WHO meldet eine Million Corona-Tote und steigende Fallzahlen in Europa

Letzte Woche hat die offizielle Zahl der Toten durch Covid-19 in Europa die Millionengrenze überschritten. Das gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Donnerstag bekannt. Das Virus breitet sich auf dem Kontinent rasant weiter aus, befeuert durch die ansteckendere Variante B117. Viele Krankenhäuser, die schon am Limit sind, könnten völlig überwältigt werden.

WHO-Regionaldirektor Dr. Hans Henri P. Kluge erklärte bei der Pressekonferenz, als er die Gesamtzahl von einer Million Toten bekanntgab: „Die Situation in unserer Region [Europa] ist ernst. Woche für Woche werden 1,6 Millionen neue Fälle gemeldet. Das sind 9.500 Fälle pro Stunde, 160 Menschen pro Minute.“

Auch übersteigt die Zahl der tatsächlichen Corona-Todesopfer zweifellos die Zahl der offiziell gemeldeten Toten.

Evakuierung eines Covid-19-Patienten aus dem städtischen Krankenhaus von Mülhausen,Frankreich, 23. März 2020 (AP Photo/Jean-Francois Badias)

Kluge fuhr fort: „Nur in den ältesten Altersgruppen sinkt die Inzidenz. Seit zwei Monaten weicht der Trend in der Altersgruppe über 80 Jahre von dem Trend für alle anderen Altersgruppen ab, was möglicherweise der hohen Inanspruchnahme der Impfungen in dieser besonders gefährdeten Gruppe zu verdanken ist. Seit Februar ist der Anteil der über 80-Jährigen an den durch COVID-19 bedingten Todesfällen in der Europäischen Region allmählich auf fast 30% gesunken, das niedrigste Niveau seit Beginn der Pandemie.“ Dennoch befinde sich die Zahl der Krankenhauseinweisungen immer noch auf einem hohen Niveau, und vielerorts würden die Kapazitäten von Intensivstationen überschritten.

In mehreren osteuropäischen Ländern steigt die Zahl der Toten rapide an. In Polen handelt es sich bei mehr als 90 Prozent aller neuen Fälle um die Variante B117, die auch als britische Variante bekannt ist und sowohl ansteckender als auch tödlicher ist als das ursprüngliche Virus. Der Anstieg der Fallzahlen durch die neue Variante hat das Krankenhaussystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Am 1. April erreichte dort die Zahl der Neuinfektionen den höchsten Stand seit Beginn der Pandemie.

Am Donnerstag meldete Polen mehr als 803 Todesopfer, einen Tag zuvor waren es 645. Der Sieben-Tages-Durchschnitt der täglichen Todesfälle liegt mittlerweile bei über 600. Hochgerechnet auf ein Land mit der Einwohnerzahl der USA würde das etwa 5.300 Todesfälle pro Tag bedeuten.

Das Krankenhaussystem ist bereits jetzt überlastet. Michal Drozdz, ein Sanitäter aus Warschau, erklärte gegenüber der Financial Times, er müsse vor den Krankenhäusern mit seinem Krankenwagen regelmäßig stundenlang Schlange stehen, weil sie keinen Platz mehr für neue Patienten hätten: „Das passiert seit drei Wochen ständig. In jeder Schicht muss man damit rechnen, vor einem Krankenhaus warten zu müssen (...) Manchmal zwei Stunden, manchmal sechs (...) In dieser Zeit kann man niemandem helfen, obwohl das eigentlich mein Job wäre.“

Im November letzten Jahres sind in Polen 5.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Diese Zahl ist seither auf das Zwölffache, auf fast 60.000 angestiegen. Im Februar kündigte die rechte Regierung von Mateusz Morawiecki eine weitere Lockerung des aktuellen Lockdowns an, obwohl bereits die ansteckendere Variante kursierte. Neben Museen, Kinos und Schwimmbädern sind jetzt auch die Schulen für Grundschüler wieder offen.

Die europaweit zweithöchste Todesrate gibt es in Italien. Der Sieben-Tage-Durchschnitt liegt laut Worldometer bei 455 pro Tag. Die Impfkampagne des Landes ist ein Fiasko. Der brutale Sparkurs der letzten zehn Jahre hat das Gesundheitssystem geschwächt, und nun obliegt die Verteilung des Impfstoffs den Regionalregierungen. Laut der Financial Times wurden bis zum 20. Februar nur 20 Prozent der verteilten Impfstoffe an über 70-jährige verabreicht. Von den über 80-jährigen hatten nur sechs Prozent eine einzige Dosis erhalten. In Deutschland (50 %) und Frankreich (20 %) liegt diese Zahl im Vergleich dazu deutlich höher, obwohl die Impfkampagne auch dort von Anfang an desorganisiert und langsam verlief.

Obwohl die Zahlen der Infizierten und Todesopfer auf dem ganzen Kontinent immer weiter steigen, forcieren die Regierungen ihre Pläne zur Wiedereröffnung der Wirtschaft im Sommer. Italien hat angekündigt, dass es trotz hunderter Todesopfer pro Tag die Bewohner seiner Urlaubsinseln impfen und die Tourismusbranche ankurbeln werde. Die Mainstreammedien konzentrieren sich auf die bevorstehende Urlaubszeit, um das Bewusstsein der Bevölkerung einzulullen und weitere Lockerungen vorzubereiten, was zu einem weiteren rapiden Anstieg der Todesfälle führen wird.

In Deutschland weigert sich die Große Koalition, irgendetwas gegen den Anstieg der Fallzahlen zu unternehmen. Am Donnerstag gab es laut Worldometer mehr als 32.000 Fälle im ganzen Land, doch die Schulen bleiben landesweit geöffnet. Die Regierung lehnt nicht nur die Forderungen von Schülern und Lehrern nach Schulschließungen ab, sondern hat auch die Inzidenzrate, bei der die Schulen geschlossen werden müssen, von 100 pro 100.000 Einwohner auf 200 angehoben.

In Frankreich hat die offizielle Zahl der Toten am Freitag die Grenze von 100.000 überschritten. Die Zahl der Infizierten pro Tag stieg am Donnerstag um 42.000, am Tag zuvor waren es fast 40.000. Die Gesamtzahl der Intensivpatienten liegt mit über 5.900 auf dem höchsten Wert seit dem Höhepunkt der ersten Welle im letzten Jahr.

Ende März hatte Präsident Macron kleinere Maßnahmen zur sozialen Distanzierung angekündigt, darunter die Schließung der Grundschulen für eine einzige Woche vor den zweiwöchigen Ferien und die Schließung der Oberschulen für eine weitere Woche nach den Ferien. Eine längere Schulschließung und Einschränkungen für die nicht systemrelevante Produktion lehnte er jedoch wegen der Folgen für die Wirtschaft ab. Die Grundschulen sollen am nächsten Montag wiederöffnen, obwohl täglich Zehntausende neue Fälle gemeldet werden.

Im Grunde verfolgen die herrschenden Klassen in allen Ländern Europas die gleiche Politik. Als in Italien vor einem Jahr spontane Streiks für die Stilllegung nicht systemrelevanter Betriebe ausbrachen, damit die Arbeiter in Sicherheit zu Hause bleiben konnten, weil das Gesundheitssystem bereits am Rande des Zusammenbruchs stand, verhängten die europäischen Regierungen strenge Lockdowns für Schulen und nicht systemrelevante Betriebe. Allerdings benutzten sie diese Lockdowns, um Billionen-schwere Corona-Hilfspakete an die Konzerne zu verteilen und die Aktienmärkte zu stützen. Deshalb sind die Vermögen der europäischen Milliardäre im letzten Jahr stark gestiegen.

Seither haben sie weitere Lockdown-Maßnahmen abgelehnt und Schulen und Betriebe offen gehalten, damit die Konzerne wieder Profit machen können, egal wie viele Menschenleben es kostet.

Der Tod von einer Million Menschen in Europa und fast drei Millionen weltweit ist kein Naturschicksal. Es ist das Ergebnis einer Politik, die bewusst Profite vor Menschenleben stellt. Die Europäische Union und ihre Regierungen haben sie mit Hilfe der Gewerkschaften umgesetzt.

Angesichts des neuen Auflebens des Virus ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Arbeiterklasse die politischen Schlüsse zieht. Die Umsetzung einer wissenschaftlichen Politik zur Eindämmung des Virus ist nur möglich, wenn die Arbeiterklasse unabhängig mobilisiert wird und die politische Macht übernimmt. Sie wird massive Mittel für die Finanzierung eines echten Lockdowns bereitstellen, der auch die Schließung aller nicht-systemrelevanten Arbeitsplätze umfasst, bei vollem Lohnausgleich für die betroffenen Arbeiter und voller finanzieller Entschädigung der Kleinunternehmer. Die Schulen müssen geschlossen werden, und gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass alle Schüler Zugang zu qualitativ hochwertigem Online-Unterricht haben.

Die Umsetzung dieser Politik erfordert den Kampf für eine sozialistische Politik. Die Billionen Euro, die die Wirtschafts- und Finanzelite gehortet hat, müssen enteignet und zurückgeholt werden. Die Arbeiterregierungen werden zu den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa übergehen.

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