Perspektive

Nach US-Midterms: Biden stellt Weichen für parteiübergreifende Zusammenarbeit mit Republikanern bei Krieg und Sparmaßnahmen

Die US-Zwischenwahlen sind bisher ohne eindeutiges Ergebnis. Mehr als 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale steht noch immer nicht fest, wer das Repräsentantenhaus und den Senat kontrolliert. Die Entscheidung bei dutzenden Sitzen im Repräsentantenhaus hängt von wenigen tausend Stimmen ab, während die Abstimmung für einen Senatssitz in die Stichwahl ging und zwei weitere unentschieden blieben.

Die große Mehrheit der Vorhersagen prognostizierten, gestützt auf Umfragen, eine Wahlwelle, die der Republikanischen Partei die unangefochtene Kontrolle über das Repräsentantenhaus und eine knappe Mehrheit im Senat bescheren würde. Doch nun scheint es wahrscheinlich, dass es nur einen knappen Vorsprung der Republikaner im Repräsentantenhaus und ein 50:50-Unentschieden im Senat geben wird, so dass die Demokraten mit der Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris den Senat letztlich kontrollieren. Bis Mittwochabend hatten die Republikaner 11 Sitze im Repräsentantenhaus hinzugewonnen und verfügen nun über eine Mehrheit von sechs Sitzen.

Präsident Joe Biden spricht im State Dining Room des Weißen Hauses in Washington, Mittwoch, 9. November 2022. (AP Photo/Susan Walsh) [AP Photo/Susan Walsh]

Die Auszählung könnte in Arizona, Nevada und anderen Bundesstaaten, in denen noch die bis zum Wahltag eingegangenen Briefwahlstimmen gezählt werden, noch bis zum Wochenende andauern. Unabhängig von deren Ergebnis sind die politischen Folgen der Wahl unübersehbar. Die Regierung Biden und die Demokratische Partei werden noch weiter nach rechts rücken und eine parteiübergreifende Zusammenarbeit mit der Republikanischen Partei anstreben, und das weniger als zwei Jahre nachdem die Republikaner versucht haben, die US-Regierung zu stürzen und Donald Trump trotz seiner überwältigenden Wahlniederlage im Weißen Haus zu halten.

Biden äußerte diese Position auf einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag, auf der er die Wahl als einen Triumph der Demokratie bezeichnete – nur weil es den von Trump unterstützten Faschisten nicht gelungen sei, sie zu stören. Dies war sicherlich das erste Mal, dass ein amerikanischer Präsident lediglich deshalb aufatmete, weil die Wahllokale geöffnet waren und Millionen von Wählern ihre Stimme abgeben konnten, ohne bedroht, angegriffen oder getötet zu werden.

Biden ging nicht weiter auf dieses Thema ein und sagte nichts über den Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021, die von Trump und seinen Verbündeten ausgelöste Welle antisemitischer Gewalt und Drohungen oder den mörderischen Anschlag auf Paul Pelosi, den Ehemann der Demokratin und Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi.

Der Präsident minderte die Bedeutung der Tatsache herab, dass die Republikaner offenbar die Kontrolle über das Repräsentantenhaus erlangt haben, was sie in die Lage versetzt, Ermittlungen gegen seine Regierung und seine Familie einzuleiten, jede Gesetzesinitiative des Weißen Hauses zu blockieren und sogar ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn in Gang zu setzen, wofür einige Vertreter des ultrarechten Freedom Caucus aktiv eintreten.

Stattdessen bezeichnete er die Wahl als eine Ablehnung des „Extremismus“ durch die Bevölkerung, weil viele von Trump unterstützte Kandidaten, insbesondere diejenigen, die die Legitimität der Wahlen 2020 bestreiten, eine Niederlage erlitten haben. Biden erklärte weiter, die amerikanische Bevölkerung wünsche sich „parteiübergreifende Zusammenarbeit“.

Biden enthielt sich jeglicher Kritik an den Republikanern wegen deren Unterstützung für Trump und dessen Propaganda über eine „gestohlene Wahl“ im Jahr 2020. Er beendete die Pressekonferenz mit der Bemerkung, dass er bald mit dem Vorsitzenden der Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, sprechen werde, der nun Nancy Pelosi als Sprecher ablösen soll. McCarthy gehörte zu den 137 Republikanern im Repräsentantenhaus, die dafür stimmten, Bidens Sieg im Wahlmännerkollegium bei den Wahlen 2020 nicht zu zertifizieren. Sie behielten ihre Weigerung auch nach dem von Trump angezettelten gewaltsamen Angriff auf das Kapitol bei.

Biden erklärte, er werde „weiterhin über die Parteigrenzen hinweg arbeiten“, und rühmte sich, dass er in seiner Amtszeit mehr als 200 Gesetze mit überparteilicher Zustimmung unterzeichnet habe. „Unabhängig vom Ergebnis der Abstimmungen“, so Biden weiter, „bin ich bereit, mit meinen republikanischen Kollegen zusammenzuarbeiten. Das amerikanische Volk hat deutlich gemacht, dass es von den Republikanern eine Zusammenarbeit mit mir erwartet.“

Mit anderen Worten: Biden ist von der Warnung aus einer Rede vom September, dass „die Republikanische Partei heute von Donald Trump und [ihm gegenüber loyalen] Republikanern dominiert, angetrieben und eingeschüchtert wird“ und dass dies „eine Bedrohung für dieses Land“ darstelle, zu der Haltung übergegangen, dass das höchste Ziel seiner Regierung die Zusammenarbeit mit eben dieser Republikanischen Partei ist.

Biden signalisierte, dass eine parteiübergreifende Vereinbarung mit den Republikanern auf einer gemeinsamen Außenpolitik der Konfrontation sowohl mit Russland als auch mit China beruhen werde. Er sagte, dass er zu einer Reise in den Nahen Osten und nach Asien aufbreche, die auch ein Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf dem G-20-Gipfel in Singapur beinhalten werde. Nach seiner Rückkehr werde er die führenden Vertreter der Republikaner und Demokraten im Kongress zu einem Briefing ins Weiße Haus einladen.

Biden überging die Frage eines Reporters nach McCarthys Bemerkung, dass es im Krieg mit Russland „keinen Blankoscheck“ für die Ukraine geben werde. Es gäbe eine parteiübergreifende Unterstützung für die Ukraine, sagte Biden. Es gebe keinen Blankoscheck für den Ukraine-Krieg unter seiner Regierung, sagte er und verwies in dem Zusammenhang auf die Weigerung der USA, Kampfflugzeuge zu entsenden, um eine Flugverbotszone über der Ukraine zu verhängen, obwohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj darum gebeten hatte. Dabei gehe es darum, einen „Dritten Weltkrieg“ zu vermeiden.

Über den Krieg der USA und der Nato gegen Russland in der Ukraine hinaus unterstützen beide Parteien die Eskalation der Aggression gegen China, das von den US-Militärstrategen als die größte Bedrohung für die globale wirtschaftliche Vorherrschaft der USA angesehen wird.

Unabhängig von der genauen Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik würde jede parteiübergreifende Vereinbarung mit den Republikanern auf der gemeinsamen Entschlossenheit beruhen, der amerikanische Arbeiterklasse die massiven Kosten des imperialistischen Militarismus und des Krieges aufzubürden. Auch wenn Biden die Vorschläge mehrerer republikanischer Senatoren, die Ausgaben für Medicare und die staatliche Rentenversicherung zu kürzen, demonstrativ zurückwies, steht außer Frage, dass Demokraten und Republikaner eine Einigung auf der Grundlage von Kürzungen bei den Sozialausgaben und von hartem Vorgehen gegen Kämpfe der Arbeiterklasse erzielen werden.

Das unmittelbare Schlachtfeld ist der bevorstehende Ausbruch eines landesweiten Eisenbahnerstreiks. Mehr als 100.000 Beschäftigte stimmen über einen Vertragsentwurf ab, der den Ausverkauf ihrer Rechte und Löhne beinhaltet und vom Weißen Haus eingefädelt wurde. Arbeiter aus verschiedenen Gewerkschaften haben den Vertrag bereits abgelehnt.

Biden machte seine Feindseligkeit gegenüber der Arbeiterklasse in einer Antwort auf einen Reporter deutlich. Dieser hatte darauf hingewiesen, dass 75 Prozent der Teilnehmer an Umfragen zum Wahltag erklärt hatten, dass sich das Land in die falsche Richtung bewege. „Was werden Sie ändern?“, fragte der Reporter. Biden antwortete: „Nichts.“ Auf die ähnliche Frage, welche Auswirkungen die Feindseligkeit der Bevölkerung auf seine Entscheidung über einen erneuten Wahlantritt 2024 haben würde, antwortete Biden dann mit „Keine“.

Diese arrogante Antwort bringt die Klassenfeindschaft der Millionäre und Milliardäre zum Ausdruck, für die die Demokraten und Republikaner sprechen. Sie hassen die Arbeiterklasse und fürchten jede Einmischung in die politische Krise in den Vereinigten Staaten, die von unten kommt.

Im vergangenen Jahr sank der durchschnittliche Reallohn eines Arbeiters um drei Prozent, während die Preise für Lebensmittel und Treibstoff um mehr als 10 Prozent stiegen. In den letzten 12 Monaten verloren 100.000 Amerikaner ihr Leben durch die Covid-19-Pandemie. Gleichzeitig stiegen die Gewinne der Unternehmen auf den höchsten Stand aller Zeiten.

Mit seiner Aussage, dass sich „nichts“ ändern werde, macht Biden deutlich, dass die Politik seiner Regierung, die auf Krieg, Sparmaßnahmen und Masseninfektionen ausgerichtet ist, fortgesetzt wird.

Die Wahl 2022 hat erneut gezeigt, dass das Zweiparteiensystem eine politische Zwangsjacke für die amerikanische Arbeiterklasse ist. Es ist für die Arbeiter unmöglich, ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen – Arbeitsplätze, Lebensstandard, Schulen, Gesundheitsversorgung – in einem politischen System zu verteidigen, das vollständig von der Finanzaristokratie kontrolliert wird. Ebenso wenig können die Arbeiter die Gefahren eines imperialistischen Krieges und die zunehmende Bedrohung der demokratischen Rechte bekämpfen, die sowohl von den Republikanern als auch von den Demokraten ausgehen.

Die entscheidende Frage besteht darin, dass Millionen von Arbeitern diese politische Realität erkennen und jetzt die Entscheidung treffen, eine politische Alternative zur kapitalistischen Politik in Form einer Massenbewegung zu entwickeln und aufzubauen, und zwar durch den Aufbau einer neuen politischen Partei der Arbeiterklasse auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive. Diese Partei ist die Socialist Equality Party in den Vereinigten Staaten und ihre Schwesterparteien auf der ganzen Welt.

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