Streiks der Lokführer und Piloten

Regierung und DGB planen Angriff aufs Streikrecht

Die Pilotenvereinigung Cockpit (VC) organisierte gestern Abend erneut einen sechsstündigen Schwerpunktstreik gegen die Lufthansa. Betroffen waren alle Kurz- und Mittelstreckenflüge zwischen 17 und 23 Uhr, die in Frankfurt am Main starten sollten. Nach dem Streik am vorletzten Freitag bei der Lufthansa-Tochter Germanwings war dies der zweite Warnstreik der Piloten in der laufenden Tarifauseinandersetzung.

Gestern Nachmittag kündigte auch die Lokführergewerkschaft GDL einen weiteren Warnstreik für Samstagvormittag an. „Wir werden alle Zugbegleiter und die Lokomotivführer im Personen- und im Güterverkehr zum bundesweiten Warnstreik aufrufen“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky im Gespräch mit dem Informationsradio des Hessischen Rundfunks. Einen ersten dreistündigen Warnstreik hatte die GDL am Montag ab 18 Uhr organisiert.

Zeitgleich kündigten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesregierung an, gegen die wachsende Streikbereitschaft der Piloten und Lokführer – und vieler anderer Arbeiter – gesetzliche Schranken zu erlassen.

Die Piloten wehren sich vor allem gegen eine Verschlechterung bei ihrer Verrentung. Die Lokführergewerkschaft fordert eine Lohnerhöhung von fünf Prozent sowie eine Reduzierung der 39-Stundenwoche um zwei Stunden.

Diese moderaten Forderungen der Piloten und Lokführer sind mehr als berechtigt, sind sie doch seit vielen Jahren pausenlosen Angriffen ausgesetzt. Allein die Bahn hatte von 2002 bis 2012 die Belegschaft von 350.000 auf 190.000 Beschäftigte reduziert, was zu ständiger Mehrarbeit führt. Allein im vergangenen Jahr hatten die Bahn-Beschäftigten fast acht Millionen Überstunden geleistet.

Dennoch toben die Medien über die GDL und Cockpit. Die Vehemenz, mit der Wirtschaft, Politik und Medien auf die kleinen Spartengewerkschaften dreschen, lässt sich nicht mit den Auswirkungen der Streiks erklären. GDL und Cockpit haben die Streiks sehr beschränkt und frühzeitig angekündigt. Die Auswirkungen waren überschaubar. Dem gestrigen Streik der Piloten sollen etwa 200 Flüge zum Opfer gefallen sein. Vom dreistündigen Streik der Lokführer am Montag waren nach Angaben der Bahn im Fernverkehr bundesweit rund 150 Züge von Ausfällen und Verspätungen betroffen, im Güterverkehr soll es bei etwa 50 Zügen Beeinträchtigungen gegeben haben. Im Vergleich dazu hatte letztes Jahr der ständige Arbeitsplatzabbau der Bahn dafür gesorgt, dass der Mainzer Hauptbahnhof wochenlang nicht angefahren werden konnte. Das hatte weit umfassendere Auswirkungen auf den Verkehr des gesamten Rhein-Main-Gebiets.

In Wahrheit dienen die Attacken auf die Lokführer und Piloten dazu, alle Arbeiter einzuschüchtern, die angesichts ständiger Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen Widerstand leisten wollen. Das Grundrecht auf Streik wird attackiert. In Medienberichten werden die Streiks als Erpressung dargestellt und die streikenden Arbeiter und Angestellten kriminalisiert.

Seit mehreren Jahren fordern Unternehmen und ihre Vertreter in Politik und Medien gemeinsam mit dem DGB eine gesetzlich verankerte Tarifeinheit. In einem Unternehmen soll nur noch die Gewerkschaft die Tarife verhandeln können, die die meisten Mitglieder in diesem Unternehmen hat. Das würde den DGB-Gewerkschaften das Machtmonopol übertragen und kleinere Gewerkschaften wie GDL, Cockpit, UFO (Fluglotsen) und Marburger Bund (Ärzte) praktisch überflüssig machen.

Angesichts der Tatsache, dass der DGB und seine Einzelgewerkschaften auf engst mit Unternehmen und Regierung zusammenarbeiten, bedeutet das die de facto Abschaffung des Streikrechts. Denn jene Arbeiter, die das Co-Management der DGB-Gewerkschaften ablehnen, würden ihr Streikrecht verlieren.

Das widerspricht aber eindeutig dem grundgesetzlich verankerten Streikrecht. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes gewährt ausdrücklich und für jedermann das Recht, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“, die ihrerseits das Recht haben, „Arbeitskämpfe zu führen“.

Nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom Dienstag will die Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ein geplantes Gesetz zur Tarifeinheit schon im Herbst vorlegen. Aus Koalitionskreisen habe die Zeitung erfahren, dass – wie gefordert – in dem Gesetzentwurf festgeschrieben werden soll, dass künftig der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Unternehmen maßgeblich sein soll.

Diese Gesetzesinitiative war auch am Dienstag bei der Klausur der Regierung mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften auf Schloss Meseberg Thema. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte anschließend, es habe Fortschritte gegeben. „Wir sind einem Gesetzentwurf doch ein ganzes Stück nähergekommen“, sagte sie. Die Details zu dem Gesetzesentwurf sind noch nicht bekannt.

Aber es gibt Pläne, die von Wirtschaftsverbänden und ihnen nahestehenden Arbeitsrechtlern ausgearbeitet werden, nach denen weitgehende Einschränkungen eine Grundgesetzänderung umgehen könnten. So ist daran gedacht, die Gewerkschaften zu verpflichten, Streiks frühzeitig anzukündigen oder zwingend Schlichtungsverfahren, noch bevor Streiks stattfinden, vorzuschreiben. Im Endeffekt laufen alle Vorschläge darauf hinaus, dass der Staat bestimmt, wie und wann nicht gestreikt werden darf.

Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, der an dem Treffen in Merseburg teilnahm, sagte, in der kommenden und übernächsten Woche werde es detailliertere Gespräche der Gewerkschaften mit der Regierung geben. Hoffmann selbst befürwortet das Gesetz wie die meisten DGB-Gewerkschaften.

Sein Vorgänger als DGB-Chef, Michael Sommer, hatte bereits vor mehr als vier Jahren zusammen mit dem damaligen Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur „Tarifeinheit“ präsentiert. Dieser Entwurf sah bereits vor, dass in einem Betrieb grundsätzlich nur noch ein Tarifvertrag Anwendung findet. „Arbeitskämpfe sind während der Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft ausgeschlossen“, unterstrich er damals. Sommer wollte die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit aushebeln, ohne sie gesetzlich abschaffen zu müssen, indem kleinere Gewerkschaften nur dann Tarifverträge für einzelne Berufsgruppen – etwa Lokführer bei der Bahn – abschließen dürfen, wenn die zuständige DGB-Gewerkschaft und die Arbeitgeber vorher ihre Zustimmung gäben.

Auch die Bahn AG fordert im aktuellen Konflikt, dass die GDL schon jetzt die Tarifeinheit anerkennt und einen Kooperationsvertrag mit der Eisenbahn- und Verkehrs-Gewerkschaft EVG abschließt. Was einer Unterwerfung unter die DGB-Gewerkschaft gleichkäme.

Die EVG ist die Nachfolgerin der Gewerkschaft Transnet und GdED und hat in den vergangenen Jahren gemeinsam mit dem Bahnvorstand den massiven Arbeitsplatzabbau durchgesetzt. Die EVG unterstützt die Bahn darin, die GDL aus den Verhandlungen zu drängen.

Diese Rolle der EVG als verlängerter Arm der Bahn hat die GDL erst stark werden lassen. Zwar ist die EVG noch immer die größere Gewerkschaft im Unternehmen Bahn, aber vor allem durch ihre Mitglieder im Bereich Infrastruktur. Im Eisenbahnbereich hat die GDL bedeutend mehr Mitglieder, sie organisiert 80 Prozent der Lokführer und 30 Prozent der Zugbegleiter.

Trotz heftiger Auseinandersetzungen unterscheiden sich GDL und EVG nicht grundlegend. Die GDL ist Teil des Deutschen Beamtenbunds dbb, und ihr Vorsitzender Claus Weselsky ist nicht nur Mitglied des dbb-Vorstands, sondern auch der CDU.

Weselsky und die GDL unterscheiden sich von der EVG nur dadurch, dass sie ihre Haut teurer verkaufen wollen und sich weniger korrupt darstellen. Die Differenzen sind rein taktischer Natur. Auch die GDL teilt die Ziele der Bahn AG, die darin bestehen, auf Kosten der Beschäftigten maximale Gewinne zu erzielen. Die Angriffe auf die Bahnbeschäftigten resultieren aus der Privatisierung und der europaweiten und globalen Konkurrenz. Diese Konkurrenz wird systematisch auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Ihre national beschränkte Perspektive – etwas mehr Druck auf die Bahn auszuüben als die EVG – kann der globalen Entwicklung nichts entgegensetzen.

Die jetzt wieder forcierte Einführung der Tarifeinheit richtet sich daher nicht einfach nur gegen Gewerkschaften wie die GDL, Cockpit, UFO oder den Marburger Bund. Vielmehr zielt die Gesetzesinitiative darauf ab jede wirklich unabhängige Bewegung gegen die Angriffe der Unternehmen und das Sparprogramm der Regierung – wovon die Stärkung der kleineren Gewerkschaften nur ein verzerrter Ausdruck ist – im Keim ersticken zu können.

Der Angriff aufs Streikrecht macht deutlich, dass jeder Kampf zur Verteidigung von Arbeiterrechten und Errungenschaften grundlegende Fragen der politischen Perspektive aufwirft. Das erfordert den Aufbau einer internationalen Partei auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

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