Iran: Weitere Proteste trotz staatlicher Unterdrückung

In den letzten zwei Monaten kam es in mehr als 200 Städten des Irans zu Protesten von Studenten und Jugendlichen. Sie trotzen den Sicherheitskräften, die auf Befehl der Regierung von Präsident Ebrahim Raisi mit brutaler Gewalt vorgehen. In Europa, den USA und Teilen des Nahen Ostens fanden Solidaritätsaktionen statt.

Der ursprüngliche Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei des Regimes verhaftet worden war, weil sie ihren Hidschab „unangemessen“ trug. Die Unruhen begannen in den kurdischen Provinzen des Landes, entwickelten sich aber aufgrund der weit verbreiteten Wut über die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse bald zu größeren regierungsfeindlichen Kundgebungen im ganzen Land. Sie richten sich gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die Korruption und die Monopolisierung der politischen Macht durch das schiitische klerikale Establishment.

Aber die weitgehend führerlose Jugendbewegung appelliert nicht an die Arbeiterklasse, und deshalb hat sie bisher wenig aktive Unterstützung von Arbeitern gewonnen, abgesehen von kurzen Streiks der Lehrer und Ölarbeiter im Oktober. Damit macht die Bewegung sich angreifbar gegenüber staatlichen Repressionen.

Proteste im Iran am 20. September nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die zuvor in Teheran von der Sittenpolizei verhaftet worden war [AP Photo/Middle East Images, File]

Die entsetzlichen Lebensbedingungen gehen zu einem Großteil auf das brutale Sanktionsregime zurück, das Washington verhängt hat, nachdem die Trump-Regierung einseitig von dem Atomabkommen von 2015 zurückgetreten war. Das kam einer Kriegserklärung an den Iran gleich. Die neue Biden-Regierung behauptete zwar, sie wolle das Abkommen wiederherstellen, doch die Gespräche wurden durch immer umfangreichere Forderungen Washingtons abgewürgt, und im September kamen sie gänzlich zum Erliegen. Die iranischen Ölexporte sind eingebrochen, wodurch das Land seine wichtigste Einnahmequelle verloren hat; die iranische Währung ist gegenüber dem Dollar auf den bisher niedrigsten Wert gesunken.

Neben weiteren provokanten militärischen Drohungen und Schritten hat US-Präsident Joe Biden versucht, ein antiiranisches Bündnis aus den Golfstaaten, Ägypten, Marokko, Jordanien und Israel aufzubauen. Tel Aviv, das für Washington die Rolle des Kettenhunds spielt, hat seine aggressiven Luftangriffe auf iranische Ziele in Syrien, dem Persischen Golf und im östlichen Mittelmeer ausgeweitet und verübt Sabotageakte im Iran selbst.

Laut offiziellen Zahlen liegt die Inflationsrate im Iran bei 54 Prozent, und die Lebensmittelpreise sind seit Ebrahim Raisis Amtsantritt im August letzten Jahres um über 100 Prozent gestiegen. Im Mai dieses Jahres begann seine Regierung, die Subventionen für den Import von Grundnahrungsmitteln, Medikamenten und Tierfutter um 15 Milliarden Dollar zu kürzen, kündigte aber finanzielle Unterstützung für Familien an. Die Jugend des Landes – zwei Drittel der 85 Millionen Einwohner sind jünger als 30 Jahre – gehört zu den am stärksten betroffenen Gruppen. Etwa 27 Prozent sind arbeitslos, wobei die Zahlen in Gebieten mit ethnischen Minderheiten noch höher liegen, so in der Provinz Sistan und Belutschistan und in Kurdistan.

Abgesehen von den Protesten wegen Aminis Tod gab es in Sistan und Belutschistan nahe der Grenze zu Afghanistan und Pakistan Proteste wegen der angeblichen Vergewaltigung einer Jugendlichen durch einen Polizeibeamten. Ende September wurden durch ein „beispiellos“ brutales Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Belutschen in der Provinzhauptstadt Zahedan mindestens 82 Menschen getötet.

Die Proteste waren zwar kleiner als diejenigen in den Jahren 2018 und 2019, halten sich aber länger als alle Proteste seit der Bewegung, die 1978/79 das Schah-Regime zu Fall gebracht hatte. Die Demonstranten fordern den Sturz des herrschenden Establishments und des Obersten Führers Ajatollah Ali Chamenei. Auch die Behörden gehen mit weitaus größerer Gewalt vor, und führende Persönlichkeiten fordern Massenprozesse und harte Strafen einschließlich der Todesstrafe.

Laut der Human Rights Activists News Agency (HRANA) aus den USA sind Sicherheitskräfte bei Begräbnissen, auf den Straßen und an Universitäten und Schulen mit scharfer Munition, Knüppeln und Tränengas gegen unbewaffnete Personen vorgegangen. Dabei sollen bisher 318 Demonstrierende getötet worden sein, darunter mindestens 49 Kinder. Außerdem wurden 38 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet.

Bei den Begräbnissen der Toten kam es zu weiteren Protesten. Jugendliche riefen Parolen wie „Tod dem Diktator“ oder „Frauen, Leben, Freiheit!“

In mindestens zehn Städten hat die bewaffnete Bereitschaftspolizei die Gedenkveranstaltungen zum 40. Tag der Trauerzeit für die Opfer gewaltsam aufgelöst.

Mindestens 14.000 Menschen wurden verhaftet, darunter 392 Schüler und Studenten. Laut dem New Yorker Committee to Protect Journalists wurden 54 Journalisten verhaftet, von denen zwölf auf Kaution wieder freigelassen wurden. Den Zugang zum Internet und zu Kommunikationsmitteln hat die Regierung stark eingeschränkt.

Am Sonntag riefen Abgeordnete die iranische Justiz auf, „entschlossen“ gegen Demonstranten vorzugehen, deren Aktionen sie als „Krawalle“ und „Aufruhr“ bezeichnen. Sie erklärten, die USA wollten im Iran einen Regimewechsel durchsetzen. Die USA und ihre Verbündeten seien „offen aufgetreten“, hätten „Schläger“ finanziert und dazu ermutigt, Sicherheitskräfte anzugreifen, wodurch Dutzende Menschen getötet worden seien. Die Abgeordneten riefen die Justiz auf, die Angreifer mit gleicher Konsequenz zu bestrafen, was als Forderung nach der Todesstrafe verstanden wird.

Einige führende Persönlichkeiten haben zum Dialog mit den Demonstranten aufgerufen. Großajatollah Hossein Nouri Hamaduni forderte die Regierung auf, den Forderungen der Bevölkerung Gehör zu schenken. Der ehemalige Parlamentssprecher und jetzige hochrangige Berater des Obersten Führers Ali Chamenei, Ali Larijani, erklärte: „Die Regierung in Teheran muss dringend der anderen Seite zuhören.“ Er riet der Regierung, die Tatsache in Erwägung zu ziehen, dass „die andere Seite vielleicht auch teilweise Recht hat“. Allerdings fügte er hinzu, dass hinter dem Aufstand „die Feinde“ des Irans stünden: „Der Feind hat den ganzen Iran ins Visier genommen ... In einem Nachbarland fordern die Amerikaner die iranischen Konterrevolutionäre ganz offen auf, sie sollen aktiv werden und Druck auf den Iran ausüben.“

Teheran hat den USA und Israel wiederholt vorgeworfen, die Proteste inszeniert zu haben. Westliche Geheimdienste wie die CIA sollen die Gewalt angezettelt, ethnische und religiöse Spannungen geschürt und mit den kurdischen Exilgruppen zusammengearbeitet haben. Letzte Woche veröffentlichten die Islamischen Revolutionsgarden und der iranische Geheimdienst eine Erklärung, in der sie die beiden iranischen Journalistinnen, die über Aminis Tod berichtet hatten, als ausländische Agentinnen bezeichneten. Sie seien von den USA ausgebildet worden, um Chaos zu stiften. Daraufhin wurden sie von den Behörden verhaftet und festgehalten.

Der Iran hat außerdem Saudi-Arabien vorgeworfen, die Unruhen durch die Finanzierung des persisch-sprachigen Senders Iran International zu schüren, der umfassend über die Proteste berichtet.

Die Großmächte beeilten sich, Teheran für die „gewaltsame Unterdrückung friedlicher Proteste“ zu verurteilen.

Ende Oktober stellte die Biden-Regierung ein neues Sanktionspaket vor, das sich gegen Kommandeure der Revolutionsgarde, einen Provinzgouverneur und andere iranische Regierungsvertreter richtet, die an der Unterdrückung der Proteste in Teheran beteiligt sind. Kanada, das Vereinigte Königreich und die Europäische Union folgten diesem Beispiel.

Washington hat außerdem Internet-Software-Konzernen erlaubt, die Sanktionen zu umgehen, um dem iranischen Markt den Satelliten-Internetservice Starlink von SpaceX zur Verfügung zu stellen und damit staatliche Einschränkungen des Internets zu umgehen. Die USA versuchen, den Iran aus der UN-Kommission für die Rechtsstellung der Frau auszuschließen und ein Untersuchungsgremium unter der Schirmherrschaft des UN-Menschenrechtsrats zu bilden. Der iranische UN-Botschafter Amir Saeid Iravani hat dies verurteilt und vor der Presse erklärt, das Ziel sei eindeutig, „sich in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staats einzumischen“, was einen Verstoß gegen die UN-Charta darstellt.

Die USA und die europäischen Imperialisten haben auch Berichte aufgegriffen, laut denen Russland bei seinem Überfall auf die Ukraine von Teheran gelieferte Drohnen einsetze. Damit haben sie potenziell eine weitere Front in dem Krieg eröffnet.

Bei einer Wahlveranstaltung in Kalifornien versprach Biden am 3. November, „den Iran zu befreien“, und er fügte hinzu, die Demonstrierenden würden sich „sehr bald selbst befreien“.

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