Neuer VW-Chef Blume baut gemeinsam mit den Betriebsräten den Konzern um

Vor knapp vier Monaten, am 1. September 2022, übernahm Porsche-Chef Oliver Blume auch den Vorstandsvorsitz der Volkswagen AG. Er hat seitdem vor allem zwei strategische Änderungen umgesetzt.

Erstens hat er die Software-Entwicklung im 10-Marken-Konzern VW mit seinen weltweit 670.000 Beschäftigten neu geordnet. Dies wird weitreichende Folgen für die Beschäftigten in der Entwicklung haben, insbesondere bei Audi. Zweitens hat er sich die uneingeschränkte Unterstützung der Betriebsräte eingeholt, allen voran die der Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo, die gleichzeitig dem Betriebsrat im Wolfsburger Stammwerk vorsteht.

Neuorganisation der Software-Entwicklung

Eine Woche vor Weihnachten hat Blume Pläne für eine umfassende strategische Umstrukturierung des Konzerns vorgestellt. Danach verantwortet ab 2023 die Marke VW Produktion und Beschaffung im Gesamtkonzern, Audi ist dann verantwortlich für Vertriebs- und Qualitätsmanagement, Porsche leitet die wichtigen Ressorts Entwicklung und Design. Das ist eine gewaltige Degradierung Audis, das bislang als Technologieführer für die Entwicklung zuständig war. Es wird einen massiven Stellenabbau in den Entwicklungsabteilungen in Ingolstadt zur Folge haben.

Das ehrgeizige Ziel von Audi, noch in diesem Jahrzehnt das erste hochautomatisierte Auto (unter dem Namen „Artemis“) auf die Straße zu bringen, ist von Blume vollständig gestrichen worden. In diesem Zusammenhang steht auch der Rückzug von VW aus dem US-amerikanischen Start-Up Argo AI. VW kaufte sich 2019 gemeinsam mit Ford darin ein, um vollautomatisiertes Fahren zu entwickeln. Nun wird Argo AI abgewickelt, fast 300 Entwickler, die in München tätig waren, wissen nicht genau, was sie im kommenden Jahr erwartet.

Der vorläufige Rückzug aus der Entwicklung hoch- und vollautomatisierten Fahrens ist Folge der Konzentration aller Ressourcen auf die eigene Software-Entwicklung. Die Software gilt als größte Wertschöpfungskomponente in den Autos der Zukunft. VW hat dazu vor zwei Jahren eine eigene Tochter, Cariad (für Car, Iam digital), aufgebaut. Doch die war bislang nicht in der Lage, ein konzerneigenes Betriebssystem zu entwickeln. Blumes Vorgänger Hebert Diess musste nicht zuletzt deshalb gehen. Unter ihm – so klagten Beschäftigte – sei die Software nachrangig bei der Entwicklung neuer Modelle geblieben. Nun soll es umgekehrt gehen, die Software wird zuerst entwickelt und die Fahrzeugmodelle definieren.

Ex-Volkswagen-Chef Herbert Diess (links) und sein Nachfolger Oliver Blume [Photo by Alexandr Migl / Matti Blume via wikimedia / CC BY-NC-SA 4.0]

Dementsprechend ist auch das Elektro-Modell Trinity, das mit dieser Software schon 2026 in einer neuen aus dem Boden gestampften Fabrik in der Nähe des Wolfsburger Stammwerks vom Band laufen sollte, erst einmal verschoben worden. Es soll – wenn überhaupt – frühestens Ende des Jahrzehnts kommen, wenn die eigene Software einsetzbar ist. In Wolfsburg glauben nur noch die wenigsten an den Fabrik-Neubau, eine Entscheidung soll Anfang des kommenden Jahres gefällt werden.

So lange die neue konzerneigene Software nicht zur Verfügung steht, muss sich VW mit einer Weiterentwicklung der bestehenden begnügen. Dazu muss VW auch stärker noch mit etablierten Software-Firmen wie Microsoft und Google kooperieren.

Cariad hat zu Weihnachten angekündigt bis zu 1700 Soft- und Hardwareentwickler und Ingenieure einstellen zu wollen, davon allein 300 in Seattle (USA). Trotzdem fragen sich die weltweit rund 5000 Cariad-Beschäftigten, von denen viele in Ingolstadt – am Sitz des bisherigen Entwicklungsverantwortlichen Audi – arbeiten, ob ihre VW-Tochter auch noch in ein bis zwei Jahren besteht.

Enge Kooperation mit den IG-Metall-Betriebsräten

Diess musste auch deshalb gehen, weil er häufig ohne die IGM-Betriebsräte einzubeziehen Angriffe ankündigte. So hatte der Betriebsrat sich daran gestört, dass von Diess beauftragte Szenarien über den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen in die Öffentlichkeit gelangt waren und die Belegschaft alarmiert hatten.

Blume wird aktuell von den Betriebsräten hochgepriesen, weil er sie in seine Planungen eng einbezieht. Blume habe einen guten Start an der Konzernspitze hingelegt und genieße mit seinem Team „die vollste Unterstützung“ des Betriebsrats, sagt Cavallo. Man arbeite „vertrauensvoll und auf Augenhöhe“ zusammen.

Blume braucht die Betriebsräte gerade am Stammsitz in Wolfsburg. Das Werk ist seit längerer Zeit nicht ausgelastet. Teilemangel, vor allem bei den Halbleitern, haben die Produktion im gesamten Jahr häufiger pausieren lassen. Im Frühjahr wurden dauerhaft Nachtschichten gestrichen, anschließend kam es wiederholt zu Kurzarbeit, zuletzt in der Woche vor Weihnachten. Auch im gesamten Januar schickt VW Produktionsarbeiterinnen und -arbeiter wieder in Kurzarbeit. Das seien Folgen der „aktuellen weltweiten Corona-Pandemie und der Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine“.

In diesem Jahr werden in Wolfsburg – der größten Autofabrik der Welt – weniger als 400.000 Autos produziert. Das ist das schlechteste Ergebnis der VW-Geschichte. Eine wesentliche Besserung ist nicht in Sicht. Laut Volkswagen-Finanzvorstand Arno Antlitz werden die Inflation und die sich verschlechternde Wirtschaftslage die Nachfrage nach Neuwagen beeinträchtigen.

Cavallo besteht daher auf der Produktion neuer Modelle in Wolfsburg. Die zwei Milliarden Euro, die das neue Trinity-Werk kosten sollte, könnten in das Stammwerk fließen. Der Konzern hat inzwischen angekündigt dort bis 2025 rund 460 Millionen Euro zu investieren. Das Werk werde schon für die Produktion des ID.3 vorbereitet, der bislang in Zwickau gebaut wird. Der Kleinwagen wäre das erste Elektro-Modell für Wolfsburg. Auf einer Betriebsversammlung kündigte VW-Markenchef Thomas Schäfer ein weiteres größeres Elektromodell an, einen SUV.

Betriebsratschefin Cavallo ist zufrieden. Sie sagte, Wolfsburg bleibe das Kraftzentrum der Marke und des Konzerns. Sie plant mit zwei Elektroautomodellen und dem Trinity. „Damit schaffen wir Beschäftigungssicherung.“

Die Betriebsräte in anderen Konzern-Töchtern sehen das anders. Schon jetzt zeichnet sich ein Hauen und Stechen unter den Konzernbetriebsräten ab, insbesondere zwischen VW Wolfsburg und Audi in Ingolstadt und Neckarsulm. Denn dort sind nicht nur die Ingenieure in der Entwicklung gefährdet. Hildegard Wortmann, im Audi-Vorstand für den Vertrieb zuständig, erinnerte erst kürzlich daran, dass sie im Jahr 2020 prognostiziert hatte: „Es gibt eine 50-Prozent-Chance, dass es Audi in zehn Jahren noch gibt.“ Diese These würde sie auch heute wiederholen, sagte sie vor zwei Monaten in einem Podcast der Wirtschafts-Woche.

Der Auftragseingang für den Bereich VW Westeuropa sei um 15 Prozent zurückgegangen. Wenn sich Audi nicht ändere, so die Managerin, „sind wir einfach weg vom Fenster“.

Letzte Woche hat Audi bekannt gegeben, die jährlichen Fabrikkosten bis 2033 um die Hälfte zu reduzieren. Das Stamm-Werk in Ingolstadt mit 40.000 Beschäftigten diene dabei als Blaupause, so Produktions-Vorstand Gerd Walker.

Auf der letzten Betriebsversammlung unterstützte der langjährige Audi-Betriebsratsvorsitzende Peter Mosch den Umbau. Man habe klare Vereinbarungen zwischen Vorstand und Gesamtbetriebsrat. In einem Interview mit der Augsburger Allgemeineam 16. Dezember schwärmt auch er vom neuen VW-Chef. „Herr Blume ruft mich auch von sich aus an.“ Blume sorge dafür, dass „wir als Arbeitnehmer-Vertreter mit von der Partie“ seien.

IG-Metall-Betriebsrat Mosch fordert die volle Auslastung der Audi-Werke mindestens bis 2030. Erst dann könne man darüber reden, „dass das ein oder andere Projekt auch einmal an einem anderen Standort im VW-Konzern“ gefertigt werde. Mosch: „Unsere Devise heißt also: Audi First!“

Er erinnert daran, dass er die Vernichtung von 9000 Stellen vereinbart habe und dafür im Gegenzug erwarte, dass „rund 2000 in neuen Bereichen wie der Elektrifizierung und Digitalisierung entstehen“. Mosch kündigt an: „Von dem neuen Kuchen wollen wir als Audi-Betriebsrat aber ein größeres Stück abbekommen.“

So wie Mosch nun „Audi First“ ruft, werden andere es ihm gleich tun. Die Betriebsräte verfolgen mit dem gegenseitigen Ausspielen der Belegschaften der einzelnen Marken und Standorte, die Angriffe durchzusetzen, die Audi-Managerin Wortmann als „fundamentale Veränderungsnotwendigkeit“ bezeichnete. Stellenabbau, Lohnkürzungen, Erhöhungen der Arbeitshetze, all das wird vorbereitet.

Bereicherung der Aktionäre

Während die Betriebsräte die Umsetzung dieser Angriffe mit Blume ausarbeiten, sichern sich die Aktionäre den Gewinn. Durch den Porsche-Börsengang im September hatte VW rund 20 Milliarden Euro eingenommen. Ein Viertel der Porsche-Vorzugsaktien, sind an der Börse verkauft worden, die Finanzholding der Familien Porsche und Piëch haben weitere 25 Prozent erworben.

Auf einer Sonder-Hauptversammlung am 16. Dezember beschlossen die Aktionäre, dass die Hälfte dieser knapp 20 Milliarden Euro als Sonderdividende an sie selbst verteilt wird. Da der mit Abstand größte VW-Eigentümer die Finanzholding der Familien Porsche und Piëch ist, fließen den beiden Familien dadurch drei Milliarden Euro zu. Als zweitgrößter Aktionär bekommt das Land Niedersachsen mehr als eine Milliarde Euro, der drittgrößte Eigentümer erhält ebenfalls über eine Milliarde Euro Sonderdividende, das Scheichtum Katar.

Dass eine Clique von Milliardären, die wie die Familien Porsche und Piëch ihr Vermögen den Verbrechen der Nazis verdanken, andere wie das Emirat Katar dem Öl und der sklavenähnlichen Ausbeutung von Millionen Arbeitern, gemeinsam mit hochbezahlten Gewerkschaftsbürokraten über das Schicksal von hunderttausenden Arbeitern entscheiden, unterstreicht die Absurdität eines Gesellschaftssystems, das alle sozialen Bedürfnisse der Bereicherung und den Profitinteressen einer kleinen Minderheit unterordnet.

Der Kampf dagegen erfordert den Bruch mit der IG Metall und ihrem Betriebsrat und den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees, die den Widerstand organisieren und Kontakt zu Arbeitern an allen Standorten und Ländern aufnehmen. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre internationalen Schwesterparteien haben die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees – IWA-RFC) ins Leben gerufen, um eine solche Offensive einzuleiten und zu entwickeln.

Wir rufen alle VW-Beschäftigten auf: Meldet euch per Whatsapp-Nachricht unter +491633378340 oder füllt das Formular aus.

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