ägäis vor der griechischen Insel Rhodos gesunken ist.“

Das internationale Recht werde verletzt, und die Flüchtlinge würden oft auf dem Meer dem Tod überlassen. ReliefWeb schreibt: „Immer mehr Migranten auf Booten, die von der Türkei und dem Libanon nach Italien fahren, gehen auf südgriechischen Inseln oder in Küstengebieten an Land, nachdem sie mehrere Tage auf dem Meer getrieben haben. Dramatische Verzögerungen bei den Such- und Rettungsaktionen (SAR) der EU-Staaten zeigen, dass sie ihre internationalen Verpflichtungen zur Rettung von Opfern im Mittelmeer missachten.“

Bei einem schrecklichen Ereignis „starb ein vierjähriges syrisches Mädchen an Dehydrierung, eine im achten Monat schwangere Frau verlor ihr Kind, viele wurden verletzt und zwei Menschen wurden nach einem verzögerten und unzureichenden SAR-Einsatz in der maltesischen SAR-Zone vor Kreta vermisst.“

Auch die Behandlung der Flüchtlinge in den griechischen Lagern wird immer abscheulicher. Der Bericht von ReliefWeb stellt fest: „In der geschlossenen Einrichtung auf Samos wurde eine ungerechtfertigte 25-tägige Bewegungsbeschränkung für neu ankommende Asylbewerber verhängt.“ Weiter heißt es: „Neu angekommene jesidische Flüchtlinge blieben tagelang obdachlos und ohne Zugang zu Trinkwasser außerhalb des Lagers von Serres.“

Griechenlands rechtskonservative Regierungspartei Nea Dimokratia „schloss das Lager Eleonas gewaltsam mit dem Einsatz der Bereitschaftspolizei“. Das geschah im August. Info Migrants berichtete: „Die Räumung des Lagers Eleonas begann um 5:00 Uhr morgens Ortszeit in Athen. Bei ihrem Eintreffen stieß die Polizei jedoch zunächst auf Barrikaden, die die Bewohner des 670 Personen zählenden Lagers vor den Toren errichtet hatten, um ihre Räumung zu verhindern. Nachdem die improvisierten Hindernisse entfernt worden waren, kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizisten und Migranten. Die Polizei drängte sie schließlich unter Einsatz von Tränengas und einer Blendgranate zurück.“

Einem Bericht des UNHCR vom Mai dieses Jahres zufolge starben im Jahr 2021 mehr als 3.000 Migranten bei dem Versuch, Europa auf dem Seeweg zu erreichen (oder wurden vermisst und tot gemeldet) – doppelt so viele wie im Vorjahr. Für dieses Jahr werden ähnliche Todeszahlen erwartet: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts im Mai waren bereits mindestens 478 Menschen umgekommen oder vermisst.

Der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi hat behauptet, dass die „Bewachung der Grenze“ die Zahl der Todesopfer verringert habe.

Wie grotesk diese Lüge ist, wurde von der Menschenrechtsgruppe Koraki aufgedeckt. Der Europäische Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen ging auf die Ergebnisse der Recherchen von Koraki ein. Demnach sei „die Zahl der Ankünfte zwar deutlich zurückgegangen, was zum Teil auf die ‚illegalen und unmoralischen Handlungen der Regierung‘ zurückzuführen ist, der Anteil der Todesopfer an jenen, die versuchen, Griechenland über die Ägäis zu erreichen, ist jedoch von einer von 835 Personen auf eine von 66,5 Personen gestiegen“.

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