Am Freitag verkündeten die Deutsche Bahn AG und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), dass sie sich auf einen Tarifvertrag geeinigt haben. Zentral ist die lange Laufzeit von 29 Monaten bis Februar 2021, die bis dahin Streiks aufgrund der Friedenspflicht ausschließt.
Der Tarifvertrag beinhaltet ansonsten den gleichen minimalen Lohnabschluss wie der Vertrag, auf den sich die Deutsche Bahn schon Mitte Dezember mit der Eisenbahn-und Verkehrsgewerkschaft (EVG) geeinigt hatte. Die GDL hat nun für das von ihr vertretene Zugpersonal – rund 36.000 Lokführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen usw. – weitgehend dasselbe vereinbart, wie die EVG für den Rest der 160.000 Bahnbeschäftigten.
Wie die EVG rechnet auch die GDL den Abschluss schön. Mit 6,1 Prozent habe sie „einen Tarifabschluss erzielt, der sich sehen lassen kann“, behauptet sie. Tatsächlich beträgt die prozentuale Erhöhung auf das Jahr umgerechnet lediglich 2,5 Prozent und entspricht damit etwa der aktuellen Inflationsrate. EVG und GDL haben also in Wirklichkeit eine mehr als zweijährige Nullrunde oder – sollte die Inflationsrate weiter ansteigen – Reallohnverluste vereinbart.
Obwohl der alte Tarifvertrag bereits im September 2018 auslief, steigen die Löhne erst zum 1. Juli 2019 um 3,5 Prozent und dann zum 1. Juli 2020 um weitere 2,6 Prozent. Für die neun Monate bis zur ersten Lohnerhöhung wurde eine Einmalzahlung von 1000 Euro vereinbart, die im kommenden Februar ausgezahlt wird.
Für die Regionalverkehre Start Deutschland GmbH mit ihren sechs regionalen Tochterfirmen gilt der Tarifabschluss ebenfalls, allerdings auf dem niedrigeren Tarifniveau der Muttergesellschaft, der Deutsche Bahn Regio AG. Diese Tochter des Bahnkonzerns hatte in den letzten beiden Jahren die Start Deutschland GmbH als Billiglohn-Tochter aufgebaut, um in vergangenen Ausschreibungen verlorengegangene regionale Strecken zurückzugewinnen.
Die GDL hat bei den Zulagen etwa für Schicht- und Wechseldienste zusätzliche Erhöhungen von insgesamt 1,5 Prozent vereinbart. Diese Anhebungen werden allerdings erst zum 1. Januar 2020 wirksam.
Trotzdem sind die Gehälter des Zugpersonals trotz hoher Belastung und Verantwortung derart niedrig, dass es der Bahn schwer fällt, überhaupt Lokführer zu finden. Derzeit fehlen ihr rund Eintausend. Das führt dazu, dass viele Züge verspätet oder gar nicht fahren.
Vor einigen Tagen berichtete der Tagesspiegel, dass die Bahn wegen Verspätungen und Zugausfällen hohe Vertragsstrafen an ihre Auftraggeber im Regionalverkehr zahlen müsse. Nach Informationen der Zeitung summierten sich diese allein seit 2017 auf fast 500 Millionen Euro. Bis 2023 erwarte Bahnchef Richard Lutz weitere rund 650 Millionen Euro Strafen.
Um zukünftig mehr Personal zu finden, hat die Bahn einer minimalen Verbesserung der übelsten und teilweise ungesetzlichen Arbeitsbedingungen des Zugpersonals zugestimmt. So rühmt sich die GDL, sie habe nun endlich eine „scharfe Trennung von Berufs- und Privatleben“ erreicht. Das Zugpersonal darf für den Konzern künftig außerhalb der Arbeitszeit nicht erreichbar sein, ohne dass es deshalb mit Strafen rechnen muss. Was früher einmal selbstverständlich gewesen war, galt in den letzten Jahren nicht mehr. GDL-Chef Claus Weselsky rechnet aber mit einer längeren Eingewöhnungsphase, da die Kommunikation in der Vergangenheit völlig ungeordnet verlaufen sei.
Um auch im Fernverkehr pünktlicher und attraktiver für die Kunden zu werden, sollen künftig zusätzlich zum Lokomotivführer auf jedem ICE mindestens zwei Betriebseisenbahner mit der entsprechenden Qualifikation und auf jedem IC mindestens ein Betriebseisenbahner eingesetzt werden.
An der Anhäufung von Überstunden wird dies jedoch nichts ändern. Obwohl Weselsky noch im Dezember kritisiert hatte, dass Kollegen „Hunderte Überstunden vor sich herschieben“, bleibt es bei der Überstundenregelung, nach der die Bahn jedem Lokführer pro Jahr bis zu 80 Überstunden zumuten darf. Erst danach ist jede weitere Überstunde „freiwillig“. Der aktuelle Personalmangel wird bei vielen Lokführern dazu führen, dass sie auch in naher Zukunft „freiwillig“ Hunderte Überstunden vor sich herschieben.
Wie schon bei der Einigung mit der EVG ist auch das so genannte Wahlmodell Teil des GDL-Abschlusses. Dabei können sich die Beschäftigten zwischen mehr Geld zum Juli 2020, sechs Tagen mehr Urlaub zu Beginn des Jahres 2021 oder einer Arbeitszeitverkürzung entscheiden.
Die Lokführergewerkschaft GDL, die dem Beamtenbund angehört, hat erst in den letzten 15 bis 20 Jahren breiteren Einfluss unter Eisenbahnern gewonnen, weil diese von der weitverbreiteten Korruption und der engen Zusammenarbeit der EVG und ihrer Vorgängerorganisation Transnet mit dem Bahnkonzern angewidert waren. Doch es hat sich immer wieder gezeigt, dass die GDL keine Alternative für die Bahnbeschäftigten ist.
Genauso wie die EVG arbeitet auch die GDL eng mit dem Bahnvorstand und der Bundesregierung – der Bund ist nach wie vor Eigentümer der Bahn – gegen die Interessen der Belegschaft zusammen. Bereits vor drei Jahren hatte sie nach massiven Streiks eine „verbindliche Schlichtungsvereinbarung“ bis 2020 und damit einen fünfjährigen Streikverzicht unterzeichnet.
Der Bahnkonzern macht sich die Rivalität zwischen den beiden Gewerkschaften, die sich in ihrer Anbiederung an die Bahn gegenseitig überbieten, gezielt zunutze. Der zuständige DB-Personalchef Martin Seiler ist selbst ein erfahrener ehemaliger Gewerkschafter. Seiler hatte seine berufliche Laufbahn bei der Deutschen Bundespost begonnen, wo er über 15 Jahre lang im Betriebsrat und später als Funktionär der Postgewerkschaft bzw. von Verdi (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft) tätig war. Dann stieg er ins Management der Bahn auf, wo er Millionen kassiert.
Obwohl sich die GDL bereits Mitte Dezember bereit erklärt hatte, dem letzten Angebot der Bahn zuzustimmen, hatte sich die Verhandlungsdelegation der DB geweigert, den Tarifvertrag zu unterschreiben, und war unverrichteter Dinge vom Verhandlungsort in Eisenach abgereist. „Seit diesem Zeitpunkt befindet sich die GDL in einem untragbaren Schwebezustand“, schrieb die GDL Mitte Dezember auf ihrer Website. „Nach wie vor ist es das Ziel der GDL, das geeinte Verhandlungsergebnis schriftlich zu fixieren und zu unterzeichnen.“
Nur zwei Tage später einigte sich die Bahn zunächst mit der EVG, um sich dann wieder mit der GDL zu befassen. Diese hat nun stolz darauf hingewiesen, dass der aktuelle Abschluss bei der Deutschen Bahn der erste seit 2002 sei, der ohne Schlichtung oder gar Streiks erreicht wurde.