Drei Monate vor der geplanten vorgezogenen Bundestagwahl wächst in der SPD der Druck, anstelle von Bundeskanzler Olaf Scholz Verteidigungsminister Boris Pistorius als Spitzenkandidat der Partei in den Wahlkampf zu schicken.
Vordergründig geht es um die miserablen Umfragewerte der SPD. In einer aktuellen Befragung sprachen sich nur noch 13 Prozent für Scholz als Kanzler aus. Damit liegt er weit hinter dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz (34 Prozent) und dem Grünen Robert Habeck (21 Prozent). 32 Prozent wollten keinen der drei als Kanzler sehen.
Die SPD als Partei kommt in den Umfragen auf 15 Prozent. Das sind mehr als 10 Prozent weniger als bei ihrem Wahlsieg 2021. Damit droht fast der Hälfte der 206 SPD-Abgeordneten der Verlust ihres Mandats.
Pistorius, der vor knapp zwei Jahren das Verteidigungsministerium übernahm, verfügt seither über hohe Popularitätswerte. Das ist weniger sein eigenes Verdienst, als das Ergebnis einer systematischen Medienkampagne. Bevor er seinen Posten antrat, war die Spitze des Ministeriums in nur vier Jahren dreimal ausgetauscht und die Bundeswehr als unterfinanziert, marode und kriegsuntüchtig dargestellt worden. Pistorius wurde dann als volksnaher, anpackender Minister präsentiert, der sich aus den Querelen der Ampelkoalition heraushält.
Nach dem Scheitern der Ampelkoalition häuften sich Berichte, dass es an der Basis der SPD rumore und Mitglieder sich weigerten, für Scholz Wahlkampf zu machen. Inzwischen haben sich führende Mitglieder der Partei aus der Deckung gewagt. So äußerten die Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese und Wiebke Esdar starke Zweifel an Scholz. „Im Zentrum steht die Frage, was die beste politische Aufstellung jetzt für diese Bundeswahl ist. Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius,“ erklärten sie.
Beide stammen aus dem mitgliederstarken Landesverband Nordrhein-Westfalen und führen mächtige Strömungen in der SPD-Bundestagsfraktion an. Esdar ist Sprecherin der „Parlamentarischen Linken“, Wiese Sprecher des konservativen „Seeheimer Kreises“.
Auch Thüringens SPD-Landeschef Georg Maier hat sich von Scholz distanziert. „In der Bevölkerung wird er für das Scheitern der Ampel mitverantwortlich gemacht, ohne dass er das zu verschulden hätte,“ sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, ob aus Sicht der Partei ein Wechsel bei der Kanzlerkandidatur nicht besser wäre.“ Das Wohl der Partei müsse immer vorgehen.
Der ehemalige SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel, mittlerweile Vorsitzender des elitären Netzwerks Atlantik-Brücke, meldete sich ebenfalls zu Wort. „An der Basis der SPD steigt jeden Tag der Widerstand gegen ein ‚Weiter-so‘ mit Kanzler Scholz,“ schrieb er auf X. „Und der SPD-Führung fallen nur Beschwichtigungen und Ergebenheitsadressen ein.“
Die wachsende Unterstützung für Pistorius unterstreicht, was die wirkliche Politik der SPD ist. Wie die Grünen auf ihrem Parteitag am Wochenende reagieren auch die Sozialdemokraten auf die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus mit einer Offensive für Militarismus und Krieg.
Zwischen Scholz und Pistorius gibt es keine größeren politischen Differenzen. Beide arbeiten eng zusammen und unterstützen uneingeschränkt die Eskalation des Kriegs gegen Russland und den israelischen Genozid in Gaza. Scholz trägt als Kanzler die Hauptverantwortung für die gigantische Steigerung der Rüstungsausgaben und die militärische Unterstützung der Ukraine mit bisher 28 Milliarden Euro. Nur die USA haben mehr für den Krieg ausgegeben.
Aber während Scholz bemüht ist, seine unpopuläre Kriegspolitik mit einigen Friedensfloskeln und Warnungen vor einer unkalkulierbaren Eskalation zu bemänteln, formuliert Pistorius ganz offen das militaristische Programm der SPD. Er forderte eine Aufrüstung weit über das Zwei-Prozent-Ziel der Nato hinaus und setzt sich öffentlich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht ein. Bereits vor einem Jahr hatte er „einen Mentalitätswechsel“ in der Truppe und der gesamten Gesellschaft gefordert. „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“
Pistorius bekennt sich auch unverblümt zu deutschen Großmachtinteressen. So betrachtet er den Indopazifik als deutsches Interessengebiet – als „eine Weltregion, die für unsere amerikanischen Freunde ebenso wie für uns angesichts eines immer selbstbewussteren, teilweise die regelbasierte Ordnung infrage stellenden China zu einer wachsenden Herausforderung wird,“ wie er in einem Gastbeitrag für die Welt schrieb. Deutschland müsse auch „hier präsenter werden“.
Dass nun immer mehr SPD-Mitglieder mit diesem ausgesprochenen Militaristen an der Spitze in den Wahlkampf ziehen wollen, ist ein Maß für den Niedergang und die Fäulnis dieser Partei. Selbst die SPD-nahe Zeit stellt fest:
Eigentlich kann man sich kaum vorstellen, dass ein sozialdemokratischer Messias auf einem Panzer daher gerattert kommen soll und verkündet, die Bundeswehr auf „Kriegstüchtigkeit“ trimmen zu wollen. Dass die selbst ernannte Friedensmacht SPD alle Hoffnung auf einen Mann setzt, der eine drastische Erhöhung des Wehretats fordert und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland als einen Schritt zu größerer Sicherheit abfeiert, war noch vor Kurzem undenkbar.
Der Kriegstaumel beschränkt sich nicht auf die SPD. Er hat alle etablierten Parteien und alle offiziellen Medien erfasst. Sie propagieren den Krieg nicht nur, sie sehnen ihn herbei. Die selbstzufriedenen Funktionäre, die das Willy-Brandt-Haus und die anderen Parteizentralen bevölkern, die Leitartikler in den Redaktionen und ihre gutsituierten Wähler und Leser reagieren auf die wachsenden sozialen und internationalen Spannungen, indem sie Friedenssymbole und Diplomatie einmotten und ein Kriegsgeheul anstimmen. Ihre Antwort auf „Make America Great Again“ lautet „Deutschland über alles“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Als die grüne Außenministerin Annalena Baerbock nach Präsident Bidens Freigabe von weitreichenden Raketenangriffen auf Russland gefragt wurde, was sie von der verschärften russischen Atomwaffendoktrin halte, antwortete sie: „Wir lassen uns nicht einschüchtern, egal, was immer wieder Neues herumposaunt wird.“
Das ist kein Leichtsinn, sondern Wahnsinn. Um – wie es in einer Resolution des Grünen-Parteitags heißt – „die strategischen Interessen Deutschlands zu verteidigen“, ist Baerbock bereit, einen Atomkrieg zu provozieren,
Die SPD und die Grünen sind verhasst, egal mit welchen Kandidaten sie antreten. Doch mit ihrer offenen Begeisterung für Krieg und Aufrüstung signalisieren sie, dass sie zur bedingungslosen Unterstützung jedes, auch noch so rechten Kanzlers bereit sind, und dass es keine Grenze gibt, die sie nicht überschreiten werden.
Die Verhinderung eines verheerenden Kriegs und der damit verbundenen Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung erfordert den Aufbau einer unabhängigen Bewegung, die sich gegen alle etablierten Partien richtet. Diese Bewegung muss sich auf die Arbeiterklasse stützen, sie muss international sein und für ein sozialistisches Programm kämpfen. Sie muss die Vermögen der Oligarchen enteignen, die das wirtschaftliche und politische Leben dominieren, und die Gesellschaft so umgestalten, dass sie den menschlichen Bedürfnissen und nicht dem privaten Profit entspricht.
Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt zur Bundestagswahl an, um Unterstützung für diese Perspektive zu gewinnen.