Mindestens 47 Tote bei Griechenlands schlimmstem Zugunglück

Bei der schlimmsten Zugkatastrophe in der Geschichte Griechenlands sind mindestens 47 Menschen ums Leben gekommen, Dutzende von ihnen werden noch vermisst.

Auf der Strecke von Athen nach Thessaloniki stieß ein Personenzug am Dienstag frontal mit einem Güterzug zusammen. Die Kollision ereignete sich kurz vor Mitternacht nahe der Stadt Tempe in Thessalien. Der Personenzug war Berichten zufolge mit einer Geschwindigkeit zwischen 140 und 160 km/h unterwegs, der Güterzug mit 100 km/h.

Zerstörte Waggons und Trümmer nach dem Zugunglück auf der Gleisstrecke bei Tempi, etwa 376 Kilometer nördlich von Athen, am Mittwoch, 1. März 2023 [AP Photo/Giannis Papanikos]

Der Personenzug war nach Norden unterwegs und hatte den Bahnhof der Stadt Larissa verlassen. Der Güterzug fuhr in Richtung Süden von Thessaloniki nach Larissa. Nach der Kollision stürzte einer der zerstörten Züge auf ein Feld neben den Gleisen.

Wie der Vorsitzende der griechischen Eisenbahnergewerkschaft, Yannis Nitsas, mitteilte, waren unter den Toten acht Bahnangestellte, darunter die beiden Lokführer des Güterzuges und die beiden Lokführer des Personenzuges.

Die Feuerwehr teilte am Mittwoch mit, dass beim Zusammenprall etwa 85 Personen verletzt worden seien. 66 von ihnen seien in Krankenhäuser in Larissa gebracht worden, sechs davon auf eine Intensivstation. Vierzig Krankenwagen waren im Einsatz.

An der Rettungsaktion waren 150 Feuerwehrleute beteiligt, und sie benötigten 17 Fahrzeuge und vier Kräne. Etwa 200 Personen, die leichte Verletzungen erlitten hatten oder unverletzt geblieben waren, wurden mit Bussen nach Thessaloniki gebracht.

Viele der rund 350 Passagiere an Bord waren Studenten, die nach den Ferien in der griechisch-orthodoxen Fastenzeit nach Thessaloniki zurückkehren wollten. Diese zweitgrößte Stadt Griechenlands hat einen hohen Anteil an Studenten. Der Leiter der Notaufnahme des Krankenhauses von Larissa, Apostolos Komnos, sagte dem Greek Reporter, die meisten der Toten seien junge Menschen um die 20.

Beim Aufprall entgleisten die ersten vier Waggons des Personenzugs. Die ersten beiden Waggons fingen Feuer und wurden „fast vollständig zerstört … die gibt’s nicht mehr“, wie der Regionalgouverneur der Region Thessalien, Kostas Agorastos, sagte.

Die ersten beiden Waggons wurden zerquetscht, der dritte Waggon – der Speisewagen – prallte auf sie auf und fing Feuer. Berichten zufolge wurden Passagiere durch die Zugfenster geschleudert. Einige Leichen wurden bis zu 40 Meter von den Bahngleisen entfernt aufgefunden.

Angelos, ein Überlebender, sagte gegenüber AFP: „Es fühlte sich an wie ein Erdbeben ... In den ersten Waggons sah ich Szenen des Grauens. Ich zittere immer noch am ganzen Leib.“

Ein anderer Überlebender, Stergios Minenis, sagte gegenüber Reuters:

Wir hörten einen lauten Knall ... Wir stürzten im Waggon übereinander und fielen zur Seite, bis endlich der Tumult aufhörte. Darauf breitete sich Panik aus, überall Kabel und Feuer. Das Feuer war sofort da. Wohin wir uns auch wandten, überall wurden wir verbrannt. Das Feuer war rechts und links.

Zehn, fünfzehn Sekunden lang herrschte Chaos: Menschen fielen übereinander, ringsum Feuer, hängende Kabel, zerbrochene Fenster, schreiende und eingeklemmte Menschen.

Ein Helfer sagte gegenüber AFP: „So etwas habe ich mein ganzes Leben lang noch nicht gesehen. Es ist tragisch. Auch fünf Stunden später fanden wir immer noch Leichen.“

Der leitende Gerichtsmediziner im städtischen Krankenhaus von Larissa, Roubini Leontari, sagte am Mittwoch: „Im Moment befinden sich 35 Leichen in der Halle, und immer noch kommen weitere hinzu ... Einige Leichen sind vollständig verkohlt und nicht mehr zu erkennen. Zum größten Teil handelt es sich um junge Menschen.“

BBC berichtete: „Die örtliche Feuerwehr sagte zuvor, dass der Zugwaggon, der Feuer fing, Temperaturen von 1.300 Grad Celsius erreicht habe. Der Bürgermeister von Larissa, Apostolos Kalogiannis, wies darauf hin, dass man einige Tote nur noch anhand eines DNA-Tests identifizieren könne.“

Das bisher schlimmste Zugunglück Griechenlands geschah vor 50 Jahren, im Jahr 1968, als zwei Passagierzüge in der Nähe von Korinth aufeinanderprallten. 34 Menschen starben und mehr als 120 wurden verletzt. Möglicherweise könnte die Zahl der Todesopfer am Ende noch diejenige eines Unfalls in Spanien 2013 übertreffen, als ein Hochgeschwindigkeitszug in der Nähe von Santiago de Compostela entgleiste und umkippte, und 80 Menschen starben. Jetzt schon übertrifft die Zahl der Todesopfer bei weitem diejenige des letzten vergleichbaren Frontalzusammenstoßes auf dem europäischen Schienennetz, als im Jahr 2016 im bayrischen Bad Aibling 12 Menschen ums Leben kamen. Den bislang schwersten Eisenbahnunfall Deutschland gab es vor 25 Jahren in Eschede, als am 3. Juni 1998 auf der Bahnstrecke Hannover–Hamburg ein ICE entgleiste und 101 Menschen in den Tod riss.

Die konservative Regierung Griechenlands der Nea Dimokratia (ND) hat eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen.

Der Minister für Infrastruktur und Verkehr, Kostas Karamanlis, trat am Mittwochnachmittag zurück. Auch die Leiter der privatisierten Griechischen Eisenbahngesellschaft und ihrer Projektabteilung ERGOSE erklärten ihren Rücktritt.

Die unmittelbare Ursache der Tragödie lässt sich noch nicht feststellen, aber es ist bekannt, dass beide Züge mehrere Kilometer lang auf derselben Strecke aufeinander zugerast waren. Der 27,3 Kilometer lange Streckenabschnitt, auf dem sich das Unglück ereignete, war zweigleisig und mit einer automatischen Steuerung ausgestattet, aber die Weichen und Signale wurden noch manuell gestellt.

In Larissa wurde ein 59-jähriger Bahnhofsvorsteher verhaftet und wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Verkehr angeklagt. Der Bahnhofsvorsteher bestreitet jegliches Fehlverhalten und gab an, der Unfall sei möglicherweise auf ein technisches Versagen zurückzuführen. Er hatte seinen Posten erst 40 Tage vor der Kollision angetreten, nachdem er eine Ausbildung von einem Jahr durchlaufen hatte.

Unabhängig von den unmittelbaren Ursachen kann es nicht angehen, die Verantwortung auf eine einzelne Person zu schieben, um von den tieferen Ursachen abzulenken.

Offensichtlich liegen die Ursachen tiefer, nachdem in den letzten 15 Jahren in Griechenland die Grundversorgung und die Infrastruktur heruntergewirtschaftet oder völlig zerstört worden sind. Mehrere aufeinander folgende Regierungen, einschließlich derjenigen unter der pseudolinken Partei Syriza (Koalition der radikalen Linken), haben verbrannte Erde hinterlassen.

Die Studentenverbände von Thessaloniki fordern eine umfassende Untersuchung ohne jede Vertuschung. Am Mittwochabend versammelten sich Demonstrierende vor der Zentrale von Hellenic Trains in der Athener Syggrou Avenue. Auf einem Transparent war zu lesen: „Weder ein Fehler noch ein Unglück: ihr Profit steht über dem Leben“. Auf einem anderen stand: „Unsere Toten – ihre Profite“.

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Die Bereitschaftspolizei griff die Demonstration, die sich in Richtung Parlament bewegte, brutal mit Blendgranaten und Tränengas an.

Noch während dieses Angriffs sagte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis in einer Fernsehansprache: „Alles deutet darauf hin, dass dieses Drama leider hauptsächlich auf ein tragisches menschliches Versagen zurückzuführen ist.“

Der Präsident des Lokführerverbands, Kostas Genidounias, kommentierte den desolaten Zustand des Eisenbahnnetzes zwischen den beiden größten Städten Griechenlands, als er gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ERT sagte: „Nichts funktioniert. Im gesamten Netz Athen-Thessaloniki wird alles noch manuell gemacht. Weder die Anzeigen, noch die Signale, noch die elektronische Verkehrssteuerung funktionieren.“ Nikos Tsikalakis, der Vorsitzende der größten Eisenbahnergewerkschaft, erklärte gegenüber Radio ENA, dass es landesweit nur 750 Eisenbahner gebe, weit weniger als die benötigte Zahl von mehr als 2.000.

Der Guardian berichtete: „Gemessen an der Gesamtzahl der Todesopfer pro Kilometer ist die Sicherheit im griechischen Schienenverkehr in den letzten zehn Jahren die schlechteste in der ganzen EU.“ Dies gehe aus den Statistiken des EU-Eisenbahnwesens hervor, wobei allerdings die Zahlen durch das kleine Streckennetz des Landes (etwa 2 Prozent der Größe in Großbritannien) leicht verzerrt würden: „Ein großer Teil der Todesopfer waren Gleisarbeiter und nicht Fahrgäste.“

In diesen zehn Jahren gelangte das ehemals staatliche Eisenbahnnetz Griechenlands, wie auch die Eisenbahngesellschaft, zunehmend in private Hand. Denn in dieser Zeit wurde im Rahmen diverser Sparprogramme Staatsvermögen im Wert von 55 Milliarden Euro privatisiert. Das hatten die Europäische Union (EU), der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Banken gefordert, und die aufeinanderfolgenden Regierungen der ND, der sozialdemokratischen Pasok und von Syriza haben es durchgesetzt. Syriza war von 2015–2019 an der Regierung.

Im Juni 2010, als die rigorosen Sparmaßnahmen verschärft wurden, traten die Eisenbahner in einen landesweiten 24-stündigen Streik gegen die geplante Privatisierung. Es ging darum, ein dreijähriges Privatisierungsprogramm zu stoppen, in dessen Verlauf 49 Prozent des staatlichen Eisenbahnnetzes TrainOSE verkauft werden sollten, um im Gegenzug Krediterleichterungen von EU und IWF zu erhalten.

Die Privatisierung von TrainOSE fand schließlich unter Syriza im Jahr 2017 statt. Damals kaufte die staatliche italienische Bahnholding Ferrovie Dello Stato die griechische Eisenbahn für nur 45 Millionen Euro auf. Danach zahlte die frisch-privatisierte TrainOSE im Jahr 2018 einen ebenfalls niedrigen Kaufpreis von 22 Millionen Euro für den staatlichen Instandhaltungsbetrieb für Schienenfahrzeuge EESSTY. Mehr als fünf Jahre nach der Privatisierung ist heute das gesamte Sicherheitssystem des griechischen Schienennetzes noch immer nicht vollständig automatisiert.

Immer wieder ist davor gewarnt worden, dass die ständigen Kürzungen und die Nichteinführung der erforderlichen Technologie zu einem schweren Unfall führen könnten. Vor weniger als einem Monat hieß es in einem Rundschreiben der Lokführergewerkschaft an ihre Mitglieder bezüglich zweier Zugunfälle vor kurzem auf derselben Strecke: „Wir werden nicht auf eine ‚bevorstehende Zugkatastrophe‘ warten, um zu erleben, wie sie [Regierung, Bahngesellschaft] Krokodilstränen vergießen ...“

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