Hunderttausende protestieren gegen Polizeigewalt, Rassismus und Faschismus

Die weltweite Opposition gegen den brutalen Polizeimord an George Floyd hat am vergangenen Wochenende einen erneuten Höhepunkt erreicht. In Deutschland fanden in praktisch jeder Stadt Schweigemärsche und Protestkundgebungen statt. Hunderttausende vorwiegend junge Menschen gingen auf die Straße, um ihre Solidarität mit den Protesten in den USA zu zeigen und die Polizeigewalt und rechte Politik hierzulande anzuklagen.

Demonstranten auf dem Alexanderplatz in Berlin

Der Polizeimord an George Floyd wirkt wie ein Brandbeschleuniger, der den Widerstand gegen den Aufstieg der AfD, die rechte Politik der Großen Koalition, die Aufrüstung von Polizei und Armee, die Einschränkung demokratischer Rechte und Freiheiten und die wachsende Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit zusammenbringt.

Im vergangenen Jahr fanden bereits viele und teils große Demonstrationen gegen die neuen Polizeigesetze statt, an deren Ausarbeitung alle Parteien, auch Die Linke und die Grünen, beteiligt waren. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) und die Vertuschung der rechtsradikalen Verschwörung im Staatsapparat, der faschistische Anschlag auf die Synagoge in Halle, die rechtsradikalen Morde in Hanau und die Wahl eines thüringischen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD-Faschisten – all das führte wiederholt zu großen Protestdemonstrationen.

Aber die Massendemonstrationen vom vergangenen Wochenende gehen weit darüber hinaus und leiten ein neues Stadium des sozialen und politischen Protests und Widerstands ein.

Aufgrund der Coronakrise waren die Proteste jeweils nur für einige Hundert angemeldet. In Berlin, wo 1500 Personen erwartet wurden, beteiligten sich letztlich über 30.000 an den Demonstrationen. Genauso viele Menschen versammelten sich in München, wo lediglich 200 Teilnehmende angemeldet worden waren. In Hamburg und Düsseldorf kamen jeweils mehr als 20.000 Menschen zusammen, in Köln, Hannover und Frankfurt jeweils mindestens 10.000. Viele weitere Tausende demonstrierten in Stuttgart, Freiburg, Nürnberg, Dresden und vielen anderen Städten.

Die Demonstration am Samstag auf dem Alexanderplatz in Berlin

Überall waren es hauptsächlich Jugendliche und junge Menschen, die das Bild der Demonstrationen prägten. Viele von ihnen sind über Internet mit Freunden auf der ganzen Welt verbunden und wollen den dumpfen Nationalismus, die Ausländerfeindschaft, die Polizeibrutalität und die Rückkehr rechtsextremer und offen faschistischer Parteien unter keinen Umständen hinnehmen.

Dazu kommt, dass viele prekär beschäftigt sind, ihre Gelegenheitsarbeit oder ihren Studentenjob angesichts der Corona-Krise verloren haben, ihre Berufsausbildung nicht fertig machen können und eine völlig unsichere Zukunft haben.

Die Demonstrationen waren über die Hashtags #SilentDemo, #BlackLivesMattter, oder (im Andenken an die Opfer des rechten Terroranschlags von Hanau) #SayTheirNames bekannt gemacht worden. Auf vielen Plätzen schwiegen die Massen genau 8 Minuten und 46 Sekunden lang, um der Zeit zu gedenken, die George Floyds Todeskampf gedauert hatte.

Demonstrant auf dem Alexanderplatz in Berlin

Plakate auf den Demonstrationen erinnerten an den brutalen Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Gefängniszelle grausam verbrannt war. Ein Demonstrant in Berlin hatte auf sein Plakat geschrieben: „What is Happiness without Equality?“ (Was ist Glück ohne Gleichheit?). Er machte damit deutlich, dass sehr grundlegende soziale und politische Fragen aufbrechen.

Auf einem anderen selbstgemalten Plakat stand: „Enough is enough!“ (Genug ist genug!) – ein deutlicher Hinweis, dass der Polizeimord an Floyd das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Die extreme Verschärfung der Klassenspannungen ist die unvermeidliche Folge der größten Krise des kapitalistischen Systems seit beinahe hundert Jahren. Die Kriegsgefahr, der Klimawandel und die wachsende soziale Ungleichheit sind die Ursache für die Klassenspannungen und damit den allgemeinen Zusammenbruch demokratischer Herrschaftsformen.

Auf Twitter drehten sich viele Tweets um diese Fragen. „Robert“ schrieb am Samstag: „Der Faschismus kommt in vielen Formen…“ Wenn man jetzt sehe, wie Polizei und Nationalgarde in den USA wüteten, welche Praktiken und Techniken verwendet würden, „erinnert das ganz klar an faschistische Muster“. „Tom“ twitterte, die Polizei in den USA benähme sich wie eine Besetzungsmacht, US-Präsident Trump wolle reguläre Truppen einsetzen. „Die Rhetorik ‚Battlespace‘ [Schlachtfeld] ist dahingehend eindeutig.“

Die Polizei hatte in mehreren Städten versucht, die Demonstrationen unter dem Vorwand der Nichteinhaltung von Sicherheits- und Hygiene-Vorschriften aufzulösen, konnte sich aber angesichts der großen Beteiligung nicht durchsetzen und nahm dann meist Abstand von diesem Vorhaben.

In Berlin sperrte sie jedoch Zufahrtsstraßen zum Alexanderplatz, auf dem sich die Protestierenden befanden. Dort und in Hamburg kam es am Ende der friedlichen Proteste zu Polizeigewalt. Augenzeugen berichteten der WSWS, dass Jugendliche in Hamburg eingekesselt und dass mit Knüppeln gegen sie vorgegangen wurde. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, um einen Platz in der Innenstadt zu räumen. Augenzeugen berichteten auch, dass 36 migrantische Kinder und Jugendliche in Hamburg über Nacht inhaftiert worden sind.

In Berlin sind bei Auseinandersetzungen mehr als 90 Personen verhaftet worden. Dort belegt ein auf Twitter verbreitetes Video die Polizeigewalt hierzulande. Die Filmende kommentiert das Geschehen mit den Worten: ,,Hat George Floyd nicht gereicht?!“

Anders als bei den großen Massendemonstrationen gegen den zweiten Irakkrieg 2003, als die damalige Bundesregierung aus SPD und Grünen den Krieg ablehnte und mehrere Bundestagsparteien die Demonstrationen unterstützten, richten sich die Demonstrationen heute gegen genau diese Parteien. Es ist bezeichnend, dass die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin und der rot-grüne Senat in Hamburg am schärfsten gegen die Demonstrationen vorgingen und sowohl Wasserwerfer wie berittene Polizeieinheiten einsetzten. Schon am Freitag hatte der SPD-Innensenator in Hamburg die Proteste gewaltsam auflösen lassen.

Doch der Widerstand nimmt zu. In Leipzig und mehreren weiteren Städten wurden die Proteste am Sonntag fortgesetzt. In Köln protestierten am Sonntag schon morgens Tausende gegen die AfD, um am Nachmittag erneut zum Gedenken an George Floyd zu demonstrieren.

Die Medien sind sichtlich bemüht, das Ausmaß des Widerstands herunterzuspielen. Dieselben Reporter und Kommentatoren, die in der Vergangenheit die zahlenmäßig kleinen Pegida- und erst kürzlich die rechten Demos gegen die Corona-Schutzmaßnahmen aufbauschten und durch ihre Berichterstattung salonfähig machten, versuchen jetzt bei jeder Gelegenheit, die Teilnehmerzahlen herunterzuspielen und die Berichte auf Mindestpflichterfüllung zu beschränken.

Dahinter verbirgt sich die Angst der herrschenden Klasse vor einer sozialen Explosion. Ein Kommentar in der Tageszeitung Die Welt aus dem Springerverlag macht das sehr deutlich. Der Redakteur Marcus Woeller schreibt dort unter der Überschrift „Ein Land auf Knien“, der Polizist Derek Chauvin habe sein Knie, dass er seinem Opfer Floyd in den Nacken drückte, als Waffe eingesetzt.

Wenn nun weltweit Demonstrierende auf die Knie gingen, so die Welt, „dann ist das nicht mehr nur eine defensive Körperhaltung in liturgischer Tradition mit friedenspolitischer Symbolik“. Der Kniefall sei eine „kraftvolle Geste“ der Demut gegenüber dem Opfer polizeilicher Gewalt und gleichzeitig ein Zeichen, „dass die Geduld mit den Tätern am Ende ist“. Er schließt: „Die Kniebeuge ist keine Geste der Unterwerfung, sondern eine Vorbereitung auf den Aufstand.“

„Respect Existence oder Espect Resistance“ (Respektiert Leben oder erwartet Widerstand), hieß es auf einem selbstgemalten Plakat in Köln.

Es ist notwendig, diese massive Bewegung der Jugend gegen Polizeigewalt mit der wachsenden Bewegung der Arbeiterklasse gegen unsichere Arbeitsbedingungen, Massenarbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und Massenarmut zu vereinen. Es handelt sich um einen Kampf gegen das kapitalistische System, der ein internationales sozialistisches Programm erfordert.

Siehe auch:

Ein Aufruf an die Arbeiterklasse! Stoppt Trumps Staatsstreich!, 5. Juni 2020

Das Jahrzehnt der sozialistischen Revolution ist angebrochen, 4. Januar 2020

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