Die Entscheidung, den Thyssenkrupp-Konzern zu zerschlagen, indem er zunächst in zwei Unternehmen aufgeteilt wird, wurde seit Monaten im Geheimen vorbereitet. Dabei spielte die IG Metall eine Schlüsselrolle. Sie setzt damit die Forderung, die die aggressiven Hedgefonds seit Jahren erheben, in die Tat um.
Am vergangenen Sonntag stimmten alle Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG gemeinsam mit den Vertretern der Kapitalseite dem ausgehandelten Plan zu. Danach wird der Dax-Konzern mit aktuell noch fast 160.000 Beschäftigten in zwei Unternehmen aufgeteilt. Die neue „Thyssenkrupp Industrials AG“ umfasst die profitablen Bereiche, vor allem die Aufzugsparte, das Geschäft mit Autoteilen und den Anlagenbau. Das zweite Unternehmen soll „Thyssenkrupp Materials AG“ heißen und die Stahlproduktion, den U-Boot-Bau und den Werkstoffhandel umfassen.
Die Süddeutsche Zeitung spricht bei der Thyssenkrupp Materials AG von einer „Art Resterampe“, Finanzkreise würden sagen: Bad Bank.
Als im Juli der Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner ihre jeweiligen Posten aufgegeben hatten, begann die IG Metall, an einem Plan zur Aufteilung des Unternehmens zu arbeiten. Mit dem Rücktritt des Aufsichtsratsvorsitzenden übernahm sein Stellvertreter, der IG-Metall-Sekretär Markus Grolms, diese Schlüsselfunktion. Damit leitete die IG-Metall den Aufsichtsrat.
Als erstes strebte IGM-Sekretär Grolms eine Grundsatzvereinbarung zwischen den zehn Aufsichtsräten der Arbeitnehmerseite und den zwei Vertretern der Krupp-Stiftung sowie des Vertreters von Cevian, Jens Tischendorf, an. Das war im Juli. Damals schrieben wir: „Unter den gegebenen Bedingungen bedeutet das, dass die IG Metall als Handlanger der Aktionäre und Hedgefonds fungiert.“
Während Interimschef Guido Kerkhoff, bis dahin Finanzvorstand, nach seiner kommissarischen Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden der Thyssenkrupp AG beteuerte, er habe kein Mandat für tiefgreifende Änderungen – und medienwirksam ein Nachfolger für Hiesinger, sprich: Ersatz für Kerkhoff – gesucht wurde, arbeitete die IG Metall die jetzige Aufteilung aus.
Das Handelsblatt schrieb gestern: „Bis zum Tag der Verkündung wussten nur der Vorstand und dessen engste Mitarbeiter über das Vorhaben Bescheid.“ Über sechs Wochen lang habe Kerkhoff mit Rechtsvorstand Donatus Kaufmann und Personalvorstand Oliver Burkhard in Geheimsitzungen mit Beratern der Investmentbank Goldman Sachs (!) alle möglichen Optionen durchgerechnet. Ein Teilbörsengang der Aufzugssparte sei genauso kalkuliert worden wie ein Verkauf des Werkstoffhandels. Selbst die komplette Zerschlagung der Industriegüter-Geschäfte hätte das Vorstandstrio mit den Goldman-Sachs-Bankern durchgespielt. Am Ende einigte man sich auf die Aufspaltung.
Das Handelsblatt titelte reißerisch: „Kerkhoffs geheime Kommandosache“. In Wahrheit war es die geheime Kommandosache der IG Metall. Die Gewerkschaft hielt über Grolms als Aufsichtsratschef und Oliver Burkhard als Personalvorstand die Fäden in der Hand und war von Beginn an die treibende Kraft. Der ehemalige nordrhein-westfälische IGM-Bezirkssekretär Burkhard war 2012 mit seiner Benennung zum Thyssenkrupp-Personalvorstand zum Einkommensmillionär aufgestiegen. Während Burkhard mit den Finanzhaien der US-Bank und seinen beiden Vorstandskollegen die unterschiedlichen Szenarien durchrechneten, die den Aktionären den meisten Profit versprechen, besprach er mit seinen Kollegen aus der Gewerkschaft, wie die geplante Zerschlagung gegen die Beschäftigten durchgesetzt werden kann.
In einer Pressemitteilung am Morgen des 28. Septembers, kurz nach dem Bekanntwerden der Zerschlagung, forderte der Bezirksleiter der IG Metall NRW Knut Giesler, jetzt müsse gewährleistet werden, dass die Aufspaltung nicht zu betriebsbedingten Kündigungen führe. Zweitens müsste die Mitbestimmung – sprich: die Pfründe und Posten der IG Metall – sowie eine solide finanzielle Ausstattung beider Gesellschaften gewährleistet sein. „Die finanzielle Tragfähigkeit muss durch ein Wirtschaftsprüfergutachten nachgewiesen werden.“
Das alles war Augenwischerei, denn es war alles längst von der IG Metall „ausgehandelt“. Den IGM- und Betriebsratsvertretern, wahrscheinlich auch Giesler selbst, saß niemand anders als Oliver Burkhard gegenüber, der Vorgänger Gieslers. „Nur wenige Minuten nachdem Kerkhoffs Plan durch eine undichte Stelle der Öffentlichkeit bekannt wurde“, schreibt das Handelsblatt, „gab es bereits eine Grundsatzvereinbarung mit der IG Metall.“ Exakt so, wie es Grolms schon im Juli angekündigt hatte.
Darin werden alle „Forderungen“ Gieslers erfüllt. Betriebsbedingte Kündigungen seien ausgeschlossen. Diese Formel verwendet die IG Metall immer, wenn es um massiven Abbau von Arbeitsplätzen geht. Die Grundsatzvereinbarung rüttelt selbstverständlich nicht an den schon beschlossenen Sparmaßnahmen und Abbauprogrammen, die unvermindert fortgesetzt werden.
Und selbstverständlich konnte Grolms den IGM-Funktionären mitteilen, dass ihre Pfründe gesichert seien. „Beide Thyssenkrupp-Unternehmen werden mitbestimmte Aktiengesellschaften sein, mit paritätisch besetzen Gremien.“ Mit anderen Worten: Es gibt in Zukunft mehr Aufsichtsratsposten zu vergeben und vor allem einen zweiten Arbeitsdirektor. Als einen Kandidaten für diesen Posten dürfte sich Tekin Nasikkol, Betriebsratschef der Stahlsparte fühlen. Er hatte als Aufsichtsratsmitglied wie alle seine Betriebsratskollegen der Zerschlagung zugestimmt und anschließend dafür medienwirksam geworben. „Uns war bewusst, dass es bei Thyssenkrupp nicht so weitergehen kann wie bisher“, sagte er. Betriebsrat und IG Metall hätten „nichts Besseres durchsetzen können als die geplante Zweiteilung“.
So war es nur noch eine Formalie, dass der Aufsichtsrat am letzten Sonntag einstimmig der Zerschlagung zugestimmt hatte, die Vertreter der Hedgefonds genauso wie die der IG Metall und des Betriebsrates. Ohne die gewerkschaftlichen Funktionäre wäre dies nicht möglich gewesen, denn sie haben derzeit eine Mehrheit im Aufsichtsrat. Nach dem Ausscheiden von Lehner und auch des Ex-Telekom-Chefs René Obermann sind deren beiden Posten unbesetzt geblieben. Somit stellen IG Metall und Betriebsrat derzeit zehn der 18 Aufsichtsräte. Der von Gewerkschaft und Betriebsrat dominierte Aufsichtsrat beschloss auch einstimmig, Kerkhoff zum ordentlichen Vorstandsvorsitzenden zu benennen. Das ist der Lohn, den er von der IG Metall für seine loyale Zusammenarbeit erhält.
Grolms Behauptung, dass sich Finanzinvestoren „mit ihrer Forderung, wertvolle Teile von Thyssenkrupp zu verkaufen, nicht durchgesetzt“ hätten, wird schon morgen Makulatur sein.
Denn die jetzige Aufteilung ist der zweite Schritt in der Zerschlagung des Thyssenkrupp-Konzerns, dessen Gründungswurzeln über 200 Jahre zurückreichen. Der erste Schritt war die Fusion der Stahlsparte mit derjenigen von Tata. Nun erfolgt mit der Aufspaltung in zwei Unternehmen der nächste Schritt.
Und das ist beileibe nicht das Ende. Zwar behaupten die IGM-Vertreter, dass der vereinbarte Anteil der Thyssenkrupp Materials AG an der Thyssenkrupp Industrials AG – Nasikkol sprach von rund 30 Prozent – angeblich das schwankungsanfällige Stahl-, Marine- und Werkstoffgeschäft absichere. Das Paket im Wert von mehreren Milliarden Euro könne in einem Rutsch oder in mehreren Schritten verkauft werden, schreibt das Handelsblatt. Auf jeden Fall solle es „nicht langfristig behalten werden“.
Die jetzige Aufteilung bedeutet nicht das Ende der beiden Unternehmen als Mischkonzerne. Dagegen waren die Investoren in der Vergangenheit Sturm gelaufen. Zwar erhofft sich Cevian offensichtlich kurzfristig eine höhere Rendite. Aber der Milliardär Paul Singer, der mit seinem Fonds Elliott erst Anfang des Jahres bei Thyssenkrupp eingestiegen war, vermied bislang eine Stellungnahme oder auch nur einen Kommentar zum jetzigen Vorhaben. Singer hatte immer die vollständige Zerschlagung gefordert.
Analysten der Barclays Bank erklärten, für bessere Renditen brauche der Konzern eine weiterführende Strategie, die Aufteilung allein mache das Geschäft nicht profitabler. Einen Verkauf der Marinesparte schließt Thyssenkrupp nur „mittelfristig“ aus. Diese Option war in den letzten Monaten häufiger gefordert worden.
Thyssenkrupp-Chef Kerkhoff sagte im Handelsblatt-Interview: „Nachdem wir das Joint Venture für unser Stahlgeschäft mit Tata Steel beschlossen haben, gehen wir jetzt den nächsten logischen Schritt.“ Weitere „logische Schritte“ sind in Planung.
Damit stehen die Zeichen bei Thyssenkrupp auf Sturm. Die IG Metall hat die Zukunft von 160.000 Beschäftigten den Profitinteressen aggressiver Hedgefonds untergeordnet. Damit hat sie für jedermann sichtbar gemacht, dass in allen kommenden Auseinandersetzungen die Arbeitsplätze und alle Rechte und Errungenschaften der Arbeiter nicht mit, sondern nur gegen die Gewerkschaft verteidigt werden können.
Siehe auch: ThyssenKrupp: Zerschlagung des Konzerns bedroht Tausende Arbeitsplätze