Unter dem Slogan „Hands off Students’ Rights“ demonstrierten am Donnerstag in Berlin rund 500 Studierende und Unterstützer gegen die Wiedereinführung des Ordnungsrechts an den Berliner Hochschulen. Der Gesetzesentwurf des Berliner Senats, der am Donnerstag erstmals verlesen wurde, soll die Hochschulleitungen in die Lage versetzen, Studierende aufgrund von „strafbaren Handlungen“ wie nicht genehmigten Hörsaalbesetzungen, untersagten Slogans oder anderen Formen des Protests zu exmatrikulieren.
Bei der Versammlung auf dem Bebelplatz vor dem Eingang der Humboldt-Universität betonten mehrere Redner, dass sich die Maßnahme unmittelbar gegen Studierende richte, die gegen den von der Bundesregierung unterstützten Genozid in Gaza protestieren, gleichzeitig aber die Voraussetzungen dafür schaffe, jeglichen linken studentischen Protest zu kriminalisieren. HU-Präsidentin Julia von Blumenthal hatte die Änderung des Hochschulgesetzes zuvor öffentlich befürwortet.
Der Vorwand des Senats, wonach sich die Gesetzesänderung gegen „Diskriminierung und Gewalt“ richte und dem „Opferschutz“ diene, wurde mit Verweis auf das unbehelligte Agieren rechter Gruppierungen und Professoren empört zurückgewiesen. „Durch Exmatrikulation können BAföG und Wohnsituation im Studierendenwohnheim wegbrechen. Für Studierende, deren Aufenthaltsstatus an ihrem Studierendenstatus hängt, kann eine Zwangsexmatrikulation das Wegbrechen jeglicher Existenzgrundlage bis hin zur Abschiebung bedeuten“, hatte der Refrat (gesetzlich AStA) der Humboldt-Universität in einem Statement erklärt.
Mitglieder der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) diskutierten mit Teilnehmern die Hintergründe und Implikationen dieses Angriffs auf demokratische Rechte und traten für eine sozialistische Perspektive ein, um die Arbeiterklasse gegen Krieg und Imperialismus zu mobilisieren. Am vergangenen Wochenende hatte die Polizei in Berlin einen Kongress gegen den Genozid in Gaza gestürmt, Teilnehmer verhaftet und friedliche Demonstranten vor dem Bundestag angegriffen. Zur gleichen Zeit bereiten sich Israel und die Nato-Mächte darauf vor, einen offenen Krieg gegen den Iran zu führen und die ganze Region in einem Flächenbrand neu aufzuteilen.
Dara kommt aus Irland und arbeitet in Berlin. Er sagt: „Ich bin hier, um gegen den Genozid zu protestieren. Deutschland ist einer der größten Unterstützer Israels und liefert Waffen im Wert von Milliarden Euro an die Regierung. Wir müssen das ändern. Das Gesetz ist nicht richtig, Leute sollten studieren können, auch wenn sie diese Politik kritisieren. Ich hoffe, wir werden immer mehr.“
„Die Position der deutschen Regierung ist inakzeptabel“, sagt Uday, der an der Technischen Universität studiert. „Ich bin selbst Palästinenser und bin sprachlos. Ich habe Angst, dass durch das Gesetz unsere politische Arbeit eingeschränkt wird. Israel ist für den Westen eine große Militärstation in der ganzen Region. Es stehen wirtschaftliche, politische und strategische Interessen dahinter.“
Eine Studentin, die anonym bleiben möchte, sagt: „Es ist wirklich angsteinflößend. Als internationale Studentin fühle ich mich durch das neue Gesetz bedroht. Es ist so vage geschrieben, dass es jeden treffen kann. Wenn es durchkommt, kann es sein, dass ich meinen Aufenthaltsstatus verliere und das Land verlassen muss.“
Bei einer anschließenden Kundgebung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus sprachen IYSSE-Mitglieder mit Teilnehmern des aufgelösten Palästina-Kongresses und Angehörigen der Student Coalition Berlin (SCB) über ihre Erfahrungen. Dabei erläuterten sie die sozialistische Perspektive der IYSSE, die unter Jugendlichen und Studierenden für eine Orientierung auf die Interessen und Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse eintritt. SCB-Sprecherin Julie sagt:
„Es geht bei dem Gesetz nicht um ‚Opferschutz‘, sondern darum, im Eilverfahren Strafmaßnahmen gegen Studierende zu ermöglichen. Damit soll ein weiteres Mittel für Universitätsadministration und Professoren geschaffen werden, gegen politischen Aktivismus von Studierenden vorzugehen. Es findet ein Alignment von den verschiedenen Parteien statt, die alle in diese Richtung gehen und ein ganzes System von neuen Maßnahmen kreieren.“
„Wir sollen als Studierendenschaft mundtot gemacht werden“, stellt Diaga fest, die an der Humboldt-Universität studiert und arbeitet. „Es ist ganz klar motiviert davon, den Protest gegen den Genozid in Gaza zum Schweigen zu bringen, aber es wird jeden treffen, der sich gegen die rechte Politik engagiert. Jedes Mittel staatlicher Repression wird dafür zur Hand genommen. Es gibt mir aber Hoffnung, dass Universitäten dabei sind, wieder zu einem politischen Raum zu werden. Ich glaube, der Staat hat Angst davor, dass sich eine Klassenbewegung entwickelt.“
Udi Raz, Vorstandsmitglied des Vereins Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, erinnerte daran, dass die Berliner Sparkasse wenige Tage zuvor das Konto des Vereins eingefroren und von der Organisation eine umfassende Mitgliederliste verlangt hatte. Udi nahm Bezug auf die brutale Polizeirepression und erinnerte an die zahllosen Verhaftungen jüdischer Personen durch die Polizei:
„Diese Entwicklung ist alarmierend für Jüdinnen und Juden in Deutschland. Wann immer wir in den letzten sechs Jahren davon gesprochen haben, dass Demokratie für alle Menschen gelten muss, die zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben, wann immer wir erklärt haben, dass Menschenrechte und internationales Recht auch für palästinensische Menschen gelten muss, haben die Herrschenden auf uns gezeigt und uns als Antisemiten und Extremisten verleumdet. Wir erleben gefährliche Versuche, uns zum Schweigen bringen. Als Minderheit wird uns verboten, für Menschenrechte einzutreten. Das ist McCarthyism par excellence.“
„Ich bin stolz, Teil einer Bewegung zu sein, die eine Revolution anführen wird – nicht nur hier in Deutschland sondern auf der ganzen Welt. Wir werden genau das bekommen was wir verdienen, und wir verdienen nichts weniger als demokratische Freiheiten, Menschenrechte und die volle Anwendung des Völkerrechts.“
Yasmin, die die Auflösung des Palästinakongresses ebenfalls miterlebt hat, berichtet: „Die Polizei hat mich mehrmals verhaftet und eingesperrt, weil ich mich für Menschenrechte und gegen den Genozid in Gaza ausgesprochen habe, den Deutschland mitfinanziert. Meine Wohnung wurde durchsucht und meine persönlichen Dinge wurden konfisziert. Was wir seit sieben Monaten und in den Jahren zuvor erleben, ist Kriminalisierung durch die deutsche Regierung. Sie schicken ihre Polizisten an die Front. Mit solchen Taktiken wollen sie uns einschüchtern und zum Schweigen bringen.“
Darauf angesprochen, dass die westlichen Regierungen den iranischen Militärschlag als „noch nie dagewesenen Angriff“ bezeichnet haben und nun die Kriegspolitik in der ganzen Region eskalieren, sagt Yasmin: „Ich glaube nicht, dass irgendetwas an diesem Ereignis ‚unprovoziert‘ war. Israel hat in den vergangenen Monaten mehrere Länder angegriffen. Sie haben die Hauptstadt des Libanon angegriffen und die Medien haben kaum darüber berichtet. Wenn ein arabisches Land eine europäische Hauptstadt angegriffen hätte, können wir uns vorstellen, was dann geschehen würde. Es ist absolut möglich, dass der Westen einen großen Krieg erzeugen wird. Sie scheinen nur darauf gewartet zu haben. Hinter jedem Krieg stehen ökonomische Beweggründe.“ Sie schließt:
„Ich glaube, eine Revolution ist notwendig. Denn wir fordern unser Recht auf Rede- und Versammlungsfreiheit ein, aber es wird uns weggenommen. Seit Monaten sind wir Polizeibrutalität ausgesetzt, und die Medien haben sich gegen uns gestellt. Durchsuchungsbefehle, Schläge, Verhaftungen. Wenn den Menschen diese Rechte von einem Land genommen werden, das behauptet, demokratisch zu sein, das im Namen der Demokratie sogar in Länder einmarschiert, aber nicht in der Lage ist, seinem eigenen Volk Demokratie zu gewähren – dann muss eine Revolution stattfinden, unbedingt. Wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen. All diese Repressionen werden nur unser Feuer schüren.“
Gregor und Tamino kandidieren für die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) bei den Wahlen zum Europaparlament und kämpfen auch im Studierendenparlament (StuPa) der Humboldt-Universität gegen Kriegspropaganda und für eine sozialistische Perspektive. Unterstützt unsere Arbeit und beteiligt euch am Wahlkampf der SGP und ihrer Jugendorganisation, den IYSSE!