Bundesverfassungsgericht kippt Berliner Mietendeckel

Mit der Aufhebung des Berliner Mietendeckels hat das Bundesverfassungsgericht grünes Licht für die hemmungslose Bereicherung von Immobilienspekulanten gegeben. Das höchste deutsche Gericht verkündete am Donnerstag, das Berliner Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen sei „mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig“. Die Entscheidung erging einstimmig.

Damit kommt auf die Einwohner Berlins eine neue Welle von Mieterhöhungen zu. Die Mieten, die am 23. Februar 2020 eingefroren wurden, können nun wieder alle drei Jahre um 15 Prozent erhöht werden, wie es das fälschlicherweise als „Mietpreisbremse“ bezeichnete Bundesgesetz aus dem Jahr 2015 vorsieht. Hunderttausende, deren Mieten aufgrund des Mietendeckels gesenkt wurden, müssen zudem mit empfindlichen Nachzahlungen rechnen. Das Urteil erlaubt es nämlich den Immobilienkonzernen, die entgangene Miete in voller Höhe nachzufordern.

An den Börsen löste das Urteil Jubel aus. Die Kurse der großen Immobilienkonzerne schnellten in die Höhe. Die Deutsche Wohnen legte um 6,8 Prozent zu, Vonovia um 2,9 Prozent und Adler Group um 7,6 Prozent.

April 2019: 40.000 demonstrieren auf dem Berliner Alexanderplatz gegen hohe Mieten

Der Berliner Senat, ein Bündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen, hatte den Mietendeckel im Januar 2020 beschlossen, um von den Folgen der eigenen Politik abzulenken. Zwischen 2002 und 2011 hatte der SPD-Linken-Senat 150.000 von 400.000 Wohnungen im Landesbesitz zu einem Spottpreis an Immobilienhaie verscherbelt.

Seither hat sich der Wert von Wohnungen mehr als verdoppelt und die Mieten sind explodiert. Innerhalb von zehn Jahren stiegen die Angebotsmieten um 106 Prozent. Als Folge konnten sich viele Durchschnittsverdiener, Rentner und Studierende die Miete nicht mehr leisten und keine bezahlbare Wohnung finden. 2018 und 2019 kam es zu Massenprotesten gegen die ständig steigenden Mieten, an denen sich Zehntausende beteiligten. Darauf reagierte der rot-rot-grüne Senat mit dem Mietendeckel.

Wie die WSWS schon damals aufzeigte, war der Mietendeckel „noch nicht einmal der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein“. Er beseitigte „weder die akute Wohnungsnot noch die horrenden Profite der Immobilienkonzerne“.

Das neue Gesetz sah vor, ab dem 23. Februar 2020 die Mieten für etwa 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand vom Juni 2019 einzufrieren. War die Miete zwischenzeitlich erhöht worden, musste sie auf den alten Stand gesenkt werden. Ab dem 23. November mussten außerdem Mieten reduziert werden, die mehr als 20 Prozent über einer festgelegten Obergrenze lagen. Ab 2022 sollten die Mieten dann wieder um maximal 1,3 Prozent jährlich steigen.

Das Gesetz enthielt zahlreiche Schlupflöcher. So galt es nicht für Neubauwohnungen, die nach dem 1. Januar 2014 bezugsfertig wurden. Die Immobilienbesitzer umgingen es außerdem, indem sie zusätzliche Neben- und Renovierungskosten auf die Mieter abwälzten oder indem sie diese unter Ausnutzung der Wohnungsknappheit unter Druck setzten, höhere Mieten zu akzeptieren.

Trotzdem schrien die Immobilienhaie, die CDU und die FDP Zeter und Mordio und zogen gegen die Mietpreisbremse vor Gericht. Ihnen hat das Bundesverfassungsgericht nun in vollem Umfang Recht gegeben.

Die Verfassungsrichter beriefen sich dabei zynisch auf die 2015 von der Großen Koalition im Bund beschlossene Mietpreisbremse, die den rasanten Anstieg der Mieten nicht gestoppt, sondern gesetzlich festgeschrieben hat. „Die Länder sind nur zur Gesetzgebung befugt, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen abschließenden Gebrauch gemacht hat“, urteilte das Gericht. Da der Bund aber das Mietrecht bereits umfassend geregelt habe, sei das Land Berlin nicht berechtigt, einen eigenen Weg zu gehen. Sonst sei die „Einheit der Rechtsordnung“ gefährdet.

Die Richter machten gleichzeitig deutlich, dass sie jeden Eingriff in das „Recht“ der Immobilienhaie, sich auf Kosten der Mieter zu bereichern, als verfassungswidrig betrachten. Das Berliner Gesetz verenge die vom Bund vorgesehenen Spielräume für Vermieter und Mieter, erklärten sie, weil es auf Landesebene ein paralleles Mietpreisrecht „mit marktunabhängigen Festlegungen“ einführe. Durch den Mietendeckel entstünden neue Verbote, die die Vertragsfreiheit bei Mieten über das erlaubte Maß hinaus begrenzten, und verschiebe den bereits vom Bund vorgenommenen Ausgleich der Interessen zugunsten der Mieter.

Das Urteil zum Mietendeckel hat Signalwirkung für ganz Deutschland. Die Wohnungsfrage zählt zu den dringendsten und explosivsten sozialen Fragen. Niedrige Zinsen, die den Konzernen eine fast kostenlose Finanzierung erlauben, und steigende Preise und Mieten haben den Immobilienmarkt in eine Goldgrube verwandelt, in der Mieter rücksichtslos ausgenommen werden.

In München liegt der Mietpreis pro Quadratmeter in einer Neubauwohnung inzwischen bei knapp 19 Euro, das sind 1900 Euro Monatsmiete für eine Vierzimmerwohnung von 100 Quadratmetern, Nebenkosten nicht eingerechnet. In Frankfurt sind es 15,5, in Stuttgart 14,7 und in Berlin 13,3 Euro. Allein im Pandemiejahr 2020 stiegen die Neubaumieten deutschlandweit um 3,9 Prozent. Solche Mieten kann sich ein Normalverdiener nicht mehr leisten, selbst wenn er das Glück hat, eine freie Wohnung zu finden, von Niedrigverdienern, Rentnern und Studierenden ganz zu schweigen.

Auch staatlich geförderte Sozialwohnungen gibt es kaum noch. Ihre Zahl hat sich seit den frühen 2000er Jahren halbiert. Jedes Jahr fallen 43.000 dieser Wohnungen aus der Sozialbindung heraus, während nur 25.000 neue hinzukommen. Ein Geschäftsmodell großer Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia besteht darin, Wohnungen mit auslaufender Sozialbindung in großen Mengen aufzukaufen, sie notdürftig zu „modernisieren“ und dann zu einem weit höheren Preis weiterzuverkaufen oder zu vermieten.

Sie haben nun den höchstrichterlichen Segen des Bundesverfassungsgerichts erhalten. Das Urteil wird den etablierten Parteien zukünftig als Rechtfertigung dafür dienen, dass man gegen die Macht der Immobilienkonzerne, denen sie alle zu Diensten sind, nichts unternehmen könne. Wie zynisch sie dabei die Öffentlichkeit hinters Licht führen, zeigt allein schon der Umstand, dass für das Bundesgesetz, auf das sich das Gericht nun gegen den Berliner Senat beruft, mit Barbara Hendricks (SPD) eine Ministerin derselben Partei verantwortlich war, die in Berlin den Regierenden Bürgermeister Michael Müller stellt.

Das Urteil gegen den Mietendeckel erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem die Kluft zwischen arm und reich immer tiefer auseinanderklafft. Während in Deutschland wegen der Corona-Pandemie Millionen ihren Arbeitsplatz und einen Teil ihres Einkommens verloren, über drei Millionen infiziert wurden und fast 80.000 verstarben, hat sich eine kleine Gruppe an der Spitze der Gesellschaft obszön bereichert. Die Zahl der Milliardäre ist im vergangenen Jahr von 107 auf 136 gestiegen, ihr Vermögen hat sich von 447 auf 625 Milliarden erhöht.

Für diese Finanzoligarchie und die wohlhabenden Schichten in ihrem Umkreis sind die Grundrechte auf eine bezahlbare Wohnung, auf einen sicheren Arbeitsplatz, auf sichere Bildung und auf eine gute Gesundheitsversorgung nur noch ein Hindernis für die eigene Bereicherung. Selbst ein Menschenleben ist ihnen nichts mehr wert, wie die rücksichtslose Durchseuchungspolitik der Bundes- und Länderregierungen trotz der Warnungen von Wissenschaftlern zeigt.

Nur die Mobilisierung der Arbeiterklasse für ein sozialistisches Programm kann dieser Entwicklung entgegentreten. Ohne die großen Konzerne und Vermögen zu enteignen und in den Dienst gesellschaftlicher Aufgaben zu stellen, kann kein einziges soziales Problem gelöst werden. Das gilt auch für die Wohnungsfrage. Wohnen ist ein Grundrecht und keine Ware. Die großen Immobilienkonzerne müssen entschädigungslos enteignet werden.

Nur die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) kämpft in der Bundestagswahl für ein solches sozialistisches Programm. Unterstützt ihre Teilnahme jetzt mit eurer Unterstützungsunterschrift und werdet Mitglied!

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