Perspektive

Die Corona-Pandemie und der Putschversuch Trumps

Am Donnerstag starben in den Vereinigten Staaten 4.100 Menschen an Covid-19. Es ist bereits der sechste Tag, an dem mehr als 4.000 Todesopfer zu beklagen sind. Seit Beginn des neuen Jahres haben sich täglich mehr als 200.000 Menschen mit dem Virus infiziert.

In den zwei Wochen seit Beginn des neuen Jahres sind in den USA mehr als 43.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Laut Angaben der Gesundheitsschutzbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) könnten in den nächsten drei Wochen bis zu 90.000 weitere Todesopfer hinzukommen.

Weltweit werden mittlerweile mehr als 1,5 Millionen Pandemie-Opfer gezählt. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die offiziellen Zahlen die Realität nur bedingt widerspiegeln. Laut einer aktuellen Studie liegt die „Übersterblichkeit“ weltweit um mehr als 30 Prozent höher als die offizielle Zahl der Corona-Toten.

In dieser bereits katastrophalen Lage warnen nun Experten, dass die neue, weitaus infektiösere Variante des Virus zu unzähligen weiteren Todesopfern führen wird. In der medizinischen Fachzeitschrift Stat hieß am Donnerstag: „So schlimm der Ausbruch von Covid-19 in den USA auch sein mag – es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit noch viel schlimmer werden.“

Der Bericht fährt fort: „Die sehr viel infektiöseren Varianten des Coronavirus breiten sich bereits mit rasanter Geschwindigkeit in Südafrika, Großbritannien und zunehmend auch in anderen Ländern aus. Auch in den USA wurde der mutierte Erreger bereits nachgewiesen. Sollte sich dieser ausbreiten – was aufgrund der erhöhten Verbreitungsgeschwindigkeit sehr wahrscheinlich ist, wenn die USA nicht rasch Gegenmaßnahmen ergreifen –, wird sich die akute Krise im Land unermesslich verschärfen.“

Flankiert wird die Katastrophe im amerikanischen Gesundheitswesen von einer beispiellosen politischen Krise. Am 6. Januar stiftete Donald Trump seine Anhänger zu einem faschistischen Aufstand an, bei dem das Kapitol in Washington, D.C. gestürmt wurde. Im Vorfeld und am Tag der Amtseinführung des designierten Präsidenten Joe Biden am 20. Januar ist landesweit mit weiteren faschistischen Gewalttaten zu rechnen.

Doch trotz der endlosen Berichterstattung in den bürgerlichen Medien wird kein Versuch unternommen, die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die Ereignisse in Washington miteinander in Verbindung zu bringen. Es wird so getan, als ob Trumps Versuch, die amerikanische Verfassung außer Kraft zu setzen, mit seiner Politik des vergangenen Jahres nichts zu tun hätte: Trumps weigerte sich beharrlich, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, um das Virus aufzuhalten.

Trump selbst hat im vergangenen Jahr den Aufbau faschistischer Organisationen vorangetrieben, die genau wie er selbst fordern, sämtliche lebensrettenden Beschränkungen der Wirtschaft aufzuheben. Diese Forderungen brachten sie im April und im Mai immer wieder bei Protesten zum Ausdruck. Zuvor war die Wall Street im März durch eine umfassende Rettungsaktion wieder auf Kurs gebracht worden. Im Oktober mündete diese Entwicklung in eine faschistische Verschwörung in Michigan, bei der die Gouverneurin des Bundesstaats, Gretchen Whitmer, entführt und ermordet werden sollte.

In seiner ersten öffentlichen Ansprache nach der Wahl im November kündigte Trump an, seine Regierung werde ihre Corona-Politik unverändert fortführen, und empfahl sich damit der amerikanischen herrschenden Klasse als bleibender Machthaber. Während die Todeszahlen anstiegen, erklärte Trump am 16. November: „Mit dieser Regierung wird es keinen Lockdown geben.“ Es werde sich weisen, wer am 20. Januar Präsident der Vereinigten Staaten sein werde. Er beschwor erneut, dass „das Heilmittel nicht schlimmer sein darf als die Krankheit“.

Trump verdeutlichte, welche Klasseninteressen hinter dieser mörderischen Politik stehen, indem er auf die steigenden Aktienkurse hinwies. Es sei „an der Zeit, ein neues Allzeithoch zu erreichen“.

Zwischen der Politik der herrschenden Klasse und ihrer Reaktion auf die Corona-Pandemie einerseits und dem Zusammenbruch der amerikanischen Demokratie andererseits gibt einen wesentlichen Zusammenhang. Bereits im Oktober schrieben wir auf der WSWS:

Die mörderische Corona-Politik der herrschenden Klasse steht im Zentrum der beispiellosen politischen Krise in den Vereinigten Staaten. Um diese Politik umzusetzen, greift die herrschende Elite auf immer brutalere und diktatorische Herrschaftsformen zurück.

Diese Realität der Pandemie kommt auch in der Reaktion der Demokraten auf den Putschversuch Trumps zum Ausdruck. Angeführt von Joe Biden setzen die Demokraten seit dem 6. Januar alles daran, das Ausmaß der Verschwörung zu vertuschen. Biden hebt hervor, dass eine „starke“ republikanische Partei notwendig sei, und appelliert an seine „republikanischen Kollegen“ – also an Trumps Mitverschwörer –, „parteiübergreifend“ zu handeln. Dies gelte besonders für die Gesetzgebung hinsichtlich der Pandemie.

Als Partei der Wall Street fürchten die Demokraten nichts mehr als die Entstehung einer Bewegung in der Arbeiterklasse gegen Trumps Putschversuch. Eine solche Entwicklung würde einen Konflikt mit der gesamten herrschenden Klasse sowie dem kapitalistischen System selbst zur Folge haben. Das erklärte Ziel der Demokraten ist daher, die Politik der Oligarchie fortzuführen und „nicht zurück, sondern nach vorne zu blicken“.

In einem Artikel mit dem Titel „Der große Wunsch der Wall Street: Lasst uns nach vorn schauen“ zitiert das Magazin Politico den Vorstandschef einer Bank, der die Haltung der herrschenden Klasse auf den Punkt bringt. Über den faschistischen Putsch sagt er: „Ich verstehe, dass das für viele sehr emotional ist, und dass Menschen eine eindeutige Meinung dazu haben. Ich möchte auch gar nichts in Frage stellen. Aber ich denke – und da stimmen mir Joe Biden und seine Leute bestimmt zu –, dass es Zeit ist, wieder vorwärts zu gehen.“

Mit „vorwärts gehen“ ist nichts anderes gemeint, als die Politik der „Herdenimmunität“ fortzusetzen. Das gesamte politische Establishment der USA ist weit davon entfernt, angemessen auf den massiven Anstieg der Corona-Todesfälle zu reagieren und Maßnahmen zu verlangen, die Menschenleben retten können. Stattdessen wird weiter die Öffnung der Wirtschaft gefordert, damit die Profite der Großunternehmen geschützt werden.

Am Donnerstag sagte die demokratische Bürgermeisterin von Chicago, Lori Lightfoot, dass die Bars und Restaurants der Stadt „so bald wie möglich“ wieder zum Normalbetrieb zurückkehren sollen. Gouverneurin Whitmer kündigte am Mittwoch an, dass gemeinsamer Sport wieder möglich sein soll, und bestätigte, dass der Bundesstaat Michigan plant, die Gastronomie in zwei Wochen vollständig wiederzueröffnen.

Auch Andrew Cuomo, der demokratische Gouverneur von New York, bekräftigte in einer Rede die Wiedereröffnung des Einzelhandels: „Das Land kann nicht einfach geschlossen bleiben, bis eine kritische Masse der Bevölkerung geimpft ist. Die Kosten sind zu hoch. Es wird dann nichts mehr geben, was wir öffnen können. Wir müssen die Wirtschaft wieder öffnen.“

Cuomo steht jenem Bundesstaat vor, in dem auch New York City liegt – eine Stadt, in der 113 Milliardäre wohnen und in der die soziale Ungleichheit ein weltweit beispielloses Ausmaß angenommen hat.

Nahezu ausnahmslos konnten amerikanische Milliardäre im vergangenen Jahr ihr Vermögen deutlich steigern. Der reichste Mensch der Welt ist seit dieser Woche Elon Musk, Chef von Tesla und SpaceX, mit einem Vermögen von 201 Milliarden Dollar. Allein im Jahr 2020 hat Musk unfassbare 170 Milliarden Dollar verdient – gleichzeitig starben fast 400.000 Amerikaner an der Pandemie und rund 10 Millionen Arbeitsplätze wurden vernichtet.

Es ist absurd zu behaupten, die Gesellschaft könne es sich nicht leisten, Menschenleben zu retten, wenn sie kein Problem damit hat, einem Einzelnen 170 Milliarden Dollar im Jahr zuzuschustern.

Die gesamte Reaktion auf die Corona-Pandemie fußte bisher darauf, die Verfügbarkeit von billigen Arbeitskräften sicherzustellen. Nur auf diesem Weg kann die Arbeiterklasse kontinuierlich ausgebeutet werden. Brian Deese, Bidens zukünftiger Direktor des Nationalen Wirtschaftsrats, sagte diese Woche während einer Konferenz der Nachrichtenagentur Reuters: „Wir müssen zusehen, die Schulen wieder zu öffnen, damit die Eltern … wieder zurück an die Arbeit gehen können.“

Oder anders ausgedrückt: Lehrer und Schüler sollen ihr Leben opfern, um das zu maximieren, was die New York Times in einem Kommentar als „Erwerbsbeteiligung“ bezeichnete.

Es ist bemerkenswert, dass sich die US-Märkte die gesamte Woche über im Aufwind befanden, während die Demokratie zusammenbricht und die Covid-Todesfälle massiv zunehmen. Die Washington Post zitiert in ihrem Artikel „Warum der Börse die Erstürmung des Kapitols egal ist“ einen Wall-Street-Aktionär mit den Worten: „Der Markt steht der Politik skeptisch gegenüber … Wir bilden uns gern ein, dass die Demokratie zu bevorzugen ist. Doch am Ende des Tages scheint das die Investoren nicht wirklich zu interessieren.“

Die Verteidigung demokratischer Rechte, genau wie die Rettung von Menschenleben vor dem Coronavirus, darf keiner Fraktion der herrschenden Klasse anvertraut werden. Es bedarf einer Intervention der Arbeiterklasse, um die Pandemie einzudämmen und die sofortige Schließung von nicht lebensnotwendigen Betrieben zu fordern. Weiterhin müssen Milliarden Dollar für Tests, Kontaktverfolgung, Quarantänemaßnahmen und Impfungen bereitgestellt werden. Die Socialist Equality Party (US) fordert Arbeiter weltweit dazu auf, an jedem Arbeitsplatz und in jedem Wohnviertel Aktionskomitees zu gründen, um für diese Forderungen zu kämpfen. Arbeiter auf der ganzen Welt sollten noch heute die Entscheidung treffen, der SEP oder einer ihrer internationalen Schwesterparteien beizutreten.

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