In einer barbarischen Zurschaustellung von Brutalität und Militarismus haben die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) am Mittwochmorgen bei einer Massenrazzia in Nablus im nördlichen Westjordanland elf Menschen getötet und 103 verletzt, darunter zwei ältere Männer von 72 und 66 Jahren.
Es war die bei weitem tödlichste Razzia seit Jahrzehnten. Soldaten hinderten Sanitäter daran, die Verletzten vom Schauplatz zu evakuieren und schossen auf Krankenwagen. Auf Videoclips ist zu sehen, wie ein Jeep des Militärs in eine Menge von Palästinensern fährt, die gegen die Razzia protestieren. Ein anderes Video zeigt, wie ein älterer Mann regungslos am Boden liegt, nachdem er offenbar angeschossen wurde und man ihn blutend liegen ließ. Wieder andere zeigen drei offenbar Unbewaffnete, die einen Bürgersteig entlanglaufen. Einer von ihnen geht zu Boden, nachdem die Gruppe unter Beschuss geriet.
Diese außergerichtlichen Tötungen, verübt am helllichten Tag in einem belebten Stadtzentrum von Angehörigen der stärksten Kriegsmaschinerie des Nahen Ostens, sind nichts Geringeres als ein Kriegsverbrechen der neuen Regierungskoalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
Israel rechtfertigte den mörderischen Angriff mit seiner üblichen Heuchelei und seinem Zynismus - und ohne Beweise vorzulegen - mit der Behauptung, es sei um die Verhaftung von drei bewaffneten Terroristen gegangen, die im Oktober einen israelischen Soldaten getötet hätten und an der „Planung von künftigen Schießereien beteiligt“ gewesen seien. Ein Sprecher des Militärs erklärte, die Soldaten seien unter schweren Beschuss geraten, als sie versuchten, die drei Gesuchten zu verhaften. Warum weitere acht Menschen getötet wurden, erklärte er nicht.
Die Razzia war bewusst darauf ausgelegt, Vergeltungsangriffe in Israel und Raketenangriffe aus dem belagerten Gazastreifen zu provozieren. Der Gazastreifen wird von der Hamas kontrolliert, einer bürgerlich-klerikalen Gruppe aus dem Umfeld der Moslembruderschaft. Diese Angriffe werden dann von den Behörden wiederum benutzt, um eine „Sicherheitskrise“ auszurufen und die wachsende Protestbewegung zu unterdrücken, die Widerstand gegen die Bestrebungen der Regierung leistet, sich diktatorische Vollmachten zu verleihen und die Justiz zu entmachten. Auf diese Weise versucht die Regierung, ihre umfassenderen Pläne umzusetzen, die Palästinensergebiete zu annektieren, die Israel seit dem Sechstagekrieg von 1967 illegal besetzt hält.
Die Führer der israelischen Protestbewegung sind zwar weitgehend mit dem Kurs der Netanjahu-Regierung einverstanden und lehnen jeden Appell an die palästinensischen Bürger Israels ab, allerdings befürchten sie, dass Netanjahus von den Faschisten unterstützte Machtübernahme die Stabilität der kapitalistischen Herrschaft und des israelischen Staats gefährdet. Sie sind sich durchaus der Tatsache bewusst, dass die wachsende Bewegung auch von einer breiteren sozialen Unzufriedenheit und dem Widerstand gegen Israels brutale Unterdrückung der Palästinenser und sein Apartheidsystem angetrieben wird. Deshalb haben sie versucht, die Proteste auf den Schutz des Obersten Gerichtshofs zu begrenzen, der Israels Jüdisches Nationalstaatsgesetz durchgewunken und Siedlungen, Landnahme und Zwangsräumungen im Ost-Jerusalemer Stadtviertel Scheich Jarrah bewilligt hat. Sie wollen verhindern, dass die Teilnehmer der Kundgebungen auf die Palästinenser zugehen und einen gemeinsamen Kampf mit ihnen führen.
Nach den Morden in Nablus flog das israelische Militär (IDF) Luftangriffe auf zwei Militäreinrichtungen der Hamas. Zuvor waren sechs Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert worden, der seit 15 Jahren ein Freiluftgefängnis für seine zwei Millionen Einwohner ist. Fünf dieser Raketen wurden vom israelischen Luftabwehrsystem Iron Dome abgefangen.
Die tödliche Razzia am Mittwoch war die dritte größere Operation im Westjordanland, bei der seit der Amtsübernahme der neuen Regierung Ende letzten Jahres mehrere Palästinenser getötet wurden. Bei einer Razzia im Flüchtlingslager Dschenin Ende Januar wurden zehn palästinensische Kämpfer und Zivilisten getötet und Anfang Februar kamen bei einer ähnlichen Operation in Jericho fünf palästinensische Kämpfer ums Leben.
Mit dem jüngsten Massaker steigt die Zahl der Palästinenser, die in diesem Jahr durch israelische Polizisten, Soldaten und Siedler getötet wurden, auf 61. Dazu kommen zehn Israelis und ein ukrainischer Staatsbürger, die der eskalierenden Gewalt zum Opfer gefallen sind. Ein neuer Rekord wurde letztes Jahr erreicht, als mindestens 170 Palästinenser im Westjordanland und in Ostjerusalem getötet wurden, darunter 30 Kinder. Das ist die höchste Zahl an Todesopfern in den besetzten palästinensischen Gebieten in einem einzigen Jahr seit 2005.
Die Gräueltat von Nablus ist Teil der Operation Breakwater, die letzten März als Antwort auf eine Reihe von palästinensischen Angriffen auf Israelis begann. Seither kommt es im Westjordanland fast täglich zu Razzien und Verhaftungen, vor allem in den Städten Dschenin, Nablus, Hebron und Jericho. Diese Operationen schüren im Westjordanland immer stärkeren Widerstand unter dem Banner neuer Gruppen wie der „Höhle des Löwen“, der Nablus-Brigade und der Tubas-Brigaden, während die Feindschaft gegen die Fatah-dominierte Palästinenserbehörde (PA) unter Präsident Mahmud Abbas wegen ihrer feigen Unterwürfigkeit gegenüber Israel wächst.
Tatsächlich gab ein Sprecher der Polizei stillschweigend zu, dass der Angriff zu weiterer Gewalt führen wird, vor allem im Vorfeld des Ramadan, der nächsten Monat beginnt. Er erklärte, die Polizei werde angesichts drohender weiterer Anschläge zusätzliche Kräfte in Jerusalem und dem Westjordanland einsetzen. Die Jerusalem Post schrieb, Israel bereite sich auf „mögliche Nachwirkungen der Operation wie terroristische Vergeltungsanschläge im Westjordanland, in Jerusalem und im Landesinneren oder Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen vor“.
Nur wenige Tage zuvor hatte das Kabinett die Legalisierung von neun bisher illegalen Außenposten im Westjordanland und den Bau von 7.000 Häusern in bestehenden Siedlungen bewilligt. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) legten auf Veranlassung der Palästinenserbehörde eine Resolution vor, in der sie diese Entscheidung verurteilten. Die VAE, die im Rahmen der Abraham Accords ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben, schwächten diese Resolution anschließend auf Washingtons Forderung hin ab, damit sie ohne das übliche Veto der USA verabschiedet werden konnte.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Ein Teil der Hinterzimmer-Deals bei den Vereinten Nationen bestand darin, dass die PA Finanzhilfen erhält und Israel keine weiteren illegalen Siedlungen mehr bewilligen oder den Bau neuer Siedlungen genehmigen und seine bewaffneten Übergriffe auf die nominell von der PA kontrollierten Gebiete im Westjordanland „verringern“ wird. Das alles war jedoch nur für die Öffentlichkeit bestimmt. Nur drei Tage später setzte sich Netanjahu über den Deal hinweg und genehmigte die Razzia.
Die Vereinten Nationen, die USA, die europäischen Mächte und ihre Verbündeten im Nahen Osten reagierten auf die jüngsten Gräueltaten wie üblich mit unaufrichtigen Ermahnungen. Damit unterstreichen sie, dass sie der faschistoiden israelischen Regierung freie Hand lassen, die Palästinenser mit immer mehr Gewalt zu terrorisieren und zu unterdrücken. Die Regierung soll ihr Ziel erreichen, die Palästinensergebiete zu annektieren und ihr Apartheidsystem durchzusetzen, so wie es im Nationalstaatsgesetz verankert ist, das die Vorherrschaft der Juden zur Rechtsgrundlage des Staats erhebt. Die arabischen Regimes, die lange Zeit ihre Unterstützung für einen palästinensischen Staat verkündet haben, um ihre diktatorische Herrschaft über ihre eigenen Bürger zu legitimieren, sind als offene Komplizen des zionistischen Staats entlarvt.
Es zeigt auch, wie völlig opportunistisch Vorwürfe von „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ benutzt werden. Die Biden-Regierung klagt Russland für solche Verbrechen in der Ukraine an, während sie beschönigt, was ihr Kampfhund als Gegenleistung für die Dienste, die er für Washingtons räuberische Interessen im Nahen Osten leistet, tagtäglich tut. Was zum Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt wird, und wer vor den Gerichtshof in Den Haag kommt – dessen Autorität die USA und Israel für ihre eigenen Vertreter nicht anerkennen – hängt ausschließlich von den geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der verschiedenen imperialistischen Mächte ab.
Im Rahmen des kapitalistischen Systems gibt es keine Lösung für die verzweifelte wirtschaftliche und soziale Lage der palästinensischen Arbeiter, ebenso wenig gibt es eine nationale Lösung. Kein noch so großer Druck wird die palästinensische Führung, die israelische Regierung und ihre imperialistischen Hintermänner zu einem Kurswechsel bewegen. Die letzten Jahrzehnte haben das auf bittere Weise gezeigt.
Der einzige wirkliche Verbündete der palästinensischen Massen ist die internationale Arbeiterklasse. Die internationale Welle von Streiks und Protesten in Europa und Nordamerika sowie im Nahen Osten ist Ausdruck einer wachsenden Militanz der Arbeiter, die zunehmend empört und angewidert sind von Israels Kriegsverbrechen, dem imperialistischen Militarismus und der schwersten Wirtschaftskrise des internationalen kapitalistischen Systems seit der Großen Depression.
Der Schlüssel zu einer wirklich demokratischen und progressiven Lösung der Krise, die sich nicht nur auf die Palästinensergebiete, sondern auch auf Israel, den Libanon, Syrien, Jordanien, den Irak und den Iran erstreckt, liegt in der vereinten Mobilisierung der Arbeiterklasse aller Länder, einschließlich der arabischen und jüdischen Arbeiter. Dies muss die bewusste Form eines Kampfs gegen Zionismus, Imperialismus und die Bourgeoisie des Nahen Ostens und für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens als Teil der sozialistischen Weltrevolution annehmen. Für diese internationale sozialistische Perspektive kämpfen die Sozialistischen Gleichheitsparteien und das Internationale Komitee der Vierten Internationale.
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