Am 1. Mai, dem internationalen Tag der Arbeitersolidarität, protestierten Millionen gegen die Rentenkürzungen, die gegen den überwältigenden Widerstand der französischen Bevölkerung durchgesetzt wurden. Der Präsident Emmanuel Macron ließ Horden schwer bewaffneter Bereitschaftspolizisten auf die Demonstranten los. Sanitäter behandelten 200 Verwundete, darunter 30 Schwerverletzte sowie 2.000 schwere Notfälle wegen der Einatmung von Tränengas.
Dieser Polizeisturm war mehr als nur ein Zeichen der Verachtung des „Präsidenten der Reichen“ für die große Mehrheit der Lohnabhängigen. Er ist eine Warnung an die Arbeiter in Frankreich und international, wie kapitalistische Regierungen auf wachsenden Massenwiderstand reagieren. Die Macron-Regierung geht zu einem Ausmaß an politischer Repression über, das es seit dem faschistischen Vichy-Regime nicht mehr gegeben hat.
Während die Arbeiter weiterhin gegen die Kürzungen protestieren, die von über 75 Prozent der Franzosen abgelehnt werden, regiert Macron mit Polizeigewalt. Das Gemetzel, das die Polizei in den vier Monaten der Proteste entfesselt hat, erreicht bald das Ausmaß der Unterdrückung der „Gelbwesten“-Proteste gegen soziale Ungleichheit. Damals wurden im Laufe von mehr als einem Jahr über 10.000 Menschen verhaftet, 4.400 verwundet, 30 verstümmelt und ein Passant, der 80-jährige Zineb Redouane, getötet.
In diesem Jahr sind bereits bei jedem der 14 landesweiten Streiks der Gewerkschaften Hunderte verhaftet und weitere Hunderte verwundet worden. Polizisten stürmen vor laufenden Kameras auf friedliche Demonstranten zu, schießen ihnen mit Gummigeschossen in die Augen, sprengen ihnen mit Granaten die Hände weg, greifen Journalisten an, die sie filmen, und schlagen und verhöhnen wehrlose Demonstranten, die aus den Protesten herausgegriffen werden.
Im Moment regiert das Macron-Regime ausschließlich auf der Grundlage organisierter Gewalt gegen die Bevölkerung.
Die Unterdrückung in Frankreich entlarvt die Lüge, die Nato führe in der Ukraine Krieg gegen Russland, um die Demokratie zu verteidigen. Macron tritt die Demokratie mit Füßen, während er zig Milliarden Euro bei den Renten streicht, um seine Steuersenkungen für die Reichen und einen 90-Milliarden-Euro-Anstieg der Militärausgaben zur Eskalation des Kriegs zu finanzieren. Dieselben Klasseninteressen, die die imperialistischen Nato-Mächte in den Krieg gegen Russland treiben, drängen sie auch zu den Herrschaftsmethoden des Polizeistaats – selbst in den reichsten imperialistischen Ländern.
Doch trotz der ständigen Gewalt ist es Macron nicht gelungen, die Massenbewegung unter Kontrolle zu bringen. Sie hat eine starke Eigendynamik entwickelt.
Die World Socialist Web Site schrieb in ihrem Aufruf zum 1. Mai 2023, dass sich parallel zur Kriegseskalation eine revolutionäre Bewegung entwickelt:
Die gleichen wirtschaftlichen, geopolitischen und sozialen Widersprüche, die die imperialistischen herrschenden Eliten auf den Weg des Krieges treiben, bringen auch den objektiven Impuls für die Radikalisierung der Arbeiterklasse und den Ausbruch revolutionärer Kämpfe.
Die massive Polizeigewalt gegen die französische Arbeiterklasse führt unausweichlich zu einer Schlussfolgerung: Es gibt keinen Spielraum für Kompromisse oder Verhandlungen mit Macron. Die Arbeiterklasse kann nur voranschreiten, wenn sie ihn durch einen Generalstreik stürzt.
Umfragen zeigen, dass zwei Drittel der Franzosen einen Generalstreik unterstützen, um die Wirtschaft zu blockieren. Das erfordert jedoch den Einsatz der ganzen gesellschaftlichen und industriellen Macht der Arbeiterklasse, in Opposition zu der stalinistischen kommunistischen Partei und den Gewerkschaften, die versuchen, die Massenbewegung zu stoppen.
Vieles deutet darauf hin, dass in den herrschenden Kreisen weltweit die Besorgnis über die zunehmende Wut der französischen Arbeiterklasse wächst. Macrons Verabschiedung der Rentenreform hat die Proteste nicht beendet, sondern seiner Regierung jede Legitimation entzogen. Auch in Deutschland, Großbritannien und anderen europäischen Ländern mehren sich Streiks gegen Lohnkürzungen, Sparmaßnahmen und die Inflation. Am 1. Mai brachen einige kapitalistische Regierungen ihr Schweigen zu Macrons Polizeibrutalität und zeigten sich besorgt.
Im UN-Menschenrechtsrat forderte Schweden die französische Regierung auf, „Maßnahmen zu ergreifen, um sich in transparenter Weise mit den Vorwürfen der übermäßigen Gewaltanwendung durch Polizei und Gendarmeriegegen Demonstranten zu befassen“. Russland sagte, Frankreichs „harte und manchmal gewaltsame Maßnahmen, die darauf abzielen, friedliche Bürger auseinanderzutreiben“, seien ein Grund zur Sorge.
China forderte Frankreich auf, „Maßnahmen zu stoppen, die die Rechte von Migranten verletzen“, und die USA drängten Paris, „Bemühungen zur Bekämpfung von Verbrechen und Gewaltandrohungen, die durch religiösen Hass motiviert sind“, zu unterstützen.
Die dänische SaxoBank hat ebenfalls ein Papier veröffentlicht, in dem darüber spekuliert wird, dass Macron aufgrund der politischen Krise, ausgelöst durch die fehlende parlamentarische Unterstützung für seine Sparpolitik, zurücktreten könnte.
Diese Aussagen entspringen aber nicht der plötzlichen Besorgnis über die Polizeibrutalität in Frankreich oder dem Wunsch nach einem demokratischeren kapitalistischen Regime. Dieselben Länder betreiben selbst Gefängnissysteme, in denen Millionen Menschen inhaftiert sind, an der Spitze die Vereinigten Staaten, dem größten Gefängniswärter der Welt, wo die Polizei jeden Tag im Schnitt drei Menschen ermordet. Vielmehr verlieren die herrschenden Kreise allmählich das Vertrauen, dass Macron die Situation weiter im Griff hat und die Interessen der kapitalistischen Finanzoligarchie durchsetzen kann.
Sie fürchten, dass eine revolutionäre Explosion in Frankreich ihre eigenen Möglichkeiten beeinträchtigt, Spardiktate und Lohnkürzungen durchzusetzen und – im Fall der imperialistischen Nato-Mächte – den Krieg gegen Russland voranzutreiben.
Die kapitalistischen Eliten haben nicht vergessen, dass der französische Generalstreik im Mai 1968 eine internationale Welle revolutionärer Kämpfe der Arbeiterklasse auslöste. Allein in Europa fielen die Regierungen in Großbritannien, Portugal, Griechenland und Spanien. In Deutschland, Italien und anderen Ländern beteiligten sich Millionen Arbeiter an Streiks und Protesten. Diese Ereignisse spielten eine wichtige Rolle bei der Radikalisierung einer ganzen Generation von Studenten und jungen Arbeitern weltweit.
55 Jahre später, mehr als drei Jahrzehnte nach der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie 1991, lebt der Klassenkampf überall wieder auf. Getrieben von den unlösbaren geopolitischen und ökonomischen Widersprüchen des globalisierten Kapitalismus, der immer rasanter auf einen neuen Weltkrieg zwischen der Nato und Russland zusteuert, können die herrschenden Klasse keine Reformen mehr bieten. Auf den wachsenden Widerstand und die Wut der Arbeiterklasse reagieren sie stattdessen mit Polizeigewalt.
Die Arbeiterklasse muss die Macron-Regierung zu Fall bringen. Es geht nicht darum, die herrschende Klasse zu nationalen Reformen zu drängen. Die Arbeiter stehen vor der Aufgabe, sich zu organisieren, um einen internationalen Kampf um die Macht zu führen. Dafür müssen sie Aktionskomitees aufbauen, die die breite Masse der Arbeiterklasse in militanten Aktionen mobilisieren und einen Generalstreik vorbereiten, um die Regierung zu stürzen und eine Arbeiterregierung an die Macht zu bringen.
Je mehr sich die Bewegung in Frankreich entwickelt, desto schneller entlarvt sie den Verrat der Gewerkschaftsbürokratien und Politiker vom Schlage Jean-Luc Mélenchon. Sie alle hoffen verzweifelt, dass die Bewegung nachlässt.
Die Arbeiter können sich nicht auf die französischen Gewerkschaftsbürokratien verlassen, die zwar vorgeben, „radikaler“ zu sein als ihre Pendants in anderen Ländern, aber in Wirklichkeit eine konterrevolutionäre Rolle spielen. Sie geben den Arbeitern keine Perspektive, um Macron zu besiegen, und sagen stattdessen wiederholt Streiks ab, um zur „Vermittlung“ mit diesem faschistischem Polizeistaat aufzurufen. Als die große Mehrheit der französischen Bevölkerung einen Generalstreik forderte, haben sie nichts getan. Damit haben sie bewiesen, dass sie ihre Aufgabe darin sehen, die Kämpfe der Arbeiter zu blockieren und zu verzögern, statt sie zu organisieren.
Die Parti de l’égalité socialiste (PES), die französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, ruft zu Vollversammlungen in Betrieben und Schulen in ganz Frankreich auf, um Resolutionen zu verabschieden, die die Absetzung Macrons und die Aufhebung der Rentenkürzungen fordern. Aus diesen Versammlungen heraus können Arbeiter und Jugendliche Aktionskomitees bilden, um Streiks und Protestaktionen zu koordinieren und einen Generalstreik zum Sturz Macrons vorzubereiten.
Vor allem können solche Aktionskomitees die Kämpfe in Frankreich mit der wachsenden Welle von Streiks und Protesten in der internationalen Arbeiterklasse koordinieren. Die besten Verbündeten der französischen Arbeiter im Kampf gegen Macron sind ihre Klassenbrüder und -schwestern weltweit, die gegen die gleiche reaktionäre Politik der Finanzeliten kämpfen.
Vereint in der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees und bewaffnet mit einer revolutionären Perspektive müssen die Arbeiter für den Sturz Macrons kämpfen, als ersten Schritt im weltweiten Kampf für die Enteignung der Finanzoligarchie und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft.