Am Samstag traten 2.900 Arbeiter des Volvo-Trucks-Werks in Dublin (Virginia) in der Region New River Valley in einen Streik für höhere Löhne, bessere Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen und Kündigungsschutz. Der Ausstand begann vor dem Hintergrund eines neuerlichen Anwachsens von Streiks und anderen Formen des Klassenkampfs in den USA und anderen Ländern.
Im Februar hatten 96,8 Prozent der Arbeiter bei Volvo Trucks für den Streik gestimmt, doch die Gewerkschaft United Auto Workers ignorierte dieses Streikmandat monatelang und verlängerte den derzeitigen Tarifvertrag um 30 Tage. Damit hatte das Unternehmen genug Zeit, um Maßnahmen für einen Streikbruch vorzubereiten.
Das fast 15 Quadratkilometer große Volvo-Werk im New River Valley ist der weltweit größte Hersteller von Sattelzugmaschinen. Obwohl der Umsatz des schwedischen Volvo-Konzerns von 2019 bis 2020 wegen der Pandemie zurückging, verzeichnet das Unternehmen noch immer hohe Profite – ihr Nettoertrag lag im Jahr 2020 bei etwa 2,4 Milliarden Dollar, die operative Gewinnmarge lag im vierten Quartal 2020 bei 12,6 Prozent. In den letzten Monaten ist die Zahl der Aufträge für Lastwagen so stark gestiegen, dass Volvo und andere Hersteller von Schwerlastwagen angesichts der Engpässe bei Halbleitern Schwierigkeiten haben, die Nachfrage zu befriedigen.
Genau wie in der gesamten Autoindustrie und anderen Branchen mussten auch die Arbeiter bei Volvo Trucks während der Corona-Pandemie unter unsicheren Bedingungen arbeiten, zahlreiche Infektionen waren die Folge. Ein langjähriger Arbeiter erklärte gegenüber der World Socialist Web Site: „In meiner Schicht haben sich etwa 30 von 60 Kollegen infiziert ... Mindestens genauso viele haben sich in der gleichen Abteilung in der anderen von momentan zwei Schichten infiziert.“
Er fuhr fort: „Ich weiß, dass ich mich hier im Werk mit Covid-19 angesteckt habe.“ Seit er sich letztes Jahr infiziert hat, leidet er unter anhaltenden Symptomen: „Ich bin jetzt ein Langzeitfall. Ich habe Schwierigkeiten, von meinem Auto bis zu meinem Haus zu laufen.“
Das Volvo-Management hatte die Produktion im Werk Ende April 2020 wieder aufgenommen, nachdem die Autoindustrie Mitte März durch eine Serie von spontanen Streiks zum Erliegen gekommen war. Das Management ist außerdem direkt mitverantwortlich für die vorschnelle Rücknahme der öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen in ganz Virginia. Gouverneur Ralph Northam (Demokraten) hatte den Vizepräsident und Generaldirektor des Werks im New River Valley, Franky Marchard, letztes Jahr in die Covid-19 Business Task Force des Staates aufgenommen.
Der Streik bei Volvo ist der aktuellste in einer Reihe von Ausständen und Protesten der Arbeiter im Lauf der letzten Wochen. Bei jedem Versuch, sich vor Covid-19 zu schützen und verlorene Löhne und Zusatzleistungen zurückzugewinnen, geraten die Arbeiter sehr schnell in Konflikt mit den wirtschaftsfreundlichen Gewerkschaften, die sich zu Unrecht als ihre Vertretung inszenieren.
Am Freitagmorgen verweigerten die Arbeiter der Verkleidungsabteilung im Stellantis-Werk Jefferson North (Detroit) die Arbeit, nachdem einer ihrer Kollegen positiv auf Covid-19 getestet wurde. Laut einigen Schilderungen in den sozialen Netzwerken hatte sich ein Arbeiter am Arbeitsplatz übergeben müssen. Arbeiter erklärten gegenüber der WSWS, ein Vertreter der UAW habe dennoch versucht, sie zur Weiterarbeit zu überreden, damit die Produktion läuft.
In Michigan breitet sich das Virus aufgrund der ansteckenderen Variante B117 so schnell aus, dass ein Arbeiter der Desinfektionsmannschaft im Werk in Jefferson kurz danach positiv getestet wurde.
Doch statt ihre Mitglieder in einem gemeinsamen Kampf zu vereinen, versucht die UAW immer verzweifelter, „die Feuer zu löschen“, d.h. Streiks und andere Kämpfe zu isolieren. Am 26. April läuft die Streikfrist für wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität New York im Abgangsjahr aus, die von der UAW vertreten werden. Die Gewerkschaft versucht gleichzeitig, mit der Columbia University in derselben Stadt eine Einigung auszuhandeln. Am 15. März waren hier fast 3.000 wissenschaftliche Mitarbeiter für höhere Löhne und bessere Zusatzleistungen in den Streik getreten. Anfang April organisierte das Verhandlungskomitee der Graduate Workers of Columbia, das ebenfalls der UAW angeschlossen ist, eine Streik-„Pause“, obwohl die Angestellten für eine Fortsetzung des Streiks stimmten. Am Sonntagabend trafen sie sich mit den Unterhändlern der Universität und einem Schlichter.
In Alabama rebellierten die Kohlebergarbeiter bei Warrior Met Coal am 9. April gegen die Versuche der Gewerkschaft United Mine Workers of America, einen Tarifvertrag durchzusetzen, der keins der massiven Zugeständnisse ausgeglichen hätte, die die UMWA nach der Insolvenz des Vorgängerunternehmens vor fünf Jahren akzeptiert hatte. Als der Vertrag bei Gewerkschaftsversammlungen präsentiert wurde, schrien die Arbeiter den UMWA-Präsidenten Cecil Roberts nieder und beschimpften ihn als Verräter. Der Tarifvertrag wurde mit 1.006 zu 45 Stimmen abgelehnt, und die Arbeiter verbrannten vor dem Wahllokal Kopien des Abkommens.
In Pennsylvania und vier weiteren Bundesstaaten beginnt die zweite Woche eines Streiks von fast 1.300 Stahlarbeitern von Allegheny Technologies Inc. (ATI). Die Gewerkschaft United Steelworkers nennt als Grund für den Streik „unfaire Arbeitspraktiken“ und weigert sich, konkrete Forderungen zu stellen. Sie hofft darauf, den Ausstand bei der erstbesten Gelegenheit unter dem Vorwand beenden zu können, das Unternehmen würde erneut „in gutem Glauben“ verhandeln. Zudem will die USW erst ab der vierten Streikwoche Streikgeld zahlen und ist vor kurzem von ihrer früheren Ankündigung zurück gerudert, die Arbeiter könnten für die Dauer des Streiks Arbeitslosengeld beantragen.
In Massachusetts beginnt der zweite Monat eines Streiks für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen von etwa 700 Pflegekräften des St. Vincent Hospital, das dem milliardenschweren Konzern Tenet Healthcare gehört. Die Gewerkschaft Massachusetts Nurses Association (MNA) zahlt nur in „Härtefällen“ Streikgeld, um die Pflegekräfte durch Aushungern gefügig zu machen.
Auch in anderen Ländern gibt es Anzeichen dafür, dass ein neues Stadium des Klassenkampfs beginnt. In Taubaté, im brasilianischen Bundesstaat São Paulo, traten letzte Woche fast 700 Arbeiter von LG Electronics in den Streik, um die geplante Schließung der einzigen Handyfabrik des südkoreanischen Konzerns in Brasilien zu verhindern. In Argentinien hatte das Arbeitsministerium am Mittwoch einen 24-stündigen Streik von 24.000 Ölarbeitern untersagt. Diese fordern eine 30-prozentige Lohnerhöhung sowie eine zuvor ausgehandelte Erhöhung um 15 Prozent, um mit der rapide steigenden Inflationsrate mithalten zu können.
Die Streiks der letzten Monate sind Ausdruck einer zunehmenden Entschlossenheit der Arbeiter, sichere Arbeitsbedingungen durchzusetzen und den jahrelangen Niedergang ihrer Löhne und Zusatzleistungen rückgängig zu machen.
Die Pandemie brach mitten in einer wachsenden Streik- und Protestwelle der Arbeiter aus und hat sie vorübergehend unterbrochen. Im Jahr 2019 gab es in den USA 25 größere Arbeitsniederlegungen mit mehr als 1.000 Arbeitern, was die größte Anzahl im Verlauf von fast zwei Jahrzehnten war – eine Periode, in der die Gewerkschaften alles taten, um den Klassenkampf zu unterdrücken. Im Jahr 2020 ging die Zahl der großen Arbeitsniederlegungen auf acht herunter, d.h. auf den drittniedrigsten Wert seit 1947. Allerdings gab es viele kleinere spontane Arbeitskämpfe und Ausstände, die letztes Jahr gegen den Widerstand der Gewerkschaftsbürokratie organisiert wurden.
Bereits im ersten Drittel des Jahres 2021 gab es mehr als halb so viele große Arbeitskämpfe wie im gesamten Jahr 2020. Dazu gehörten Streiks mit mehr als 1.000 Arbeitern bei Hunts Point Produce Market, der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Columbia University, der Kohlebergarbeiter in Alabama und der Stahlarbeiter bei ATI und bei Volvo Trucks.
Die Finanzpresse schrieb mit zunehmender Nervosität über die Möglichkeit einer „Lohninflation“, weil einige Industrie- und Geschäftsbranchen wie Restaurants zunehmend gezwungen sind, die Einstiegslöhne zu erhöhen, um ausreichend Bewerber anzulocken. Das Wall Street Journal veröffentlichte am Samstag einen Artikel mit der Überschrift: „Wirtschaftswachstum wird steigen, Einstellungen werden vielleicht nicht mithalten können.“ Darin wies es darauf hin, dass die schnelle Wiederöffnung der wirtschaftlichen Aktivitäten Engpässe und Lohndruck schaffen könnte, da die Unternehmen Probleme haben, ihre Stellen zu besetzen.
Der Chefökonom der Wells Fargo's Corporate and Investment Bank, Jay Bryson, erklärte gegenüber dem Journal: „In den nächsten Monaten könnte es eine wirklich starke Nachfrage geben, die einen gewissen Druck ... bei Löhnen etc. ausübt.“ Einige der größten Einzelhandels- und Lebensmittelketten wie Walmart, Costco und Kroger haben in den letzten Monaten die Löhne erhöht oder dies angekündigt.
Die Finanzaristokratie und ihre Vertreter reagieren sehr empfindlich auf jeden Versuch der Arbeiterklasse, die Lohnverluste wettzumachen, die mit Hilfe der Gewerkschaften in den letzten vier Jahrzehnten erzwungen wurden. Die immensen Aktienvermögen und die Billionen Dollar, welche die Milliardäre im Verlauf der Pandemie angehäuft haben, erfordern die Beibehaltung und sogar die Steigerung von Armutslöhnen und gefährlichen Arbeitsbedingungen.
Der abstoßende Kontrast zwischen dem unvorstellbaren Reichtum, den die „Pandemie-Profiteure“ angehäuft haben, und dem Massensterben und dem sozialen Elend der Arbeiterklasse sorgt in breiten Teilen der Bevölkerung für tief sitzende Wut und Widerstand, die sich zunehmend Ventile außerhalb der wirtschaftsfreundlichen Gewerkschaften und aller anderen offiziellen Institutionen suchen.
Am Samstag nahmen Autoarbeiter, Amazon-Beschäftigte, wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrer und viele andere Arbeiter an einer Online-Veranstaltung teil, die vom Netzwerk der Aktionskomitees der Autoarbeiter, der World Socialist Web Site und der Socialist Equality Party (SEP) organisiert wurde. Das Thema der Veranstaltung war die Forderung nach einer vierwöchigen Schließung der Autowerke, um die Ausbreitung des Corona-Virus in Fabriken im Raum Detroit und ganz Michigan aufzuhalten. Mitglieder der SEP skizzierten ein Programm, mit dem sich die Arbeiter organisieren und für sichere Arbeitsbedingungen kämpfen können, und erklärten die Notwendigkeit der Ausweitung des Netzwerks der Sicherheitskomitees, die unabhängig von den korporatistischen Gewerkschaften in der ganzen Autoindustrie und anderen Branchen in den USA und der Welt aufgebaut wurden.
Ein Arbeiter des Stellantis-Fertigungswerks Jefferson North erklärte auf der Veranstaltung: „Ich glaube, Jefferson hat sich zu einem der gefährlichsten Betriebe in ganz Michigan entwickelt, das Virus breitet sich von dort sehr stark aus ... Die ganzen Sachen, die sie uns versprochen haben, als wir nach der Schließung wegen Covid wieder an die Arbeit zurück kamen, werden nicht mehr gemacht.“ Der Arbeiter erklärte, die täglichen Kontrollen auf Symptome, die vom Unternehmen und der UAW als effektive Sicherheitsmaßnahmen dargestellt wurden, seien erst vor kurzem wieder aufgenommen worden, nachdem sie mehrere Monate ausgesetzt waren.
Weiter erklärte er: „Sie beschützen uns nicht ... Ich glaube, es wird uns noch etwas wirklich Tragisches passieren, wenn sie keinen Weg finden, uns zu beschützen und das Werk zu schließen, bis Covid eingedämmt oder unter Kontrolle ist. Und der Gouverneur tut es nicht.“
Über die UAW äußerte der Arbeiter sich verbittert: „Unsere Gewerkschaft ist schrecklich. Sie helfen uns nicht, und sie sind nicht auf unserer Seite.“
„Wenn wir nicht zusammenhalten und selbst dafür sorgen, dass das Werk geschlossen wird, dann wird es übel werden. Wir alle sehen die Zahl der Toten, und die lügt nicht. Ich hoffe, das Werk wird geschlossen und die Leute entschädigt, weil es nicht unsere Schuld ist.“
Eine Arbeiterin aus einer Amazon-Niederlassung bei Detroit erklärte, sie könne nicht glauben, wie „wir als Arbeiter in diesen Großkonzernen immer noch trotz der Ausbreitung von Covid an die Arbeit gezwungen werden. Leute infizieren andere immer noch, auch wenn sie asymptomatisch sind.“ Sie erklärte, die Arbeiter werden einem Umfeld ausgesetzt, wo „es unmöglich ist, eineinhalb Meter Abstand zu halten.“
„Solche Werke müssen geschlossen werden, und es muss etwas unternommen werden, was den Lohn angeht, nur um die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle zu bekommen.“
Ein Arbeiter eines Autozulieferers aus Indiana, der an der Gründung des Sicherheitskomitees bei Faurecia Gladstone beteiligt war, erklärte: „Die Leute haben langsam genug. Sie wollen, dass etwas dagegen unternommen wird. Das bedeutet, dass diese Sicherheitskomitees gegründet werden müssen, und wir müssen einen weltweiten Generalstreik vorbereiten und die Kontrolle übernehmen, damit wir angemessen versorgt sind, solange der Shutdown dauert, um dieses Coronavirus aus der Welt zu schaffen.“
Das Netzwerk der Aktionskomitees der Autoarbeiter veranstaltet am 20. April um 01:00 Uhr Mitteleuropäischer Zeit seine nächste Onlineveranstaltung. Wir rufen die Arbeiter bei Volvo Trucks, Stellantis und anderen Autobauern auf, sich zu registrieren und teilzunehmen.