Bundesregierung dezimiert Forschungsgelder für Long Covid

Mit dem Bundeshauhalt 2024 hat die Ampel-Koalition eine Zeitenwende in der Sozialpolitik eingeleitet. Um die gewaltigen Kosten für die militärische Aufrüstung zu finanzieren und die Bereicherung einer kleinen Minderheit fortzusetzen, werden die staatlichen Zuschüsse für die Rente, die Pflege, die Sozialhilfe und die öffentliche Infrastruktur zusammengestrichen.

Long-Covid-Ambulanz in Wien [Photo by Herzi Pinki / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Zu den zahlreichen Einsparungen, die bisher kaum an die Öffentlichkeit gedrungen sind, gehören auch die Gelder zur Erforschung von Long Covid und zur Entwicklung von Therapien und Medikamenten dagegen. Statt wie ursprünglich angekündigt 100 Millionen Euro will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nur 21 Millionen dafür zur Verfügung stellen. Weitere 20 Millionen wollen Vertreter von Ärzten, Kliniken und gesetzlichen Krankenkassen aufbringen.

Obwohl es sich dabei um relativ niedrige Summen im zweistelligen Millionenbereich handelt, sind die Folgen verheerend. Millionen Menschen, die teilweise schwer an Long Covid erkrankt sind, werden ihrem Schicksal überlassen. Die massive Kürzung der Forschungsgelder bedeutet ein Schlag ins Gesicht aller Long-Covid-Betroffenen.

Zwar behauptet Lauterbach, dass weiteres Geld in den kommenden Jahren bereitgestellt werden könnte, doch das ist nur eine Farce. Klinische Forschung ist so aufwendig und teuer, dass sie sich nur lohnt, wenn Projekte dauerhaft und stabil finanziert werden. Wenn die Förderung nur Jahr für Jahr erfolgt, können weder Spitzenkräfte gehalten, noch notwendige Teams aufgebaut werden.

Tatsächlich wären auch die ursprünglich angekündigten 100 Millionen Euro nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Es fehlt in großem Umfang an Studien und Therapien zu Long Covid sowie Wissen und entsprechende Kapazitäten bei medizinischem Personal. So liegt bei der auf Long Covid spezialisierten Ambulanz der Berliner Charité die Wartezeit bei rund sechs Monaten. Ein Konzept, wie Long-Covid-Betroffene besser versorgt werden können, soll erst Ende des Jahres erscheinen.

Dabei ist Long Covid kein Einzelproblem, sondern betrifft breite Teile der Bevölkerung. Nach Zahlen der WHO ist einer von 30 Menschen in Europa betroffen. Auf Deutschland bezogen wären das weit über zwei Millionen Menschen. Nach Schätzungen des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) könnten in den letzten drei Jahren bis zu 36 Millionen Europäer an Long Covid erkrankt sein.

Je nach Schätzung entwickeln zwischen 6 und 14 Prozent der Corona-Infizierten Langzeitfolgen. Die Auswirkungen haben ein weites Spektrum: Manche kämpfen sich erschöpft durch den Alltag, den Job und ihr Sozialleben, andere sind komplett arbeitsunfähig. Fast sämtliche Organe können durch die Folgen geschädigt werden, und viele leiden jahrelang unter den Folgen.

Bei schweren Ausprägungen, wie Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS), lassen sich nur Symptome behandeln. Nach Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung litten bereits 2021 500.000 Menschen unter ME/CFS.

Zahlreiche Lokalmedien haben in den letzten Wochen Berichte von Long-Covid-Betroffenen veröffentlicht. Sie schildern, wie sie mit den Langzeitfolgen ihrer Corona-Infektion zu kämpfen haben und wie Ärzte keine Möglichkeit haben, angemessen darauf zu reagieren.

„Ich arbeite jetzt wieder voll, habe aber natürlich regelmäßig auch sogenannte Crashs, Zusammenbrüche, wo es mich förmlich auf die Bretter schickt und ich in den Krankenstand gehen muss“, berichtet Bianka Kilian im Sachsenspiegel. „Ich quäle mich nun jetzt schon zweieinhalb Jahre damit herum. Es ist sehr schwer. Es gibt Phasen da geht es besser, es gibt Phasen da ist es extrem schlimm. Die Ärzte sind teilweise machtlos, weil sie einfach nicht wissen von der Krankheit.“

In der Hessenschau berichtet André Fouraté, er sei bereits seit Anfang 2022 betroffen und hätte sich schon damals mehr Hilfe gewünscht: „Man fragt sich, warum es die Maßnahmen nicht schon vor zwei Jahren gab.“ Auch den Mangel von Kompetenzzentren und Ambulanzen, die auf die Versorgung von Long-Covid-Patienten spezialisiert sind, prangert er an: „Die Charité und Marburg sind die ersten, die genannt werden. Dann gibt es noch zwei, drei Stellen – und das war‘s dann.“

Gesundheitsminister Lauterbach, ein ausgebildeter Mediziner, weiß sehr genau, was die Folgen seiner Kürzungsmaßnahmen sind. „Wir haben ja die Pandemie für beendet erklärt,“ erklärte er in der Bundespressekonferenz. „Für die Menschen mit Long Covid ist die Pandemie noch lange nicht beendet. Die Zukunft von Long Covid hat leider erst begonnen.“

Tatsächlich ist auch die Pandemie trotz Lauterbachs Behauptung noch keineswegs vorbei. Zwar wurde die systemische Überwachung des Virus eingestellt. Das RKI gibt seit dem 8. Juni keine Covid-Wochenberichte mehr heraus und hat am 1. Juli seinen Pandemieradar eingestellt. Indikatoren wie die Viruslast im Abwasser zeigen jedoch, in welchem Ausmaß das Virus weiterhin grassiert.

In der letzten Woche meldeten 73 Prozent der Abwasserstandorte eine steigende Viruslast. In der Vorwoche waren es nur 29 Prozent gewesen. Auch in anderen Ländern, wie den USA, deuten Abwassertracker auf den Beginn einer neuen Welle hin.

Diese Welle von Infektionen wird zwangsläufig auch eine weitere Welle von Long-Covid-Infizierten hinter sich herziehen. Lauterbach weiß das. „Wir müssen davon ausgehen, dass noch viele an Long Covid erkranken werden“, erklärte er in der Bundespressekonferenz.

Lauterbach erklärt das Zusammenstreichen der Long-Covid-Fördergelder auf ein Fünftel mit der derzeitigen Haushaltslage. Damit ist klar, wohin das Geld tatsächlich fließt: Während der Gesundheitsetat von 64,4 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf 16,2 Milliarden Euro im kommenden Jahr gesenkt wird, steigt der Militärhaushalt auf 51,8 Milliarden plus weitere 20 Milliarden Euro aus dem Bundeswehr-Sondervermögen.

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