Wahlen in Argentinien enthüllen politische Fäulnis und die wachsende Gefahr des Faschismus

Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Argentinien erhielt Wirtschaftsminister Sergio Massa – einer der Hauptverantwortlichen für Massenarmut, die schwerste Wirtschaftskrise seit zwei Jahrzehnten und die dreistellige Inflation – 36,7 Prozent der Stimmen. Im nächsten Monat wird er in der Stichwahl gegen den faschistoiden Libertären Javier Milei antreten, einen unflätigen Bewunderer von Trump und Bolsonaro, der 30 Prozent der Stimmen erhalten hat.

Sergio Massa und Javier Milei [Photo: Marcos Corrêa, Wikimedia Commons/Vox España, Flickr]

In den bürgerlichen Medien herrscht eine gewisse Erleichterung darüber, dass die Peronisten in der Wahl nicht so weit abgestiegen sind, wie befürchtet wurde. Allerdings war das Ergebnis dennoch symptomatisch für ein bis ins Mark verkommenes politisches Establishment. Es wird die Grundlage für eine Regierung schaffen, die in der großen Mehrheit der Bevölkerung keinen Rückhalt genießt. Die Konzernmedien haben Bedenken über die „Regierbarkeit“ Argentiniens zum Ausdruck gebracht, da die Kurse für Staatsanleihen und der Peso nach wie vor abstürzen.

Die Wahlbeteiligung war mit 74 Prozent die niedrigste seit dem Ende der Militärdiktatur 1983, die Peronisten verzeichneten trotz ihres Sieges ihr zweitschlechtestes Ergebnis.

Massa steht für ein Austeritätsprogramm, durch das Argentinien die weltweit größten Schulden beim IWF bezahlen soll. Gegen dieses Programm kam es im ganzen Land zu zahlreichen Massenprotesten und spontanen Streiks. Gleichzeitig hat sich die peronistische Gewerkschaftsbürokratie alle Mühe gegeben, den Klassenkampf einzudämmen.

Vor dem Hintergrund einer globalen Welle von Streiks zur Verteidigung des Lebensstandards und von Arbeitsplätzen sowie einer beginnenden Massenbewegung gegen den Krieg erwartet die herrschende Klasse selbst von der großen nationalen Regierungskoalition, die Massa jetzt vorschlägt, keine anderen Ergebnisse.

Angesichts einer allgemeinen Hinwendung der Arbeiterklasse zu linker Politik und revolutionärem Kampf hat sich die herrschende Klasse Argentiniens zunehmend darauf verlassen, dass die Pseudolinken als Handlanger der Peronisten agieren. Doch auch diese Kräfte diskreditieren sich zunehmend und enthüllen ihren politischen Bankrott.

Die so genannte „Front der Linken und ArbeiterInnen – Einheit“ (FIT-U) erhielt 710.000 Stimmen bzw. 2,7 Prozent, d.h. 570.000 weniger als bei ihrem besten Ergebnis im Jahr 2021. Während Mileis Partei ihren Anteil von drei auf 39 Abgeordnete steigern konnte, sank derjenige der FIT-U von fünf auf vier.

Ihre Unfähigkeit, aus der sozialen Krise Kapital zu schlagen, hat die Parteien, aus denen sich die FIT-U zusammensetzt, in politische Turbulenzen gestürzt und sie zu einer immer offeneren Annäherung an die Peronisten getrieben. Vor der Wahl beteiligte sich die FIT-U an einer „Einheitsfront“ mit einer Fraktion der herrschenden Peronisten unter Führung von Juan Grabois und Emilio Persico, ihre führenden Politiker und Medien versuchen mittlerweile offen, ihre Wähler hinter Massa zu manövrieren.

So erklärte der pseudolinke Abgeordnete Christian Castillo im nationalen Fernsehen, die FIT-U debattiere noch immer über eine gemeinsame Position, allerdings überließ er dabei wenig der Fantasie: „Wir stimmen nicht für Milei, aber wir werden auch Massa nicht politisch unterstützen.“ Er stellte die unglaubwürdige Behauptung auf, es gebe einen Unterschied dazwischen, ob man für jemanden stimmt oder ihn politisch unterstützt. Gleichzeitig deutete er an, man solle die Wahl Massas in Erwägung ziehen. Später erklärte er, Massa zu wählen sei vergleichbar mit der Wahrung der „politischen Unabhängigkeit“ und schürte zynisch Illusionen, indem er ankündigte, die FIT-U werde für „alle Gesetze [der Peronisten] stimmen, von denen Arbeiter profitieren.“

Bezeichnenderweise erklärte Castillo, das Anwachsen der extremen Rechten könnte eine „Sternschnuppe“ sein, die einfach verschwinden würde. Die pseudolinken Medien beschrieben Milei als „Fehltritt“ und behaupten, sein Aufstieg sei rein zufällig gewesen.

Dies drückt die nationalistische, kurzsichtige und ahistorische Herangehensweise dieser Opportunisten aus, die nicht verstehen, welche Prozesse ihre eigenen Worte und Taten antreiben, wohin sie selbst gehen, und welche Auswirkungen ihre Entscheidungen haben. Sie reagieren impressionistisch auf alle Ereignisse – je nachdem, wie sie sich auf ihre kleinbürgerlichen Karrieren in der Politik, der Gewerkschaftsbürokratie, der akademischen Welt oder in NGOs auswirken.

Die Pseudolinke ist für den Aufstieg Mileis verantwortlich, indem sie die Entwicklung einer wirklich unabhängigen revolutionären und sozialistischen Alternative verhindert und stattdessen die Kollaboration zwischen den Klassen propagiert.

Millionen von Kleinunternehmern, Arbeitslosen und prekär Beschäftigten und Jugendlichen haben Milei gewählt, weil sie in ihm die einzige Möglichkeit für „radikalen“ Wandel sehen. In Medieninterviews erwähnen seine Wähler oft, dass die Zentralbank keine Reserven habe und die Inflation nicht eindämmen konnte, wodurch sich ihre Realeinkommen halbiert hätten. Weitere Gründe waren, dass es „kein Geld für die Straßen“ gebe, dass das Gesundheits- und Bildungssystem zusammenbreche und dass es kein öffentliches Verkehrssystem gebe.

Das Anwachsen der extremen Rechten ist ein internationaler Prozess. Angesichts der Anfangsstadien einer Neuaufteilung und erneuten Kolonisation durch den Weltimperialismus, u.a. in Form der von den USA forcierten Eskalation des Ukrainekriegs und Israels völkermörderischem Feldzug gegen die Palästinenser, streben die herrschenden Klassen offene Diktaturen an.

Leo Trotzki schrieb dazu kurz vor dem Zweiten Weltkrieg: „Tatsächlich betrachten die führenden Cliquen aller Länder die Demokratie, die Militärdiktatur, den Faschismus usw., als verschiedene Instrumente und Methoden, um sich ihre Völker imperialistischen Zwecken zu unterwerfen.“

Massa und Milei sprechen für große Teile der herrschenden Klasse, die derzeit angesichts einer historischen Krise des globalen und des argentinischen Kapitalismus mit unterschiedlichen Taktiken versuchen, dem ausländischen Kapital und dem Imperialismus bestmöglich zu dienen. Dazu machen sie es dem ausländischen Kapital leichter, Argentiniens Getreidefelder, Schiefergas- und Lithiumvorkommen und den Staatshaushalt zu plündern und die Arbeiter auszubeuten.

Die Financial Times schreibt: „Laut Alberto Ramos, dem Chefökonomen für Lateinamerika bei Goldman Sachs, braucht Argentinien vor allem eine schnelle und dramatische finanzielle Anpassung, eine unabhängige Zentralbank und weitreichende Strukturreformen, um das Land offener und flexibler zu machen.“

Ramos lehnt die Bindung an den Dollar, die Milei vorgeschlagen hat, zwar nicht ab, betont aber die Notwendigkeit weiterer Kürzungen der Arbeitskosten und anderer Produktionskosten, um Investitionen anzulocken.

Massa vertritt eine im Vergleich zu Milei langsamere Herangehensweise, um die gleichen Ziele zu erreichen. Gleichzeitig verlässt er sich darauf, dass die Gewerkschaften den Klassenkampf unterdrücken; zudem will er wirtschaftliche und finanzielle Beziehungen mit China aufbauen. Während einer Debatte fasste er seine Pläne folgendermaßen zusammen: „Argentinien muss einen Entwicklungsprozess einleiten: Gaspipelines aufbauen, Energie in die Welt verkaufen, Mehrwert exportieren. So kommen wir an Devisen und stärken unsere Währung.“

Massas Versuche, sich als progressiver Verteidiger der „nationalen Souveränität“ zu geben, sind absurd. Zu Beginn vertrat der Peronismus in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Argentinien eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt hatte, einen nationalreformistischen Kurs. Heute ist er nur noch ein Werkzeug, mit dem die Wall Street und ihre Partner in der lokalen Finanzaristokratie ihre Diktate durchsetzen.

Milei hingegen will die Zentralbank und die meisten Ministerien abschaffen, das Gesundheits- und Bildungswesen vollständig privatisieren, die ärmsten Schichten bestenfalls mit Gutscheinen versorgen und plant weitere reaktionäre Maßnahmen. Mileis Kabinett besteht aus Influencer-„Ökonomen“, deren Prämissen von Marx vor 150 Jahren widerlegt wurden, die aber wie blinde Papageien „Angebot und Nachfrage“ nachplappern.

Milei und die extreme Rechte als zufällige „Verirrung“ zu bezeichnen, ist jedoch politisch kriminell, da es die tatsächliche Bedrohung, die sein Aufstieg darstellt, herunterspielt.

Arbeiter sollten sich nicht täuschen. Milei, der im Wahlkampf öffentlich mit einer Kettensäge auftrat, will nicht nur Sozialausgaben und demokratische Rechte wie Abtreibung beschneiden. Auf die Frage nach möglichem Widerstand der Massen gegen seine Politik antwortet er unmissverständlich: „Die kommen ins Gefängnis.“

Zudem will er alle Verteidigungs- und Sicherheitsfragen seiner Mitkandidatin Victoria Villarruel überlassen, einer Tochter und Enkelin von Militärs aus der Zeit der von den USA unterstützten Militärdiktatur. Sie ist Präsidentin des Zentrums für juristische Studien über Terrorismus und seine Opfer (CELTYV), einer faschistischen Organisation, die die Verbrechen der Diktatur verniedlicht und rechtfertigt, darunter die Ermordung und das Verschwinden von 30.000 Linken.

Mileis Programm läuft zwar auf einen offenen Bürgerkrieg und faschistische Reaktion gegen die Arbeiterklasse hinaus, doch auch eine weitere peronistische Regierung stellt keine „demokratische“ Alternative dar. In den 1970er Jahren bildeten der peronistische Staat und die Gewerkschaftsbürokratie faschistische Todesschwadronen, die sich „Argentinische Antikommunistische Allianz“ nannten, um radikalisierte Arbeiter, Studenten und Intellektuelle zu töten, und dies noch vor dem von den USA unterstützten Militärputsch im März 1976. Die amtierende Regierung von Alberto Fernandez und die peronistischen lokalen Behörden haben immer wieder die Sicherheitskräfte gegen Demonstranten eingesetzt; Massa hat eine „Nulltoleranzpolitik“ versprochen, die faktisch einen Polizeistaat bedeutet.

Ohne den Aufbau einer wirklich revolutionären Führung in der Arbeiterklasse würde eine weitere Amtszeit der Peronisten nur die Bedingungen für das weitere Anwachsen der faschistischen Bedrohung schaffen.

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