Am Wochenenden demonstrierten in ganz Deutschland weit über eine Million Menschen gegen die faschistische AfD. Nachdem öffentlich geworden war, dass Politiker der AfD und der CDU-Werteunion zusammen mit Wirtschaftsvertretern Pläne über die millionenfache Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund diskutierten, trieb es in dutzenden Städten Massen auf die Straßen.
Die Teilnehmerzahlen waren überall um ein Vielfaches höher, als sie von den Veranstaltern erwartet worden waren. Allein in München gingen über 200.000 Menschen auf die Straße. Leopold- und Ludwigstraße waren derart überfüllt, dass Erstickungsgefahr bestand. Die Veranstalter, die mit 25.000 Teilnehmern gerechnet hatten, sagten den Marsch ab und baten die Teilnehmer über Polizeiansagen, nach Hause zu gehen.
In Berlin sprechen die Veranstalter von 350.000 Teilnehmern, die Polizei von 100.000. Die Wiese vor dem Reichstagsgebäude war restlos überfüllt und so wurde die Straße des 17. Juni spontan zusätzlich zum Protestort erklärt. Ursprünglich hatten die Veranstalter nur 1.000 Teilnehmer angemeldet.
Rekordzahlen erreichten auch die Kundgebungen in Köln (70.000 Teilnehmer), in Hamburg (80.000) Bremen (70.000) Frankfurt (40.000), Hannover (35.000), Dortmund (30.000) Stuttgart, Karlsruhe und Heidelberg (je 20.000), Halle und Kassel (je 15.000) und in zahlreichen kleineren Städten, in denen tausende Teilnehmer die ursprünglich erwartete Zahl um ein Vielfaches übertrafen. Auch in Ostdeutschland, wo die AfD in Umfragen besonders hoch liegt, beteiligten sich bis zu 60.000 Menschen in Leipzig, 40.000 in Dresden und 12.000 in Chemnitz.
Die Demonstrationen zeigen, wie groß die Opposition in der Bevölkerung gegen Rückkehr von Faschismus und Krieg ist. Nach den schrecklichen Erfahrungen zweier Weltkriege und des Holocaust ist die Ablehnung des deutschen Imperialismus und Militarismus tief im Bewusstsein der Massen verankert. Auf den Demonstrationen dominierten selbstgemachte Pappschilder mit Aufschriften wie: „So hat es damals auch angefangen“, „Jetzt müssen wir tun, was unsere Großeltern versäumten“, „Hass ist keine Meinung“, „Wer schweigt, stimmt zu“, „Bunt statt braun“, „Faschismus ist keine Alternative“ (Anspielung an den Namen der AfD) oder einfach: „AfD abschieben!“
Die massenhafte Mobilisierung gegen die faschistische AfD richtet sich objektiv betrachtet auch gegen die rechte Politik der Bundesregierung und sämtlicher Parteien des Bundestags, die erst in der letzten Woche das Einwanderungs- und Abschieberecht massiv verschärft haben und auch mit der Unterstützung des Völkermords in Gaza und der massiven Aufrüstung das Programm der AfD in die Tat umsetzen. Sie ist Teil einer internationalen Bewegung der Arbeiterklasse gegen die von allen kapitalistischen Parteien verfolgte Politik der Flüchtlingshetze, des Sozialkahlschlags, der Diktatur und des Kriegs.
Seit Wochen protestierten Millionen Menschen weltweit gegen Israels Genozid in Gaza, der von allen imperialistischen Regierungen aktiv unterstützt wird. In Frankreich beteiligten sich am Sonntag 150.000 Menschen an Demonstrationen gegen Macrons neues Einwanderungsgesetz, das die Handschrift der Faschistin Marine Le Pen trägt. In Deutschland gehen die Bauernproteste gegen die Kürzungspolitik der Ampel weiter und in ganz Europa und weltweit entwickelt sich eine mächtige Streikbewegung der Arbeiterklasse.
Doch die Demonstrationen gegen die AfD sind auch von einem Widerspruch geprägt. Während die Mehrheit der Teilnehmer ernsthaft und bestimmt gegen die rechte Politik protestieren, setzen die meisten Veranstalter alles daran, der Bewegung die Spitze zu brechen und sie der Regierung und den Bundestagsparteien unterzuordnen, die selbst für den Aufstieg der AfD verantwortlich sind. Vielerorts waren Vertreter von SPD, Grünen und CDU als Sprecher geladen und Slogans wie „Alle zusammen gegen die AfD“ sollten den tiefen Graben zwischen der rechten Regierungspolitik und den antifaschistischen Demonstranten überdecken.
Auf der Demonstration in Flensburg, an der 10.000 Menschen teilnahmen, wurde eine Rednerin von den Veranstaltern unterbrochen, weil sie die Flüchtlingspolitik der Regierung kritisiert hatte. In verschiedenen Städten verboten die Veranstalter Palästina-Flaggen. In Berlin kam es immer wieder zu Provokationen gegen Demonstranten, die gegen den von der AfD vehement unterstützten Völkermord in Gaza protestierten. Die Gruppe „PA Allies“ berichtet sogar, dass die Demo-Organisatoren von „Fridays for Future“ (FFF) sie aus der Demonstration ausgeschlossen haben.
Viele Teilnehmer waren mit dieser Pro-Regierungs-Ausrichtung der Demonstrationen nicht einverstanden. So erklärt Sophia, die als Sozialpädagogin in einer Flüchtlingsunterkunft arbeitet, in Köln gegenüber der WSWS, dass sie auch gegen die Abschiebepolitik der Regierungsparteien protestiere. Die Abschiebungen „haben krass zugenommen und sind unmenschlicher geworden“. Selbst Gesundheitsschutz zähle nichts. „Hochschwangere oder auch kranke Menschen werden abgeschoben. Ich hatte eine krebskranke ältere Frau, die ständig zur Onkologie in Behandlung musste. Ihr war vom Arzt die Reiseunfähigkeit attestiert worden, und sie ist dennoch abgeschoben worden“, berichtet sie. Das Ausländeramt in Köln setze sich einfach über die bestehenden Gesetze hinweg.
Zur Verabschiedung des Rückführungsverbesserungsgesetzes am letzten Donnerstag im Bundestag sagte Sophia: „Die haben damit nur nachträglich legalisiert, was schon gängige Praxis war.“ Sie erklärte, was sie besonders wütend mache: „Eine der betroffenen Gruppen, die jetzt verstärkt abgeschoben werden, sind die Roma. Die waren unter den Nazis ebenfalls stark verfolgt. Da müsste man eigentlich meinen, sie hätten aus geschichtlicher Verantwortung heraus besonderen Schutz hier in Deutschland – aber genau das ist nicht der Fall.“
Auch Bahar, die im öffentlichen Dienst arbeitet, wollte mit ihrer Teilnahme an der Demo „ein Zeichen gegen AfD und Rechtsextremismus setzen“. Sie betonte aber auch: „Wenn wir uns nur gegen die AfD und deren rassistische Politik stellen, aber gegen den Rechtsruck in der Mitte der Gesellschaft nichts unternehmen – nämlich gegen das, was CDU, FDP und auch SPD propagieren – dann finde ich, dass wir nichts davon verstanden haben, wie rechte Politik in den ‚normalen‘ Parteistrukturen Eingang findet. Wenn wir das in den Debatten ausklammern und nicht benennen, dann haben wir sehr schlechte Chancen, uns als Gesellschaft gegen den Rechtsruck zu positionieren.“
Auf der Demonstration in Berlin erklärte Katharina gegenüber der WSWS, dass sie einen klaren Zusammenhang zwischen der Flüchtlingspolitik der Regierung und dem Aufstieg der AfD sieht: „Hier wird der Hass ganz krass auf Flüchtlinge und Ausländer gezogen und das Problem liegt in Wirklichkeit bei der Politik. Die Regierung trägt ja eine Mitschuld, dass diese Menschen fliehen müssen.“
Sie kritisierte auch FFF für ihre Solidarisierung mit Israel. „Ich finde es schwierig: einer der Mitorganisatoren ist FFF, die sich jetzt krass von Greta Thunberg distanziert haben. Dabei hat sie ganz korrekt gesagt, dass es keine Klimagerechtigkeit auf besetztem Land gibt. Ich finde es trotzdem wichtig, heute hier vertreten zu sein. Das heißt ja nicht, dass ich jetzt jeden Organisator auch unterstütze. Aber der Grund, warum wir hier stehen, da stehe ich dahinter. Aber ich kann nicht für Klimagerechtigkeit kämpfen und gleichzeitig einen Genozid unterstützen. Das geht nicht zusammen.“
Sie ist der Überzeugung, dass man der Regierung entgegentreten muss, um die extreme Rechte zu stoppen. „Viele wollen die Füße einziehen, weil man weiß, dass die deutsche Regierung Israel unterstützt. Da trauen sich einige nichts dagegen zu sagen. Genau da sollte man sich eigentlich in der Organisation hinter Greta stellen.“
Vertreter der Sozialistischen Gleichheitspartei verteilten auf Demonstrationen im ganzen Land tausendfach das Statement „Wie kann die AfD geschlagen werden?“, in dem erklärt wird, wie sich der Faschismus aus dem Kapitalismus entwickelt und was getan werden muss, um ihn zu stoppen. Dort heißt es:
Die AfD ist kein Fremdkörper in einem ansonsten gesunden Organismus, sondern das schlimmste Symptom eines durch und durch kranken Systems. Wie vor 90 Jahren führt die tiefe kapitalistische Krise wieder zu Faschismus und Krieg.
Die SGP kämpft dafür, den Protest gegen die Rückkehr des Faschismus in die Arbeiterklasse zu tragen und mit einem sozialistischen Programm zu bewaffnen. Dazu heißt es in der Erklärung:
Es kommt darauf an, diese wachsenden Proteste zu einer internationalen Bewegung gegen den Kapitalismus selbst zu entwickeln. Nur wenn die Macht der Banken und Konzerne gebrochen und damit Krieg und Ungleichheit die Grundlage entzogen wird, kann die Entwicklung hin zur Diktatur gestoppt werden. Das erfordert einen Kampf gegen die Regierung und ihre pseudolinken Anhängsel, die die Kämpfe lähmen und den Kapitalismus verteidigen.