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Am Dienstagabend fand das zweite Bundestreffen des Aktionskomitees Bahn statt. Rund 70 Eisenbahner, andere Verkehrsarbeiter sowie ihre Unterstützer nahmen an dem Online-Treffen teil. Am Schluss wurde eine Resolution verabschiedet, in der es heißt: „Der Kampf bei der Deutschen Bahn ist mit der Urabstimmung nicht beendet, er hat erst begonnen.“
Am Tag zuvor hatte der EVG-Bundesvorstand verkündet, dass die Urabstimmung eine knappe Mehrheit von 52,3 Prozent ergeben habe. An der Abstimmung hätten sich knapp zwei Drittel beteiligt, was bedeutet, dass nur jedes dritte EVG-Mitglied für das Schlichtungsangebot gestimmt hat. „Das macht klar, dass eine große Opposition gegen diesen Abschluss besteht“, betonte Dietmar Gaisenkersting, der das Aktionskomitee-Treffen leitete. „48 Prozent haben den Abschluss abgelehnt, und das trotz des Drucks und der Kampagne, die die EVG veranstaltete, die alle Register zog.“
Ulrich Rippert, führendes Mitglied der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und der Redaktion der WSWS, eröffnete die Diskussion mit einem einleitenden Beitrag: „Obwohl die EVG massiven Druck ausgeübt hat und der Bundesvorstand Hunderte von Veranstaltungen organisierte, um das Schlichtungsergebnis schönzureden, hat nur gerade mal ein Drittel der Stimmberechtigten dafür gestimmt. Ein knappes Drittel hat es abgelehnt und ein weiteres Drittel hat sich an der Abstimmung nicht beteiligt.“
Rippert hatte am Vortag an der EVG-Pressekonferenz teilgenommen. Wie er berichtete, hatte er dort die Frage aufgeworfen: „Warum sagt der EVG-Vorstand nicht offen, dass er für die ersten zehn Monate eine glatte Nullrunde vereinbart hat?“ Als Antwort darauf habe er vom Gewerkschaftsvorstand nur Ausflüchte, aber keinen Widerspruch gehört.
Der Tarifabschluss beinhalte nicht bloß eine massive Reallohnkürzung, fuhr Rippert fort: „Seine eigentliche Bedeutung besteht in dem Deal, den die EVG Führung mit dem Bahn-Management abgeschlossen hat. Die Bahn AG musste für einige Lohngruppen finanzielle Zugeständnisse machen, weil wegen der miserablen Bezahlung und den schlechten Arbeitsbedingungen schlicht kein Personal mehr zu finden ist. Als Gegenleistung hat die EVG einer Steigerung der Arbeitshetze zugestimmt, obwohl bereits jetzt die Arbeitsbedingungen für die meisten Beschäftigten in sehr vielen Bereichen nahezu unerträglich sind.“
In mehreren Bereichen habe die EVG längeren Arbeitszeiten zugestimmt, so zum Beispiel für die DB-Busfahrerinnen und -fahrer, die DB-Netz-Beschäftigten und bei der Bordgastronomie.
„Die Streikbereitschaft war enorm groß, die Kampfbereitschaft war sehr stark“, erklärte Rippert. „Die Gewerkschaft hat alles getan, um einen ernsthaften Arbeitskampf zu sabotieren.“ Die Gewerkschaft sei fest im kapitalistischen System integriert. Ihre Funktionäre säßen in den Aufsichtsräten und unterstützten die Regierung bis hin zur Kriegswirtschaft. „Eine superreiche Finanzoligarchie steht an der Spitze der Gesellschaft und dominiert alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen“, betonte Rippert. Und der Ukrainekrieg habe die soziale Polarisierung noch einmal massiv verschärft.
Arbeiter könnten nicht darauf reagieren, so Rippert, indem sie versuchten die Gewerkschaften zu erneuern. „Die Gewerkschaften zu reformieren, das ist hoffnungslos, das ist nicht machbar.“ Es sei notwendig, sich in unabhängigen Aktionskomitees zu organisieren. Der nächste Schritt müsse darin bestehen, den Tarifvertrag und die Methoden, mit denen er durchgesetzt wurde, zu entlarven.
„Wir fordern die Kolleginnen und Kollegen auf, uns über Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu berichten“, sagte Rippert. „Auch müssen die Folgen des Tarifvertrags auf die Arbeitsbedingungen dokumentiert werden. Wir werden darüber auf der WSWS informieren und die Kolleginnen und Kollegen gegen diese Verschlechterungen mobilisieren.“
Mehrere Eisenbahnerinnen und Eisenbahner berichteten über ihre Erfahrungen. Über 200 Eisenbahn-Beschäftigte hatten sich im Vorfeld beim Aktionskomitee gemeldet. Auf dem Treffen sprachen Arbeiter, die sich direkt aus ihrer Schicht dazu schalteten, ältere Arbeiter, die auf den Niedergang bei der Bahn hinwiesen, und junge Kollegen, die Vorschläge für den weiteren Kampf machten.
Ein Fahrdienstleiter bei der DB Netz AG bestätigte die enorm hohe und ständig steigende Stundenzahl, die er und seine Kollegen leisten müssen.
Ein Kollege von DB Cargo bestätigte dies. In seinem Betrieb seien „bis zu viereinhalb Stunden Mehrarbeit draufgehauen“ worden. „Wir werden als Ware gehandelt und verkauft (…) Ich kann nur noch arbeiten und arbeiten, denn wir haben jetzt viel mehr Arbeit als früher mit weniger Personal. Ständig wird Personal abgebaut (…) Dabei sind wir es doch, die alles antreiben. Wir sind der Antrieb für die DB.“
Den jüngsten EVG-Abschluss bezeichnete der Kollege als „Schlag ins Gesicht“. Er fuhr fort: „Die Gewerkschaft nickt nur, wenn die Bahn sagt: So läuft’s. Und wir sitzen in der Patsche und müssen überlegen, wie wir am Ende des Monats klarkommen.“ Deshalb habe er sich beim Aktionskomitee eingetragen: „Es ist schön, eine Gruppe zu sehen, die mit mir übereinstimmt!“
Ein Busfahrer, der seit über 40 Jahren dabei ist, berichtete, wie sein Betrieb vor gut zehn Jahren aus dem öffentlichen Dienst ausgegliedert wurde und zu DB Regio kam. Er sagte: „Ich verdiene heute im Monat locker 1000 Euro weniger als bei dem Unternehmen, wo ich früher – als es noch öffentlicher Dienst war – gearbeitet hatte. Damit komme ich nicht klar! (…) Ich mache doch noch immer die gleiche Arbeit. Täglich fahre ich mit dem gleichen Bus 150 Schüler durch die Gegend, aber ich muss mit 500 Euro im Monat weniger nach Hause gehen. Vor zwölf Jahren habe ich beinahe 10.000 Euro mehr im Jahr verdient als heute für den gleichen Job. Das ist für mich wirklich schwierig. Bei der Bahn ist man als Busfahrer auf der untersten Stufe.“
Ein Rentner, der 37 Jahre als Lokführer gearbeitet hatte – insgesamt war er über vierzig Jahre bei der Bahn – erklärte: „Die Bahn ist auf einem Level angekommen, das einfach nicht mehr hinnehmbar ist. Es ist ja nicht erst seit gestern, dass die Lohntüte schmäler wird und das Arbeitspensum zunimmt.“ Er sprach von einer „Spirale ohne Ende, die sich immer schneller dreht“ und sagte: „Früher galt Sicherheit - Pünktlichkeit – Wirtschaftlichkeit, in dieser Reihenfolge! Heute steht die Wirtschaftlichkeit ganz vorne, da geht man über Leichen.“
Weiter sagte der ehemalige Lokführer: „Egal ob man im Stellwerk sitzt oder im Führerstand oder hinter dem Schalter steht: Wenn man den Kopf voll mit Geldsorgen hat, immer so kurz vor dem Burnout – wo soll das hinführen?“ Das sei doch ein „Risikofaktor“. Und er fuhr fort: „Wie können Gewerkschaften einer Verschlechterung von schlechten Arbeitsbedingungen, die es seit Jahren gibt, noch zustimmen? Wie können sich Gewerkschaften auf die Seite der Regierung und auf Seiten des Konzerns stellen?“ Deswegen habe er sich entschlossen, „bei diesem Aktionskomitee mitzuwirken. Es ist gut, dass es gegründet wurde. Und jetzt müssen Taten folgen! Da möchte ich gerne dabei sein.“
Die Versammlung war ein wichtiger Schritt im Aufbau des Aktionskomitees Bahn und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC). Mehrere Sprecher erinnerten daran, dass in den USA im letzten Jahr 300.000 Eisenbahner bereit gewesen waren, den Verkehr lahmzulegen. Nur ein Streikverbot der Biden-Regierung und der Verrat ihrer Gewerkschaft hatte sie daran gehindert. In Großbritannien kämpfen die Eisenbahner mittlerweile schon 18 Monate lang für bessere Löhne und Bedingungen.
Die Teilnehmer des Treffens reagierten begeistert, als Robert Stevens aus Großbritannien zugeschaltet wurde, um über den Kampf der britischen Eisenbahner zu berichten. Wie er sagte, sind die Bahnbeschäftigten dort ebenfalls nicht nur mit den Bahnkonzernen und der Regierung, sondern auch mit der Gewerkschaftsführung konfrontiert. Die bisher abgeschlossenen Tarifabkommen bedeuten Reallohnsenkung. Die britische Regierung und die privatisierten Bahnunternehmen wollen fast tausend Fahrkartenschalter schließen, was die Zerstörung von mehreren tausend Arbeitsplätzen bedeutet.
„Die Beschäftigten der Bahn und auch der anderen Verkehrsunternehmen haben natürlich eine enorme Macht“, betonte Stevens. „Sie könnten das ganze Land lahmlegen.“ Dies erfordere jedoch den Bruch mit den Gewerkschaften. Wie Stevens erklärte, hatte der Vorsitzende ihrer Gewerkschaft Rail Maritime Transport (RMT), Mick Lynch, erst vor kurzem den Arbeitskampf de facto für beendet erklärt und verlangt, bis zum Jahresende alle Streiks auszusetzen. Dabei werde in der Öffentlichkeit gerade diese Gewerkschaft RMT und ihr Vorsitzender Lynch als „links“ dargestellt.
Unter Applaus der Zuhörer betonte Stevens: „Es macht keinen Unterschied, ob diese Gewerkschaften und ihre Führer als links, rechts oder gemäßigt bezeichnet werden. Sie sind wirtschaftsfreundliche Organisationen, und sie werden ihre Mitglieder bei jeder Gelegenheit verraten.“ Tatsache sei, dass heute jeder Kampf der Arbeiter politisch sei. Arbeiter hätten es mit Unternehmen und Regierungen zu tun, die versuchten, sämtliche Errungenschaften zurückzudrehen, um die Profite zu steigern, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen und die Kriegsmaschinerie zu finanzieren.
„Ich höre hier“, schloss Stevens, „dass die Eisenbahner in Deutschland genau wie in England sehr bittere Erfahrungen mit den Gewerkschaften gemacht haben. Und ich hoffe, ihr zieht eure eigenen Schlüsse aus dem Kampf eurer Kolleginnen und Kollegen in England und versteht, dass es notwendig ist, eine neue Führung für den Kampf aufzubauen, die von der Gewerkschaft unabhängig ist.“
Gegen Ende der Versammlung griff der SGP-Vorsitzende Christoph Vandreier die Fragen mehrerer Teilnehmer auf, was zu tun sei, und weitete den Blick über die unmittelbaren Probleme bei der Bahn hinaus. Er sagte: „Es ist ja nicht einfach nur die EVG und es ist nicht einfach nur die Bahn.“ Auch Pflegerinnen und Pfleger, Müllarbeiter, Postler und Lehrkräfte und viele andere Berufsgruppen stünden vor denselben Problemen. Auch ihnen hätten die Gewerkschaften Stillhalten verordnet, zuletzt der Post, obwohl die Beschäftigten mit überwältigender Mehrheit für Streik gestimmt hatten.
„Dieselben Erfahrungen, die ihr bei der Bahn macht, sind Erfahrungen, die Arbeiter überall machen.“ Und er betonte: „Wir können nicht weiter zulassen, dass die Gewerkschaftsbürokratie auf den Beiträgen sitzt, kein Streikgeld auszahlt und Streiks nicht organisiert, sondern verhindert. Sie arbeitet in Wirklichkeit vollständig mit der Bahn und mit den Unternehmen zusammen.“
Die Situation der Arbeiter werde sich weiter verschlechtern, weil das Geld an die Unternehmer und in die Aufrüstung fließe. Um dies alles zu finanzieren, werde auf Kosten der Arbeiter eine radikale Sparpolitik betrieben. Dies sei ein internationales Phänomen, was besonders Stevens Beitrag klar gezeigt habe.
Vandreier erklärte, dass der Kapitalismus selbst das Problem sei, da er den Arbeitern nichts mehr zu bieten habe als Krankheit, Kürzungen und Krieg. „Und das heißt: Der Kampf, den ihr jetzt bei der Bahn führt, ist Teil eines viel größeren Kampfes. Es geht um nichts Geringeres als um das Profitsystem.“
Weltweit und besonders in Deutschland hätten die Sozialisten diesen Kampf geführt. „An ihren Kampf knüpfen wir an, indem wir die Sozialistische Gleichheitspartei aufbauen.“ Eine sozialistische Perspektive sei notwendig, um „die Bedürfnisse der Menschen vor den Profit zu stellen und die Wirtschaft den Fängen der Superreichen zu entreißen“, so Vandreier.
Dies führte zu einer weiteren lebhaften Diskussion. Ein Teilnehmer warf die Frage auf, inwieweit man mit einer sozialistischen Perspektive die Kollegen ansprechen könne und ob man sich nicht auf die unmittelbaren Probleme beschränken sollte. Vandreier antwortete, dass die Berichte doch gerade gezeigt hätten, dass Bahnarbeiter ganz objektiv mit sehr grundlegenden Fragen konfrontiert sind: geht es um Profitmaximierung oder um die Bedürfnisse der Arbeiter? „Wenn Arbeiter ihre Rechte verteidigen wollen, sind sie mit einer Einheitsfront aus Gewerkschaften, Unternehmen und sämtlichen Bundestagsparteien konfrontiert. Darauf müssen sie ihre eigene politische Antwort geben: die Perspektive des internationalen Sozialismus.“
In der Resolution, die am Schluss der Versammlung angenommen wurde, sind die folgenden zwei Prinzipien enthalten:
- Die Rechte und Bedürfnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter samt ihrer Familien stehen höher als die Profitinteressen der Investoren, Aktionäre und Spekulanten.
- Wir streben eine internationale Vereinigung und Zusammenarbeit an (…) Wir lassen uns nicht spalten! Für uns sind die internationale Zusammenarbeit und die Koordination grenzüberschreitender Kämpfe von größter Bedeutung.
Obwohl es schon spät war, stimmten die Teilnehmer der Resolution mit überwältigender Mehrheit zu und beschlossen, den Kampf auf dieser Grundlage zu entwickeln. Das nächste Treffen des Aktionskomitees ist in zwei Wochen geplant.