Zehn Jahre AfD: Wie Staat, Parteien und Medien den Rechtsextremen zum Durchbruch verhalfen

Zehn Jahre nach ihrer Gründung am 6. Februar 2013 ist die rechtsextreme Alternative für Deutschland fester Bestandteil des offiziellen politischen Lebens in Deutschland. Ihre Abgeordneten sitzen im Bundestag und – bis auf Schleswig-Holstein – in sämtlichen Länderparlamenten. Rechnet man Diäten, Fraktionszuschüsse, Kostenpauschalen und staatliche Parteienfinanzierung zusammen, wird die AfD jedes Jahr mit einer dreistelligen Millionensumme aus der Staatskasse finanziert.

AfD-Vertreter leiten wichtige Parlamentsausschüsse, werden von den Medien ausführlich zitiert und sind regelmäßige Gäste in politischen Talkshows. Die Tagesthemen, die Hauptnachrichtensendung der ARD, widmeten dem zehnjährigen Jubiläum der Partei am Montag einen Drittel ihrer Sendezeit. Der Parteivorsitzende Tino Chrupalla durfte ausführlich für die völkisch-chauvinistische und ausländerfeindliche Politik der Partei werben.

Björn Höcke (AfD) gratuliert dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) 2020 zur Wahl. Zuvor hatten AfD, CDU und FDP gemeinsam den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gekürt. [Photo by Steffen Prößdorf / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Dabei kann es an der faschistischen Orientierung der AfD längst keinen Zweifel mehr geben. In der Partei wimmelt es von Verharmlosern des Nazi-Regimes, Rassisten, Antisemiten und militanten Neonazis. Sogar der Verfassungsschutz, der die AfD viele Jahre gedeckt und gefördert hat, stuft sie inzwischen als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein.

Björn Höcke und andere Vertreter des völkischen „Flügels“, der sich 2020 formal auflöste, geben in der AfD mittlerweile den Ton an. „Wer immer da heute an der Parteispitze herumturnt, er tut es von Höckes Gnaden,“ sagt Jörg Meuthen, der die Partei bis vor einem Jahr selbst führte und dabei eng mit Höcke zusammenarbeitete. Es gebe für seine Begriffe „ganz klar rechtsextreme Bestrebungen in der Partei“.

Wie konnte es soweit kommen? Wie ist es möglich, dass keine achtzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wieder Nazi-Sympathisanten ihre menschenverachtenden Parolen verbreiten?

Die gängige Erklärung, in den Medien dutzendfach wiederholt, lautet, die ehrbaren Professoren und Nationalkonservativen, die die AfD vor zehn Jahren als Anti-Euro-Partei gegründet hätten, seien von einer „rechtspopulistischen“ Welle überrollt worden. Sie seien daran gescheitert, „die immer lauter werdenden Rechtsextremisten in den Reihen der AfD einzuhegen“ (Caren Miosga, Tagesthemen).

Das ist eine Legende, die verdecken soll, dass die AfD nicht durch eine populistische Welle von unten emporgespült, sondern durch Förderung von oben aufgebaut wurde. Der Staatsapparat, die etablierten Parteien und die Medien haben sie gezielt unterstützt. Sie haben das ausländerfeindliche, nationalistische und militaristische Klima geschürt, in dem der braune Sumpf aufblühen konnte. Sie haben die Partei und ihr gewalttätiges Umfeld gefördert. Sie haben die AfD-Abgeordneten mit offenen Armen in den Parlamenten empfangen und ihnen den Weg in Spitzenämter und das Scheinwerferlicht der medialen Öffentlichkeit gebahnt.

Selbst dort, wo die AfD breiteren Einfluss gewann – sie liegt in den Umfragen bundesweit bei 15 und in den östlichen Bundesländern zwischen 20 und 30 Prozent –, verdankt sie dies der SPD, den Grünen und vor allem der Linkspartei, deren Politik des Sozialabbaus unter „linkem“ Vorzeichen Frustrierte und Wütende in die Fänge der rechten Demagogen trieb.

Da Grüne, SPD und Linke uneingeschränkt die Kriegsoffensive der Nato in der Ukraine unterstützen, die immer direkter die Gefahr eines dritten Weltkriegs heraufbeschwört, stellt sich die AfD inzwischen sogar als „Friedenspartei“ dar. Tatsächlich ist die Partei, in deren Reihen es von ehemaligen und aktiven Offizieren und Soldaten der Bundeswehr wimmelt, in jeder Hinsicht militaristisch.

Die AfD feiert die massive Aufrüstung der Bundeswehr als Umsetzung ihres Programms. Einige ihrer Führer sind allerdings der Ansicht, dass Deutschland den falschen Krieg führt und sich mit Russland gegen die USA verbünden sollte. So erklärte Björn Höcke im vergangenen Jahr am Tag der Deutschen Einheit in Gera: „Es war und ist US-amerikanische Strategie, als raumfremde Macht auf unserem Kontinent Keile zu treiben zwischen Nationen, die eigentlich sehr gut miteinander zusammenarbeiten könnten. … Der natürliche Partner unserer Arbeits- und Lebensweise wäre Russland, ein Land mit schier unerschöpflichen Rohstoffen. Hinzu kommt, dass Deutsche und Russen eine ähnliche seelische Stimmung haben.“

Die Gründung der AfD und die Wiederbelebung des deutschen Militarismus

Die Gründung der AfD vor zehn Jahren fiel mit einem Wendepunkt der deutschen Innen- und Außenpolitik zusammen. Im selben Jahr arbeiteten mehr als 50 führende Politiker, Journalisten, Akademiker, Militärs und Wirtschaftsvertreter unter Federführung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) das Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ aus, das als Blaupause für die Außenpolitik der Großen Koalition diente, die Ende 2013 die Regierung übernahm.

Das Papier trat dafür ein, dass Deutschland zu einer Großmachtpolitik zurückkehrt und massiv aufrüstet, um seine Interessen als „Handels- und Exportnation“ weltweit mit militärischen Mitteln zu verfolgen. Die Rückkehr zu Militarismus und Großmachtpolitik erforderte den Aufbau einer Partei, die die Verbrechen der Nazis verharmlost, Chauvinismus schürt und die Gegner des Militarismus und des damit verbundenen Sozialabbaus einschüchtert. Diese Aufgabe erfüllt die AfD.

Als der Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, der langjährige CDU-Politiker Alexander Gauland, der frühere Welt- und FAZ-Redakteur Konrad Adam, der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Hans-Olaf Henkel und andere die Partei ins Leben riefen, wussten sie sehr genau, welche Kräfte sie damit mobilisierten. Dass einige von ihnen der Partei später den Rücken kehrten, die mit Bernd Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen nacheinander drei Vorsitzende verschliss, ändert daran nichts. Derartige Führungskämpfe sind in rechtsextremen Parteien üblich.

Die Ablehnung des Euro-Rettungsschirms, die den unmittelbaren Anlass zur Parteigründung gab, war mit einem aggressiven Nationalismus verbunden. Die AfD hatte nichts gegen die Bereicherungsorgie für Spekulanten und Banken einzuwenden, die mit der Euro-Rettung einherging. Was sie ablehnte, war jede Form von finanziellem Ausgleich zwischen den reicheren und den ärmeren Euro-Ländern. Ihr Chauvinismus zog Neonazis und Rechtsextreme – darunter Björn Höcke und Andreas Kalbitz – an, die sie mit offenen Armen aufnahm.

Das ideologische Klima, in dem die AfD gedeihen konnte, war bereits in den Jahren davor erzeugt worden. Im Sommer 2010 hatte das Mitglied der SPD und des Vorstands der Bundesbank, Thilo Sarrazin, das Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlicht, eine rassistische Hetzschrift, die die Verleumdung muslimischer Immigranten mit sozialdarwinistischen Vorurteilen und Theorien verknüpfte, die einst die Rassenhygieniker des Dritten Reichs vertreten hatten.

Die Medien veranstalteten einen Hype, der dem Buch eine Auflage von 1,5 Millionen bescherte. Spiegel und Bild druckten Auszüge im Voraus ab. Sarrazin durfte seine rassistische Hetze in unzähligen Interviews und Talkshow-Auftritten verbreiten. Das Magazin Cicero wählte ihn sogar auf Platz fünf seiner Liste der wichtigsten deutschen Intellektuellen.

Die Unterstützung für Sarrazin beschränkte sich nicht auf die Mainstream-Medien. Auch die Linken-Politiker Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht vertraten seine ausländerfeindlichen Parolen. Lafontaine stellte noch im Herbst 2020, als sogar die SPD versuchte Sarrazin loszuwerden, eine seiner weiteren Hetzschriften, „Der Staat an seinen Grenzen“, der Öffentlichkeit vor.

Eine wichtige Rolle bei der Förderung der AfD spielten auch die Bemühungen des Berliner Historikers Jörg Baberowski, die Nazis zu rehabilitieren.

Im Februar 2014 veröffentlichte der Spiegel den Artikel „Der Wandel der Vergangenheit“, der sich für eine Neubewertung der „deutschen Schuld“ im Ersten und im Zweiten Weltkrieg aussprach. Baberowski setzte sich darin für die Rehabilitierung des Nazi-Apologeten Ernst Nolte ein (der im Artikel ebenfalls zu Wort kam) und bescheinigte Hitler, er sei „nicht grausam“ gewesen, weil er angeblich nicht wollte, „dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird“.

Als die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Jugendorganisation IYSSE gegen diese Verharmlosung der Nazis protestierten, stellten sich fast alle Medien und die Mehrheit des akademischen Establishments hinter Baberowski und denunzierten die SGP. Selbst nachdem ein Gericht entschieden hatte, dass man Baberowski als Rechtsradikalen bezeichnen dürfe, und nachdem er kritische Studierende beleidigt und physisch angegriffen hatte, verteidigten ihn die Medien und die sozialdemokratische Leitung der Humboldt-Universität.

Als Björn Höcke später das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ denunzierte und Alexander Gauland die Naziherrschaft als „Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ verharmloste, folgten sie Pfaden, die Baberowski und seine Verteidiger längst ausgetreten hatten.

In den zehn Jahren seit der Gründung der AfD organisierten die Medien und politischen Parteien dann immer wieder ausländerfeindliche Kampagnen, die den Rechtsextremen Auftrieb verliehen. Als 2015 zahlreiche Flüchtlinge aus kriegszerstörten Ländern nach Deutschland strömten und von bereitwilligen Helfern willkommen geheißen wurden, bauschten sie die rechtsextremen Pegida-Märsche auf und verteufelten die Flüchtlinge. Zu den widrigsten Hetzern zählte Jörg Baberowski, der in der FAZ, der NZZ und anderen Blättern gegen fremde Kulturen geiferte.

Zum Jahreswechsel folgte die Kampagne zur „Kölner Silvesternacht“. Sexuelle Anmache wurde massiv übertrieben und für eine rassistische Hetzkampagne gegen Flüchtlinge und Muslime instrumentalisiert. Auf diese Weise ging es weiter bis zur jüngsten „Berliner Silvesternacht“, in der Jugendliche mit Migrationshintergrund angeblich mit nie dagewesener Gewalt gegen die Polizei vorgingen – was sich hinterher größtenteils als falsch herausstellte.

AfD und Verfassungsschutz

Die Unterstützung für die AfD beschränkte sich aber nicht nur auf rechte Propaganda. Die Sicherheitsbehörden förderten gezielt ihren Aufstieg.

Hans-Georg Maaßen, der von 2012 bis 2018 das Bundesamt für Verfassungsschutz leitete, beriet die Führung der AfD, wie sie der Beobachtung durch seine Behörde entgehen konnte. Nachdem er 2018 wegen der Verteidigung einer rechtsextremen Demonstration in Chemnitz in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde, hielt Maaßen mit seiner rechtsextremen Gesinnung nicht mehr hinter dem Berg. Kürzlich warf er in einem Tweet den „treibenden Kräften im politischen-medialen Raum“ vor, sie hätten einen „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße“ und den „brennenden Wunsch, dass Deutschland verrecken möge“ als „Stoßrichtung“. Die CDU droht Maaßen inzwischen mit einem Ausschlussverfahren.

Es war auch Maaßen, der dafür sorgte, dass die Sozialistische Gleichheitspartei wegen angeblichem Linksextremismus in den jährlichen Verfassungsschutzbericht aufgenommen wurde. Als die SGP dagegen klagte, rechtfertigte das Innenministerium die Beobachtung der trotzkistischen Partei damit, dass das „Streiten für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“, die „Agitation gegen angeblichen ‚Imperialismus’ und ‚Militarismus’“ und das „Denken in Klassenkategorien“ verfassungswidrig seien.

Der Verfassungsschutz und andere Sicherheitsbehörden unterstützen auch die rechtsterroristischen Netzwerke von Neonazis und Reichsbürgern, die im Dunstkreis der AfD gedeihen und die weit in die Bundeswehr und die Polizei hineinreichen.

So wurde der Thüringische Heimatschutz, aus dem das NSU-Mördertrio hervorging, mit Geldern des Verfassungsschutzes aufgebaut. Obwohl mehr als zwei Dutzend V-Leute im Umfeld des NSU tätig waren, will der Verfassungsschutz nichts von seinem mörderischen Treiben gewusst haben. Selbst nachdem der Neonazi Stephan Ernst, der aus denselben Kreisen wie der NSU hervorging, 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) ermordete, bleiben die Geheimdienstakten zu dem Fall über Jahrzehnte unter Verschluss.

Auch das Hannibal-Netzwerk und andere Gruppen, die Waffen horten, Todeslisten erstellen und enge Verbindungen zu Eliteeinheiten von Bundeswehr und Polizei unterhalten, wurden bisher nicht oder nur wegen Bagatelldelikten belangt. Die Anschläge von Halle und Hanau sowie zahlreiche Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte konnten sich erst in diesem Klima entwickeln.

Die Förderung und Stärkung faschistischer Parteien durch die herrschenden Eliten ist nicht auf Deutschland beschränkt.

In den USA hat Präsident Donald Trump am 6. Januar 2021 versucht, die Wahl seines Nachfolgers Joe Biden mit einem Putsch zu verhindern. Inzwischen werden die Republikaner, eine der beiden großen bürgerlichen Parteien, von Faschisten dominiert. Trotzdem beharrt Biden auf der Zusammenarbeit mit seinen „republikanischen Freunden“.

In Frankreich wurde das rechtsextreme Rassemblement National in den letzten beiden Präsidentenwahlen zweitstärkste Partei. In Italien stellen die Nachfolger Mussolinis, die Fratelli d’Italia, seit drei Monaten die Ministerpräsidentin. Bundeskanzler Olaf Scholz hat Giorgia Meloni in Berlin erst vor einer Woche den roten Teppich ausgerollt und ihr seine „feste Entschlossenheit“ zur Zusammenarbeit versichert. Auch in zahlreichen kleineren europäischen Ländern – Österreich, Schweden, Dänemark, Finnland u.a. – waren oder sind rechtsextreme Parteien an der Regierung beteiligt.

Das allein zeigt, dass die Gefahr von Faschismus und Diktatur tiefe objektive Ursachen hat. Sie wurzelt in der ausweglosen Krise des Kapitalismus. Die extreme Zunahme der sozialen Ungleichheit und wachsende internationale Rivalitäten zerstören die Mechanismen der Demokratie und der sozialen Kompromisse.

1933 holte eine Verschwörung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Eliten Hitler an die Macht, weil sie die Nazis brauchten, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen und einen Krieg zur Eroberung von „Lebensraum“ – d.h. von Rohstoffen und Ausbeutungsmöglichkeiten für das deutsche Kapital – vorzubereiten. Aus denselben Gründen werden heute überall wieder faschistische Parteien aufgebaut und gefördert.

Deshalb ist es auch unmöglich, den Faschismus mit staatlichen Repressionsmaßnahmen oder im Bündnis mit angeblich demokratischen, bürgerlichen Parteien zu bekämpfen. Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die den Kampf gegen soziale Ungleichheit, Faschismus und Krieg mit dem Kampf gegen ihre Ursache, den Kapitalismus, verbindet, kann dem rechten Spuk ein Ende bereiten.

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