David North besucht Prinkipo, um Gedenkveranstaltung für Leo Trotzki zu organisieren

Am Mittwoch, dem 2. November, besuchte eine Delegation unter Führung von David North, dem Vorsitzenden der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, die Gemeinde Prinkipo in Istanbul. Die Delegation sprach mit Bürgermeister Erdem Gül von der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) und İskender Özturanlı, dem Vorsitzenden des Stadtrats von Adalar. Auch Vertreter der Sozialistischen Gleichheitsgruppe in der Türkei und die WSWS-Autoren Johannes Stern und Evan Blake nahmen teil.

Das Treffen diente der Organisation einer Veranstaltung zum Gedenken an Leo Trotzki anlässlich des 83. Jahrestags seiner Ermordung durch einen stalinistischen Agenten. Daneben wurde über die Pläne der Stadtteilverwaltung diskutiert, das Anwesen Yanaros, in dem Trotzki während seiner Zeit auf Prinkipo wohnte, in ein Museum umzuwandeln und auf der Insel ein „Trotzki-Forschungszentrum“ zu errichten.

David North, der weltweit führende Experte zu Leo Trotzki, ist u.a. Autor der Werke Verteidigung Leo Trotzkis und Leo Trotzki und die Entwicklung des Marxismus, die der Verlag Mehring Yayıncılık neben anderen Werken ins Türkische übersetzt hat. Auf der internationalen Buchmesse in Istanbul im Jahr 2019 stellte North sein Buch Verteidigung Leo Trotzkis per Videokonferenz vor.

Trotzki, der 1917 zusammen mit Wladimir Lenin die Oktoberrevolution anführte, wurde 1929 als unversöhnlicher Gegner des Stalinismus aus der Sowjetunion in die Türkei deportiert. Von 1929 bis 1933 hielt er sich in Istanbul auf und verbrachte einen Großteil der Zeit auf Prinkipo.

Leo Trotzki an seinem Schreibtisch in Prinkipo

Die Veranstaltung mit Teilnehmern aus aller Welt wird im August 2023 stattfinden und wird mit mehreren wichtigen Jahrestagen zusammenfallen. 2023 ist der 100. Jahrestag der Gründung der Türkischen Republik sowie der Gründung der Linken Opposition in der UdSSR zur Verteidigung der Prinzipien der Oktoberrevolution. Daneben jährt sich zum 90. Mal Trotzkis Abreise aus der Türkei nach Frankreich.

Bei dem Treffen am Mittwoch betonte North die historische Bedeutung von Trotzkis Jahren auf Prinkipo. Hier schrieb er einige seiner wichtigsten Werke vor dem Hintergrund gewaltiger weltweiter Umwälzungen. Dazu gehörten seine Autobiografie Mein Leben, seine monumentale zweibändige Geschichte der Russischen Revolution und seine entscheidenden Artikel über die Gefahren, die sich aus dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland ergaben (Porträt des Nationalsozialismus).

Von Prinkipo aus rief Trotzki 1933 zur Gründung der Vierten Internationale auf. North hatte während eines Besuchs von Trotzkis Haus im Juni 2021 die Bedeutung dieser Arbeit eindringlich erklärt.

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Am letzten Mittwoch unterstrich North die Relevanz von Trotzkis Werk für die Gegenwart. Er wies darauf hin, dass in der Ukraine, nur wenige hundert Kilometer von der Türkei entfernt, ein Krieg mit verheerenden Folgen für die gesamte Weltbevölkerung tobe. Er schilderte Trotzkis führende Rolle im Kampf gegen den Aufstieg des Faschismus, gegen autoritäre Regime und die drohende Gefahr eines Zweiten Weltkriegs in den 1930ern. Er erklärte, die Welt stehe heute vor ähnlichen Katastrophen, die sich aus den ungelösten Fragen des 20. Jahrhunderts ergeben, aber auf einem weitaus höheren Niveau.

Der Bürgermeister von Prinkipo, Erdem Gül, berichtete, dass einmal, als Trotzki in Prinkipo war und Atatürk ebenfalls auf die Insel kam, darüber diskutiert wurde, ob die beiden sich treffen könnten. Allerdings kam es nicht zu dem persönlichen Treffen der beiden.

North wies auf die Komplexität und Brisanz der Situation hin und betonte die unterschiedliche Haltung, welche die türkische und die mexikanische Regierung im Vergleich zur französischen und norwegischen Regierung gegenüber Trotzki eingenommen hatten. Die Türkei und Mexiko, die beide kurz zuvor bürgerliche Revolutionen durchgemacht hatten, gewährten Trotzki nach seiner Ausweisung aus der Sowjetunion Asyl.

Die Regierung von Frankreich, wohin Trotzki im Juli 1933 reiste, unterzeichnete im Jahr 1935 den sowjetisch-französischen Beistandsvertrag und beugte sich dem Druck des stalinistischen Regimes: Sie erklärte Trotzki, er sei in Frankreich nicht mehr willkommen. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Norwegen, wohin Trotzki als nächstes zog, stellte ihn unter Hausarrest und hinderte ihn an seiner politischen Tätigkeit. In Mexiko, wo er im Januar 1937 eintraf, fand Trotzki schließlich Zuflucht, ähnlich wie in der Türkei.

Nach dem Treffen am letzten Mittwoch besuchte die WSWS-Delegation das Anwesen Yanaros. Leider ist das Haus, das sich in Privatbesitz befindet, baufällig, und besonders seit dem Erdbeben in Istanbul von 1999 ist ein Großteil des Gebäudes eingestürzt. Der Wiederaufbau dieses historischen und kulturellen Erbes ist eine wichtige Aufgabe für die Vierte Internationale unter der Leitung des Internationalen Komitees.

Erdem Gül war ursprünglich Journalist und ein Verteidiger von prinzipienfestem Journalismus. Im November 2015, als er für die Tageszeitung Cumhuriyet in Ankara schrieb, wurde er verhaftet und zusammen mit dem Chefredakteur Can Dündar drei Monate lang inhaftiert, weil er über die so genannten „MİT-Lastwagen“ berichtet hatte. Dabei ging es um die Entdeckung von Waffen, die vermutlich für islamistische Dschihadisten in Syrien bestimmt waren, in Lastwagen des türkischen Geheimdienstes MİT. Sie waren im Januar 2014 in den südtürkischen Provinzen Hatay und Adana aufgegriffen worden.

Während Präsident Recep Tayyip Erdoğan Journalisten wegen ihrer Berichterstattung persönlich verfolgte, verteidigte Erdem Gül in seinem Prozess prinzipientreu die Pressefreiheit und das Recht der Bevölkerung auf Information. In seiner Verteidigungsrede im November 2015 erklärte Gül: „Es ist meine Pflicht, die Regierung, die den Staatsapparat benutzt, zu kontrollieren und über sie zu berichten und zu untersuchen, aufzudecken und zu verbreiten, wenn etwas vor der Öffentlichkeit verborgen wird.“

Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitsgruppe verteidigten die Journalisten und verurteilten die staatliche Unterdrückung durch das Erdoğan-Regime aufs Schärfste. Im Mai 2016 verurteilte das Gericht die Journalisten zu je fünf Jahren Gefängnis wegen „der Offenlegung von Informationen, die für die Sicherheit oder die innen- oder außenpolitischen Interessen des Staates vertraulich bleiben sollten“. Später wurden die Journalisten von dieser Anklage freigesprochen.

Am 8. Mai 2016 hatte die Soziale Gleichheitsgruppe, wie sie damals hieß, eine Erklärung veröffentlicht, in der sie auf den Zusammenhang zwischen staatlicher Unterdrückung von Journalisten und dem Krieg zum Regimewechsel in Syrien hinwies: „[D]iese rechtswidrigen Verhaftungen sind Teil der Versuche der [türkischen ] Regierung, vor einem geplanten Überfall auf Syrien die Medien unter Kontrolle zu bringen, andere Journalisten einzuschüchtern und zu verhindern, dass die Öffentlichkeit, wenn auch nur in begrenztem Ausmaß, über das Bevorstehende informiert wird.“

Die WSWS wird weiterhin über alle Neuigkeiten in Bezug auf die Veranstaltung im nächsten August berichten.

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