Der Daimler-Vorstandsvorsitzende Ola Källenius deutete am Dienstag an, dass die Konzernbeschäftigten noch weit größere Angriffe zu erwarten haben, als bislang bekannt. Das Handelsblatt hatte am Tag zuvor unter Berufung auf Konzernkreise berichtet, Daimler wolle bei der Veröffentlichung der Bilanz für 2019 die Entlassung von 15.000 Mitarbeitern ankündigen, 5000 mehr als bisher geplant. Im November vergangenen Jahres hatte das Unternehmen mit der Gewerkschaft IG Metall ein Sparprogramm vereinbart, dass die Entlassung von 10.000 Arbeitern und 1,4 Milliarden Euro Einsparungen vorsah.
Am Dienstag gab der Vorstandsvorsitzende Ola Källenius dann aber keine konkrete Zahlen bekannt, wie er dies im November getan hatte. Aber seine Aussage, zu den Sparmaßnahmen gehöre der Abbau einer „niedrigen fünfstelligen Zahl“ bis Ende 2022, zeigt, dass das Unternehmen in naher Zukunft weitere Massenentlassungen plant. Derzeit beschäftigt Daimler weltweit 300.000 Mitarbeiter, davon 180.000 in Deutschland.
Källenius präsentierte die Bilanz des letzten Jahres mit den Worten: „Die finanziellen Ergebnisse des Jahres 2019 sind nicht Ergebnisse, die wir in der Zukunft sehen wollen.“ Nachdem er die Zahlen bekanntgegeben hatte, kritisierten Aktionäre seine Leistung als Vorstandsvorsitzender und forderten wütend einen weiteren massiven Stellenabbau und weitere Sparmaßnahmen. Källenius versicherte, er werde den Aktionären dienen, und gelobte, die Profite zu steigern: „Das reicht nicht, das ist auch nicht etwas, was ich in der Zukunft akzeptiere.“
Im letzten Jahr ging das Nettoergebnis um fast 60 Prozent auf 2,7 Milliarden Euro zurück. 2018 hatte es noch bei 7,6 Milliarden Euro gelegen. Der Gewinn vor Steuern und Zinsen sank von 11,1 auf 4,3 Milliarden Euro – und das, obwohl der Umsatz stieg. Der Gesamtkonzern erwirtschaftete im Jahr 2019 einen Umsatz von 172 Milliarden Euro, 5 Milliarden mehr als im Jahr 2018. Allein die Daimler-Kernmarke Mercedes-Benz erzielte mit über 2,3 Millionen verkauften Autos einen Verkaufsrekord.
Der Rückgang des Gewinns ist einerseits den hohen Investitionen in die Elektromobilität geschuldet, andererseits der Bereitstellung eines erheblichen Betrags zur Abwehr von behördlichen und gerichtlichen Verfahren sowie für Bußgelder für die kriminellen Diesel-Emissionsmanipulationen. Der Konzern stellte dafür über 2,3 Milliarden Euro zurück.
Dennoch bleibt Källenius der alten Leitlinie im Interesse der Aktionäre treu, nach der 40 Prozent des Gewinns für Dividenden verwendet werden. Seit Källenius im Mai vergangenen Jahres den Vorsitz im Vorstand übernommen hat, gab das Unternehmen vier Gewinnwarnungen heraus. Analysten und Medien bezweifeln zunehmend, ob Källenius die richtige Person sei, um die hohen Profiterwartungen der Investoren und Aktionäre zu erfüllen.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb, Daimler sei zwar immer noch die Ikone der deutschen Wirtschaft, der weltgrößte Anbieter von Premium-Luxusautos. Aber der Konzern sei ohne eine klare Strategie mit einer herausfordernden Situation konfrontiert. Konkurrierende Unternehmen – wie Google bei den autonomen Fahrzeugen oder Tesla bei den Elektroautos – dominierten bei den neuen Technologien. Tesla produziere weniger Fahrzeuge und erwirtschafte weniger Gewinne, sei aber an der Börse doppelt so viel wert wie Daimler. „Der Aktienkurs ist im Keller. Der Druck auf Källenius steigt. Er muss jetzt liefern, sonst werden die zunehmend ungeduldigen Investoren seine Ablösung fordern.“
Um das Sparprogramm zu beschleunigen, das Källenius mit den Worten „umfassende Maßnahmen zur Kostensenkung und Steigerung des Cash-Flows“ umschrieb, stellt das Daimler-Management ab März einen externen Berater, Max Warburton, als „Leiter Spezialprojekte“ ein. Warburton ist ein führender Manager bei Alliance Bernstein in London, einem US-amerikanischen Vermögensverwaltungs- und Beratungsunternehmen. Warburton wird den Vorstand beraten und direkt an Källenius berichten. Laut Daimler ist er Experte für die europäische Automobilindustrie. Auf jeden Fall ist er ein Kritiker der schwachen „Performance“ von Volkswagen und Daimler.
Daimler-Finanzchef Harald Wilhelm sagte, Warburton werde „eine wichtige Rolle spielen, wenn wir uns verstärkt darum bemühen, die Kosten zu senken, die Cash-Generierung zu verbessern, die Kapitalallokation zu optimieren und unsere finanzielle Leistungsfähigkeit zu steigern“. Begriffe wie „Spezialprojekte“, „Effizienzsteigerung“ und „Transformation“ stehen für neue Angriffe von Management und IG Metall auf die Beschäftigten, um die Gewinne zu maximieren.
Seit der Ankündigung von 10.000 Entlassungen im November wächst der Zorn der Arbeiter über die Zusammenarbeit der IG Metall mit dem Vorstand rasant. Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht reagierte auf den Bericht des Handelsblatts über 15.000 Entlassungen mit einer arroganten Antwort, wie sie für Bürokraten typisch ist. Er kritisierte nicht die Entlassungen, sondern die mangelnde Einbeziehung des Betriebsrats. „Mit mir ist keine Verschärfung des Sparprogramms besprochen werden“, sagte er der Stuttgarter Zeitung.
Im November hatte derselbe Brecht der Unternehmensleitung vorgeworfen, dass sie die Arbeiter über die geheimen Vereinbarungen mit der IG-Metall informiert habe, was zu Unruhe unter ihnen geführt habe.
Nun warnte Brecht die Unternehmensführung: „Wir haben eine Stimmung zwischen Wut und Enttäuschung in der Belegschaft. Die Leute wollen Orientierung und Klarheit.“ Brecht und die IG Metall wissen natürlich genau, was die Geschäftsführung plant, schließlich arbeiten sie die Pläne gemeinsam aus. Brecht sorgt sich vor allem, dass sich die Wut der Arbeiter gegen die Gewerkschaft richtet.
Brecht hat das Sparprogramm vom November unterstützt und lehnt auch seine Verschärfung nicht ab. Er kritisiert Källenius und die Geschäftsführung aus ähnlichen Gründen wie die Börsenanalysten. Er fordert eine „klare Vorwärtsstrategie“, um den Gewinn zu maximieren und die Dividende für die Anleger zu erhöhen, und versichert der Geschäftsführung, dass die IG Metall voll und ganz mit ihr zusammenarbeiten werde. Es sei „nun Aufgabe des Vorstands, die Konzernstrategie sichtbarer zu machen“.
Ein Interview, das Brecht am 23. Januar dem Handelsblatt gab, ist ein Paradebeispiel dafür, dass die IG Metall jeglichen Anspruch, die Interessen der Arbeiter zu vertreten, aufgegeben hat. Das Interview ist ein nationalistischer Angriff auf die asiatischen Arbeiter sowie eine Aufforderung zu Handelskrieg und Protektionismus an die deutsche Regierung und die Europäische Union.
Brecht warf im Gespräch mit dem Finanzblatt Daimler und der europäischen Autoindustrie vor, sie verließen sich bei Elektroautos auf asiatische Batteriehersteller. „Wir machen uns gefährlich abhängig von Herstellern in China und Korea. CATL oder LG Chem [führende chinesische bzw. südkoreanische Batteriehersteller] bilden mächtige Oligopole; sie können Verfügbarkeit und Preise der Zellen steuern“, warnte er.
Er warf den deutschen Unternehmen vor, sie zögerten, Geld in ein Forschungszentrum zu investieren. Er würde sich den Mut „unserer Manager“ wünschen, ein paar hundert Millionen zu investieren. Das reiche aber nicht aus. „Wir brauchen politische Unterstützung.“ Das Wirtschaftsministerium mache laut Brecht zwar „einen guten Job“, aber auch das reiche nicht. „Wir brauchen beim Thema Zelle dringend eine europäische Wirtschaftspolitik“, forderte der Betriebsratsfürst.
„Wir müssen absichern, dass die Oligopole ihre Macht nicht missbrauchen. Die europäische Politik muss den europäischen Unternehmen helfen, die Kontrolle zu behalten.“ „Wir“ müssten die Zellhersteller dazu bewegen, Werke in Europa zu bauen. Zwischen China und Europa müsse es faire Regeln für die Batterieproduktion geben.
Nicht nur das ständig benutzte „Wir“, wenn er von den Autokonzernen, der deutschen Regierung und der EU spricht, zeigt, auf welcher Seite Brecht steht. Seine Forderungen sind ein kaum verhohlener Aufruf zu Handelskriegsmaßnahmen gegen asiatische Länder, speziell gegen China.
Inmitten der Elektro- und Digitaltransformation im Automobilbau fordern Investoren und Aktionäre die Maximierung der Gewinne auf Kosten der Arbeiter. Die weltweiten Automobilhersteller benutzen den Umbruch als Gelegenheit, die Beschäftigten durch Massenentlassungen, Lohnkürzungen und andere Sparprogramme anzugreifen.
Die Gewerkschaften spielen bei dieser Wahrung der Aktionärsinteressen die Rolle der Betriebspolizei. Sie versuchen, die Arbeiter unter Kontrolle zu halten, indem sie Opposition in den Fabriken aufspüren und unterdrücken und die Arbeiter entlang nationaler Grenzen spalten, um die Entwicklung einer von ihr unabhängigen Opposition zu verhindern.
Die Autoarbeiter stehen in diesem Jahrzehnt weltweit vor der massiven Herausforderung, ihre Arbeitsplätze und ihren Lebensstandard zu sichern. Die erste Voraussetzung für einen erfolgreichen Ausgang des Kampfes hängt von der Vereinigung der internationalen Arbeiterklasse ab. Innerhalb der nationalen Grenzen sind Arbeiterkämpfe gegen die global operierende Autoindustrie unmöglich. Die Arbeiter müssen sich aus der Zwangsjacke der Gewerkschaften befreien und ihre eigenen, unabhängigen Aktionskomitees bilden. Die World Socialist Web Site wird die Bildung solcher Komitees unterstützen. Wir fordern alle Arbeiter auf, mit uns in Kontakt zu treten.