Die Tarifverhandlungen von Verdi mit der Deutschen Post DHL Group sind in der dritten Verhandlungsrunde gescheitert. Dies hat die Tarifkommission der Dienstleistungsgewerkschaft nach zweitägigen Verhandlungen in Düsseldorf am Freitagnachmittag erklärt. Verdi hat gleichzeitig eine Urabstimmung unter ihren Mitgliedern bei der Post angekündigt. Die Gewerkschaft empfiehlt dabei, das letzte Angebot des Postvorstands abzulehnen und einem unbefristeten Arbeitskampf zuzustimmen.
Verdi reagiert damit auf die Unzufriedenheit und große Kampfbereitschaft unter den Brief- und Paketzustellern und Postbeschäftigten in den Verteilzentren. Die Verdi-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis hat alles versucht, um dem Postvorstand goldene Brücken zu bauen und einen Streik abzuwenden. Und sie wird das auch weiterhin tun. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine DGB-Gewerkschaft nach einem überwältigenden Streikvotum der Mitglieder auf den Streik verzichtet und einen Ausverkauf unterzeichnet.
Zuletzt sprach Kocsis öffentlich nur noch von einem „akzeptablen Angebot“, das auf dem Tisch liegen müsse, ohne die konkrete Forderung nach 15 Prozent zu erwähnen. Diese Forderung hatten Gewerkschaftsmitglieder bei der Post gegen den Willen der Verdi-Führung durchgesetzt, indem sie die ursprüngliche Forderung von 10,5 Prozent in einer Umfrage mit Zwei-Drittel-Mehrheit ablehnten und sich zu neunzig Prozent streikbereit erklärten.
Fast 100.000 Postbeschäftigte haben sich in den letzten Wochen in allen Bundesländern an Warnstreiks beteiligt. Noch am Tag vor den Verhandlungen nahmen tausende Postler in Hamburg, Dortmund, Saarbrücken, Nürnberg, Stuttgart und Frankfurt am Main an Streiks und Kundgebungen teil. Schon am Montag fanden größere Streikkundgebungen in zehn Städten statt, darunter Berlin, München und Rostock. Dies in einer Situation, wo sich bundesweit auch Lehrer, Pflegekräfte, Kita-Erzieherinnen und die Beschäftigten der Stadtreinigung und des gesamten öffentlichen Dienstes im Tarifkampf befinden.
Die Postler wehren sich gegen miserable Löhne und Sklavenbedingungen. Fast 90 Prozent der 160.000 Beschäftigten sind in den Entgeltgruppen 1 bis 3 eingestuft, was bedeutet, dass sie in einem Niedriglohnbereich von 2.100 bis 3.090 Euro brutto arbeiten müssen. Die letzte Tariferhöhung erfolgte vor über einem Jahr, im Januar 2022, und betrug gerade mal 2 Prozent. Seither kletterten als Folge des Ukrainekriegs, der Sanktionen gegen Russland und einer beispiellosen Teuerung die Preise für Strom und Gas, Benzin und Lebensmittel in schwindelnde Höhen.
Dazu sagte ein Paketbote aus der teuren Stadt Wiesbaden der WSWS in Frankfurt, dass allein seine Miete mit Nebenkosten seit dem letzten Jahr von 1.100 auf 1.500 Euro gestiegen sei, und dass er mittlerweile 50 Euro pro Woche für Benzin rechnen müsse. Er überlege sich, einen Zweitjob am Sonntag anzunehmen, wisse aber nicht, ob das zu schaffen sei. Denn für die Post müsse er täglich rund 200 Pakete ausliefern, und mindestens jedes zehnte sei über 30 Kilo schwer. Er trug ein Plakat mit der Aufschrift: „Mucho trabajo – poco dinero / Viel Arbeit – wenig Geld“ mit sich. Auf einem anderen Plakat stand: „Wir ackern bei jedem Wetter, doch nur euer Konto wird immer fetter.“
Der Post-Vorstand hat die Forderung nach 15 Prozent, die noch nicht einmal die reale Inflation ausgleichen würde, arrogant als „realitätsfern“ abgelehnt und besteht auf einer Laufzeit von 24 Monaten. Sein letztes Angebot beinhaltet eine Anhebung der Tariflöhne um 340 Euro – allerdings erst ab 2024 und in zwei Stufen. Für das laufende Jahr 2023 will die Post lediglich die steuerfreie Inflationsprämie von 3.000 Euro, ebenfalls in zwei Stufen, auszahlen. Diese Prämie hätte sie den Beschäftigten schon im letzten Jahr auszahlen müssen!
Gleichzeitig hat die Deutsche Post DHL Group im Jahr 2022 einen operativen Gewinn von 8,4 Milliarden Euro erwirtschaftet. Dafür haben die Paketboten, Briefzusteller und Sortierer mit ihrer Knochenarbeit gesorgt. Was die Vorstandsmitglieder und Verhandlungsführer betrifft, so haben sie keine Scheu, sich selbst zu bedienen: Deutsche-Post-Vorstandschef Frank Appel hat als bestbezahlter CEO eines Dax-Konzerns im Krisenjahr 2020 über zehn Millionen Euro einkassiert. Auch Personalchef Thomas Ogilvie, Verhandlungsführer in der Tarifrunde, wird für die Dienste, die er der Post leistet, mit rund zwei Millionen Euro vergütet.
Andrea Kocsis, Verhandlungsführerin auf Gewerkschaftsseite, lebt mit ihrem Einkommen ebenfalls auf einem völlig anderen Planeten als die Postbeschäftigten. Allein für ihr Mandat im Aufsichtsrat der Deutschen Post DHL Group hat sie im Jahr 2021 mehr als eine Viertelmillion Euro (264.000 Euro) kassiert, und dies neben ihrem normalen Einkommen als stellvertretende Verdi-Vorsitzende.
Wenn Verdi nun die Verhandlungen für gescheitert erklärt, dann im verzweifelten Bemühen, die Kontrolle über eine wachsende soziale Bewegung nicht zu verlieren. Wie sich immer klarer zeigt, ist der Kampf der Postbeschäftigten Teil einer europaweiten Bewegung. In Frankreich sind in dieser Woche erneut Millionen von Arbeitern gegen den Versuch der Macron-Regierung, die Renten zu verschlechtern, auf die Straße gegangen. Auch in England wächst die Streikbewegung von Tag zu Tag, und Pflegekräfte des NHS befinden sich im größten Arbeitskampf ihrer Geschichte. Auch in Belgien, Finnland und anderswo baut sich eine Massenstreikbewegung auf.
Wenn es in Deutschland jetzt zum unbefristeten Postlerstreik kommen sollte, dann trifft er mit Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst, an den Schulen und Kitas und in der Auto- und Zulieferindustrie zusammen. Überall kämpfen Arbeiter für bessere Bedingungen oder sie wehren sich gegen Entlassungen und Werkschließung. Insgesamt sind allein in Deutschland nicht weniger als 11 Millionen Beschäftigte im Tarif- und Arbeitskampf. Europaweit sind es Dutzende Millionen.
Mehr und mehr kämpfen sie nicht nur gegen Angriffe und schlechte Bedingungen, sondern auch gegen die Aufrüstung und Kriegspolitik ihrer Regierungen. Ob in Frankfurt oder bei Warnstreiks in Berlin, überall wo die WSWS mit Arbeitern darüber sprach, reagierten sie mit Abscheu und Ablehnung auf die Kriegspolitik von Scholz, Baerbock und der Ampel-Koalition.
„Die sind in der Lage, Kampfpanzer und Waffen für den Krieg zu finanzieren, aber für uns ist kein Geld da,“ sagte eine Briefzustellerin aus Aschaffenburg. Sie erwähnte ihre Oma, die sich noch lebhaft an den Zweiten Weltkrieg erinnern könne: „Das brauchen wir wirklich nicht noch einmal.“
Andere Arbeiter trugen Plakate für die Erdbebenopfer in Anatolien mit sich. In Frankfurt hatten Postler auf ihr Transparent geschrieben: „Wir kämpfen für 15 Prozent, aber in Gedanken sind wir in der Türkei und in Syrien.“ Sie sammelten Spenden unter den Streikenden für die Opfer der grauenhaften Katastrophe, während die Scholz-Regierung und die Europäische Union ungerührt die „Festung Europa“ und ihre Abschiebungspolitik verschärfen.
Angesichts der tiefen Kluft zwischen „denen da oben“, die einen dritten Weltkrieg riskieren und sich – wie der Vorstand und die Aktionäre der Post – sinnlos bereichern, und den Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern, die mit sinkenden Niedriglöhnen, steigendem Arbeitsdruck und der Aussicht auf Krieg leben, wächst europaweit der Widerstand. Doch der Kampf darf nicht länger Gewerkschaften wie Verdi überlassen werden, die mit den Arbeitgebern zusammenarbeiten und deren Führung denselben Parteien angehört wie die verantwortlichen Kriegstreiber. Wenn Verdi einen unbefristeten Streik bei der Post nicht vermeiden kann, wird sie alles tun, um ihn auf Sparflamme zu halten und in die Sackgasse zu lenken, damit sich die Verhältnisse nicht grundlegend ändern und die Profite gesichert sind.
Um die Bedingungen tatsächlich zu ändern, braucht es unabhängige Aktionskomitees der Arbeiter in den Betrieben, die den Streik in die eigene Hand nehmen. Notwendig ist eine internationale Zusammenarbeit und ein sozialistisches Programm, und notwendig ist vor allem eine neue Führung: eine Arbeiterpartei, die grundsätzlich das Leben über den Profit stellt. Die Sozialistische Gleichheitspartei, die am Sonntag in Berlin an der Wiederholungswahl teilnimmt, ist diese Partei.