Streik im Pariser Nahverkehr: Baut Aktionskomitees auf und brecht das Diktat der Gewerkschaftsbürokratie über den Streik!

Am 10. November streikten die Beschäftigten der französischen Verkehrsbetriebe sowie des Gesundheits- und Bildungswesens gegen die von Präsident Emmanuel Macron geplanten Rentenkürzungen und die steigende Inflation. Damit gaben sie der tief sitzenden sozialen Wut der Arbeiter in Frankreich und der Welt Ausdruck.

Demonstration der CGT während des Nahverkehrsstreiks in Paris am 10. November 2022 (WSWS)

Verantwortlich für den Anstieg der Preise sind sowohl die Auswirkungen der umfangreichen Rettungsaktionen der Banken für die Superreichen seit Beginn der Corona-Pandemie als auch der Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine. Das diskreditiert die Regierungen in ganz Europa und führt zu einem internationalen Aufleben von Kämpfen. In Spanien steht ein Streik der Lastwagenfahrer bevor und in Großbritannien streiken die Hafen- und Transportarbeiter sowie die Beschäftigten des Bildungswesens. In Belgien und Griechenland fanden in der vergangenen Woche jeweils eintägige Generalstreiks statt. In den USA wehren sich die Eisenbahner gegen einen Ausverkauf, den die Gewerkschaftsapparate und das Weiße Haus ausgehandelt haben.

Doch während die Bestrebungen der herrschenden Eliten, durch Lohnsenkungen und Rentenkürzungen den Krieg in der Ukraine zu finanzieren, auf starken Widerstand der Arbeiterklasse stoßen, ergeben sich daraus auch immense politische Herausforderungen für die Arbeiter. Da die nationalen Gewerkschaftsverbände die Kämpfe der Arbeiter spalten und abwürgen, müssen sich die Arbeiter unabhängig in Aktionskomitees organisieren.

Nur ein Bruch mit den französischen Gewerkschaftsbürokratien und ihren Scheinverhandlungen mit Macron kann die Bedingungen für einen offenen Kampf gegen imperialistischen Krieg, die katastrophale Reaktion der Herrschenden auf die Pandemie und die Zerstörung des Lebensstandards schaffen. Innerhalb des engen nationalen Rahmens des Gewerkschaftsapparats ist weder der Kampf gegen den Krieg und den gegenwärtigen Umgang mit der Pandemie möglich, noch die Verteidigung der Löhne.

Vor allem müssen wichtige politische Lehren aus dem Raffineriestreik vom 27. September bis zum 8. November gezogen werden. In den Raffinerien in Gonfreville-l’Orcher und Feyzin, bei denen der Streik am längsten anhielt, wurde am 2. und 8. November die Arbeit wieder aufgenommen. Doch dieser mächtige Streik führte nicht zu einer Lohnerhöhung oberhalb oder auch nur auf dem Niveau der Inflation, sondern zu einem Abkommen, das die Reallöhne senkt und einen ersten Schritt in den zunehmenden Bestrebungen der Banken darstellt, die Reallöhne und Renten zu drücken.

Dass der Raffineriestreik beendet wurde, lag nicht an mangelnder Militanz der Arbeiter, sondern am Verrat der Gewerkschaftsbürokratien. Tatsächlich zeichnet sich angesichts des Streiks im Transportwesen und dem öffentlichen Dienst sowie der wachsenden Wut der Arbeiter in der Strom-, Schifffahrts- und Autobranche eine offensichtliche Frage ab:

Warum wurden nicht alle Arbeiter mobilisiert, um die Raffineriearbeiter zu verteidigen, denen der Staat mit Zwangsverpflichtung gedroht hat, d.h. mit 10.000 Euro Geldstrafe und sechs Monaten Gefängnis, wenn sie ihren Streik nicht beenden?

Der Streik hat zu einer Treibstoffknappheit geführt und Macrons Stellung enorm geschwächt. Die Raffineriearbeiter hingegen waren in einer starken Position. TotalEnergies gab bekannt, es habe in neun Monaten dieses Jahres mehr Profit gemacht als im ganzen letzten Jahr – 17,3 Milliarden Dollar im Vergleich zu 16 Milliarden im ganzen Jahr 2021. Im dritten Quartal stieg der Gewinn um 43 Prozent im Vergleich zum selben Quartal 2021 auf 6,6 Milliarden Dollar. Finanzchef Jean-Pierre Sbraire erklärte: „Wir sind der größte Exporteur von Flüssiggas an die USA.“

In den Häfen und anderen strategisch wichtigen Teilen der französischen Wirtschaft zirkulierten Aufrufe zur Solidarität mit den Raffineriearbeitern. Insbesondere der Gewerkschaftsbund Confédération générale du travail (CGT) hat 700.000 Mitglieder, die, wenn sie mobilisiert würden, die Macron-Regierung in wenigen Wochen zu Fall bringen könnte.

Doch wie es bereits zahllose Male in der französischen Geschichte passiert ist, hat die stalinistische CGT-Bürokratie den Widerstand der Arbeiter gegen die Zwangsverpflichtung demobilisiert, den Raffineriestreik isoliert und den Raffineriearbeitern keine finanzielle Unterstützung zukommen lassen, sodass der finanzielle Druck sie zum Aufgeben gezwungen hat. Deshalb hat eine Raffinerie nach der anderen den Betrieb wieder aufgenommen. Dadurch konnten Total und ExxonMobil eine Lohnerhöhung unterhalb der Inflationsrate durchsetzen, die schon jetzt bei sieben Prozent liegt und im nächsten Jahr noch weiter steigen soll.

Um nicht von der Wut der Arbeiter überrollt zu werden, sagte die CGT-Bürokratie ein Treffen der Arbeiter in der Raffinerie Gonfreville ab, das am gleichen Tag stattfinden sollte, an dem sie den Streik beendete.

Nachdem dieser Streik zumindest vorerst abgewürgt wurde, mobilisieren die Gewerkschaftsbürokratien andere Industriezweige selektiv und vereinzelt, ohne eine Streikkasse einzurichten, während sie gleichzeitig mit Macron verhandeln. Auf diese Weise wollen sie die Streikwelle demobilisieren und abwürgen, mit der die Arbeiter in Europa auf den eskalierenden Krieg, Massendurchseuchung und Tod sowie auf das Einbrechen ihrer Reallöhne reagieren.

Der historische soziale Rückschritt, den die Banken und die europäischen Regierungen in Gang gesetzt haben, wird unweigerlich große internationale Kämpfe der Arbeiterklasse auslösen. Doch um dies in die Tat umzusetzen, müssen die Arbeiter aus der korporatistischen Zwangsjacke des „sozialen Dialogs“ mit den nationalen kapitalistischen Regierungen ausbrechen, welche die Gewerkschaftsbürokratien den Kämpfen in ganz Europa angelegt haben.

Die große Aufgabe für Arbeiter sowohl in Frankreich als auch auf der ganzen Welt besteht darin, einen Aufstand gegen das Diktat der Gewerkschaftsbürokratien vorzubereiten. Dazu ist es notwendig, von den Bürokratien unabhängige Aktionskomitees zu bilden, um die Kämpfe der Arbeiter gegen die Macron-Regierung und die Finanzmärkte zu organisieren und auszuweiten.

Pessimismus in Bezug auf die Kampffähigkeit der Arbeiterklasse ist weder berechtigt noch zulässig. Weltweit entstehen Bedingungen, unter denen sich die Arbeiter gegen die nationalen Bürokratien auflehnen und das Hindernis, das sie der Revolution in den Weg stellen, zerschlagen können.

Die letzten 30 Jahre seit der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 waren eine Ära der sozialen Reaktion. Die imperialistischen Mächte haben im Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Libyen und Syrien Kriege geführt, die Millionen Todesopfer gefordert haben. Die Europäische Union hat seit ihrer Gründung 1992 unablässig einen Sparkurs verfolgt. Das Ergebnis ist die heutige soziale Krise, der Krieg zwischen der Nato und Russland in der Ukraine und die Weigerung der europäischen Mächte, russisches Öl zu kaufen, was die Preise in die Höhe treibt.

Doch der Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Rücknahme sozialer Fortschritte ist objektiv stärker als sämtliche Gewerkschafts- und Parteibürokratien, die historisch mit dem Stalinismus verbunden sind. Eine revolutionäre Krise zeichnet sich ab. Die soziale Wut in Frankreich und weltweit zeigt das immense Potenzial der Arbeiter, den Gewerkschaftsbürokratien die Kontrolle über ihre Kämpfe zu entreißen und den Weg der sozialistischen Revolution einzuschlagen. Die Parti de l’égalité socialiste, die französische Schwesterpartei der Sozialistischen Gleichheitspartei, ruft Arbeiter und Jugendliche, die mit dieser Perspektive übereinstimmen, dazu auf, sie zu unterstützen.

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