Steinmeier stellt sich hinter die Lieferung von Streubomben an die Ukraine

Am Sonntag stellte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hinter den Beschluss von US-Präsident Joe Biden, Streumunition an die Ukraine zu liefern. Die offizielle Position der Bundesregierung, sich gegen diese international geächteten Waffen auszusprechen, sei zwar nach wie vor richtig, erklärte er im ZDF-Sommerinterview. Nur um hinzuzufügen: „Aber sie kann in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen.“

Ein US-amerikanischer B-1-Bomber wirft Cluster-Bomben ab [Photo: DoD photo, USAF, Public domain, via Wikimedia Commons]

Dass sich das deutsche Staatsoberhaupt kurz vor Beginn des Nato-Gipfels in Vilnius hinter die Lieferung von Streubomben stellt, ist eine Warnung. Im Zweiten Weltkrieg hatte die herrschende Klasse Deutschlands mit dem Holocaust und dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion die größten Verbrechen der Geschichte begangen. Nun schreckt sie erneut vor nichts zurück, um ihre imperialistischen Ziele zu verfolgen.

Der Einsatz von Streumunition ist völkerrechtlich illegal und per se ein krimineller Akt. Es handelt sich um Raketen und Bomben, die in der Luft zerbersten und unzählige kleine Sprengkörper freisetzen. Sie sind darauf ausgerichtet, wahllos Menschen zu töten und zu verstümmeln. Nicht nur russische Soldaten, sondern vor allem auch die ukrainische Zivilbevölkerung würde über Jahre hinaus einen fürchterlichen Preis bezahlen.

Während des Vietnamkriegs warfen die USA bei Luftangriffen auf Ziele in Vietnam, Laos und Kambodscha großflächig Streubomben ab. Allein auf Laos regneten zwischen 1964 und 1973 über 270 Millionen Streubomben nieder, von denen Schätzungen zufolge 80 Millionen nicht explodierten. Laut Wikipedia wurden zwischen 1964 und 2008 mehr als 50.000 Menschen von Streumunition getötet oder verletzt, davon 20.000 Menschen nach dem Krieg. 23 Prozent der Opfer waren Kinder.

Auch in den völkerrechtswidrigen Angriffskriegen gegen Serbien und den Irak setzten die Nato-Mächte Streumunition ein. Einem Bericht von Human Rights Watch zufolge warfen die Vereinigten Staaten und Großbritannien über dem Irak fast 13.000 Streubomben mit geschätzt 1,8 bis 2 Millionen Submunitionen ab. Berichte geben einen Eindruck von den fürchterlichen Folgen. So sind laut Amnesty International am 1. April 2003 in Hilla viele Tote und Verletzte ins lokale Krankenhaus eingeliefert worden. Ihre Körper waren übersät mit Schnitten, die die Splitter von Streubomben verursacht hatten.

Steinmeier weiß genau, welche Verbrechen er mit seiner Aussage unterstützt. Im ZDF-Interview bemerkte er zynisch, er sei in Bezug auf den Einsatz von Streubomben „befangen“, da er 2008 in Oslo als Außenminister für Deutschland das internationale Abkommen zur Ächtung der Streumunition unterschrieben habe.

In dem Abkommen, das am 1. August 2010 in Kraft trat, verpflichten sich die 111 Unterzeichnerstaaten, „unter keinen Umständen jemals Streumunition einzusetzen, zu entwickeln, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben, zu lagern, zurückzubehalten oder an irgendjemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben“. Man sei entschlossen, „das Leiden und Sterben zu beenden“, das durch Streumunition verursacht werde. Und man sei besorgt, dass „Streumunitionsrückstände Zivilpersonen, einschließlich Frauen und Kinder, töten oder verstümmeln“ könnten, heißt es darin.

15 Jahre später sind dies für die herrschende Klasse nichts als leere Worte. Phrasen von Abrüstung, Demokratie und Menschenrechten, die immer hohl waren, werden zunehmend abgelöst von offenen Plädoyers für die fürchterlichsten Kriegswaffen. Um den Kollaps der ukrainischen Kriegsoffensive abzuwenden und Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen, ist Washington und Berlin jedes Mittel recht.

Gegenüber dem ZDF sprach sich Steinmeier explizit für eine Eskalation des Kriegs aus. Er sehe im Moment noch nicht die Bedingungen, unter denen er sich einen Waffenstillstand vorstellen könnte, erklärte der Bundespräsident. „Er würde bedeuten zum jetzigen Zeitpunkt, dass man den Landraub, den Russland in der Ukraine betreibt, dass man diesen Landraub belohnt.“ Solange Russland seine Truppen nicht aus der Ukraine abziehe, müssen man „Verständnis dafür haben, dass … die Ukraine die russischen Truppen zurückzukämpfen versucht“.

Steinmeier spricht für eine herrschende Klasse, die trotz ihrer monströsen historischen Verbrechen erneut das Ziel verfolgt, Russland zu unterwerfen, um seine riesigen Rohstoffvorkommen auszuplündern, und sich zur militärischen Führungsmacht aufzuschwingen. Seit Tagen überbieten sich die Kriegstreiber in Politik und Medien mit Forderungen, den Kriegseinsatz zu erhöhen. Dabei fallen alle Hemmungen.

Die WSWS hat bereits die aktuellen Kommentare im Spiegel („Gebt der Ukraine, was immer sie braucht – Das sollte uns ein Sieg über Putin wert sein“) und der F.A.Z. („Der Gegenentwurf zu Guttenberg“) kommentiert, die für unbegrenzte Waffenlieferungen an die Ukraine und die Vorbereitung auf „Panzerschlachten“ in ganz Europa eintreten. Nicht nur der Inhalt, sondern auch der Zynismus und die Lügen erinnern an die Kriegspropaganda der Nazis.

„Die moralische Empörung darüber, dass die USA nun Streumunition an die Ukraine liefern will, die von vielen Staaten geächtet wird, ist unangemessen,“ echauffiert sich der Chefkorrespondent Außenpolitik der Welt, Clemens Wergin, in einem Kommentar mit dem Titel „Warum Streumunition für die Ukraine moralisch vertretbar ist“. Während Russland „diese Art von Munition seit Anfang des Krieges massenhaft einsetzt, unter anderem auch gegen zivile Ziele“, sei davon „bei den Ukrainern nicht auszugehen, die weiterhin versuchen, sich an die Regeln des Kriegsvölkerrechts zu halten“.

Man weiß nicht, was abstoßender ist. Wergins Doppelstandard in Bezug auf Kriegsverbrechen, seine Verherrlichung des mit faschistischen Kräften durchsetzen ukrainischen Regimes oder die offensichtlich absurde Behauptung, völkerrechtswidrige Waffen in den richtigen Händen entsprächen dem „Kriegsvölkerrecht“ und würden sogar die Zivilbevölkerung schützen.

Andere plädieren offen für die nukleare Eskalation. Stefanie Babst, die von 2006 bis 2020 die ranghöchste Deutsche im Nato-Generalsekretariat war, beklagt sich in einem Kommentar, dass die Nato die Ukraine in Vilnius wohl nicht sofort „in ihren Mitgliederkreis“ aufnehmen werde. Ein „Hoffnungsschimmer“ sei aber vielleicht, „dass sich die Regierung in Warschau seit geraumer Zeit um Aufnahme in das nukleare Teilhabe-Arrangement der Nato bemüht“.

Babsts skrupelloser Plan: Die USA stationieren B 61-Atombomben in Polen und Warschau und statten die „vorhandenen F-16 und in den USA bestellten F-35 Kampfflugzeuge mit nuklearfähigen Trägersystemen aus“. Sollte sich Warschau dann „bereitfinden, die Ukraine im Rahmen eines bilateralen Sicherheitsabkommens unter seinen dann vorhandenen nuklearen Schutzschirm zu nehmen, wäre der Kreml gezwungen, über diese neue strategische Dynamik verstärkt nachzudenken“.

Ein weiterer Welt-Kommentar aus der Feder ihres Brüssel-Korrespondenten Christoph B. Schiltz plädiert ebenfalls dafür, die Ukraine so weit hochzurüsten, dass „sie den Krieg gewinnen kann“. Derzeit fehlten „vor allem Boden-Boden-Raketen mit großer Reichweite (Atacms), Minenräumpanzer, F-16-Kampfjets, Flugabwehrsysteme (Patriots, Iris-T) und Artilleriegranaten“, ereifert sich Schiltz. Und leider setzten „Biden, Scholz & Co immer noch darauf, Kreml-Diktator Putin nicht zu sehr zu provozieren“.

Derartige Statements grenzen an selbstmörderischen Wahnsinn. Babst und Co. schreiben eine nukleare Eskalation des Kriegs regelrecht herbei. Dabei verschwenden sie nicht einmal einen Gedanken an die Konsequenzen. Warschau, Berlin und andere europäische Großstädte wären die ersten Ziele eines nuklearen Vernichtungskriegs.

Die WSWS hat bereits in einer Perspektive zum Nato-Gipfel gewarnt: „Für den Fall, dass die Nato Russland militärisch zu besiegen droht, sieht Russlands Militärdoktrin vor, Atomwaffen einzusetzen und einen Atomkrieg auszulösen. In einem solchen Krieg wäre allein das russische Atomwaffenarsenal in der Lage, nicht nur jede größere Stadt in Amerika zu zerstören, sondern der menschlichen Zivilisation insgesamt ein Ende zu setzen.“

Der Kriegswahnsinn hat objektive Ursachen. Hinter dem immer aggressiveren Auftrumpfen der imperialistischen Mächte steht eine toxische Mixtur aus geopolitischen Zielen und einer tiefen inneren Krise. Wie in den 1930er Jahren reagiert die herrschende Klasse auf die tiefe Krise des kapitalistischen Systems mit einer Hinwendung zu Militarismus, Faschismus und Krieg. Die Arbeiterklasse muss dieser gefährlichen Entwicklung ihre eigene unabhängige Strategie entgegensetzen und eine mächtige internationale Antikriegsbewegung auf sozialistischer Grundlage aufbauen.

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